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Sechstes Buch

1. Kapitel

Obgleich Ketling fast immer um die Person des Fürsten Boguslaw gewesen war, wußte er doch nicht alles und konnte daher auch nicht alles erzählen, was sich in Tauroggen zugetragen hatte, denn er sah und hörte manches nicht, weil er selbst das Fräulein Billewitsch zu sehr liebte, um ein unparteiischer Beobachter sein zu können.

Boguslaw hatte nur einen einzigen Vertrauten und dieser war Sakowitsch, der Starost von Orschmian; der allein wußte, wie tief der Fürst in die Liebe zu seiner schönen Gefangenen versunken war und welche Mittel er in Anwendung brachte, um ihr Herz und ihre Person zu erringen

Da Boguslaw edlerer Gefühle nicht fähig war, so wurde diese Liebe zur brennend heißen Begehrlichkeit, die bei ihm so ausartete, daß er die Vernunft darüber verlor. Zuweilen, wenn er mit Sakowitsch abends allein war, stützte Boguslaw den Kopf in die Hände, indem er ausrief:

»Ich verbrenne, Sakowitsch, ich verbrenne!«

Dann tröstete Sakowitsch und sann auf Mittel, seinem Herrn zu helfen.

»Wer Honig essen will,« sagte er, »muß die Bienen betäuben, wenn er dazu gelangen will. Hat denn Ew. Durchlaucht Medikus kein Betäubungsmittel für das Fräulein? Es bedarf doch nur eines Wortes Ew. Durchlaucht und die Angelegenheit ist erledigt.«

Doch der Fürst mochte diesen Rat seines Vertrauten nicht befolgen, weil verschiedene Ursachen ihn davon zurückhielten.

Zuerst war ihm eines Nachts der alte Hauptmann Billewitsch, der Großvater Olenkas, im Traum erschienen; er hatte am Kopfende seines Lagers gestanden und ihn mit drohenden Blicken angesehen, von Mitternacht bis zum ersten Hahnenschrei. Boguslaw konnte dieses Traumgesicht nicht mehr loswerden, und dieser Ritter ohne Furcht und Tadel war so abergläubisch, er legte so viel Wert auf Träume, betrachtete sie als Warner, und fürchtete so sehr die Wiederkehr des Hauptmannes im Traume, daß der bloße Gedanke daran ihn zittern machte. Deshalb wagte er aus Furcht nicht, auf den Vorschlag Sakowitschs einzugehen und dieser selbst, als er von dem Traume des Fürsten hörte, wurde vorsichtiger im Erteilen seiner Ratschläge, weil er ebenfalls abergläubisch und furchtsam war.

Die zweite Ursache, weshalb der Fürst nicht zu Gewaltmaßregeln greifen wollte, war die, daß die »Wallachin« mit ihrer Stieftochter in Tauroggen wohnte. Man nannte die Gemahlin des Fürsten Janusch, welche eine wallachische Fürstentochter war, so. Aus einem Lande stammend, wo die Sitten der Weiber sehr freie waren, war sie selbst zwar nicht allzu streng, wo es sich um den Verkehr der Kavaliere ihres Hofes mit ihrem Frauenzimmer handelte, dennoch würde sie nie geduldet haben, daß ein Mann aus fürstlichem Geschlecht, der ihre Stieftochter ehelichen sollte, sich einer so himmelschreienden Sünde schuldig machte.

Aber auch dann noch, als infolge verschiedener Intriguen seitens des Sakowitsch, die er mit Wissen und Willen des Fürsten ausgeführt, die »Wallachin« mit Erlaubnis ihres Gemahls, samt der Prinzessin nach Kurland abgereist war, wagte es Boguslaw nicht, einen Gewaltstreich zu vollführen. Er fürchtete den Lärm, der über solche Unthat in Litauen erhoben werden würde, denn die Billewitsch waren dort ein mächtiges und hochangesehenes Geschlecht; sie würden nicht versäumt haben, ihm den Prozeß zu machen, und das Gesetz bestrafte solche Verbrechen mit dem Verlust des Vermögens, der Ehre, ja sogar mit dem Tode.

Nun waren die Radziwills zwar mächtig genug, um selbst das Recht mit Füßen treten zu dürfen und sich eigene Gesetze zu schaffen. Neigte sich aber in diesem erbitterten Befreiungskampfe die Schale des Sieges dem Könige zu, so konnten für den jungen Fürsten die übelsten Folgen aus einer Handlung erwachsen, zu der ihn seine Leidenschaft nur zu gewaltig drängte, denn dann fehlte ihm der Schutz seiner Freunde und Genossen.

So leidenschaftlich beanlagt der junge Fürst auch war, so sehr rechnete er dennoch mit den Verhältnissen, denn er war ein großer Politiker. Es stürmten gegenwärtig zu viele Ereignisse und Erregungen auf ihn ein, als daß seine sonst kräftige Gesundheit ihnen auf die Dauer hätte Stand zu halten vermögen. Einerseits zehrte diese leidenschaftliche Liebe an ihm, andererseits riet der Verstand Enthaltsamkeit; abergläubische Furcht zügelte sein wildes Verlangen, Krankheit befiel ihn zu einer Zeit, wo die wichtigsten Reichsangelegenheiten seine volle Kraft und Energie beanspruchten; alles dies zusammengenommen quälte seine Seele und machte den Körper müde bis auf den Tod.

Wer weiß, welches Ende diese Seelenkämpfe genommen hätten, wenn die große Eigenliebe des Fürsten ihnen nicht ein Gegengewicht geboten hätte. Er war ungemein von sich eingenommen, hielt sich für den größten Staatsmann, den größten Feldherrn und Ritter und den geschicktesten Eroberer der Frauenherzen. Sollte er, der Sieger über so viele Mädchen und Frauen, für deren Liebesbriefe er eigens eine besonders große Truhe hatte anfertigen lassen müssen, zu Mitteln greifen, die ihm nur Unehre bringen konnten, um das Herz dieser einen zu besiegen? Sollten seine Reichtümer, seine Titel und Macht, sein stolzer Name, seine Schönheit und Liebenswürdigkeit nicht ausreichen, diese Widerspenstige gefügig zu machen?

Wie viel größer mußte sein Triumph, sein Lohn sein, wenn er durch den Eindruck seiner Persönlichkeit ihren starren Sinn beugen konnte, wenn sie ihm freiwillig ihre Liebe bot.

Es überlief ihn heiß bei solchen Gedanken; er sehnte die Stunde des Sieges über Olenka fast ebensosehr herbei, als er sich nach ihrer Gegenwart sehnte, wenn er einmal nicht bei ihr sein konnte. Bald glaubte er sich seinem Ziele näher gekommen, bald ferner als je.

Er umgab das Mädchen, um ihre Dankbarkeit rege zu machen, mit einer zarten Fürsorge und Sorgfalt, denn er wußte wohl, daß Dankbarkeit Freundschaft erzeugt und daß beide Gefühle ein warmes sanftes Flämmchen im Menschenherzen sind, die, wenn gebührend unterhalten und gepflegt, zur lodernden Flamme der Liebe sich entfachen ließen. Sie sollte ihn als einen gütigen Freund schätzen lernen; um sie nicht zu erschrecken und einzuschüchtern, enthielt er sich während ihres häufigen Beisammenseins jeder Zudringlichkeit.

Jeder seiner Blicke, jedes seiner Worte, jede Berührung ihrer Hand war berechnet, sie zu reizen, ihre Sinne zu wecken; wie der stete Tropfen den Stein höhlt, so sollte seine gleichmäßige sorgfältige Freundlichkeit sie endlich bewältigen und die Heißgeliebte in seine Arme führen. Alles, was er that, sollte für Olenka nur den Schein der auserlesensten Gastfreundschaft haben; er verstand die Grenze zwischen dieser Freundschaft und seiner Liebe so zu verwischen, daß sie mit der Zeit fast völlig unmerkbar das Mädchen täuschen und sie selbst zum Ueberschreiten der gesellschaftlichen Form, der Grenze der Freundschaft verleiten, und sie in das Bereich der Liebe führen sollte. Dieses Spiel stand zwar nicht im Einklang mit der Leidenschaftlichkeit des Fürsten, doch bezwang er sich, weil er wußte, daß er nur auf diese Weise den Weg zum Herzen Olenkas finden konnte. Zudem machte es ihm Vergnügen, gleich der Spinne das Netz zu spinnen, in welchem sich später das Vögelchen fangen mußte. Ihn belustigte es, alle die feinen Künste, die Gewandtheit und Schlauheit, die er am französischen Hofe gelernt, einmal an einer polnischen Adligen probieren zu können.

Gleichzeitig räumte er ihr in seinem Hause die Stellung einer Prinzessin aus regierendem Hause ein, indem er sie wieder in Zweifel versetzte, ob die Huldigungen, die er ihr darbrachte, ihrer Persönlichkeit galten, oder nur ein Ausfluß angeborener Galanterie gegen das weibliche Geschlecht waren.

Er machte sie zum Mittelpunkt aller Vergnügungen, Schaustellungen, Ausflüge und Jagdgesellschaften, doch verstand er diesem Thun wiederum den Schein des Natürlichen, Selbstverständlichen zu geben, da nach der Abreise der Fürstin Griseldis, Olenka wirklich die vornehmste der Frauen in Tauroggen war.

Es hatten sich eine Menge adliger Damen aus Smudz nach Tauroggen geflüchtet, weil der Ort, dicht an der Grenze gelegen, ihnen Gelegenheit bot, sich unter dem Schutze des Fürsten, der Zudringlichkeiten der Schweden zu erwehren. Sie alle hatten unbeanstandet dem Fräulein Billewitsch, als der Tochter des mächtigsten Geschlechtes der Smudz, den Vortritt eingeräumt. Während nun die ganze Republik in Blut schwamm, nahmen die Festlichkeiten hier kein Ende; es war, als sei der königliche Hof mit großem Gefolge auf das Land gezogen, um sich den Belustigungen des Landlebens hinzugeben.

Boguslaw war in Tauroggen und dem angrenzenden Preußen regierender Fürst. Die preußischen Städte, wo er häufig zu Gaste war, gaben ihr Geld und ihre Soldaten her und der preußische Adel folgte mit Freuden zu Pferd und zu Wagen den Einladungen des Fürsten zu den Gastmählern und beteiligte sich an den Jagden und Karussellfahrten mit Vergnügen. Der Fürst führte Olenka zu Ehren auch die seit vielen Jahren vernachlässigten Turniere ein.

Eines Tages beteiligte sich der Fürst selbst an solch einem Turnier. Im silbernen Panzerhemd, geschmückt mit dem blauen Bande seiner Dame, welches Olenka ihm selbst umbinden mußte, hatte er die vier tapfersten Ritter aus dem Sattel geworfen, Ketling folgte als fünfter und Sakowitsch, dieser Stärkste von allen, als sechster. Ein wahrer Sturm der Begeisterung war losgebrochen, als der silberne Ritter dann knieend aus der Hand seiner Dame den Lorbeerkranz empfing. Beifallsrufe erschallten, schöne Frauen schwenkten ihre Tücher, die Fahnen wurden zu Ehren des Siegers gesenkt, er selbst hatte sein Visier zurückgeschlagen, in ihr errötendes Gesicht geblickt und ihre Hände mit Küssen bedeckt.

Ein anderesmal, als im Plankenzaun ein Bär im Kampfe mit Hunden immer einen nach dem anderen hingestreckt hatte, war der Fürst, nur mit einem leichten spanischen Wamse bekleidet und nur mit einem Spieß bewaffnet, hinzugesprungen, und hatte nicht nur die grausige Bestie, sondern auch einen Trabanten, welcher, die Gefahr, in die der Fürst sich begeben, erkennend, ihn zu schützen herbeieilte, niedergestochen.

Fräulein Alexandra, die Enkeltochter eines alten Kriegers, in den Traditionen ihres ruhmbedeckten Geschlechtes erzogen, konnte beim Anblick solcher Heldenthaten ihren Beifall dem Fürsten nicht versagen. Hatte man sie doch von frühester Kindheit an daran gewöhnt, Tapferkeit und Ritterlichkeit als die Haupttugenden des Mannes zu schätzen.

Dadurch angespornt, bemühte sich der Fürst, täglich neue Beweise seiner fast übermenschlichen Kraft und Tapferkeit zu liefern und immer neue Festlichkeiten zu Ehren Olenkas zu veranstalten. Die geladenen Gäste, welche sich in Lobeserhebungen und Ausrufen der Begeisterung für den Fürsten gar nicht genugthun konnten, waren unwillkürlich gezwungen, den Namen Olenkas im Verein mit demjenigen des Fürsten zu nennen. Er schwieg dazu, seine Augen sollten ihr nur sagen, was der Mund verschweigen mußte ... sie kam sich oft vor, wie verzaubert.

So vereinte sich alles, um die beiden einander näher zu bringen, sie von der Menge auszuschließen. Die Namen beider wurden nur noch zusammen genannt und Boguslaw that alles, um den Zauber, den er um sie zu spinnen sich abmühte, mit jedem Tage zu verstärken.

Abends, wenn die Schaustellungen vorüber waren, ließ er in den Gemächern buntfarbige Lampen anzünden, welche ein wonniges, geheimnisvolles Licht verbreiteten. Süßer, berauschender Duft erfüllte die Luft, zauberische Klänge, unsichtbaren Harfen entlockt, tönten durch die Räume und mitten in diesem Paradiese von Licht, Wohlgeruch und Harfenklang schritt er einher, wie ein Märchenprinz, jung, schön, ritterlich, strahlend im Glanze der Edelsteine, die er an sich trug, verliebt wie ein Hirtenknabe.

Welches Mädchen hätte solchem Zauber wohl widerstanden, welche tugendhafte Jungfrau wäre nicht schwach geworden bei solcher Werbung? Den Fürsten zu meiden wäre unmöglich gewesen, da Olenka unter einem Dache mit ihm wohnen mußte und er seine, ihr aufgezwungene Gastfreundschaft in einer so ritterlichen, anscheinend selbstlosen Weise übte. Dazu kam, daß Olenka dem Fürsten nicht ungern nach Tauroggen gefolgt war; der Aufenthalt in dem verräterischen Kiejdan war ihr vollständig verleidet worden, und der ritterliche Boguslaw, der so meisterlich verstand, vor ihr den königstreuen Unterthan und Sohn der Republik zu spielen, war ihr naturgemäß ein viel lieberer Gesellschafter und Gastfreund, als der offen seinen Verrat zur Schau tragende Janusch. Sie hegte in den ersten Wochen ihres Aufenthaltes in Tauroggen sogar eine Art freundschaftlicher Gesinnung für den jungen Fürsten, und sie benutzte den Einfluß, den sie auf ihn ausübte dazu, verschiedene gute Werke zu verrichten.

Im dritten Monat ihrer Anwesenheit war ein Offizier, ein Freund Ketlings, wegen irgend eines Versehens von Boguslaw zum Tode durch Erschießen verurteilt worden. Als das Fräulein davon durch Ketling zu wissen bekam, bat sie den jungen Mann los.

»Die Göttin hat zu befehlen, nicht zu bitten,« antwortete ihr der Fürst, indem er das Todesurteil zerriß und ihr vor die Füße legte. »Regieret, befehlet! Wüßte ich eurem lieben Munde ein Lächeln damit abzulocken, so würde ich ohne Bedenken Tauroggen verbrennen, wenn ihr zu befehlen geruht. Könnte ich euch doch vergessen machen, was einstmals war, ein Lächeln, einen freundlichen Blick in euer Antlitz zaubern, das wäre mir höchster Lohn!«

Doch wie hätte sie fröhlich sein sollen mit diesem nagenden Kummer im Herzen, dieser unsäglichen Verachtung gegen den Menschen, den sie geliebt mit der ganzen Macht einer ersten Liebe, der in ihren Augen dann herabgesunken war zu einem Verbrecher, den sie geringer achtete als einen Vatermörder. Jener Kmiziz, welcher für etliche Goldgulden, wie Judas, seinen Herrn und König verkaufen wollte, war ihr immer unverständlicher geworden, bis er als ein Auswurf der Menschheit vor ihr erschien. Sie konnte sich nicht verzeihen, daß sie ihn jemals geliebt hatte, trotz aller Verachtung aber vermochte sie nicht sein Bild aus ihrem Herzen zu reißen.

Mit solchen widerstreitenden Gefühlen im Herzen, war es ihr unmöglich, auch nur fröhlich zu scheinen. Sie war aber dem Fürsten dankbar, daß er seine Hand zu dem von Kmiziz geplanten Verbrechen nicht geboten hatte und für alles, was er jetzt an ihr that. Eines nur wunderte sie sehr und zwar das, wie es möglich war, daß ein so tapferer und edler Ritter sich an den Kämpfen um die Befreiung des Vaterlandes nicht beteiligte, obgleich er die Handlungen seines Vetters zu verpönen schien. Doch sagte sie sich, daß ein Mann wie Boguslaw nichts thue, ohne einen besonderen Zweck mit seinen Handlungen zu verbinden. Das leuchtete ihr umsomehr ein, als der Fürst einmal wie beiläufig bemerkte – er reise nur darum so oft nach Tilsit, um zwischen Johann Kasimir und dem Könige von Schweden Friedensverhandlungen einzuleiten; seine Kräfte seien durch zahllose Kämpfe allzusehr erschöpft, als daß er sich noch an dem Kriege beteiligen könne, er wolle auf diese Weise dem Vaterlande helfen, sich aus der Erniedrigung emporzuraffen.

»Nicht um Lohn und hohe Würden zu erlangen, thue ich das – nicht darum gebe ich meinen Vetter Janusch Preis,« sagte er, »ihn, der nur ein zweiter Vater war, sondern ich thue nur, was mein Gewissen und meine Vaterlandsliebe mir gebieten. Wer weiß, ob das alles imstande sein wird, das Leben des Fürsten Janusch dem Haß der Königin Ludovika abzubitten.«

Als er so sprach und die traurigen Augen zur Decke emporgerichtet hielt, erschien er ihr wie einer jener Helden des Altertums, von denen der alte Hauptmann Billewitsch ihr soviel erzählt und aus dem Cornelius Nepos vorgelesen hatte. In diesem Augenblick schwoll ihr Herz von Bewunderung und Verehrung. Allmählich gelangte sie dann auch zu dem Standpunkte, daß, wenn die Gedanken an den verhaßten Kmiziz sie zu sehr quälten, sie mit Gewalt all ihr Denken auf Boguslaw richtete, um jene zu verscheuchen. Jener verkörperte ihr die gräßliche, düstere Vergangenheit, während dieser das Licht war, in welchem jede bekümmerte Seele sich gern sonnte.

Der Herr Schwertträger von Reußen und das Fräulein Kulwiez, welche man ebenfalls aus Wodockt hierher geholt hatte, drängten Olenka unvermerkt immer mehr jenem abschüssigen Pfade zu, indem sie unaufhörlich das Lob Boguslaws sangen.

Dem Fürsten waren die Beiden in Tauroggen eine rechte Last; er sann fortwährend darauf, wie er sie auf artige Weise los werden sollte. Aber er hatte bald ihre Gunst, besonders diejenige des Schwertträgers, gewonnen, welcher anfangs feindlich gegen ihn aufgetreten war, doch je länger, desto weniger der Liebenswürdigkeit Radziwills zu widerstehen vermocht hatte.

Wäre Boguslaw nur ein Adliger aus vornehmem Geschlecht, nicht Radziwill, Fürst und Magnat von fast königlicher Macht gewesen, wer weiß, vielleicht hätte das Fräulein sich dem Testament des alten Hauptmannes zum Trotz auf Tod und Leben in ihn verliebt, gleichviel, ob ihr nur die Wahl zwischen Kmiziz und dem Kloster gelassen war. Olenka war aber in den strengsten Sitten erzogen, ihre Seele war rein und ihr Herz gerecht. Darum kam ihr nicht einmal der Gedanke an eine tiefere Neigung für den Fürsten; sie fühlte für ihn nichts als Dank und Bewunderung.

Die Rangstufe, welche ihre Familie unter den Adligen Polens einnahmen, war nicht hoch genug, als daß sie die Gemahlin eines Fürsten hätte werden können, andererseits dünkte sie sich viel zu hoch, um Boguslaws Geliebte zu werden; sie sah in ihm nur den Herrscher, an dessen Hofe sie weilte. Umsonst suchte er sie eines anderen zu belehren, umsonst versicherte er ihr in der Ueberschwenglichkeit seiner Gefühle, daß die Radziwills sich schon verschiedene Male mit Mädchen von einfachem Adel vermählt hatten. Alles umsonst! Kein unreiner Gedanke blieb an ihr haften; wie das Wasser von dem Gefieder des Schwanes, so glitt von ihr alles ab, womit eitle Ueberredungskunst sich bemühte, sie zu beflecken. Dankbar gedachte sie des Fürsten; aber sie blieb sich stets gleich in ihrem Wesen, voll Freundlichkeit und Ruhe.

Er aber verfing sich immer mehr in der Schönheit und Ruhe ihres Wesens und glaubte sich oft schon seinem Ziele nahe. Dann wieder ertappte er sich zu seinem eigenen Aerger und seiner Scham auf einer Unsicherheit und Schüchternheit, wie er sie niemals den vornehmsten Damen in Paris, Brüssel und Amsterdam gegenüber gefühlt hatte. Vielleicht war es darum, weil er sie wirklich liebte, oder vielleicht, weil in ihren sanften Zügen so viel Achtunggebietendes lag. Einzig und allein Kmiziz hatte sich seiner Zeit nicht durch diesen Ernst abschrecken lassen; er hatte sie dreist in seine Arme genommen, ihre Augen und ihre stolzen Lippen geküßt, aber Kmiziz war auch ihr Verlobter.

Alle Kavaliere, angefangen bei Herrn Wolodyjowski bis zu den rauhen Kriegern Preußens in Tauroggen begegneten ihr mit der größten Achtung und verstanden mit ihr umzugehen nicht wie mit anderen Mädchen. Den Fürsten trieb seine Leidenschaft, der Sache ein schnelles Ende zu machen, doch als er einmal im Kutschwagen ihren Fuß berührte, während er gleichzeitig ihr zuflüsterte: »Fürchtet nichts ...« und sie darauf geantwortet hatte: »Gewiß fürchte ich, daß ich das in Ew. Durchlaucht gesetzte Vertrauen bereuen muß,« da wurde Boguslaw sehr verlegen und zog vor, nach wie vor um ihre Liebe zu werben.

Doch endlich hatte seine Geduld ein Ende. Der Eindruck, den jener schreckliche Traum auf ihn gemacht, begann sich allmählich zu verwischen. Immer öfterer dachte er an das, was Sakowitsch ihm geraten hatte, die Hoffnung, der Krieg werde die Verwandten und den Anhang Olenkas ausrotten, ihn ihrer Rache entziehen, griff immer mehr Platz in seinem Herzen.

Da ereignete sich plötzlich etwas, was dem Gange der Dinge in Tauroggen eine ganz andere Wendung gab.

Wie ein Donnerschlag fiel eines Tages die Nachricht in das Schloß, daß Tykozin von dem Heere Sapiehas eingenommen worden und der Großhetman unter den Trümmern der Feste begraben sei.

Diese Nachricht beunruhigte alle diejenigen, die in Tauroggen lebten; selbst der Fürst schreckte aus seinem Taumel auf und begab sich unverzüglich nach Königsberg, wo er mit den Ministern und Räten des Königs von Schweden und des Kurfürsten zusammentreffen sollte.

Sein Aufenthalt dort verlängerte sich über die festgesetzte Zeit. Inzwischen kamen in Tauroggen Abteilungen preußischer und schwedischer Soldaten an. Man begann laut von einem Feldzuge gegen Sapieha zu sprechen; nun wurde es offenbar, daß Boguslaw ein Parteigänger der Schweden war und dieselben Ziele verfolgte wie sein Vetter Janusch.

Gleichzeitig erhielt der Herr Schwertträger die Nachricht, daß das Stammgut der Billewitsch durch die Truppen Loewenhaupts niedergebrannt worden, und daß dieselben, nachdem sie die Smudzer Aufständischen bei Schawle niedergemetzelt, das ganze Land mit Feuer und Schwert verwüsteten.

Da hielt es den alten Herrn nicht länger; er wollte den Schaden mit eigenen Augen besehen und retten, was noch zu retten war. Fürst Boguslaw versuchte auch nicht ihn zurückzuhalten, er ließ ihn gern ziehen, während er ihm zum Abschied noch die Worte sagte:

»Ihr werdet nun verstehen, warum ich euch nach Tauroggen brachte; im Grunde genommen verdankt ihr mir das Leben.«

Olenka war mit dem alten Fräulein Kulwiez allein zurückgeblieben. Sie zog sich nach der Abreise ihres Oheims vollständig in ihre Gemächer zurück und nahm niemanden an, als einige Damen, welche sie täglich besuchten. Als Olenka durch diese erfuhr, daß der Fürst einen Feldzug gegen die Polen vorbereite, wollte sie diesen Gerüchten keinen Glauben schenken. Da dieselben ihr aber immer häufiger zu Ohren kamen, ließ sie, um sich zu vergewissern, was etwa Wahres daran sei, eines Tages Ketling zu sich bitten, von dem sie wußte, daß er ihr nichts verheimlichte.

Er erschien sofort, glückselig darüber, daß er gerufen worden, daß er einen Augenblick mit ihr, die er über alles liebte, sprechen durfte. Olenka begann sogleich damit, ihn auszufragen.

»Herr Kavalier,« sagte sie. »Es wird so vielerlei in Tauroggen gesprochen, daß man ganz irre werden kann. Die einen behaupten, der Fürst-Wojewode sei eines natürlichen Todes gestorben, andere wieder sagen, er sei unter den Säbeln der Polen gefallen. Sagt mir, wißt ihr, welches die Ursache seines Todes ist?«

Ketling zögerte einen Augenblick; er kämpfte sichtlich mit der ihm angeborenen Schüchternheit, endlich stammelte er unter heftigem Erröten:

»Die Ursache des Unterganges und Todes des Fürst-Wojewoden seid ihr, Herrin!«

»Ich? ...« frug Olenka verwundert.

»Ja, ihr! Der Fürst zog vor, in Tauroggen zu bleiben, anstatt dem Vetter zu Hilfe zu eilen. Er hat alles vergessen und unterlassen ..., um euretwillen.«

Jetzt überzog Purpurröte ihr Gesicht. Einen Augenblick lang vermochte keines von beiden ein Wort zu sprechen. Der junge Schotte stand gesenkten Hauptes, mit niedergeschlagenen Augen, den Hut in der Hand, vor ihr. Die Haltung seiner ganzen Gestalt drückte Ehrerbietung und Hochachtung aus. Endlich schüttelte er die blonden Haarwellen aus der Stirn, richtete sich auf und sagte:

»Wenn meine Worte euch beleidigt haben, so erlaubt, daß ich euch fußfällig um Verzeihung bitte.«

Er beugte sein Knie, doch Olenka wehrte ihm, indem sie schnell sprach:

»Laßt das! Herr Kavalier! Was ihr sagtet, kam aus der Tiefe eines ehrlichen Herzens. Ich habe längst bemerkt, daß ihr mir wohlwollet.«

»Oder ist es nicht so? Wünscht ihr mir nicht nur Gutes? ...«

Der Offizier richtete den Blick seiner engelsguten Augen nach oben, legte seine Hand aufs Herz und flüsterte so leise, daß es wie ein trauriges Seufzen klang:

»O Herrin! Herrin! ...«

Doch schon war er erschrocken über die eigene Dreistigkeit; er fürchtete, bereits zu viel gesagt zu haben, senkte den Kopf wieder und nahm wieder die Haltung eines ergebenen Dieners an, welcher der Befehle der geliebten Herrin harrt.

»Ich bin fremd hier und ohne Schutz,« sagte Olenka, »denn obgleich ich imstande bin, mich selbst zu beschützen und ich hoffe, daß Gott mich gnädig vor Unheil bewahren wird, so kann ich doch der menschlichen Hilfe nicht entraten. Wollt ihr wie ein Bruder über mir wachen? Wollt ihr mich im Notfalle warnen, damit ich nicht unvorbereitet in die mir gestellten Netze falle?«

Bei diesen Worten reichte sie ihm ihre Rechte, welche er nun knieend an den Fingerspitzen ergriff und ehrfurchtsvoll an seine Lippen zog.

»Sprecht! Was geht um mich her vor?«

»Der Fürst liebt euch! Habt ihr denn das nicht bemerkt, Herrin?« Olenka bedeckte die Augen mit der Hand.

»Ich sah es und sah es doch nicht! Zuweilen wollte es mir scheinen, daß all sein Thun nur einer großen Herzensgüte entsprang.«

»Herzensgüte! ...« wiederholte der Offizier.

»Das dachte ich,« fuhr Olenka fort. »Zuweilen wieder, wenn ich denken mußte, daß ich Unglückselige seine Begehrlichkeit erregt haben könnte, beruhigte ich mich damit, daß ich mich selbst glauben machte, eine Gefahr für mich sei dabei ganz ausgeschlossen. Ich war ihm dankbar für alles, was er mir Freundliches gethan, aber Gott ist mein Zeuge – ich begehrte keine neuen Gunstbezeigungen von ihm, denn ich fürchtete schon zuviel von ihm angenommen zu haben.«

Ketling atmete tief.

»Darf ich offen sprechen?« frug er nach kurzem Stillschweigen.

»Ich bitte darum.«

»Der Fürst hat nur zwei Vertraute; die Herren Sakowitsch und Paterson. Der Letztere ist mir sehr wohlgesinnt, weil wir Landsleute sind und er mich von Kindesbeinen auf kennt. Was ich also weiß, das weiß ich von ihm. Der Fürst liebt euch, Herrin! Seine Leidenschaft glüht und lodert wie eine Pechfackel. Alle Festlichkeiten, die er veranstaltet, sind nur euretwegen, um eure Sinne zu bethören. Der Fürst liebt euch sinnlos, aber seine Liebe ist eine unlautere, denn sie gefährdet eure Ehre. Während er wohl niemals eine würdigere Gemahlin finden dürfte, denkt er doch nicht daran euch zu ehelichen, denn ihm ist eine andere bestimmt – die reiche Prinzessin Anna. Ich weiß das von Paterson, und Gott ist mein Zeuge, daß ich die Wahrheit rede. Traut dem Fürsten nicht, Herrin! Laßt euch durch seine scheinbare Gutmütigkeit, durch seine bescheidene Zurückhaltung nicht in Sicherheit wiegen, denn Verrat lauert hier auf Schritt und Tritt. Der Mund sträubt sich zu sagen, was Paterson mir erzählt hat. Einen größeren Schuft als Sakowitsch giebt es nicht ... Ich kann es nicht aussprechen! Wäre ich nicht durch einen heiligen Eid verpflichtet, des Fürsten Person und Leben zu schützen, so würde diese Hand und dieser Säbel euch, Herrin, unverzüglich von der stets drohenden Gefahr befreien ... Der Erste, den ich töten wollte, wäre Sakowitsch ... ja er wäre der Erste, denn ihn hasse ich mehr als die schamlosen Räuber, welche meinen Vater töteten, unser Vermögen raubten und mich zum Heimatlosen, zum Lohndiener in fremden Ländern machten ...«

Bei diesen Worten zitterte Ketling am ganzen Leibe; er preßte den Knauf seines Säbels und schien an etwas zu würgen. Plötzlich raffte er sich zusammen und erzählte schnell, fast in einem Atem alles, was Sakowitsch dem Fürsten geraten.

Zu seiner großen Verwunderung blieb Fräulein Alexandra sehr ruhig, angesichts des Abgrundes, welcher sich vor ihr öffnete. Sie schien aus sich herauszuwachsen, noch unnahbarer zu werden. Eine kühne Entschlossenheit blickte aus ihren finster blickenden Augen.

»Ich werde mich zu schützen wissen!« sagte sie, »so wahr der gekreuzigte Heiland mir helfe!«

»Der Fürst hat bisher gezögert, die Ratschläge seines Vertrauten zu befolgen,« setzte Ketling hinzu »doch wenn er einsehen lernt, daß der Weg, den er eingeschlagen, nicht zum Ziele führt ...«

Und nun erzählte er, was den Fürsten bewog, immer noch den Weg der scheinbaren Güte zu wandeln.

Das Fräulein hörte etwas zerstreut zu, denn ihre Gedanken beschäftigten sich schon mit einem Plane, welcher ihr dazu verhelfen sollte, sie aus ihrem glänzenden Käfige zu befreien. Die Gedanken drängten sich ihr zwar noch unklar auf, da im ganzen Reiche kaum ein sicherer Zufluchtsort zu finden war, deshalb wollte sie jetzt noch nicht davon sprechen.

»Herr Kavalier,« sagte sie endlich, »beantwortet mir, bitte, eine Frage. Zu wem hält eigentlich der Fürst Boguslaw, zu unserem Könige Johann Kasimir oder zu den Schweden?«

»Es wird uns allen kein Hehl daraus gemacht, daß unser Fürst bemüht ist, eine Teilung der Republik herbeizuführen, um Litauen für sich als souveränes Fürstentum zu beanspruchen!«

Er hielt plötzlich inne; es war, als ob er dem Gedankenfluge Olenkas folge, denn er setzte plötzlich hinzu:

»Ein sicheres Plätzchen wird sich für euch kaum finden lassen, denn die ganze Republik ist von den Schweden okkupiert.«

Olenka antwortete nicht auf diese Bemerkung.

Ketling wartete noch ein wenig, ob sie vielleicht noch eine Frage an ihn zu richten hatte, da sie aber in Gedanken versunken schweigend verharrte, schien es ihm geraten, das Fräulein nicht länger zu stören. Er verneigte sich tief vor ihr, indem er mit den Federn seines Hutes den Boden fegte, und wollte hinausgehen, da hielt ihn Olenka zurück:

»Ich danke euch, Herr Kavalier,« sagte sie, ihm die Hand reichend.

Der Offizier zog sich rückwärtsgehend nach der Thür zurück.

Plötzlich errötete Olenka leicht, zauderte noch einen Augenblick, dann frug sie schnell:

»Kanntet ihr den Herrn ... den Herrn Andreas Kmiziz? ...«

»Ob ich ihn kannte! ... Er war in Kiejdan ... Als wir aus Podlachien hierher zogen, sah ich ihn zum letztenmal in Pilwischki.«

»Ist es wahr? ... Hat der Fürst die Wahrheit gesprochen, als er sagte, daß Herr Kmiziz sich erboten hat, ihm den König auszuliefern?«

»Das weiß ich nicht, Herrin ... Ich weiß nur, daß der Fürst in Pilwischki eine lange Unterredung mit ihm hatte, und daß beide zusammen in den Wald ritten, von wo sie so lange nicht zurückkehrten, daß Paterson dadurch beunruhigt, mich mit einer Abteilung Reiter ausschickte, den Fürsten zu suchen. Wir fanden ihn schon auf dem Rückwege. Ich bemerkte, daß der Fürst sehr alteriert war, als hätte er eine gewaltige Aufregung durchgemacht. Herr Kmiziz war nicht mehr bei ihm. Er führte damals Selbstgespräche, was sonst nie seine Gewohnheit ist. Ich hörte, wie er einmal laut sagte: ›Er muß den Teufel im Leibe haben!‹ ... Weiter weiß ich nichts ... Später aber, als der Fürst erzählte, daß Herr Kmiziz sich erboten, ihm den König auszuliefern, da dachte ich nur: wenn das wahr ist und der Fürst nicht lügt, so kann es nur an jenem Tage geschehen sein.«

Das Fräulein Billewitsch preßte die Lippen aufeinander.

»Ich danke!« sagte sie kurz.

Im nächsten Augenblick war sie allein.

Von da ab beschäftigte der Gedanke an Flucht sie unablässig. Sie beschloß, auf jeden Fall diesen schändlichen Ort zu verlassen und der Gewalt dieses verräterischen Mannes zu entfliehen.

Wohin aber sollte sie sich wenden? Die Städte und Dörfer befanden sich in den Händen der Schweden, die Klöster waren zerstört, die Schlösser und Burgen der Erde gleichgemacht, das ganze Land wimmelte von Soldaten und was noch schlimmer, von Ueberläufern und Gesindel jeder Art. Welches Los konnte ihrer warten, wenn sie sich hinauswagte? Wer sollte sie begleiten, schützen? Die Muhme Kulwiez, der alte Ohm und ein Paar Diener und Dienerinnen, das waren alle; doch die waren nicht imstande, Tod und Verderben von ihr und sich abzuwenden ... Vielleicht entschloß sich Ketling, vielleicht auch noch einige andere Soldaten, ihm zu liebe sie zu begleiten. Aber Ketling liebte sie zu sehr; er machte gar kein Hehl aus dieser Liebe, er trug sie zu offen zur Schau, als daß sie hätte wagen dürfen, eine Schuld der Dankbarkeit auf sich zu laden, für die kein Preis zu hoch gewesen wäre.

Wie hätte sie endlich das Schicksal dieses Jünglings mit dem ihrigen verknüpfen sollen, wie durfte sie nur daran denken, ihn, der kaum den Knabenschuhen entwachsen war, allen Gefahren einer Flucht auszusetzen, da sie ihm für eine solche Aufopferung doch nichts zu bieten hatte, als Freundschaft. Was sollte sie thun? Ueberall, wohin sie die Augen auch wenden mochte, sah sie nichts wie Gefahr und Schande.

In ihrer Seelenpein nahm sie ihre Zuflucht zu heißem, innigem Gebet; besonders wiederholte sie oft ein kleines Gebet, welches seiner Zeit der alte Hauptmann, ihr Großvater, in Gefahr und Not zu beten pflegte und welches mit den Worten begann:

»Als Herodes in Aegyptens Lande
Zornig wütet', zu der Menschheit Schande,
Hat der Herr, dich und das Kindlein zu bewahren,
Sicher euch geführt durch Trübsal und Gefahren.«

Während Olenka im Gebet versunken noch auf den Knieen lag, hatte sich draußen ein heftiger Wirbelwind erhoben.

Das Rauschen in den Baumkronen rüttelte sie aus ihrer Versunkenheit auf. In ihrer Erinnerung tauchte plötzlich die Waldeinsamkeit, das Heideland auf, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens zugebracht, und mit einemmale ward ihr klar, daß dies der einzige Zufluchtsort sei, der ihr sicheren Schutz bieten konnte.

Sie atmete erleichtert auf. Endlich hatte sie gefunden, was sie grübelnd gesucht. Das war der rechte Ort. In die Sielonka, in die Rogowoer Heide wollte sie fliehen. Dorthin kam kein Feind, kein räuberischer Schelm suchte dort Beute, denn dort konnten selbst die Köhler und Hirten tagelang in der Irre umherlaufen, wenn sie die Wegezeichen nicht beachteten. Ein Fremder, der die Wege nicht kannte, war rettungslos verloren. Dort würde sie bei den Jägern, den Domaschewitsch und den Kohlenbrennern, den Stajkanows den besten Schutz finden. Und sollte keiner von ihnen daheim geblieben, sollten sie alle mit Herrn Wolodyjowski fortgezogen sein, so konnte sie doch ungehindert durch die Heide weiterziehen, weit fort in ferne Wojewodschaften, um Ruhe und Frieden zu finden.

Auch der Gedanke an Wolodyjowski stimmte sie heiter. Ihn hätte sie jetzt brauchen können; er wäre der rechte Beschützer für sie in dieser trüben Zeit. Er war ein echter Soldat, der es mit Kmiziz und Radziwill wohl ausnehmen konnte. Nun fiel ihr auch ein, daß er es war, der ihr in jener Zeit, wo er Kmiziz in Billewitsche gefangen genommen hatte, den Rat gegeben, in der Heide von Bialowiersch Schutz zu suchen.

Und er hatte Recht! Die Sielonka- und Rogowo-Heide lagen den Besitzungen Radziwills noch zu nahe. In der Gegend von Bialowiersch aber stand das Kriegsheer Sapiehas, welches soeben erst den schrecklichsten der Radziwills vom Erdboden vertilgt hatte.

Also auf nach Bialowiersch! Je eher, je lieber! Heute, morgen! Sobald der Schwertträger von Reußen zurückgekehrt sein würde, wollte sie die heimliche Abreise nicht länger aufschieben!

Die dunklen Wälder von Bialowiersch würden ihr Schutz bieten, bis der Kriegssturm vorübergerauscht war, dann ins Kloster! Dort allein ist Friede, wahres Glück, Vergessen und Heilung für alle Wunden, die Liebe, Haß und Verachtung geschlagen ...


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