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20. Kapitel

Mitternacht war nicht weit, als Herr Kmiziz sich bei den ersten Wachtposten des fürstlichen Lagers meldete. Das ganze Lager war belebt, niemand schlief, denn man konnte jeden Augenblick einen Angriff des Feindes erwarten und wollte denselben nicht unvorbereitet empfangen. Die Armee des Fürsten nahm ganz Janowo ein, sie beherrschte die Landstraße nach Sokolki durch Geschütze, welche von gut ausgebildeten Artilleristen des Kurfürsten bedient wurden. Zwar befanden sich nur drei Kanonen dort, dafür aber reichlich Pulver und Kugeln. Zwischen den Birkengehölzen zu beiden Seiten Janowos hatte der Fürst kleine Schanzen aufwerfen lassen und hinter ihnen die Füsiliere und kleine Mörser ausgestellt. Die Reiterei hielt Janowo selbst, die Landstraße hinter den Geschützen und die Lücken zwischen den Schanzen besetzt. Die Position war sehr gut; mit frischen Streitkräften hätte sie lange gehalten und nur mit schweren Blutverlusten erobert werden können. Außer den achthundert neu hinzugekommenen Füsilieren unter Kyritz aber war die Armee bis zur Kampfunfähigkeit erschöpft. Außerdem hielt das Geheul der Tartaren, welches bis von Suchowola her zu hören war, also im Rücken der Armee, die Soldaten fortwährend in Angst und Schrecken. Boguslaw war genötigt, nach jener Seite hin alle seine leichte Reiterei auszusenden, welche, nachdem sie eine halbe Meile weit vorgerückt war, weder rückwärts durfte, noch vorwärts wollte, da sie stets einen Ueberfall aus der Tiefe der Wälder, aus welcher das Geheul drang, gewärtigen mußte.

Boguslaw beaufsichtigte und ordnete selbst alles an, obgleich das Fieber ihm mehr zusetzte als sonst. Da er das Pferd aber nur mit Mühe besteigen konnte, so ließ er sich von vier Trabanten in einer offenen Sänfte herumtragen. Auf diese Weise besuchte er die Landstraße, die Birkengehölze, und war soeben nach Janowo zurückgekehrt, als man ihm meldete, das? ein Abgesandter des Fürsten Sapieha angekommen sei.

Er befand sich schon in den Straßen Janowos. Boguslaw konnte Kmiziz nicht gleich erkennen, da das Dunkel der Nacht und ein Beutel, welchen die wachthabenden Offiziere dem Abgesandten vorsichtshalber über den Kopf gestülpt hatten, ihn daran hinderten. Der Beutel hatte nur eine Oeffnung für den Mund.

Sobald der Fürst den Beutel erblickt hatte, befahl er, denselben abzunehmen, dann ersuchte er Kmiziz, vom Pferde zu steigen und dicht neben ihn zu treten.

»Wir sind hier in Janowo,« sagte er, »und wir haben nichts zu verheimlichen.«

Darauf wandte er sich zu Herrn Kmiziz!

»Ihr kommt vom Herrn Sapieha?«

»Jawohl!«

»Was macht Herr Sakowitsch dort?«

»Herr Oskierko vertreibt ihm die Zeit.«

»Wozu habt ihr einen Geleitschein verlangt, da ihr doch den Sakowitsch habt? Herr Sapieha ist allzu vorsichtig; er möge zusehen, daß seine Superklugheit ihm nicht Schaden bringt.«

»Das ist nicht meine Sache,« entgegnete Kmiziz.

»Ich merke, der Herr Gesandte ist nicht sehr redselig.«

»Ich habe einen Brief abzugeben, meine Privatangelegenheit möchte ich im Quartier vortragen.«

»Ihr habt also auch eine Privatsache?«

»Es findet sich wohl eine Bitte an Ew. fürstliche Durchlaucht.«

»Es soll mir lieb sein, wenn ich dieselbe erfüllen kann. Jetzt bitte, mir nach. Steigt, bitte, auf das Pferd. Ich würde euch gern in die Sänfte nehmen, doch sie ist zu eng.«

Der Zug setzte sich in Bewegung. Kmiziz ritt neben der Sänfte her. Ein jeder von ihnen suchte in der Dunkelheit die Züge des anderen zu erkennen, ohne daß es gelang. Trotz der warmen Pelzhüllen schüttelte den Fürsten der Fieberfrost. Kmiziz horte, wie seine Zähne aufeinanderschlugen. Endlich sprach Boguslaw.

»Das Elend hat mich wieder befallen ... Wäre das nicht ... brr! ... Ich wollte andere Bedingungen stellen.«

Kmiziz antwortete nicht. Er versuchte, mit den Augen das Dunkel zu durchbohren, doch er konnte nur den Kopf des Fürsten und die Form seines Gesichtes in unsicheren, fahlen Umrissen erkennen. Bei dem Klange der Stimme Boguslaws und beim Anblick dieser Umrisse waren alle Uebelthaten dieses Mannes wieder in seiner Erinnerung lebendig, der ganze Haß und der Rachedurst des Ritters wieder in ihm erwacht und erfüllten sein Herz bis zur Raserei ... Die Hand fuhr unwillkürlich nach dem Schwert, welches man ihm abgenommen hatte. An Stelle dieses fühlte er aber im Gürtel seinen Hauptmannstab mit dem eisernen Knopf, das Abzeichen seiner Würde, der genügte. Der Versucher begann ihm den Verstand zu umnebeln:

»Schrei ihm ins Ohr,« flüsterte er, »sage ihm, wer du bist und zerschmettere ihm den Schädel ... Die Nacht ist finster ... Du kannst entkommen ... Die Kiemlitsche sind dir nahe ... Du schlägst doch nur einen Verräter tot, bezahlst ihm seinen Sündenlohn ... Olenka wäre gerettet und Soroka ... Schlag zu! Schlag zu!«

Kmiziz ritt ganz nahe an die Sänfte heran. Die zitternde Hand nestelte an den Falten des Gurtes, um das Mordinstrument hervorzuholen.

»Schlag zu!« flüsterte der Versucher. »Du leistest dem Vaterlande einen Dienst,«

Kmiziz hatte den Stab in der Hand. Er preßte ihn, als wolle er ihn zerquetschen.

»Eins, zwei, drei!« flüsterte der Versucher.

In diesem Augenblick bäumte sein Pferd und setzte sich scharf auf die Hinterhufe. War es mit den Nüstern dem Helm eines der Trabanten zu nahe gekommen, oder sonst vor etwas erschrocken? Als es wieder fest im Zügel ging, war die Sänfte des Fürsten um einige Schritte voraus.

Kmiziz standen die Haare zu Berge.

»Heilige Mutter!« betete er leise. »Wahre meine Hand! Heilige Mutter rette mich! Ich, ein Gesandter, vom Hetman ausgeschickt, wollte ein Meuchelmörder werden ... Ich, ein Edelmann, dein Diener! ... Führe uns nicht in Versuchung!«

»Was habt ihr da zu brammeln?« frug der Fürst mit unsicherer, von Fieberschauern unterbrochener Stimme.

»Ich bin schon zur Stelle!« antwortete Kmiziz noch ganz verstört.

»Hört ihr's? Die Hähne krähen in den Hintergassen ... Wir müssen uns beeilen, denn ich bin krank und bedarf der Ruhe.«

Kmiziz steckte seinen Stab wieder hinter den Gürtel und hielt sich in der Nähe der Sänfte. Aber die Ruhe, die er zu erzwingen strebte, wollte nicht kommen. Er fühlte nur zu gut, daß die größte Kaltblütigkeit und Selbstbeherrschung nötig war, wenn er Soroka befreien wollte. Er legte sich also genau die Worte zurecht, mit welchen er dem Fürsten seine Bitte vortragen wollte und die Herausgabe seines treuen Dieners auszuwirken hoffte. Er schwor sich zu, daß er nur Soroka in Gedanken haben wolle, nichts anderes, am wenigsten Olenka.

Und er fühlte in der Dunkelheit, wie seine Wangen heiß brannten schon bei dem Gedanken, daß der Fürst selbst ihren Namen aussprechen konnte, in Verbindung mit etwas, das anzuhören oder zu ertragen seine Kräfte übersteigen mußte.

»Mag er sich hüten, es zu thun,« dachte er im Stillen. »Es wäre sein und mein Tod ... Möge das Mitleid mit ihm selbst ihn davor bewahren, wenn sein Schamgefühl nicht ausreicht ...«

Herr Andreas litt unendlich. Er rang nach Atem. Der Hals war ihm wie zugeschnürt und er fürchtete, daß er kein Wort herausbringen werde, wenn die Zeit zum Sprechen für ihn gekommen war.

In dieser Seelennot begann er die Litanei zu beten.

Er fühlte allmählich den Alp weichen, der ihm auf der Brust lastete, das Blut begann ruhiger in den Adern zu kreisen.

Man war unterdessen am fürstlichen Quartier angelangt. Die Trabanten setzten die Sänfte nieder; zwei Höflinge faßten den Fürsten unter den Armen. Er aber wandte sich an Kmiziz und sprach zähneklappernd:

»Ich bitte, mir zu folgen ... Der Paroxismus wird bald vorübergehen ... Wir werden verhandeln können.«

Bald darauf befanden sich beide in einem besonderen Gemach. In einem Kamin strömten glühende Kohlen eine fast unerträgliche Hitze aus. Die Höflinge betteten Boguslaw auf ein bereitstehendes Feldbett, deckten ihn mit Pelzen zu und brachten Licht. Nachdem sie sich entfernt hatten, lehnte der Fürst den Kopf zurück, schloß die Augen und verharrte so eine Zeitlang ganz regungslos.

Endlich begann er zu sprechen:

»Gleich! ... Laßt mich noch ein wenig ruhen!«

Kmiziz betrachtete den Fürsten. Er hatte sich wenig verändert, nur hatte das Fieber ihm einige Furchen durch das Gesicht gezogen.

Dasselbe war, wie immer, gepudert, die Wangen rosig bemalt. Eben darum aber glich die ganze Gestalt, wie sie mit geschlossenen Augen dalag, etwas einer Leiche, oder einer Wachsfigur.

Herr Andreas stand vor ihm im Scheine des brennenden Lichtes. Träge hoben sich die Lider des Fürsten, plötzlich öffneten sich die Augen ganz und flammende Röte überzog das Gesicht desselben. Doch das währte nur eine Sekunde, die Augen schlossen sich wieder.

»Bist du ein Geist, so fürchte ich dich nicht,« sagte Boguslaw, »aber hebe dich weg!«

»Ich bin mit einem Briefe vom Hetman hierher gekommen,« antwortete Kmiziz.

Boguslaw fuhr leicht zusammen. Er machte eine Bewegung, als wolle er etwas abschütteln. Dann sah er Kmiziz an und sprach wie vor sich hin:

»Sollte euch meine Kugel gefehlt haben?«

»Nicht ganz,« entgegnete Kmiziz düster, während er mit dem Finger über die Narbe im Gesicht fuhr.

»Das ist schon der zweite! ...« murmelte der Fürst für sich.

Laut setzte er hinzu:

»Wo ist der Brief?«

»Hier!« antwortete Kmiziz, das Schreiben überreichend.

Boguslaw las. Es flackerte seltsam in seinen Augen, als er geendet.

»Gut!« rief er aus. »Genug der Nörgeleien! ... Morgen geht es zur Schlacht ... Ich freue mich darauf, denn morgen bin ich fieberfrei.«

»Auch wir freuen uns auf die Entscheidung,« versetzte Kmiziz.

Darauf entstand eine Pause, während welcher die beiden Todfeinde sich mit dem Ausdruck schreckhafter Neugier gegenseitig maßen.

Der Fürst ergriff zuerst wieder das Wort:

»Ich errate, daß ihr es waret, der mich während der letzten Wochen so hetzte ...«

»Ich war es ...«

»Hattet ihr denn keine Furcht, hierher zu kommen?«

Kmiziz antwortete nicht.

»Ihr habt wohl auf die Verwandtschaft mit den Kischkows gerechnet? ... Wir haben noch abzurechnen miteinander ... Ich könnte euch jetzt skalpieren lassen, ... wißt ihr das? ...«

»Es steht Ew. Durchlaucht frei, es zu thun.«

»Ihr fußet auf den Geleitschein, nicht wahr? ... Ich begreife nun, warum Sapieha ihn verlangte! ... Aber ihr habt mir einst nach dem Leben getrachtet ... Sakowitsch ist zwar in euren Händen; gleichviel ... der Herr Wojewode hat kein Recht an Sakowitsch, ... aber ich habe ein Recht an euch, ... Herr Vetter ...«

»Ich komme mit einer Bitte zu Ew. Durchlaucht,« unterbrach Kmiziz den Fürsten ruhig ...

»Bitte! womit kann ich dienen? Rechnet darauf, daß ich alles für euch thue.«

»Es ist hier ein Soldat eingefangen worden, einer von denen, die mir halfen, Ew. Durchlaucht zu entführen. Ich gab damals den Befehl, er war mein willenloses Werkzeug. Diesen Soldaten erbitte ich von Ew. Durchlaucht Gnade.«

Boguslaw überlegte eine Weile.

»Herr Kavalier!« sagte er dann. »Ich überlege soeben, ob ihr ein besserer Soldat, oder ein besserer Bittsteller seid. Eure Bitte ist unverschämt ...«

»Ich verlange die Herausgabe dieses Menschen nicht umsonst.«

»Und was bietet ihr mir für ihn.«

»Mich selbst, Durchlaucht!«

»Oho! ein so kostbares Kleinod ist der Mann? ... Ihr seid freigebig, aber seht zu, daß ihr euch nicht ganz verausgabt; es könnte sein, daß ihr noch für jemanden Lösegeld bei mir zahlen wolltet.«

Kmiziz trat bei diesen Worten so dicht an den Fürsten heran und wurde so bleich, daß dieser unwillkürlich nach der Thür blickte und trotz seinem persönlichen Mute den Gegenstand wechselte.

»Herr Sapieha wird einen solchen Vergleich nicht annehmen wollen,« sagte er schnell. »So gern ich euch nehmen möchte, aber ich habe mein Fürstenwort für eure Sicherheit verpfändet.«

»Ich will durch diesen Soldaten dem Herrn Hetman schreiben, daß ich freiwillig geblieben bin.«

»Und er wird verlangen, daß ich euch gegen euren Willen zurückschicke ... Er wird dann auch den Sakowitsch nicht frei geben und ich schätze ihn höher als euch.«

»So wollen Ew. Durchlaucht den Soldaten ohne das freigeben. Ich werde mich auf Ehrenwort dort stellen, wo Ew. Durchlaucht befehlen.«

»Was sollen wir Verträge für übermorgen, wenn ich doch morgen schon ein toter Mann auf dem Schlachtfelde bleiben kann.«

»Durchlaucht! Ich flehe! Für diesen Mann opfere ich ...

Kmiziz stockte.

»Was opfert ihr?«

»Meine Rache.«

»Seht, mein Herr Kmiziz,« antwortete der Fürst cynisch. »Ich bin unzählige Male im Leben dem Bären nur mit einer Lanze bewaffnet entgegen gegangen, nicht darum, weil ich mußte, sondern darum, weil es mir Vergnügen machte. Ich liebe es, wenn Gefahren mich umgeben, das Leben ist dann weniger langweilig. Seht, eure Rache soll mir auch zu einer Freude werden, die ich mir für die Zukunft aufsparen will, besonders da ihr zu den Bären gehört, die nicht warten, bis sie angegriffen werden, sondern die den Gegner suchen.«

»Durchlaucht!« bat Kmiziz. »Gott vergiebt oft große Sünden für kleine Werke der Barmherzigkeit. Keiner von uns weiß, wann er vor den Thron Gottes zu stehen kommt ...«

»Genug!« unterbrach ihn der Fürst. »Wenn das Fieber an mir zehrt, habe ich Zeit genug, mir selber Bußpsalmen zu komponieren, um vor dem Herrn ein Verdienst zu erringen; und wenn ich dazu einen Prediger brauche, werde ich mir einen meines Glaubens holen lassen ... Ihr versteht nicht demütig zu bitten und möchtet mich überlisten ... Ich will euch aber einen Vorschlag machen: wenn morgen die Schlacht entbrannt ist, dann erhebt euer Schwert gegen Sapieha. Uebermorgen soll dann jener Gemeine freigelassen und eure Schuld an mich vergeben sein ... Einst verrietet ihr die Radziwills, auf! jetzt verratet den Sapieha! ...«

»Ist das Ew. Durchlaucht letztes Wort? ... Bei allem, was heilig ist, laßt ihr den Soldaten frei oder nicht,« knirschte Kmiziz.

»Nein! Der Teufel packt euch? ... Ich sehe es! ... Euer Gesicht ist verzerrt ... Kommt mir nicht zu nahe, denn, wenn ich auch die Leute nicht rufe, da seht! hier! Ihr seid zu heißspornig!«

Während er sprach, hatte Boguslaw aus der Tasche des Pelzes, welcher ihn bedeckte, eine Pistole gezogen und hielt ihm mit sprühenden Blicken den Lauf derselben entgegen.

»Durchlaucht!« flehte Kmiziz, die Hände faltend wie zum Gebet, während der Ausdruck seines Gesichts höchste Empörung kundgab.

»Ihr bittet und droht zugleich?« sagte Boguslaw. »Euer Nacken beugt sich, aber der Teufel blickt hinter dem Kragen hervor und fletscht mich an ... Der Hochmut leuchtet aus euren Augen, die Stimme grollt wie Donner! ... Wer von einem Radziwill etwas erbitten will, der muß ihm zu Füßen liegen, demütig – die Stirn an der Erde! ... Dann will ich euch antworten.«

Das Gesicht des Herrn Andreas war kreideweiß; seine Hand fuhr über die feuchte Stirn, die Augen und Wangen. Sein ganzer Körper bebte. Es war, als hätte das Fieber, welches den Fürsten verlassen zu haben schien, ihn überfallen.

»Wenn Ew. Durchlaucht mir den alten Soldaten herausgebt ... dann ... ja ... dann ... bin ich bereit ... Ew. Durchlaucht ... zu Füßen ... zu fallen.«

Eine Genugthuung ohne Gleichen leuchtete aus den Augen des Fürsten. Er hatte den Todfeind gedemütigt, seinen Nacken gebeugt. Das war seinem Haß süße Speise.

Kmiziz stand, nachdem er die inhaltschweren Worte hervorgestammelt, an allen Gliedern zitternd vor seinem Peiniger. Sein Haar sträubte sich. Das Gesicht, welches schon im Zustande der Ruhe dem Profil eines Falken glich, ähnelte jetzt vollständig demjenigen eines gereizten Raubvogels. Man wußte nicht, würde er im nächsten Augenblick sich dem Fürsten zu Füßen stürzen oder ihn an der Kehle packen.

Und Boguslaw, der kein Auge von ihm verwandte, sagte:

»Vor Zeugen! Vor meinen Leuten!«

Und nach der Thür gewendet, rief er laut:

»Tretet ein, wer da ist!«

Durch die geöffnete Thür schritten erst einige Höflinge, teils Polen, teils Ausländer, hinter ihnen mehrere Offiziere.

»Meine Herren!« sagte der Fürst. »Hier, dieser Herr Kmiziz, Fahnenträger von Orschan und Gesandter des Herrn Sapieha, hat mir eine Bitte vorzutragen und will euch als Zeugen dabei haben!«

Kmiziz stöhnte laut auf, wankte, dann sank er zu Boguslaws Füßen. Der Fürst reckte seine Beine absichtlich so lang vom Lager aus, daß die Spitze seines Reiterstiefels die Stirn des Ritters berührte.

Aufs Höchste verwundert und tief schweigend blickten die Eingetretenen auf den Mann, der mit seinem berühmten Namen und als Gesandter Sapiehas sich einer so demütigen Handlung unterzog. Alle hatten die Empfindung, daß hier etwas ganz Außerordentliches vorging.

Der Fürst war inzwischen aufgestanden und ohne ein Wort zu sprechen, winkte er zwei Höflingen, welche ihm in das anstoßende Gemach folgen mußten.

Auch Kmiziz hatte sich erhoben. Sein Gesicht trug nicht mehr den Ausdruck wilden Hasses. Gleichgültig, fast stumpfsinnig schaute der Ritter drein, als wäre alle Energie von ihm gewichen.

Es verstrich eine halbe Stunde, eine Stunde. Draußen vor dem Fenster hörte man das Stampfen von Pferdehufen und den gleichmäßigen Tritt der Wachen; er saß wie aus Stein gemeißelt.

Plötzlich wurde die Thür vom Flur her geöffnet. Ein Offizier trat ein, ein früherer Bekannter von Kmiziz, von Birz her, mit acht Soldaten, von denen vier mit Musketen bewaffnet waren, die anderen vier Säbel trugen.

»Herr Hauptmann, steht auf!« sagte der Offizier artig.

Kmiziz starrte ihn wie geistesabwesend an.

»Glowbitsch! ...« sagte er, ihn endlich erkennend.

»Ich habe Befehl, euch zu binden,« sprach Glowbitsch weiter, »und euch aus dem Lager hinaus zu bringen. Ich werde euch dann der Fesseln entledigen, ihr dürft frei zu den eurigen zurückkehren. Deshalb bitte ich, setzt mir keinen Widerstand entgegen ...«

»Bindet mich!« versetzte Kmiziz lakonisch.

Ohne daß er Widerstand geleistet hätte, wurden ihm die Arme gebunden, die Füße ließ man ihm frei. Der Offizier führte ihn aus dem Gemach und aus der Stadt. Sie waren fast eine Stunde gegangen; unterwegs hatten sich ihnen etliche Reiter angeschlossen. Kmiziz hörte, daß sie sich polnisch unterhielten.

Die Polen, welche noch unter Radziwill dienten, kannten alle Kmiziz's Namen; sie waren daher am neugierigsten, was mit ihm geschehen würde. Der Zug hatte das Birkengehölz verlassen, man befand sich jetzt auf freiem Felde Kmiziz sah dicht vor sich eine Abteilung der leichten polnischen Reiterei Boguslaws.

Die Soldaten standen im Quadrat Mann an Mann. Der Raum, den sie umschlossen, war leer, nur ein paar Männer mit Fackeln und zwei Füsiliere, welche ein Paar Pferde am Zaum hielten, befanden sich darin.

Beim Scheine der Fackeln erblickte Herr Andreas einen frisch angespitzten Pfahl schräg am Boden liegen, mit seinem unteren Ende an einem dicken Wurzelstock befestigt.

Unwillkürlich wurde Kmiziz von einem Schauer überlaufen.

»Der ist mir bestimmt,« dachte er. »Er will mich mit den Pferden auf den Pfahl ziehen lassen ... Er opfert seiner Rache seinen Freund Sakowitsch.«

Aber er irrte. Der Pfahl war für den armen Soroka bestimmt. Beim Flackern der Flammen sah er endlich den Alten vor sich. Er saß dicht bei dem Wurzelstock auf einem Holzklotz, ohne Mütze, die Hände gefesselt, von vier Musketieren bewacht. Ein Mann, mit einem Schafpelz ohne Aermel angethan, reichte ihm in diesem Augenblick einen flachen Becher mit Branntwein, welchen Soroka gierig trank. Nachdem er getrunken, spie er aus, und da man gerade jetzt Kmiziz zwischen zwei Berittenen in die vorderste Reihe führte, so erblickte der alte Soldat ihn. Er sprang von seinem Sitze auf und stand stramm da, wie wenn es zur Parade ginge.

Eine Sekunde lang starrten sich beide wortlos an. Das Gesicht Sorokas war ruhig, resigniert, nur die Kinnbacken zuckten hin und her, als ob er kaute.

»Soroka!« stöhnte Kmiziz endlich.

»Zu Befehl!« antwortete der Soldat.

Wieder wurde es still. Was hätten sie auch in diesem Augenblick zu sprechen gehabt? Da trat der Henkersknecht, welcher dem Delinquenten zuvor den Branntwein gereicht hatte, auf ihn zu.

»Es ist Zeit mit dir, Alter!« sprach er.

»Und zieht ihn gerade aus!«

»Fürchte dich nicht.«

Soroka fürchtete sich nicht, aber als er den Arm des Henkers auf seiner Schulter fühlte, begann er laut und schnell zu atmen, zuletzt rief er:

»Mehr Branntwein! ...«

»Es ist nichts mehr da!« versetzte der Henker.

Da trat plötzlich einer der Reiter aus der Reihe und indem er eine Flasche aus seiner Rocktasche hervorzog, rief er:

»Hier! gebt ihm!«

»Zurück!« kommandierte Glowbitsch.

Doch der Mann im Pelze hatte die Flasche bereits an den Mund Sorokas gesetzt und dieser trank in vollen Zügen. Als die Flasche leer war, atmete er tief auf.

»Seht!« sagte er. »Das ist Soldatenlos! Der Lohn für dreißigjährige Dienste ... Ich bin bereit!«

Der zweite Henker näherte sich ihm. Man begann ihn anzukleiden, Ringsum herrschte Totenstille. Die Fackeln flackerten unruhig in den zitternden Händen der Männer. Entsetzen hatte alle gepackt.

Da plötzlich entstand ein Gemurmel in den Reihen der Krieger, erst leise, dann immer lauter. Man konnte Worte unterscheiden: »Der Soldat ist doch kein Henker! Er führt wohl den Todesstoß in der Schlacht, aber nicht ein Marterwerkzeug.«

»Stillgestanden! Schweigen!« kommandierte Glowbitsch.

Das Murmeln verwandelte sich in lautes Murren, aus welchem einzelne Stimmen ganz laut riefen: »Bei allen Teufeln!« »Donnerwetter!« »Das ist ein Heidendienst! ...«

Plötzlich schrie Kmiziz auf, als sollte er selbst aus den Pfahl gezogen werden:

»Halt!« rief er.

Die Henkersknechte hielten unwillkürlich inne. Aller Augen wandten sich ihm zu.

»Soldaten!« schrie Herr Andreas. »Der Fürst Boguslaw ist ein Verräter am König und an der Republik! Ihr seid umzingelt und werdet morgen alle euren Tod finden! Ihr dient einem Vaterlandsverräter! Eure Waffen sind gegen das Vaterland gerichtet! Wer aber diesen Dienst, diesen Verräter aufgiebt, dem ist die Verzeihung des Königs, des Hetman sicher! ... Wählt! Morgen entweder Tod und Schande, oder Verzeihung und Lohn! Ich gebe euch Angeld, einen Dukaten der Kopf, auch zweie! ... Wählt! Es ist nicht die Sache ehrenwerter Soldaten, einem Verräter zu dienen. Es lebe der König! Es lebe der Hetman!«

Das Murren ging in ein Lärmen über. Die Reihen lösten sich. Etliche Stimmen schrieen:

»Es lebe der König!«

»Genug dieses Dienstes!«

»Tod dem Verräter!«

»Stillgestanden! Stillgestanden!« hörte man andere rufen.

»Morgen kommt ihr mit Schimpf und Schande um,« brüllte Kmiziz.

»Die Tartaren heulen in Suchowola!«

»Der Fürst, ein Verräter!«

»Wir kämpfen gegen den König!«

»Schlagt zu!«

»Zum Fürsten!«

»Halt!«

In dem Tumult hatte jemand die Fesseln au Kmiziz' Handgelenk mit einem Säbel durchschnitten. Gleich daraus saß er auf einem der Pferde, welche den Soroka auf den Pfahl ziehen sollte«, und kommandierte schon vom Pferde herab:

»Mir nach, zum Hetman!«

»Ich gehe mit!« rief Glowbitsch. »Es lebe der König!«

»Er lebe!« antworteten fünfzig Stimmen und fünfzig Säbel blitzten in der Luft.

»Hebt den Soroka aufs Pferd!« kommandierte Kmiziz wieder.

Es fanden sich einige, die sich widersetzen wollten, sie verstummten aber beim Anblick der gezogenen Säbel. Einer wandte dennoch sein Pferd und war den Blicken der anderen bald entschwunden. Die Fackeln erloschen, tiefes Dunkel umhüllte alle.

»Mir nach!« ertönte die Stimme Kmiziz'.

Ein unförmlicher Haufen wälzte sich vom Platze, er ordnete sich aber bald zum langen Zuge. Etwa zwei bis drei Gewände weiter trafen die Abziehenden auf die Wachen der Füsiliere, deren größter Teil die linke Seite des Birkengebüsches einnahm.

»Wer da!« ertönte der Anruf.

»Glowbitsch mit einer Patrouille!«

»Die Losung?«

»Trompeten!«

»Vorwärts!«

Und sie ritten weiter, nicht zu eilig. Ein wenig später setzten sie die Pferde in Galopp.

»Soroka!« rief während dem Ritt Kmiziz seinen Getreuen an.

»Zu Befehl!« antwortete die Stimme des Wachtmeisters neben ihm.

Herr Andreas sagte nichts weiter, nur die Hand streckte er aus und betastete damit den Kopf des Alten, wie um sich zu überzeugen, daß er wirklich neben ihm reite.

Der Soldat preßte stillschweigend diese Hand an seine Lippen.

Da ertönte von der anderen Seite des Ritters die Stimme Glowbitsch':

»Ew. Liebden,« sagte er. »Was ich jetzt thue, wollte ich gern längst thun.«

»Ihr werdet es niemals bereuen!« entgegnete Kmiziz.

»Mein Leben lang will ich Ew. Liebden dankbar sein!«

»Sagt einmal, Glowbitsch,« frug Kmiziz. »Warum eigentlich hat der Fürst nicht Leute von den fremden Regimentern zu der Exekution geschickt?«

»Weil er Ew. Liebden in Gegenwart der Polen schänden wollte. Ein fremder Soldat kennt euren Namen nicht.«

»Und meiner Person sollte nichts geschehen?«

»Ich hatte den Befehl, Ew. Liebden nach der Exekution die Fesseln zu lösen. Für den Fall, daß ihr etwas zur Verteidigung Sorokas unternähmet, sollten wir euch zum Fürsten zurückbringen, der euch dann strafen wollte.«

»Er hätte also selbst den Sakowitsch geopfert,« murmelte Kmiziz.

Unterdessen war in Janowo Fürst Boguslaw, vom Fieber und den überstandenen Mühsalen völlig erschöpft, schlafen gegangen. Ein Lärmen vor dem Quartier und ein heftiges Klopfen an der Thür weckten ihn aus dem ersten Schlummer.

»Durchlaucht! Durchlaucht!« schrieen verschiedene Stimmen durcheinander.

»Er schläft! Weckt ihn nicht!« wehrten die Pagen.

Aber der Fürst saß schon aufrecht im Bett und rief nach Licht.

Man brachte Licht. Gleichzeitig trat der Offizier vom Dienst ein.

»Durchlaucht!« meldete er. »Der Gesandte Sapiehas hat Glowbitsch mit seiner Fahne zum Verrat aufgewiegelt und sie dem Hetman zugeführt.«

Einen Augenblick herrschte nach dieser Meldung tiefe Stille.

»Laßt die Pauken und Trommeln rühren!« befahl endlich Boguslaw. »Das Heer soll sich kampfbereit halten.«

Der Offizier entfernte sich; der Fürst blieb allein.

»Das ist ein schrecklicher Mensch!« sprach er für sich.

Er fühlte, daß der Fieberfrost ihn wieder zu rütteln begann.


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