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10. Kapitel

Ein paar Tage später saß der große Vaterlandsverräter oben im Schloß, starrte hinaus in den vom Himmel herniederfallenden Schneeschleier und lauschte dem Heulen des Sturmes, der immer heftiger tobte.

Die Lampe seines Lebens schien im Erloschen begriffen. Zwei Stunden früher an demselben Tage war er noch umhergegangen, hatte noch vom Balkon des Schlosses herniedergeblickt auf die Zelte und Holzbaracken des Sapiehaschen Heerlagers und nun? »Er war plötzlich so schwach geworden, daß man ihn in seine Gemächer tragen mußte. Sein Aussehen hatte sich seit jener Zeit, wo wir ihn in Kiejdan gesehen, sehr verändert; er war kaum wiederzuerkennen. Damals stand sein Begehren hoch; er langte nach einer Krone. Heute war sein Haar gebleicht, um die Augen hatten sich rote Ringe gebildet, das Gesicht war zerdunsen, die Backen hingen schlaff herab und ließen dasselbe noch größer erscheinen, als es ohnehin war, es sah aus wie eine Totenmaske, mit bläulich angelaufenen Flecken, schrecklich durch den Ausdruck des fast übermenschlichen Leidens, der darüber gebreitet lag.«

Und obgleich sein Leben nur noch Stunden zählen konnte, er lebte doch schon zu lange, oder noch zu lange, denn er hatte nicht nur den Glauben an sich selbst, an seinen guten Stern begraben müssen, nicht nur alle Hoffnungen auf Glanz und Ruhm überlebt, sondern sein Fall drohte so tief zu werden, daß Entsetzen und Grauen ihn packte, wenn er in den Abgrund zu blicken wagte, der sich zu seinen Füßen aufthat und dem er rettungslos zusteuerte. Alles hatte ihn betrogen, seine Berechnungen, die geschichtlichen Ereignisse, sogar seine Verbündeten.

Er, dem es nicht genügt hatte, der mächtigste Fürst Polens, ein römischer Großer, Großhetman und Wojewode von Wilna zu sein, er, dem die Grenzen Litauens für seine Wünsche und Habgier zu eng gewesen waren, er saß jetzt in einem seiner kleinen Schlösser eingeschlossen, von wo ihn nur der Tod oder Gefangenschaft befreien konnten, eines so schlimm als das andere. Aengstlich hatte er seit Tagen nach der Thür geblickt, welches dieser Schreckgespenster zuerst Eintritt bei ihm verlangen würde.

Noch vor kurzem bildeten seine Besitzungen in Polen ein kleines selbständiges Königreich, heute war er nicht einmal mehr Herr in Tykozin, dem kleinsten seiner befestigten Schlösser.

Vor wenigen Monaten kaum noch hatte er mit den benachbarten Königen paktiert, heute empfing seine Befehle nur ein einziger schwedischer Kapitän, von dessen gutem Willen es abhing, ob er sie ausführen wollte oder nicht.

Von dem Augenblick an, wo sein Heer ihn verlassen, wo er vom mächtigen Herrn und Magnaten zum machtlosen Manne herabgesunken war, der selbst der Hilfe bedurfte, hatte Karl Gustav ihn verachtet. Den mächtigen Helfer würde er bis in den Himmel erhoben haben, von dem Hilfsbedürftigen wandte er sich verächtlich ab.

So wie jener Strauchdieb kostet Nazierski seiner Zeit in Tschorschtyn, so war er jetzt, er, Radziwill, in Tykozin belagert, und von wem belagert? Von Sapieha, seinem größten persönlichen Feinde. Wenn er in dessen Hände fiele, so würde man ihn vor die Gerichte schleppen, schlimmer würde man ihn behandeln wie einen Strauchdieb, denn er war ja ein Verräter.

Verwandte, Freunde, Verbündete, alle hatten ihn verlassen, sein Heer war zerstreut, seine Schätze zerstoben, die Güter verwüstet und der Herr, welcher mit der Pracht seiner Reichtümer und seines Glanzes einst den französischen Hof geblendet hatte, welcher Tausende Adliger zu seinen Gastmählern lud, er – Radziwill – mußte jetzt entbehren, er hatte in den letzten Stunden seines Lebens nicht genug mehr, um seinen Hunger zu stillen.

Im Schlosse herrschte schon lange Mangel an Lebensmitteln. Die knappen Vorräte verteilte der schwedische Kommandant in kleinen Rationen, und Radziwill wollte nicht um mehr bitten.

Ja, wenn das Fieber, das in seinen Adern tobte, ihm wenigstens die Besinnung geraubt hätte! Seine Brust arbeitete immer schwerer, der Atem ging allmählich in ein Rasseln über, die geschwollenen Hände und Füße erstarrten ihm vor Kälte, aber der Verstand, das Bewußtsein blieb, abgesehen von einzelnen Momenten, wo Visionen und Wahnideen ihn verfolgten, klar. Der arme Fürst sah sein ganzes Elend und seine Erniedrigung herankommen, er litt Qualen, die aller Beschreibung spotteten und die Größe seiner Schuld wett machten.

Wie den Orestes die Erynnien, so verfolgten ihn die Gewissensbisse. Wo in der weiten Welt gab es einen Ort, ein Heiligtum, wohin er vor ihnen hätte flüchten können. Zuweilen zerfleischte er sich die eigene Brust, um durch den physischen Schmerz die Seelenqual zu betäuben. Deutlich und streng zeigte ihm nun der innere Richter das arme zerrissene Vaterland, das unter den Schwerthieben der äußeren und inneren Feinde verblutete. Was hatte er gethan? Anstatt Erbarmen mit seinem Elend zu haben und als sein Retter aufzustehen, anstatt bis zum letzten Blutstropfen für seine Befreiung einzustehen, hatte er, der Großhetman, sich mit seinem schlimmsten Feinde verbunden, um es vollends zu zerfleischen. Jetzt stand er vor der Abrechnung mit dem Vaterlande; wie würde dieselbe ausfallen, was wartete seiner?

Seine Haare stiegen zu Berge, wenn er nur daran dachte. Wie kehrte sich alles gegen ihn. Er war sich so groß vorgekommen, als er die Hand gegen das Vaterland erhoben. Jetzt war er so klein. Dafür wuchs die Republik aus dem Staube heraus, in den er sie getreten, immer größer, majestätischer, während er in den Staub immer mehr hinabsank, er, der Fürst und Großhetman Radziwill. Er konnte nicht begreifen, wie das zuging. Hatte er denn nicht schon früher das kommen sehen können? War er denn wahnsinnig damals, als er die Hand gegen sie erhob? Furcht, entsetzliche Furcht vor der Nemesis packte ihn, während solche Gedanken sein Hirn zermarterten. Sein Geist war gebrochen. Oft war ihm, als befände er sich in fremdem Lande, unter fremden Menschen. Ueber die belagerten Mauern hinweg drang die Kunde von allem, was draußen geschah, zu ihm herüber; es waren seltsame, grausige Dinge, die sich in der Republik vollzogen. Die Erhebung gegen die Schweden, der Kampf auf Tod und Leben mit ihnen, dünkten ihm um so schreckenerregender, je weniger er sie vorausgesehen hatte. Die Republik begann ihr Strafgericht! Er hörte aus dem Brausen des Kriegslärmes die zornige Stimme der beleidigten Majestät Gottes.

Als die Nachricht von der Belagerung Tschenstochaus zu ihm gedrungen war, da hatte ihn, den Fürsten und Anhänger des Calvinismus, zum erstenmale die Angst gepackt? sie hatte ihn seitdem nicht mehr verlassen. Zum erstenmale hatte er das Gefühl, als könne da die geheime Welle entspringen, welche zum reißenden Strom wachsend, den Schweden Verderben bringen konnte. Damals fing zum erstenmale der Vorhang vor seinen Augen an zu weichen; er begann in der schwedischen Invasion nicht nur die Invasion mehr zu sehen, sondern einen heiligtumschändenden Raubzug.

Alle diejenigen, welche der Republik treugeblieben waren und ihr mit Herz und Hand dienten, wuchsen mit ihr empor; wer gegen sie die Hand erhoben, gegen sie gesündigt, der mußte untergehen.

»Es soll niemand sich selbst erhöhen wollen,« dachte der Fürst, »weder sich noch sein Geschlecht, sondern alle seine Kräfte, sein Fühlen und Denken in den Dienst des Allgemeinwesens stellen «

Für ihn war es zu spät; er hatte nichts mehr, was er auf den Altar des Vaterlandes hätte legen können, für ihn gab es keine Zukunft mehr, höchstens jenseits des Grabes, und vor dieser graute ihm. Seitdem er den Schrei der Verzweiflung, des Entsetzens vernommen, den die ganze große Republik aus die Kunde von der Belagerung Tschenstochaus ausgestoßen, und der selbst in seine Vereinsamung gedrungen, seitdem konnte er die schwarzen Gedanken nicht mehr bannen, ihm war, als müsse sich Gott nunmehr von ihm abwenden.

Seine Verzweiflung wuchs; er begann Zweifel in die Richtigkeit seiner Glaubenslehren zu setzen. Der Verfall irdischer Macht und Größe, der Verfall innerlichen Friedens und Glaubens hatte sich an ihm vollzogen, was blieb ihm da noch übrig? Nichts! Nur Dunkel und Finsternis, wohin er sich wandte.

Anfangs war er trotzdem noch voll Hoffnung, als er von Kiejdan aus den Zug nach Podlachien unternahm. Sapieha war ein schlechterer Heerführer als er. Zwar hatte dieser ihn in offener Feldschlacht besiegt, der Rest seines eigenen Heeres hatte ihn treulos verlassen, aber damals noch hatte der Gedanke ihn aufgerichtet, daß Fürst Boguslaw mit den in Preußen geworbenen Söldlingen bald heranziehen müsse; dann wollten sie es dem Sapieha heimzahlen, seine Fahne auflösen, die Konföderation vernichten, ihre Tatzen, raubgierigen Löwen gleich, über Litauen breiten und mit ihrem Gebrüll diejenigen verscheuchen, welche es wagen wollten, ihnen ihre Beute zu entreißen.

Doch die Zeit verging; die Macht des Fürsten Janusch schmolz immer mehr zusammen. Sogar seine ausländischen Söldlinge waren zu Sapieha übergegangen. Wochen, Monate waren verstrichen, Boguslaw kam nicht. Dann begann die Belagerung von Tykozin.

Die Handvoll Schweden, die noch bei Janusch geblieben war, wehrte sich mannhaft; wußten sie doch zu gut, daß nach den von den Schweden vollbrachten Greuelthaten auch ihre freiwillige Unterwerfung keinen Pardon mehr bei der Rachewut der Litauer auswirken könne. Zu Anfang der Belagerung hoffte der Fürst noch, daß im Falle der Not Karl Gustav selbst, oder Herr Koniezpolski, der sich beim Könige von Schweden befinden mußte, zu seiner Befreiung herbeieilen würden. Aber umsonst! Man schien ihn ganz vergessen zu haben.

»Boguslaw! Boguslaw!« hatte der Fürst so oft gerufen, während er ruhelos in den Gemächern umherrannte. »Wenn du den Verwandten nicht retten willst, so rette wenigstens den Radziwill!« ...

Es blieb dem Fürsten noch ein letzter Rettungsanker. Seine ganze Seele sträubte sich zwar dawider, ihn auszuwerfen, zuletzt griff er doch nach diesem Mittel. Er schrieb an den Fürsten Michael nach Nieswiersch und bat um Rettung. Der Bote, welcher diesen Brief beförderte, war von den Leuten Sapiehas aufgefangen worden. Der Wojewode aber sandte damals dem Fürsten einen Brief zu, welchen er etwa acht Tage früher von dessen Vetter Michael erhalten hatte.

Fürst Janusch hatte in diesem Briefe eine Stelle folgenden Wortlauts gefunden:

»Sollte aber vielleicht meinem allergnädigsten Herrn und König die Nachricht zugetragen werden, daß ich beabsichtige, meinem Verwandten, dem Fürst-Wojewoden von Wilna zu Hilfe zu eilen, so bitte ich Ew. Gnaden, Höchstdemselben zu melden, daß ich Partisane nur derjenigen bin und bleiben werde, welche im Glauben, in der Liebe zum Vaterlande und zu Sr. Majestät ausharren und bemüht sind, die Republik mit allen ihren früheren Freiheiten wieder herzustellen. Es fällt mir gar nicht ein, Vaterlandsverräter vor der ihnen zukommenden Strafe zu bewahren. Auf Sukkurs von Seiten Boguslaws darf er nicht rechnen, dieser geht viel zu sehr seinem eigenen Vorteil nach und quod attinet »Koniezpolski« dem ist darum zu thun, die Witwe Janusch's zu freien, womit er doch desto eher zum Ziele kommt, je schneller der Fürst zu Grunde geht!«

Dieser, an Sapieha adressierte Brief, hatte dem Fürsten das letzte Restchen Hoffnung genommen. Er mußte offenen Auges der Vollendung seines Geschickes entgegensehen.

Die Belagerung nahte ihrem Ende.

Am frühen Morgen heute war die Nachricht von der Abreise Sapiehas in das Schloß gedrungen, doch die Hoffnung, daß diese Abreise die Aufhebung des Belagerungszustandes zur Folge haben könne, hatte sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, die Agitation der Fußsoldaten wurde ungewöhnlich lebhaft. Ein paar Tage waren ruhig verflossen, denn die Absicht, die Thore zu sprengen, war mehreremale vereitelt worden. So war der heutige Tag herangekommen. Es war der einunddreißigste Dezember. Nur die niedersinkende stockfinstere Nacht konnte möglicherweise verhindern, was die Belagerer im Schilde führten. Wollten sie die Veste stürmen, oder nur eine Bresche in die schon mürbe gewordenen Mauern legen? Wer konnte es wissen?

Der Fürst lag auf dem Rücken lang ausgestreckt auf einem Ruhebett, welches man, um ihm mehr Luft zu schaffen, in die Mitte des sogenannten »Geweihesaales« geschoben hatte. Im großen Kamin brannten mächtige Kiefernscheite, deren Flammen einen hellen weißlichen Lichtschein aus die fast kahlen Wände warfen. In der Nähe des Kamins lag auf einem kleinen Teppich ein Page, welcher schlief. Neben dem Fürsten saßen müde und nickend auf Stühlen, Frau Jakimowitsch, die frühere Vorsteherin des Frauenzimmers der Fürstin in Kiejdan, ein zweiter Page, der Medikus und gleichzeitiger Astrologe des Fürsten und – Charlamp.

Dieser letztere war das letzte Ueberbleibsel aus der militärischen Glanzzeit des Fürsten. Als alle ihn verlassen hatten, war er allein bei ihm zurückgeblieben. Es war ein bitterer Dienst für ihn, denn das Herz und die Seele des Alten waren dort draußen vor den Mauern Tykozins, im Lager Sapiehas bei den alten Waffenbrüdern, trotzdem harrte er treu bei seinem alten Heerführer aus. Der arme Soldat war von den erlittenen Entbehrungen zum Skelett abgemagert. Von seinem Gesicht war nur die Nase übrig geblieben, der Schnurrbart hing ihm schlaff an den Wangen herab. Er war in voller Uniform, mit dem Panzer und Visier, welches ihm gegenwärtig am Halsriemen über die Schulter herabhing. Eisensplitter und Mauerbröckeln lagen auf seinen Schultern, denn er war vor einer Weile erst von den Wällen zurückgekehrt, wohin er mehreremale tagsüber ging, um nachzusehen, was da draußen vorging, auf die Mauern, wo er hoffen konnte, von einer tödlichen Kugel getroffen zu werden. Jetzt war er eingeschlummert vor übergroßer Müdigkeit, obgleich der Fürst schrecklich röchelte und der Sturm im Schornstein heulte.

Plötzlich ging ein kurzes Zucken durch den Riesenkörper Radziwills; er hörte aus zu röcheln. Seine Pfleger erwachten, blickten ihn zuerst scharf an, dann sah einer zum andern hinüber.

Der Fürst aber sagte:

»Mir ist, als sei der Alp von meiner Brust gewichen! Es wird mir leichter.«

Er wandte ein wenig den Kopf, blickte dann sehr aufmerksam nach der Thür, endlich sagte er:

»Charlamp!«

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

»Was will denn Stachowitsch hier?«

Dem armen Charlamp zitterten alle Glieder, denn, obgleich ein erprobter Krieger, war er doch sehr abergläubisch. Er sah sich scheu um und antwortete dann mit gedämpfter Stimme:

»Stachowitsch ist ja nicht hier. Ew. Durchlaucht haben ihn ja in Kiejdan erschießen lassen.«

Der Fürst schloß die Augen wieder und schwieg. Eine Zeitlang war nichts zu hören, als das melancholische Heulen des Sturmes.

»Es ist das Weinen und Wehklagen von Menschen, welches den Sturm durchdringt,« sprach der Fürst wieder, indem er die Augen weit öffnete. »Aber nicht ich habe die Schweden in das Land gebracht, sondern Radziejowski.«

Als ihm niemand antwortete, setzte er nach einer Weile hinzu:

»Er ist schuld! Er trägt die größte Schuld.«

Es war, als ob dieses Selbstgespräch ihn beruhigte, als sei der Gedanke ihm tröstlich, daß er jemanden ausfindig gemacht, der noch schuldiger war, als er.

Bald jedoch mußten wiederum schwere Gedanken seinen Kopf belasten, denn sein Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an; er wiederholte verschiedenemale:

»Jesus! Jesus! Jesus!«

Da kam die Atemnot wieder. Das Röcheln klang gräßlicher noch als früher.

Unterdessen drang von draußen das Knattern von Gewehrfeuer herein, zuerst vereinzelt, dann immer häufiger. Das Schneetreiben und das Heulen des Windes dämpfte zwar den Schall so, daß man glauben konnte, es würden Schläge an die Thore geführt.

»Sie kämpfen!« sagte der Medikus.

»Wie gewöhnlich!« antwortete Charlamp. »Die Leute frieren bei der Kälte, da wollen sie sich Bewegung machen.«

»Es tobt nun schon den sechsten Tag so fort,« meinte der Medikus. »Es bereiten sich große Dinge im Reiche vor, die Natur schickt ihre Vorboten!«

Darauf erwiderte Charlamp:

»Wolle Gott, daß sie bald kommen. Schlimmer als es ist, kann es nicht werden.«

Hier unterbrach der Fürst die Unterhaltung der beiden:

»Charlamp!« rief er.

»Zu Befehl, Durchlaucht!«

»Täuscht mich meine Schwäche, oder ist es wahr, daß vor einigen Tagen Oskierko versucht hat, das Thor mittels einer Petarde zu sprengen?«

»Er hat es versucht, aber die Schweden haben die Petarde genommen, Oskierko ist leicht verwundet, die Leute Sapiehas abgewehrt.«

»Wenn er nur leicht verwundet ist, so wird er wiederkommen ... Welchen Tag haben wir?«

»Den letzten Dezember, Durchlaucht!«

»Gott sei meiner Seele gnädig! ... Ich werde das neue Jahr nicht mehr erleben ... Man hat mir immer gesagt, daß an jedem fünften Sylvester der Tod neben mir steht.«

»Gott ist Ew. Durchlaucht gnädig!«

»Gott ist dem Sapieha gnädig!« sagte der Fürst dumpf.

Plötzlich blickte er sich nach allen Seiten um und sagte:

»Es weht mir kalt von ihm entgegen; ich sehe ihn nicht, aber ich fühle seine Nähe.«

»Wer ist hier, Durchlaucht?« frug Charlamp.

»Der Tod!«

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

Es folgte eine Weile tiefsten Schweigens: man hörte nur das Flüstern der Betenden.

»Sagt mir,« stöhnte der Fürst in Absätzen, »glaubt ihr wirklich, daß alle, die nicht eurem Glauben angehören, verdammt sind?«

»O, es kann jeder noch in der Todesstunde seine Sünden bereuen,« antwortete Charlamp.

Man hörte das Knattern der Gewehre jetzt deutlicher. Plötzlich erdröhnte Kanonendonner. Die Fensterscheiben klirrten.

Einen Augenblick horchte der Fürst aufmerksam, dann richtete er sich allmählich auf, seine Augen weiteten sich und begannen zu leuchten. Nun saß er aufrecht und stützte den Kopf in die Hände. Plötzlich schrie er auf wie im Wahnsinn:

»Boguslaw! Boguslaw! Boguslaw!«

Wie besessen rannte Charlamp hinaus aus dem Gemach.

Das ganze Schloß erbebte vom Donner der Geschütze. Dann hörte man Geschrei, wie aus Tausenden von Menschenkehlen, gleich darauf wurden die Wände des Gemachs so furchtbar erschüttert, daß die Kohlen aus dem Kamin in den Saal hineinflogen. Gleichzeitig kehrte Charlamp atemlos zurück.

»Sie haben das Thor gesprengt!« rief er. »Die Schweden haben sich in den Turm zurückgezogen – der Feind ist hier! Durchlaucht!«

Das Wort erstarb ihm auf den Lippen. Radziwill saß aufgerichtet auf dem Ruhebett. Die Augen schienen ihm aus dem Kopfe zu quellen, mit offenem Munde schnappte er nach Luft, die Zähne traten immer mehr hervor, seine Hände rupften an dem Kissen des Bettes, und während er in die dunkle Tiefe des Gemaches stierte, entrangen sich seiner Brust zwischen den einzelnen Atemzügen mit röchelnder Stimme laute Worte:

»Das war Radziejowski ... Ich nicht ... Rettung! ... Was wollt ihr? ... Nehmt doch die Krone! ... Es war Radziejowski ... Rettet, Menschen! Jesus! Jesus! Maria!«

Das waren Radziwills letzte Worte. Ein fürchterlicher Schlucken befiel ihn, die Augen traten noch mehr aus ihren Höhlen, er streckte sich, fiel zurück und blieb regungslos liegen.

»Er hat vollendet!« sagte der Medikus.

»Er hat Maria angerufen! Habt ihr es gehört, obgleich er ein Calvinist ist,« sprach Frau Jakimowitsch.

»Werft Holz auf die Kohlen!« befahl Charlamp den erschreckten Pagen. Er selbst trat an die Leiche des Fürsten, drückte ihm die Augen zu, dann löste er von der Kette seines Panzers ein kleines goldenes Bild der Gottesmutter und indem er schweigend die Hände Radziwills faltete, drückte er ihm dasselbe zwischen die Finger.

Die Flamme im Kamin spiegelte sich auf dem goldenen Grunde des Bildes wieder. Das Bild strahlte im Licht des Feuers und ein Abglanz dieses Strahles fiel auf das Gesicht des Fürsten und ließ es freundlicher erscheinen als es gewesen.

Charlamp setzte sich neben den toten Herrn und während er die Arme auf die Kniee stützte, verbarg er sein Gesicht in den Händen.

Das Schweigen im Saale wurde nur durch den Donner der Geschütze unterbrochen. Plötzlich geschah etwas Schreckliches. Eine unheimliche Helle durchleuchtete den Saal, begleitet von einem furchtbaren Krachen. Es war, als stürzte der Boden unter dem Schlosse zusammen. Die Mauern schwankten, die Decke bekam unter gräßlichem Krachen breite Risse, die Fenster stürzten mit großem Gepolter in das Innere des Saales, während zugleich die Scheiben in tausende Splitter zerbrachen.

Durch die öden Fensterhöhlen stürzten gewaltige Schneemassen herein und der Sturm fuhr mit schauerlichem Sausen durch das Gemach, alle Anwesenden fielen mit den Gesichtern zu Boden und waren vor Schreck sprachlos.

Der erste, welcher wieder aus den Füßen stand, war Charlamp. Sein erster Blick fiel auf die Leiche des Fürsten, doch diese lag still und unberührt, wie er sie zuvor gebettet hatte, nur das Bild der Gottesmutter in ihren Händen hatte sich etwas verschoben.

Charlamp atmete auf. Er hatte geglaubt, eine Schar Teufel wäre hereingebrochen, um den Körper Radziwills zu holen.

»Und das Wort ist Fleisch geworden!« rief er aus. »Die Schweden müssen sich samt dem Turm in die Luft gesprengt haben.«

Von außen drang kein Laut herein. Die Truppen Sapiehas mußten vor Staunen über die That des Feindes verstummt sein, oder sie befürchteten, das ganze Schloß sei unterminiert und werde stückweise in die Luft gesprengt.

Wieder befahl Charlamp den Pagen das Feuer zu schüren. Und wieder durchflammte das helle Licht das Gemach mit unsicherem Schein, denn während der Totenstille, die darin herrschte, trug der Sturm immer neue Schneemassen zu den Fenstern herein.

Endlich vernahmen die im Gemach Befindlichen Stimmengewirr, welches die Stiegen herauf näher kam, dann ertönte Sporenklirren, Fußtritte wurden laut, zuletzt wurden die Saalthüren aufgerissen und Soldaten drängten herein. Schwerter blitzten, in den Harnischen und Visierhelmen spiegelten sich die Flammen des Kaminfeuers wieder. Immer mehr Soldaten betraten den Raum, welcher schon bis zur Mitte gefüllt war. Etliche von ihnen trugen Laternen, und obgleich das Kaminfeuer den Saal hinreichend beleuchtete, so leuchteten sie dennoch damit vorsichtig in jeden Winkel hinein.

Jetzt machte sich der kleine Ritter, vom Kopf bis zum Fuß mit einem Stahlpanzer bekleidet, Bahn durch die Menge.

»Wo befindet sich der Wojewode von Wilna?« frug er laut.

»Hier!« antwortete Charlamp auf den Leichnam des Fürsten weisend. Herr Wolodyjowski sah genauer hin.

»Er lebt nicht mehr!« schrie er fast auf.

»Er lebt nicht mehr! Er lebt nicht mehr!« pflanzte sich der Ruf fort.

»Er lebt nicht mehr, der Verräter, der Makler!«

»Nein, er lebt nicht mehr!« sagte Charlamp ernst. »Doch wenn ihr beabsichtigt, seinen Leichnam zu schänden, oder den Toten in Stücke zu hauen, so laßt euch sagen, daß ihr ein großes Unrecht begehen würdet, da er noch in seiner Todesstunde die Gottesmutter angerufen hat und ihr Bildnis in den Händen hält.«

Diese Worte verfehlten ihren Eindruck nicht. Das Geschrei hörte auf, die Soldaten näherten sich dem Ruhebett und hielten Totenschau. Diejenigen, welche eine Laterne trugen, leuchteten ihm in das Gesicht und sahen ihn genau an, wie er dalag, ein gefällter Riese, im erkalteten Antlitz trotz aller vorausgegangenen Leiden den Ausdruck der majestätischen Größe, die er im Leben vorgestellt, und die Würde und den Ernst des Todes.

Der Reihe nach kamen die Soldaten und mit ihnen die Offiziere und Hauptleute. Allen voran Stankiewitsch, die beiden Skrzetuskis, Horotkiewitsch, Jakob Kmiziz, Oskierko und Herr Sagloba.

»Es ist wahr!« sagte Sagloba leise, als fürchte er den Fürsten zu wecken. »Er hält das Bild fest; der Abglanz desselben wirft einen Schein über sein Gesicht.«

Während er das sagte, nahm er den Helm vom Kopfe. Die anderen folgten sogleich seinem Beispiel. Es trat eine achtungsvolle Stille ein, welche endlich Herr Wolodyjowski unterbrach.

»Ach!« sagte er ernst. »Dieser hier steht schon vor dem Richterstuhl Gottes, das irdische Tribunal hat kein Recht mehr an ihn.«

Zu Charlamp gewendet fuhr er fort:

»Aber du Unglückseliger! Warum hast du seinetwegen das Vaterland und deinen Herrn und König verlassen?«

»Faßt ihn! Her mit ihm!« schrieen mehrere Stimmen durcheinander.

Da stand Charlamp auf, riß seinen Säbel aus der Scheide und warf ihn klirrend zu Boden.

»Da habt ihr mich!« rief er. »Schlagt mich doch tot! Weil ich ihn nicht gleichzeitig mit euch verließ, als er mächtig war, wie ein König, so wäre es schlecht von mir gewesen, hätte ich ihn im Elend verlassen wollen, als selbst seine Freunde ihn im Stiche ließen. Mein Dienst hat mich nicht satt gemacht: seit drei Tagen habe ich nichts gegessen, die Füße tragen mich kaum ... Aber nehmt mich, schlagt mich nieder, denn auch das bekenne ich offen und ehrlich, hier zitterte die Stimme Charlamps, denn – ich habe ihn aufrichtig geliebt.«

Er schwankte und wäre hingefallen, hätte Sagloba ihn nicht in seinen Armen aufgefangen und festgehalten:

»Beim lebendigen Gotte!« rief er. »Gebt ihm zu essen.«

Mit diesen Worten hatte er die Herzen der Umstehenden gewonnen. Man faßte Charlamp unter den Armen und führte ihn aus dem Gemach. Darauf verließen auch die Soldaten dasselbe der Reihe nach, sich fromm bekreuzend.

Auf dem Wege zurück nach den Quartieren schien Herr Sagloba etwas ernsthaft zu erwägen. Er räusperte sich, endlich faßte er den Rockzipfel des Herrn Wolodyjowski.

»Herr Michael!« sagte er.

»Was giebt es?«

»Mein Haß gegen den Radziwill ist verraucht. Ein Toter ist nun einmal ein Toter! ... Ich verzeihe ihm von Herzen, daß er mir einst nach dem Leben getrachtet.«

»Er steht vor dem himmlischen Tribunal!« antwortete Wolodyjowski.

»Das ist es! Das ist es eben! ... Hm! Wenn ich wüßte, daß es ihm etwas nützte, würde ich auf eine heilige Messe für ihn geben; ich glaube seine Sache steht schlecht dort oben!«

»Gott ist barmherzig!«

»Ja, Gott ist gerecht! Aber ein Vaterlandsverräter ist auch ein ganz apartes Objekt. Doch da fällt mir etwas ein!«

Hier legte er den Kopf in den Nacken zurück und blickte nach oben.

»Ich fürchte nämlich,« sagte er nach einer Weile, »es konnte mir einer jener Schweden auf den Kopf fallen, die sich mit dem Turme in die Luft gesprengt haben; denn daß die Einlaß in den Himmel finden, das bezweifle ich doch.«

»Es waren brave Jungen,« sagte Wolodyjowski anerkennend. Sie gingen lieber in den Tod, als daß sie sich ergaben. Solche Soldaten giebt es nicht viele in der Welt!«

Stillschweigend gingen sie weiter. Plötzlich blieb Herr Michael stehen.

»Das Fräulein Billewitsch war nicht im Schloß,« sagte er.

»Woher wißt ihr das?«

»Ich frug die Pagen nach ihr. Boguslaw hat sie mit sich nach Tauroggen geführt.«

»O, o!« sprach Sagloba. »Da hat man die Ziege dem Wolf anvertraut. Aber das ist nicht eure Sache: für euch ist die kleine Kernige bestimmt.«


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