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4. Kapitel

Der Frühling dieses Jahres nahm wunderliche Wege. Während im Norden der Republik der Schnee schon schmolz, die gefesselten Flüsse fließend zu werden begannen und das ganze Land in Märzwassern schwamm, fegte im Süden noch ein eisiger Wind über die Flüsse, Felder und Wälder vom Gebirge her. In den Wäldern lagen hohe Schneewehen, die hartgefrorenen Wege dröhnten unter den Hufen der Pferde, die Tage waren klar, der Sonnenuntergang in der Regel rot, die Nächte sternenhell und frostig. Das Landvolk saß vergnügt auf seinen lehmigen Aeckern, auf dem fruchtbaren Schwarzboden und den Neuländereien in Kleinpolen und freute sich über die Ausdauer dieses Winters, in der Meinung, daß der Frost den vielen Mäusen in den Feldern und auch den Schweden den Tod bringen werde.

Hatte der Frühling mit seinem Kommen über Gebühr gezögert, so trat er nun aber so plötzlich ein, daß er schnell wie eine Reiterfahne den Feind, seinen Feind, den Winter, aus dem Felde schlug. Die Sonne brannte heiß auf die Erde hernieder und trocknete die Erde so nachhaltig aus, daß sie in breite Spalten riß. Von der ungarischen Steppe her wehte ein starker, warmer Windhauch über die Wiesen, Felder und Neuländer. Es währte nicht lange, da tauchten hier und da, erst einzeln, dann schnell zahlreicher, zwischen den leuchtenden Wasserlachen ein dunkles Ackerbeet, ein grüner Streifen Feldrain auf und die Wälder trieften von den Tropfen der tauenden Eiskrusten.

Täglich konnte man am stets heiteren Himmel lange Züge Kraniche, wilde Enten, Sonnenvögel und wilde Gänse hinstreichen sehen. Die Störche kamen, suchten die vorjährigen Nesträder auf und unter den Dachschauben zogen in die alten Nester die Schwalben ein. Das Gezwitscher der kleinen Vögel tönte um die Dörfer in den Gärten, das Gelärme der großen um die Wälder und Teiche und abends schallte das ganze Land von dem Glucksen und Quaken der Frösche wieder, die sich mit Behagen im Wasser dehnten.

Dann kamen die feuchten Niederschläge, die milde und lau, Tag und Nacht die Luft durchtränkten und die Erde feuchteten.

Die Felder wandelten sich in Seen, die Flüsse schwollen an, die Fuhrten wurden unpassierbar und Wege und Stege aufgeweicht und lehmig, daß der Fuß darin stecken blieb.

Durch diese Wasser, Sümpfe und Moore schleppte sich unaufhaltsam die schwedische Armee. Sie war recht zusammengeschmolzen. Von der glänzenden Wittembergischen Armee, die einst so stolz in Großpolen eingezogen war, war nicht viel mehr zu erkennen. Der Hunger hatte den Gesichtern der alten Krieger seine Spuren aufgeprägt; Schatten gleich schlichen sie einher, mutlos, erschöpft noch mehr von der Ruhelosigkeit der Nächte, als vom Mangel an Nahrung. Wußten sie doch, daß am Ende des täglichen Weges ihrer nichts wartete, keine Erquickung, keine Stärkung, keine Ruhe, höchstens die Ruhe des Todes.

Gespenstern gleich saßen die in erzene Panzer gesteckten, zum Skelett abgemagerten Reiter auf Rossen, die sich kaum noch fortzuschleppen vermochten. Die Fußsoldaten bekamen die Füße fast nicht mehr aus dem lehmigen Boden heraus, die zitternden Arme konnten die Musketen kaum mehr halten. Ein Tag nach dem anderen verging in gleicher Qual, immer vorwärts, vorwärts. Die Wagenräder brachen, die Kanonen blieben im Lehm stecken; man kam manchen Tag kaum eine Meile weit vorwärts. Um das Maß des Elends voll zu machen, wurden viele der Soldaten vom Fieber befallen; viele legten sich vor Schwäche auf den nassen Boden und zogen vor, lieber zu sterben, als weiter zu wanken.

Der schwedische Alexander suchte und verfolgte unausgesetzt die Spur des polnischen Darius.

Gleichzeitig aber wurde auch er verfolgt. Wie die Schakale dem kranken Büffel folgen, um im Augenblick, wo er sich zum Verenden niederlegt, über ihn herzufallen, folgten dem schwedischen Heere die bewaffneten Rotten der Bauern und des Kleinadels, immer dreister näher kommend, immer frecher belästigend. Und wie der kranke Büffel mit einem Gefühl des Grauens das Heulen der beutegierigen Raubtiere immer näher kommen hört und weiß, daß er ihnen verfallen ist, so zog Karolus dahin, ahnend, daß auch er seinen Verfolgern verfallen sei.

Zuletzt war Tscharniezki ihm immer dicht auf den Fersen. Der Nachtrab der Armee sah stets Schwärme von Reitern hinter sich. Zuweilen weit entfernt am Horizont, bald nur auf zwei Büchsenschußweite entfernt, oft sogar dicht hinter sich.

Der Feind wollte die Entscheidungsschlacht, aber vergebens baten die Schweden den Herrn der Heerscharen darum, Tscharniezki nahm sie nicht an, so sehr die Schweden ihn auch herausforderten. Er zog es vor, die Zeit abzuwarten, bis der Sieg ihm nicht mehr entgehen konnte; inzwischen ängstigte er das feindliche Heer unausgesetzt durch Plänkeleien.

Zuweilen umging Tscharniezki auch dasselbe, eilte ihm voraus, und indem er ihm den Weg verlegte, simulierte er, daß er den Kampf aufnehmen wolle. Dann schien ein neuer Geist in die erschöpften Reihen der Skandinavier einzukehren. Die kranken, abgemagerten Gestalten traten mit geröteten Wangen und blitzenden Augen in Reih' und Glied und die schweren Lanzen und Musketen wurden mit eiserner Willenskraft gehandhabt, während das Kriegsgeschrei, die Schlachtrufe, mit denen sie vorwärts eilten, aus kräftiger, gesunder Brust zu kommen schienen.

Wenn dann Herr Tscharniezki einige Vorstoße gemacht hatte, zog er plötzlich, wenn die ersten schwedischen Kanonenkugeln dahergeflogen kamen, seine Schwadronen zurück, und überließ den Schweden das Feld und gab sie der Mutlosigkeit preis, von der sie nach jedem dieser geschickt ausgeführten Manöver von neuem befallen wurden.

Dagegen überfiel er sie plötzlich in nächster Nähe, wo die Geschütze nicht Anwendung finden konnten, denn er wußte recht gut, daß im Handgefecht die schwedischen Reiter selbst gegen die minder geschickten polnischen Freiwilligen nicht aufkommen konnten.

Wieder drängte Wittemberg den König zur Umkehr und bat flehentlich, doch sich und das Heer nicht dem sicheren Verderben preiszugeben. Doch Karl Gustav wies mit zusammengekniffenen Lippen immer nur nach dem Süden, seine Augen schossen Blitze bei jeder Anspielung auf den Rückzug, denn dort in der reußischen Ebene mußte er ja seinen Gegner Johann Kasimir und ein freies Operationsfeld finden, Lebensmittel und endlich Ruhe, Ruhe!

Nun versagten, um das Unglück zu vollenden, die polnischen Ueberläufer, welche ihm bisher treu gedient und die einzigen waren, welche Herrn Tscharniezki allenfalls Widerstand leisten konnten, den Dienst. Der erste, welcher sich von ihm lossagte, war Sbroschek, welchen nicht Habgier, sondern eine blinde Liebe zur Fahne und Soldatentreue so lauge bei Karolus festgehalten hatte. Er nahm seinen Abschied damit, daß er die Schwadron Dragoner Millers zersprengte, die Hälfte derselben niederschlug und dann davonging. Ihm folgte Herr Kalinski, der mit einer Abteilung Füsiliere ähnlich verfuhr wie Sbroschek.

Sapieha wurde von Tag zu Tag schwermütiger; man merkte ihm an, daß er mit sich kämpfte. Er selbst konnte sich zum Fortgehen noch nicht entschließen, aber von seinen Leuten flohen täglich einige aus der Fahne.

Karl Gustav marschierte über Narol, Tschieschanow und Oleschyze der San zu. Ihn hielt allein die Hoffnung aufrecht, daß Johann Kasimir ihm endlich eine Schlacht liefern werde. Noch konnte ein Sieg das Los seiner Armee mit einemmale verbessern, Fortuna ihm wieder gewogen werden. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß Johann Kasimir mit seinen Stammsoldaten und den Tartaren Lemberg bereits verlassen habe. Aber seine Berechnungen schlugen fehl. Johann Kasimir wartete ruhig auf die Verstärkung und Sammlung des Heeres, besonders aber auf die Ankunft der Litauer unter Sapieha.

Der Aufschub war sein bester Bundesgenosse, denn sein Heer verstärkte sich mit jedem Tage, während jeder Tag seinem Gegner Verluste zufügte.

»Das schwedische Heer ist keine Kriegsarmee, sondern ein Leichenzug!« erzählten alte Krieger in der Umgebung Johann Kasimirs.

Diese Ansicht teilten aber auch viele schwedische Offiziere. Karl Gustav behauptete zwar immer noch, daß er nach Lemberg wolle, aber er täuschte sich selbst und seine Generale. Er war jetzt nur noch auf seine Rettung bedacht. Auch war er seiner Sache nicht sicher, er wußte ja nicht, ob Johann Kasimir wirklich noch in Lemberg war. Der König hatte Raum genug, sich rückwärts zu konzentrieren; er konnte bis Podolien den Feind nach sich locken, wo die Schweden dann rettungslos verloren waren.

Douglas rückte mit seinem Regiment bis Prschemysl vor und versuchte, diese Festung zu nehmen, Aber er kehrte mit schweren Verlusten unverrichteter Sache zurück. Die Katastrophe nahte langsam, aber sicher. Alle Nachrichten, welche in das Lager der Schweden drangen, waren Vorboten ihres Nahens. Sie lauteten immer drohender.

»Sapieha kommt, er ist schon in Tomaschow!« meldete man dem Könige eines Tages.

»Herr Lubomirski wälzt sich mit einem Heere von Podgorsche her heran,« hieß es am nächsten Tage.

Und dann wieder:

»Der König kommt mit der Garde und hunderttausend Tartaren! Er hat sich mit Sapieha vereinigt!«

Selbstverständlich befand sich unter diesen Gerüchten viel Unwahres, vieles war übertrieben, aber sie machten die Gemüter ängstlich, die Armee wurde mutlos. Wenn früher der König sich vor seinen Schwadronen hatte blicken lassen, war er mit Freudenrufen begrüßt worden, jetzt standen sie teilnahmslos vor ihm. Dagegen schwatzten die an den Lagerfeuern halb verhungert kauernden Soldaten im Flüsterton mehr von Tscharniezki, als vom eigenen Könige. Man war gewöhnt, überall seine Nähe zu spüren. Wunderbarerweise aber war während der letzten Tage nichts mehr von ihm zu entdecken gewesen. Das machte die Soldaten mißtrauisch und unruhig.

»Tscharniezki ist fort, Gott weiß, was er vor hat!« flüsterten sie einander zu.

Karl Gustav hielt einige Tage in Jaroslaw Rast; er überlegte, was zu thun war. Er ließ die Kranken, deren es im Lager eine große Anzahl gab, auf die flachen Flußschiffe der San bringen und nach Sandomir, der nächsten befestigten, noch von Schweden besetzten Stadt überführen. Nachdem er dieses Werk vollbracht und erfahren hatte, daß Johann Kasimir Lemberg wirklich verlassen hatte, beschloß der König, zu erforschen, wo sein Gegner zu finden sei.

Zu diesem Zweck ließ er den Hauptmann Kanneberg mit tausend Reitern über die San setzen und nach Osten vorrücken.

»Es könnte sein,« sprach der König beim Abschied zu Kanneberg, »daß das fernere Geschick der Armee und die Wendung des Feldzuges zum Guten für uns alle in eurer Hand liegt.«

Thatsächlich hing sehr viel vom Ausgange der Expedition für die Schweden ab. Schlimmstenfalles konnte Kanneberg der Armee Proviant zuführen. Gelang es ihm aber, den Aufenthalt des Polenkönigs ausfindig zu machen, dann mußte der Schwedenkönig mit dem Hauptstabe der Armee Johann Kasimir entgegengehen, seine Heeresmacht zu vernichten, und, wenn möglich, ihn selbst gefangen zu nehmen versuchen.

Karl Gustav hatte daher die besten Soldaten und die stärksten Pferde zu dieser Expedition für Kanneberg ausgesucht.

Die Auswahl geschah um so sorgfältiger, da der Hauptmann weder Fußsoldaten noch Geschütze mit sich nehmen konnte. Er mußte daher über Soldaten verfügen können, die imstande waren, den polnischen Reitern erfolgreich Widerstand zu leisten.

Am zwanzigsten März rückte Kanneberg aus. Als er die Brücke passierte, standen viele Offiziere an dem Brückenkopf, um ihm und den Reitern Lebewohl zuzurufen. »Gott geleite euch! Gott gebe euch den Sieg! Gott führe euch glücklich zurück!« so riefen die Zurückbleibenden den Davoneilenden nach. Diese ritten zu zweien über die neuerbaute Brücke, deren letztes Joch noch nicht fertig, sondern nur mit Brettern überlegt war, damit sie hinüber konnten.

Neues Hoffen machte sie heiterer blicken, denn sie waren ausnahmsweise satt gegessen. Man hatte die Nahrung anderen entzogen, um sie zu sättigen und ihre Feldflaschen mit Branntwein zu füllen. So zogen sie denn mit fröhlichem Geplauder von dannen und riefen als letzten Abschiedsgruß den am Brückenkopf Stehenden zu:

»Wir wollen euch den Tscharniezki am Stricke herbeigeführt bringen!«

Die Armen! Sie ahnten nicht, daß sie wie eine Herde Vieh der Schlachtbank zuritten.

Es hatte sich alles zu ihrem Verderben vereint. Kaum hatten sie die Brücke hinter sich, als die schwedischen Sappeure schon die Bretterlage herunternahmen, um die Brücke durch eine feste Balkenlage für die Geschütze passierbar zu machen. Sie lenkten, leise singend, ab nach Wielkie-Otschy zu; noch ein paar Mal sahen die Offiziere ihre Helme in der Sonne blinken, dann nahm der dunkle Wald sie auf.

Eine halbe Meile hatten sie bereits zurückgelegt, ohne irgend etwas Auffälliges zu bemerken. Ringsum herrschte tiefste Stille, die Wälder schienen gänzlich verödet. Sie ließen die Pferde ein wenig verschnaufen, dann ritten sie langsam weiter. Endlich kamen sie nach Wielkie-Otschy, fanden in dem Orte aber keine lebende Seele vor.

Diese Oede setzte Kanneberg in Staunen.

»Man hat uns augenscheinlich hier erwartet,« sagte er zu Major Sweno, »aber Tscharniezki muß wo anders sein, da er uns hier keinen Hinterhalt gelegt hat.«

»Werdet ihr den Rückzug antreten, Erlaucht?« frug Sweno.

»Nein, wir werden vorwärts gehen, sei es auch bis Lemberg,« antwortete Kanneberg. »Wir müssen doch irgend wen herbeischaffen, der uns Auskunft geben kann, wo Johann Kasimir steckt. Ohne sichere Nachricht darüber, dürfen wir nicht zum Könige zurückkehren.«

»Und wenn wir auf ein übermächtiges feindliches Heer stoßen?«

»Wenn dieser Fall einträte, so würden Soldaten wie die unsrigen doch sicherlich mit einigen Tausenden dieses Gesindels, welches sich das allgemeine Aufgebot nennt, fertig werden,« entgegnete Kanneberg.

»Wir können aber auch reguläre Truppen treffen,« mahnte Sweno noch einmal. »Wir haben keine Kanonen und ohne solche würde ihnen nicht beizukommen sein.«

»Dann werden wir rechtzeitig den Rückzug antreten und dem Könige den Feind melden. Sollte uns der Rückzug abgeschnitten werden, so wollen wir uns durchschlagen,« erwiderte Kanneberg.

»Ich fürchte nur die Nacht!« sagte Sweno.

»Wir wollen alle Vorsichtsmaßregeln treffen. Die Viktualien für uns und die Pferde werden für zwei Tage vorhalten, wir brauchen nicht zu eilen.«

Als sie wieder in das Dunkel des Waldes hinter Wielkie-Otschy hineinritten, strebten sie nur langsam vorwärts. Kanneberg hatte fünfzig Mann vorausgeschickt; sie ritten mit gespannten Musketen in der Hand, deren Kolben fest auf die Schenkel gestützt waren, sahen sich vorsichtig nach allen Seiten um, durchforschten das Dickicht und horchten auf jedes leise Geräusch. Zuweilen sogar ritt einer oder der andere weiter hinein in das Gestrüpp des Unterholzes, um nachzusehen, ob der Weg frei, nirgends aber fanden sie etwas Verdächtiges.

Erst eine Stunde später, als der Weg plötzlich eine Biegung machte, erblickten zwei der vordersten Reiter etwa vierzig Schritt vor sich einen einzelnen Reiter.

Der Tag war klar, die Sonne schien hell, sie konnten ihn also ganz deutlich erkennen. Der Mann war nicht groß, aber sehr anständig gekleidet; er schien ein Ausländer zu sein und sah vielleicht nur darum so klein aus, weil er aus einem sehr großen Pferde saß, das von edler Rasse sein mußte.

Der Reiter ritt langsam, als ahnte er nicht, daß hinter ihm eine Anzahl Dragoner dreinkomme. Die Frühjahrsüberschwemmungen hatten stellenweise tiefe Gräben quer über den Weg gerissen, durch welche trübes Wasser brauste. Jener Reiter riß vor jedem dieser Gräben das Roß etwas in die Höhe, dieses setzte dann leicht wie ein Reh darüber und ging die Mähne schüttelnd und schnaufend des Weges weiter.

Die beiden Reiter hielten ihre Pferde an und sahen sich nach dem Wachtmeister um. Der kam in diesem Augenblick auch um die Ecke getrottet, stutzte, als er den Reiter sah, und sagte:

»Das ist irgend ein Windhund aus einem polnischen Hundestall.«

»Soll ich ihn anrufen?« frug der Reiter.

»Um Gotteswillen, nein! Es können ihrer mehr in der Nähe sein. Sprenge zum Hauptmann zurück.«

Inzwischen waren alle fünfzig Mann des Vortrabes um die Ecke gebogen und standen still. Jetzt hielt der kleine Reiter auch sein Pferd an und machte Front gegen die Schweden.

Eine kleine Weite sahen sie ihn, er sie an.

»Dort ist ein Zweiter! Zweie! Dreie! Viere! ein ganzer Haufen!« rief es jetzt durch die Reihen der Schweden.

Von beiden Seiten des Weges kamen nun Reiter herbei, erst einzeln, dann zu zweien und dreien; sie sammelten sich um den einen, der zuerst auf dem Wege gewesen.

Aber auch die Schweden waren schon herbeigeeilt, zuerst der zweite Vortrab mit Sweno an der Spitze, dann Kanneberg mit der ganzen Abteilung. Kanneberg und Sweno stellten sich sogleich an die Spitze und ordneten den Zug.

Kaum hatte Sweno einen Blick auf die Reiter vor ihnen geworfen, da rief er schon:

»Ich kenne die Leute! Es ist dieselbe Fahne, welche bei Golembin den Prinzen Waldemar angegriffen hat; es sind Leute Tscharniezkis, er muß selbst hier sein!«

Diese Worte machten auf die Schweden einen mächtigen Eindruck. Kein Ton wurde laut, nur das Zaumzeug der Pferde klirrte leise.

»Ich vermute, daß wir in einen Hinterhalt geraten sind,« sprach Sweno weiter. »Es sind ihrer hier vor uns zu wenige, als daß sie den Kampf mit uns aufnehmen könnten, die anderen müssen im Walde versteckt liegen.«

»Erlaucht! treten wir den Rückzug an,« wandte er sich an Kanneberg.

»Ihr habt gut raten!« entgegnete stirnrunzelnd der Hauptmann. »Das hätte sich nun gelohnt, auszureiten, wenn wir beim Anblick etlicher zehner Vagabunden davonlaufen wollten. Da hätten wir lieber gleich beim Erscheinen des ersten von ihnen ausreißen sollen. Vorwärts!«

Die Schweden rückten in schönster Ordnung vor. Der Raum zwischen den beiden Abteilungen verkleinerte sich.

»Halt!« kommandierte Kanneberg.

Die Musketen der Schweden bewegten sich ganz gleichmüßig nach der Schulter der Soldaten zu, die Rohre richteten sich auf die polnischen Reiter.

Aber ehe noch die Hähne derselben knackten, hatten die polnischen Reiter die Pferde herumgeworfen und jagten in größter Unordnung davon.

»Vorwärts!« kommandierte Kanneberg.

Die Abteilung galoppierte den Fliehenden nach, daß die Erde unter den Hufen der schweren Pferde dröhnte.

Der Wald ward erfüllt von dem Geschrei der Fliehenden und Verfolgenden. Nach einer viertelstündigen Jagd wurde der Zwischenraum, der die beiden Abteilungen trennte, wieder kürzer; war es nun, daß die schwedischen Pferde stärker, oder die polnischen schneller ermüdet waren, kurz, die Verfolgenden waren den Fliehenden fast auf den Fersen.

Da aber geschah etwas Wunderliches. Der anfangs in Unordnung sich auflösende Haufe Polen hatte sich nicht versprengen lassen, sondern ordnete sich während der Flucht, anscheinend absichtslos und mit einer Geschicklichkeit ohnegleichen.

Als Sweno das bemerkte, ließ er sein Pferd ausgreifen, und suchte Kanneberg zu erreichen.

»Erlaucht!« sagte er keuchend, als er ihn erreicht: »Das sind keine gewöhnlichen Leute vom allgemeinen Aufgebot, das sind reguläre Truppen, welche die Flucht fingieren, um uns in einen Hinterhalt zu locken.«

»Es ist mir einerlei, ob Teufel oder Menschen im Hinterhalt liegen!« antwortete Kanneberg.

Der Weg führte jetzt ein wenig bergan und wurde immer breiter; der Wald lichtete sich, man konnte durch die Bäume schon das blanke Feld, oder vielmehr eine große Lichtung erkennen, welche von allen Seiten von dichtem dunklen Walde umstanden war.

Die polnische Fahne, welche ihre Bewegung anfangs so beschleunigt, dann plötzlich sehr verlangsamt hatte, fing nun wieder an zu galoppieren und entfernte sich in wenigen Minuten so weit, daß der schwedische Heerführer einsah, daß er sie nicht mehr einholen könne.

Er war bis in die Mitte der Lichtung vorgedrungen, und da er wahrnahm, daß der Feind schon die andere Seite derselben erreicht hatte, ließ er von der Verfolgung ab und verlangsamte den Schritt.

Aber, o Wunder! Anstatt im jenseitigen Walde zu verschwinden, beschrieb der Feind dicht am Saume desselben einen Halbkreis und stand dann plötzlich mit einer schnellen Wendung in prächtigster Schlachtordnung den Schweden gegenüber. Selbst die Schweden konnten diesem Manöver ihre Bewunderung nicht versagen.

»Jawohl!« ries Kanneberg aus. »Das sind Stammsoldaten! Sie haben die Schwenkung musterhaft ausgeführt. Aber bei allen Teufeln, was wollen sie damit?«

»Sie wollen uns angreifen!« schrie Sweno.

Da sprengten auch schon die Polen heran. Der kleine Ritter auf dem großen Falben rief den Seinigen etwas zu, sprengte vor die Front, hielt einen Augenblick das Pferd an, gab mit dem blanken Säbel ein Zeichen, worauf die Kolonne zur Attacke schritt.

Er schien der Anführer der Polen zu sein.

»Sie wollen wahrhaftig attackieren,« sagte Kanneberg, der sich noch immer nicht von seiner Verwunderung erholt hatte.

Die kleinen polnischen Pferde kamen in gestrecktem Galopp dahergesaust. Die Ohren fest an den Kopf gelegt, strichen sie mit den Bäuchen beinahe am Boden hin, während die Reiter bis dicht auf den Hälsen der Pferde liegend, ihren Kopf in der buschigen Mähne derselben verbargen. Die Schweden in der vordersten Reihe sahen nur ein paar hundert aufgesperrter Pferdemäuler und doppelt soviel blitzende Augen.

»Gott mit uns! Schweden! Feuer!« kommandierte Kanneberg, die Lanze schwingend.

Sämtliche Gewehre knatterten, doch in demselben Augenblick prallten die polnischen Reiter mit solcher Gewalt auf die Reihen der Schweden, daß die ersten Glieder derselben nach rechts und links geworfen wurden. Die kleinen Pferde aber drängten mitten in das Gewühl von Pferden und Menschen; wie ein Keil das Holz, so preßten sie die Schweden auseinander.

Ein fürchterliches Geschrei erfüllte die Luft, Panzer klirrte an Panzer, die Säbelklingen schlugen aufeinander. Dazwischen ertönte das Gequieke der Pferde, die Jammerschreie stürzender und sterbender Männer, der ganze Wald hallte von dem Lärm der Schlacht wieder.

Der erste Anprall hatte die Schweden verwirrt, besonders, da eine bedeutende Anzahl gleich dabei gestürzt war. Bald aber erholten sie sich von dem Schrecken und schlugen nun tapfer drein. Die Flügel der Schwadron vereinigten sich wieder. Da die polnische Fahne ohnehin stark vorwärts gedrängt hatte, als wollte sie die tausend schwedischen Reiter mit einem Stich durchbohren, so war sie bald eingeschlossen. Die Mittelstellung der Schweden wich zurück, während die Flügel die Polen hart bedrängten, ohne ihnen jedoch viel anhaben zu können, da sie mit jener unvergleichlichen Gewandtheit kämpften, welche die polnische Reiterei zu einem so schrecklichen Gegner im Handgemenge macht. Die Säbel arbeiteten mit den Rapieren um die Wette, die Getöteten fielen dicht, der Sieg begann sich schon den Schweden zuzuneigen, da plötzlich tauchte aus dem Walde eine zweite Fahne auf und eilte mit lautem Geschrei ihren Landsleuten zu Hilfe.

Der ganze rechte Flügel der Schweden unter Sweno wandte sich sofort in seiner ganzen Frontbreite dem neuen Feinde zu, in welchem altgediente schwedische Soldaten, polnische Husaren erkannten.

Sie wurden von einem Manne geführt, der auf einem schwarz und weiß gescheckten Pferde saß, mit einer Burka bekleidet war und auf dem Kopfe eine Husarenmütze von Luchspelz trug. Man konnte ihn deutlich sehen, denn er ritt seitwärts, ein paar Schritte von den Soldaten entfernt.

»Tscharniezki! Tscharniezki!« rief es in den schwedischen Gliedern.

Sweno warf einen verzweifelten Blick nach dem Himmel hinauf, dann gab er seinem Pferde die Sporen und sauste mit seinem Flügel dem Feinde entgegen.

Tscharniezki brachte seine Husaren bis auf etliche Schritte Entfernung nahe, und als die Schweden sich im vollsten Galopp befanden, machte er mit seiner Fahne eine plötzliche Wendung.

Jetzt kam vom Walde her noch eine dritte Fahne. Tscharniezki sprengte derselben entgegen und führte auch sie herbei, dasselbe geschah mit einer vierten. Den Arm weit vorgestreckt, wies er mit seinem Feldherrnstabe einer jeden die Stellung an, von welcher aus sie angreifen sollte; er verteilte die Arbeit, wie der Landwirt, der seine Schnitter in die Ernte führt.

Endlich, als auch die fünfte Fahne in das Treffen geführt war, stellte er sich an die Spitze derselben und leitete selbst den Angriff.

Die Husaren hatten den rechten Flügel bereits zurückgeschlagen und in wenigen Minuten versprengt. Die folgenden drei Fahnen hatten nach Tartarenart die schwedische Reiterei umzingelt und schlugen unter fürchterlichem Geschrei mit den Säbeln, stachen mit den Lanzen auf die in Verwirrung Geratenen drein, traten nieder, was von den Pferden stürzte, und jagten den Fliehenden nach.

Kanneberg hatte zu spät eingesehen, daß er in eine Falle geraten und dem Feinde direkt unter das Messer gerannt war. An einen Sieg war nicht zu denken, darum ließ er zum Rückzug blasen, um von seinen Leuten so viele als möglich zu retten. Im Karriere jagten die Schweden nach jenem Wege zurück, auf welchem sie von Wielkie-Otschy hergekommen waren, die Leute Tscharniezkis immer so dicht hinter sich, daß der Dampf der polnischen Pferde warm an die schwedischen Rücken schlug.

Unter diesen Umständen konnte sich der Rückzug nicht in der nötigen Ordnung vollziehen. Die stärkeren Pferde drängten die schwächeren zurück; binnen kurzem war die Kannebergsche Abteilung nur noch ein fliehender Knäuel Menschen und Pferde, welchen die Verfolger widerstandslos lichteten.

Je länger die Verfolgung dauerte, desto größer wurde die Verwirrung, denn auch in den polnischen Fahnen hatte sich die Ordnung aufgelöst. Jeder Reiter spornte sein Pferd, daß die Nüstern rauchten, und schlug nieder, was in seinen Bereich kam.

So vermengten sich die Polen mit den Schweden. Etliche polnische Soldaten überholten die letzten schwedischen Glieder; es geschah, daß, wenn ein Gemeiner eben sich im Steigbügel erhob, um einen der Flüchtigen zu treffen, er selbst mit dem Rapiere von hinten niedergestochen wurde. Der Weg nach Wielkie-Otschy war mit Leichen besäet, aber noch nahm der Kampf kein Ende. Einer oder der andere der Schweden bogen vom Walde ab, die müden Pferde wollten nicht weiter, das Gemetzel wurde noch grauenhafter. Diejenigen, welche von den Pferden sprangen, um im Dickicht des Waldes Schutz zu suchen, wurden von den dort lauernden Bauern niedergeschlagen. Andere wollten lieber den Tod durch das Schwert erleiden, als die Qualen erdulden, welche das tollwütige Gesindel ihnen bereitete. Wieder andere flehten um Pardon, doch umsonst, denn die Verfolger zogen vor, den Feind gleich niederzuschlagen, als ihn gefangen mit sich zu führen und zu bewachen. Man sorgte dafür, daß keiner übrig bleibe, um die Kunde von der Niederlage in das schwedische Hauptquartier zu bringen. Herr Wolodyjowski war an der Spitze der Verfolgung. Er war es auch, der als Lockvogel sich den Schweden auf dem Wege zuerst gezeigt hatte, er hatte sie nach der Lichtung gelockt, hatte die erste Attacke gegen sie ausgeführt und nun war er der schlimmsten Verfolger einer, denn er lechzte danach, die Niederlage bei Golembin wieder wett zu machen; er schonte keinen, selbst diejenigen nicht, die, flehend die Hände zu ihm erhebend, um ihr Leben baten.

Herr Wolodyjowski war, ohne sich umzublicken, nur immer vorwärts geeilt. Der tapfere Sweno hatte den schrecklichen Schnitter kaum bemerkt, als er auch schon mehrere seiner besten Reiter zusammenrief, um mit Einsetzung seines eigenen Lebens das Leben seiner Leute zu schützen. Er warf sein Pferd herum und erwartete mit vorgestrecktem Rapier die Verfolger. Als Herr Wolodyjowski das gewahrte, zögerte er keinen Augenblick, gab seinem Pferde die Sporen und trieb es mitten in das Häuflein hinein, das sich ihm entgegenzustellen wagte.

Ehe man es sich versah, lagen zwei der Reiter unter den Hufen der Pferde. Mehr denn zehn Rapiere richteten ihre Spitzen auf die Brust des Waghalsigen; in diesem Augenblick höchster Gefahr sprangen die Skrzetuskis, Jozwa Butrym, genannt Ohnefuß, Herr Sagloba und Rochus Kowalski ihm bei, von welchem Sagloba zu erzählen pflegte, daß er noch mit verschlafenen Augen zur Attacke vorgehe und dieselben erst ordentlich öffne, wenn er Brust an Brust mit dem Feinde stehe.

Wolodyjowski hatte sich mit Blitzesschnelle unter den Bauch seines Pferdes geschwungen, so daß die auf ihn gezückten Rapierstöße die blanke Luft durchschnitten. Er hatte diese Fertigkeit bei den Tartaren in Bialogrod erworben und da er klein von Statur und über alle Maßen gelenkig war, so hatte er es darin unglaublich weit gebracht. Er entschwand den Augen der Feinde ganz nach Notwendigkeit und Belieben; bald steckte sein Kopf in der Mähne des Pferdes, während der Körper am Halse des Tieres zu kleben schien, bald verschwand er unter den Bauch desselben.

So war es auch jetzt geschehen. Ehe noch die verblüfften Reiter verstehen konnten, was vor sich ging, saß er schon wieder im Sattel, wie der Wildeber, der sich unvermutet auf die erschreckte Meute stürzt.

Auch die Gefährten halfen ihm Verwirrung und Tod verbreiten. Einer der Reiter hatte dem Herrn Sagloba seine Pistole bereits dicht auf die Brust gesetzt, da hieb Rochus Kowalski, welcher ihn von der linken Seite hatte, daher dem Schweden mit dem Säbel nicht beikommen konnte, so gewaltig mit seiner geballten Faust auf dessen Schläfe ein, daß der Reiter wie vom Blitz getroffen vom Pferde fiel. Sagloba aber schlug mit einem Freudenschrei auf den ihm gegenüberstehenden Sweno los und traf den Kopf des Tapferen so gut, daß ihm beide Hände schlaff herabsanken, das Schwert seiner Rechten entfiel und er selbst mit der Stirn auf den Hals seines Pferdes aufschlug. Als die Reiter das sahen, ergriffen sie die Flucht, doch Wolodyjowski, Jozwa Ohnefuß und die beiden Skrzetuskis hatten sie bald eingeholt und niedergestreckt.

Die Verfolgung dauerte fort. Die schwedischen Pferde keuchten und kamen immer schwerer fort. Viele von ihnen stürzten mit gespreizten Beinen und verendeten sofort. Zuletzt waren von den tausend glänzenden Reitern nur noch etwa hundert und einige übrig geblieben, der Rest lag hingestreckt auf der Landstraße. Aber auch dieses Häuflein verringerte sich zusehends, da das Schwert der Polen unausgesetzt auf die Unglücklichen herabfiel.

Endlich hatte man den Wald hinter sich. Die Türme von Jaroslaw hoben sich deutlich vom blauen Himmel ab. Neue Hoffnung erfüllte die Herzen der Flüchtlinge; wußten sie doch, daß dort Rettung und Hilfe nahe war.

Sie hatten vergessen, daß gleich nach ihrem Auszuge das letzte Brückenjoch abgebrochen worden war, um es fester und tragfähiger für die Geschütze wieder herzustellen.

Sei es nun, daß Herr Tscharniezki durch seine Spione davon unterrichtet war, oder daß er unter den Augen des Königs den Rest dieser Unglücklichen vertilgen wollte, genug, er rief die Verfolger nicht nur nicht zurück, sondern drängte persönlich mit der Schemberk'schen Fahne hinter ihnen her, so heftig und schnell, als wollte er Jaroslaw im Sturme nehmen.

So waren die Verfolgten und die Verfolger etwa ein Gewände weit von der Brücke angelangt. Das Geschrei derselben drang bis in das Lager der Schweden. Eine Menge Offiziere und Soldaten eilten, als sie es hörten, aus der Stadt, um zu sehen, was auf dem jenseitigen Ufer des Flusses vor sich gehe. Kaum hatten sie einen Blick hinüber geworfen, so erkannten sie die Reiter, welche am Morgen ausmarschiert waren.

»Die Abteilung Kanneberg! Die Abteilung Kanneberg!« schrieen tausend Stimmen.

»Nur hundert Mann etwa sind noch übrig!«

In diesem Augenblick kam der König in Begleitung Wittembergs, Forgells, Millers und anderer Generale angesprengt. Der König erbleichte.

»Kanneberg!« schrie er auf.

»Bei den Wunden Christi!« rief Wittemberg. »Die Brücke ist nicht fertig, sie werden alle niedergemetzelt!«

Der König warf einen angstvollen Blick auf den vom Frühlingswasser angeschwollenen Fluß. Die gelben Wassermassen brausten; es war nicht daran zu denken, sie zu durchschwimmen. Ein Prahm war auch nicht zu benutzen, denn die Feinde würden ihn nicht landen lassen.

Die drüben kamen immer näher. Das Geschrei hatte von neuem begonnen.

Einige nach Lebensmitteln ausgesandte Wagen, in Begleitung einer Abteilung Gardisten, kamen gerade jetzt einen anderen Weg vom Walde her der Stadt zugefahren. Als man dort wahrnahm, was sich zutrug, wurden die Pferde in Trab gesetzt. Die Eskorte bemühte sich, in der Meinung, daß die Brücke passierbar sei, die Wagen noch in die Stadt zu bringen, ehe der Feind ihr Kommen bemerkt.

Aber es war zu spät. Schon waren sie gesehen worden; dreihundert Reiter hatten sich sofort dem Wagenzuge zugewendet. An der Spitze derselben ritt der Pächter von Wonsosch, Rzendzian. Er hatte bisher noch keinen besonderen Beweis von Tapferkeit geliefert; beim Anblick der Wagen aber, die ihm reiche Beute verhießen, schwoll sein Herz plötzlich so sehr vom Mute, daß er seinen Leuten immer ein paar Schritte voraus war. Als die Eskorte der Wagen sah, daß an ein Entrinnen nicht mehr zu denken war, schlossen sie ein Karree. Hundert Musketenläufe zielten nach der Brust Rzendzians. Eine Salve empfing ihn, aber noch ehe die Rauchwolke, welche sie hinterließ, sich verzogen hatte, war das gespornte Roß Rzendzians schon vor dem ersten Gliede des Karrees angelangt; es bäumte hoch, so daß die Vorderhufe desselben fast die Köpfe der Gardisten berührten und fiel dann mitten in das Karree hinein, eine Anzahl der Soldaten unter seine Hufe tretend.

Wie reißende Wölfe fielen die polnischen Reiter über die Wagen her, sie rissen alles auseinander, traten die Menschenleiber in Stücke und eine Weile darauf war von dem Wagenzuge nichts übrig geblieben. Aus dem wirren Knäuel, der sich an der Stelle, wo er gestanden, auf der Erde wälzte, drangen gräßliche Schmerzensschreie bis zu den Ohren der Schweden in der Stadt.

Unterdessen waren die Reste der Kanneberg'schen Reiter immer dichter an das Ufer des Flusses gedrängt worden. Am anderen Ufer auf der Seite der Stadt hatte fast die ganze schwedische Armee die San entlang sich aufgestellt, Füsiliere, Reiter, Artillerie, alles in buntem Gemisch durcheinander. – Sie alle sahen, wie ehedem die Römer dem Kampfspiel der Gladiatoren, dem Schauspiel zu, das sich jenseits ihren Blicken bot, mit zusammengekniffenen Lippen und Verzweiflung im Blick. Das Bewußtsein und Gefühl ihrer Machtlosigkeit entriß diesen unfreiwilligen Zuschauern wiederholt Schreie des Entsetzens und der tiefen Seelenpein. Waren doch die tausend Mann, welche Kanneberg am Morgen hinaus in den Wald geführt, die Elitetruppe des schwedischen Heeres gewesen, sämtlich ruhmbedeckte Veteranen, die ihre Kriegslorbeeren in unzähligen Schlachten erworben hatten.

Wie irre gewordene Schafe rannten sie nun am Ufer des Flusses entlang und wie Schafe unter dem Messer des Schlächters fielen sie unter den Schwertern der Feinde. Das war keine Schlacht mehr, sondern ein Schlachten. Die gräßlichen feindlichen Reiter flogen wie ein Wirbelwind zwischen den Schweden umher, bald in Einzelverfolgung begriffen, bald mehrere gleichzeitig hetzend. Hier beugte ein müder Schwede sein Haupt, um den Todesstreich zu empfangen, dort setzte sich ein anderer zur Wehr, ohne jedoch den Gegner zu treffen, da keiner der Schweden sich im Handgemenge mit dem in der Fechtkunst wohlerfahrenen polnischen Adel messen konnte.

Der wütendste unter allen Polen aber war der kleine Ritter. Er geberdete sich auf seinem schlanken, geschmeidigen Pferde wie ein Toller, so daß die Aufmerksamkeit aller sich zuletzt nur auf ihn richtete. Wer in seine Nähe kam, der war verloren, denn mit einer einzigen leichten Wendung seines Säbels schlug er den schwersten schwedischen Reiter aus dem Sattel.

Endlich erblickte er Kanneberg selbst, der von einigen gemeinen Soldaten verfolgt wurde. Er rief diese zurück und jagte ihm ganz allein nach.

Den Schweden am anderen Ufer stockte der Atem. Der König ritt bis dicht an das Ufer und sah klopfenden Herzens, zwischen Furcht und Hoffnung bebend, scharf hinüber, denn Kanneberg, eine hochgestellte Persönlichkeit und Verwandter des Königs, war von Kindesbeinen an in allen Arten der Fechtkunst durch italienische Fechtmeister ausgebildet und hatte, so weit das blaue Banner reichte, in der schwedischen Armee keinen seinesgleichen.

Aller Augen waren auf die beiden Kämpfer gerichtet. Man wagte kaum zu atmen. Kanneberg aber hatte, sobald er bemerkte, daß die Verfolger von ihm abließen, sein Roß herumgeworfen. Ihn erfüllte in diesem Augenblick nur der eine Gedanke:

»Wehe mir, wenn ich jetzt, nachdem ich alles verloren, die Schande nicht durch mein eigenes Blut tilge, oder durch das Blut dieses gräßlichen Mannes auslösche. Ich dürfte sonst keinen braven Schweden mehr offenen Blickes entgegentreten, wenn Gottes Hand mich ja glücklich an das nächste User hinübertrüge.«

Mit diesem Gedanken ritt er dem gelben Reiter entgegen.

Da nun diejenigen Reiter, welche ihn bisher vom Ufer getrennt hatten, eine andere Richtung einschlugen, so hoffte er, wenn es ihm gelang, den Gegner zu töten, dennoch das andere Ufer zu gewinnen. Er wollte versuchen, den Strom zu durchschwimmen, geschehe, was da wolle. Schlimmstenfalls wollte er sich vom Strome treiben lassen, wenn er den Fluß nicht zu durchqueren vermochte, die Waffenbrüder drüben würden ihm schon zu Hilfe kommen.

Die beiden Feinde sprengten also aufeinander zu. Der Schwede beabsichtigte im Vorstoß dem Gegner sein Rapier unter dem Arme in den Leib bis in den Hals hinein zu jagen, doch er, der Meister, erkannte gleich in dem anderen auch den Meister, denn sein Rapier glitt schlank an der Schneide des polnischen Säbels ab. Er hatte das Gefühl, als schliefe ihm plötzlich der Arm ein, er konnte kaum den Stoß aufhalten, zu dem der Ritter gleich darauf ausholte. Glücklicherweise rannten die beiden Pferde in diesem Augenblick auseinander.

Sie beschrieben beide einen Halbkreis und wandten die Tiere einander wieder zu, aber langsam, um Zeit zu gewinnen. Kanneberg zog den Kopf tief ein, so daß er einem Vogel ähnlich sah, der nur den Schnabel aus dem Gefieder herausstreckt. Er kannte einen Stoß, welchen ein Florentiner Fechtmeister ihn gelehrt, der bestimmt war, den Gegner irre zu führen, denn während anscheinend die Spitze des Rapiers auf die Brust des Gegners gerichtet war, sollte sie durch eine plötzliche Seitenbewegung den Hals desselben, am Ansatz des Visiers treffen und ihn bis in das Genick durchbohren. Diesen Stoß wollte er jetzt in Anwendung bringen.

Seiner Sache gewiß, hielt er das Pferd immer mehr zurück, während Herr Wolodyjowski in kurzen Sätzen daherkam. Dieser dachte soeben darüber nach, ob er seine Bialogroder Taktik auch hier anwenden und unter das Pferd verschwinden sollte. Plötzlich aber überkam ihn die Scham, daß er angesichts beider Heere, im Zweikampf, einem einzelnen Manne gegenüber nicht ritterlich handeln wollte.

»Aha!« dachte er. »Du willst mich, wie der Reiher den Falken aufspießen, aber warte! – ich will an dir die kleine Windmühle versuchen, die ich mir in Lubniow schon vor Jahren ausgedacht.«

Das schien ihm in diesem Falle das Beste. Es blitzte plötzlich um den kleinen Ritter, als wäre er ganz und gar in einen in allen Farben schillernden Panzer eingehüllt. Er gab seinem Roß die Sporen und flog auf Kanneberg zu.

Dieser hatte sich noch mehr geduckt; er lag fast ganz auf dem Pferde. Im nächsten Augenblick hatte er das Schwert mit dem Rapier zusammengebunden, den Kopf mit der Schnelligkeit einer Schlange emporgeschnellt und mit gewaltiger Kraft zugestoßen.

Doch zu gleicher Zeit sauste es ihm um die Ohren, das Rapier in seiner Hand schwankte, die Schneide desselben fuhr ins Leere, während das gebogene Ende des Säbels des kleinen Ritters mit Blitzesschnelle auf den Kopf Kannebergs niederfuhr, ihm einen Teil der Nase, den Mund und das Kinn spaltete und, durch den Hals fahrend, auf dem Schulterknochen sitzen blieb.

Das Rapier entfiel der Hand des Getroffenen, seine Sinne umnachteten sich. Doch ehe er vom Pferde fallen konnte, ließ Herr Wolodyjowski seinen Säbel an der Schnur herabfallen und packte den Unglücklichen an den Schultern.

Ein furchtbarer Schrei des Entsetzens tönte aus den Kehlen der Schweden drüben. Herr Sagloba kam jetzt zu Herrn Wolodyjowski herangesprengt.

»Herr Michael!« rief er. »Ich wußte, daß es so kommen würde, aber ich war entschlossen, euch zu rächen!«

»Der war ein Meister,« antwortete Wolodyjowski. »Nehmt sein Pferd am Zügel, es ist ein edles Roß.«

»Ha! wenn der Fluß uns nicht trennte, würde es sich gut mit jenen scherzen! Ich wäre der erste!«

Hier unterbrach das Pfeifen einer Kugel die Rede des Alten; er kam nicht zu Ende. Dagegen rief er:

»Kommt fort, Herr Michael! Die Verräter sind imstande, uns zu erschießen!«

»Ihre Kugeln richten keinen Schaden mehr an,« sagte Wolodyjowski ruhig. »Es ist zu weit.«

Andere polnische Reiter traten hinzu, gratulierten dem kleinen Ritter und betrachteten ihn mit Bewunderung. Es zuckte ihm freudig um den Mund, denn auch er war zufrieden mit sich.

Am anderen Ufer der San summte es unter den Schweden wie im Bienenstock. Die Artilleristen hatten Kanonen herbeigeführt. Das veranlaßte die Polen, zum Rückzug zu blasen. Beim ersten Trompetenstoß eilte jeder Soldat zu seiner Fahne; bald standen sie zum Abmarsch bereit. Nachdem die Polen sich bis an den Wald zurückgezogen hatten, machten sie noch einmal kehrt, als wollten sie die Schweden zur Verfolgung auffordern. Vor die Front der Glieder ritt auf einem schwarz- und weißgescheckten Pferde ein Mann mit einer Burka bekleidet und mit einer Luchsmütze auf dem Kopfe. Er trug einen vergoldeten Stab in der Hand.

Die Schweden konnten ihn deutlich sehen, denn der Glanz der untergehenden Sonne beleuchtete ihn hell. Ein Abglanz schien auch von ihm auszustrahlen und seine Umgebung zu beleuchten.

Als die Schweden ihn sahen, riefen sie halb entsetzt, halb drohend:

»Tscharniezki! Tscharniezki!«

Er schien seinen Hauptleuten etwas zu sagen. Vor dem Ritter, welcher den Kanneberg geschlagen, hielt er sich längere Zeit auf. Er legte seine Hand auf den Arm des kleinen Ritters und sprach eindringlich zu ihm. Dann erhob er den Arm mit dem Feldherrnstab, worauf eine Fahne nach der anderen langsam abzog.

Soeben ging die Sonne unter. In Jaroslaw läuteten die Glocken zum Ave. Die polnischen Fahnen sangen laut den englischen Gruß: »Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft!« und entschwanden langsam den Blicken der Schweden.


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