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14. Kapitel

Sakowitsch war so vollständig geschlagen, daß es ihm selbst kaum gelungen war, zu entkommen und sich in die Wälder bei Poniewiersch zu flüchten. Er schlug sich in der Verkleidung eines Bauern monatelang herum und wagte sich nicht daraus hervor.

Babinitsch richtete seinen Weg nach Poniewiersch, mordete dort die schwedische Besatzung und begab sich dann auf die Verfolgung Hamiltons, welcher die Flucht nach dem Osten ergriffen hatte, da er wegen der bedeutenden polnischen Streitkräfte die bei Schawle und Birz standen, nicht nach Liefland entkommen konnte, indem er hoffte, sich bis Wilkoiniersch durchzuschlagen. Er hatte die Hoffnung, sein Regiment zu retten, bereits aufgegeben, nur wollte er verhüten, daß dasselbe in die Hände Babinitschs geriet, da dieser mit unerbittlicher Grausamkeit alle Gefangenen töten ließ, um sich seine Freiheit der Bewegungen nicht durch das Mitschleppen derselben einengen zu lassen.

Der unglückselige Engländer floh also, wie ein von Wölfen verfolgter Hirsch, und Babinitsch verfolgte ihn um so hartnäckiger. Daher kam es, daß er nicht nach Wolmontowitsch zurückgekehrt war und gar nicht einmal wußte, welcher Partei er Rettung gebracht hatte.

Der erste Reif bedeckte setzt morgens schon die Erde, daher wurde das Entkommen schwerer, weil sich die Fußspuren daraus im Waldboden abdrückten. Futter gab es nicht mehr in den Feldern, die Pferde litten großen Hunger.

Die Reiter wagten nicht, sich längere Zeit in einem Dorfe aufzuhalten, aus Angst, daß der hartnäckige Verfolger sie einholen könnte.

Zuletzt überstieg das Elend alle Begriffe! die Reiter nährten sich nur noch mit Rinde, Blättern und dem Fleisch der eigenen Pferde, welche vor Ermattung stürzten.

Noch eine Woche! Da flehten sie selbst ihren Hauptmann an, doch dem Verfolger die Stirn zu bieten. Sie wollten lieber unter den Schwertstreichen des gefürchteten Babinitsch enden, als sich langsam zu Tode hungern.

Hamilton gab diesen Bitten Gehör und stellte sich bei Andronischki den Polen entgegen. Die Zahl der Schweden war so gering im Vergleich zu der Heeresmacht Babinitschs, daß er von vornherein die Möglichkeit eines Sieges ausschloß. Aber er war selbst so lebensmüde, daß er zu sterben begehrte.

Die Schlacht, welche bei Andronischki begonnen hatte, fand ihr Ende bei Trupiow, wo die letzten Schweden fielen.

Hamilton starb den Heldentod, als er sich an einem Kreuzwege gegen etliche Tartaren verteidigte, welche ihn zuerst gefangen nehmen wollten, dann aber, durch seinen Widerstand gereizt, ihn töteten.

Aber auch die Truppen Babinitschs waren so ermüdet, daß sie nicht mehr Lust hatten, nach dem nahen Trupiow ins Nachtquartier zu gehen, sondern nach beendeter Schlacht zwischen den Leichen der Feinde niedersanken, wo sie gingen und standen, um zu schlafen.

Nach einer kleinen Stärkung verfielen sie in einen bleiernen Schlaf. Selbst die Tartaren versagten sich das Absuchen der Toten bis zum nächsten Morgen.

Kmiziz, dem es auch um die Pferde zu thun war, wehrte ihnen diese Ruhe nicht.

Am Morgen aber erhob er sich frühzeitig, um die eigenen Verluste nach dem heißen Treffen zu überzählen und die Beute gleichmäßig zu verteilen. Gleich nach dem Morgenimbiß stand er an demselben Kreuzwege, an welchem Hamilton gefallen war. Seine Offiziere und die Aeltesten der Tartaren kamen einer nach dem anderen, um die an Stäben eingezeichneten Zahlen ihrer Toten und Vermißten anzugeben und Bericht zu erstatten. Er hörte ihnen zu, so wie der Landwirt im Sommer dem Bericht seiner Vögte lauscht, voll Freude über den Sieg, wie jener voll Freude über die reiche Ernte.

Da trat Akbah-Ulan herzu. Er glich mehr einem Ungetüm, denn einem Menschen, denn in der Schlacht bei Wolmontowitsch hatte ihm ein Schwede mit dem Säbelgriff die Nase eingeschlagen. Er verneigte sich, reichte dem Herrn Babinitsch einige blutbefleckte Papiere und sagte:

»Effendi, man hat diese Papiere bei dem schwedischen Führer gefunden, welche ich laut Befehl abliefere.«

Kmiziz hatte nämlich Befehl erteilt, alle bei den Leichen vorgefundenen Papiere sogleich nach der Schlacht abzuliefern, denn es kam vor, daß er aus denselben den Schlacht- oder Marschplan der Feinde ersah und demgemäß handeln konnte.

In diesem Augenblick hatte er es aber nicht eilig, die Papiere durchzusehen; er winkte dem Akbah ab und steckte die Papiere in die Tasche. Den Akbah sandte er zu seinem Tschambul und befahl ihm, sofort mit demselben nach Trupiow zu gehen, wo sie längere Zeit der Ruhe pflegen sollten.

So zogen bald daraus zwei Fahnen, eine nach der anderen, an ihm vorüber. Vornweg marschierte der Tartaren-Tschambul, welcher gegenwärtig nicht ganz fünfhundert Köpfe zählte; der Rest hatte sich während der vielen Schlachten allmählich verkrümelt. Aber jeder Tartar hatte im Sattelfutter, im Oberrock und in der Mütze so viele schwedische Reichsthaler, preußische Thaler und Dukaten eingenäht, daß man ihn hätte auf die Silberwage nehmen können. Dieser Tschambul glich nicht den gewöhnlichen Tartarentschambuls. Alle Schwächlinge waren den Mühsalen des Krieges erlegen; es waren nur die Starken übrig geblieben, Männer mit breiten Schultern und eiserner Ausdauer, bissig, wie die Wespen. Durch die fortwährende Uebung waren sie vortrefflich geschult, so daß sie im Handgemenge den polnischen Stammreitern gleichkamen und über die schwedischen Reiter und die preußischen Dragoner wie die Wölfe herfielen. Während der Schlacht verteidigten sie mit wütendem Eifer die Körper ihrer Kameraden, um die Schätze derselben zu teilen.

Gegenwärtig zogen sie mit ihren Pfeifen, Zimbeln und den wehenden Roßschweifen so stramm vor Kmiziz vorüber, daß selbst die Stammsoldaten es nicht besser gemacht hätten. Ihnen nach kamen die Dragoner, die Herr Andreas mit vieler Mühe aus allerhand Freiwilligen zusammengestellt und mit Rapieren und Musketen bewaffnet hatte. Sie wurden von dem alten Wachtmeister Soroka angeführt, welcher sich zur Würde eines Kapitäns emporgeschwungen hatte. Die Schwadron war gleichmäßig mit eroberten Uniformen bekleidet, die man den gefallenen Preußen ausgezogen hatte; sie bestand in der Mehrzahl aus Leuten niederen Standes. Aber gerade diese Gattung Menschen waren dem Herrn Kmiziz lieb, denn sie gehorchten blindlings und ertrugen die größten Anstrengungen ohne Murren.

In den beiden folgenden Fahnen dienten höhere und geringere adlige Volontarier. Diese waren unruhige und aufwieglerische Geister, die unter jedem anderen Führer ein Haufen Räuber geworden wären, in den Händen Kmiziz's aber sich zu regulären Soldaten herangebildet hatten, die sich selbst mit Vorliebe die »Petyhors« nannten. Sie hielten zwar weniger im Feuer aus, wie die Dragoner, dafür waren sie im ersten Anlauf feuriger und überragten im Handgemenge die anderen Truppen, da jeder von ihnen ein Fechtmeister war.

Hinter diesen endlich kamen noch gegen tausend Volontarier, gute Menschen, welche jedoch noch einer mühevollen Ausbildung bedurften, um geschickte Soldaten zu werden.

Jede dieser Fahnen erhob, wenn sie an der Kreuzwegfigur vorüberkam, ein Jubelgeschrei und salutierten vor dem Herrn Kmiziz. Er freute sich sehr darüber. War das hier doch keine zu verachtende Heeresmacht. Er hatte schon viel mit ihr ausgerichtet, manchen Tropfen Feindesblut vergossen, und wer weiß, was ihm noch bevorstand mit diesen Treuen zu vollbringen.

Seine alten Schulden waren groß, aber auch seine neuen Verdienste waren keine geringen. Er hatte sich von seinem Falle erhoben, er war gegangen zu büßen, aber nicht in die Sakristei, sondern auf das Schlachtfeld; er hatte sein Haupt nicht mit Asche bestreut, sondern die Hände in Feindesblut getaucht. Er hatte gekämpft für die heilige Jungfrau, für das Vaterland und den König, und nun fühlte er seine Seele leicht und fröhlich; ja sogar ein wenig Stolz schwellte seine Heldenbrust, denn nicht jeder hatte das geleistet und vollbracht, was er vollbracht hatte!

Es gab doch so viele feurige Adlige in dieser Republik. Warum hatte keiner sich eine eigene Partei gegründet, warum stand keiner an der Spitze einer so ansehnlichen Heeresmacht wie diese hier, selbst Skrzetuski und Wolodyjowski nicht? Hatte einer von ihnen Tschenstochau verteidigt oder dem Könige das Leben gerettet? Wer hatte den Fürsten Boguslaw besiegt? Welcher von ihnen war bis nach Preußen vorgedrungen? Und hatte er nicht auch hier die Smudz von den Feinden gesäubert?

Herr Andreas fühlte sich wohlig wie ein Falke, welcher höher und höher in die Luft steigt! Die vorüberziehenden Fahnen grüßten ihn mit lauten Zurufen, während er den Kopf emporrichtete und sich selbst frug: »Wohin noch?«

Sein Gesicht strahlte, denn in diesem Augenblick fühlte er sich als Hetman. Der Feldherrnstab war errungen mit blutenden Wunden, auf dem Felde der Ehre. Das Bild des Vaterlandsverräters schwand aus dem Gedächtnis der Menschen wohl bald. Nicht mit verräterischer Hand wird er, wie seinerzeit ein Radziwill, ihn schwingen, denn das dankbare Vaterland wird ihm den Stab in die Hand legen, durch den Willen des Königs. Es war nicht seine Sorge mehr, wann das geschehen sollte; seine Pflicht war, weiter zu kämpfen, wie er bisher gekämpft, heute und morgen, in Zukunft, wie gestern.

Hier kehrte die entfesselte Einbildungskraft zurück zur Wirklichkeit. Wohin sollte er von Trupiow aus sich wenden, wo von neuem die Schweden aufsuchen? Diese Frage begann ihn zu beschäftigen.

Da erinnerte er sich der Papiere, welche Akbah-Ulan ihm gebracht hatte und welche in der Brusttasche Hamiltons gefunden sein sollten. Er langte sie also hervor, doch schon nach dem ersten Blick, den er darauf warf, malte sich höchstes Staunen auf seinem Gesicht.

Von weiblicher Hand geschrieben, stand auf dem obersten Briefe deutlich zu lesen: »An Sr. Hochwohlgeboren Babinitsch, Hauptmann der Tartaren und Volontarier.«

»An mich? ...« sagte Andreas.

Das Siegel war bereits erbrochen; er öffnete schnell das Schreiben, schlug mit dem Rücken der Hand darauf und begann zu lesen.

Er war noch nicht zu Ende damit, aber die Hände zitterten ihm und sein Gesicht nahm einen ganz veränderten Ausdruck an, während er ausrief:

»Gelobt sei der Name des Herrn! Barmherziger Gott! jetzt kommt mir der Lohn aus deiner Hand.«

Er umfaßte den Kreuzstock, an welchem er stand, und schlug den hellblonden Kopf an denselben. In anderer Weise vermochte er jetzt Gott nicht zu danken, er konnte kein Wort hervorbringen, denn die Freude war übermächtig in ihm, sie führte seine Seele in den Himmel.

Der Brief, welchen er gelesen, war derjenige, welchen Anusia Borschobohata geschrieben hatte. Die Schweden hatten ihn bei Jurek Billewitsch gefunden, jetzt erst war er über eine zweite Leiche hinweg in Kmiziz's Hände gelangt. Tausenderlei Gedanken kreuzten sich mit Blitzesschnelle in seinem Kopf.

Olenka war also nicht in der Heide, sondern bei der Partei des Herrn Billewitsch? Und sie war es, die er gerettet, samt dem Wolmontowitsch, welches er seiner Zeit in Brand gesteckt hatte? Die Hand Gottes hatte sichtbarlich seine Schritte gelenkt, damit er mit einem Schlage das Unrecht gut mache, welches er an Olenka und der Lauda verübt. Seine Schuld war nun getilgt. Würde sie oder würden die Laudaer Grauröcke ihm auch jetzt noch nicht verzeihen können? Würden sie ihm noch immer ihren Segen verweigern? Ach, was würde das geliebte Mädchen sagen, wenn sie erfuhr, daß er, den sie für einen Verräter gehalten, der Babinitsch war, welcher den Radziwill besiegt, daß Babinitsch, welcher sich im Feindesblut gewälzt und die Eindringlinge und Unterdrücker zum Lande hinausgetrieben hatte, nicht Babinitsch, sondern er, Kmiziz war, aber nicht mehr Kmiziz, der Totschläger, der Verbannte, der Verräter, sondern Kmiziz, der Beschützer des Glaubens, des Königs und des Vaterlandes!

Er hätte ja sogleich nach Ueberschreitung der Grenze von Smudz nach allen Seiten hin bekannt machen können, daß er dieser berühmte Babinitsch war. Wenn er es nicht gethan hatte, so war es mir darum, weil er fürchtete, daß bei Nennung seines wahren Namens sich alle von ihm wenden, alle ihm mißtrauen, ihm ihre Hilfe und ihr Vertrauen entziehen würden. Waren doch kaum zwei Jahre verflossen, seit er zusammen mit Radziwill die Fahnen vernichtet hatte, welche sich dem Verrat gegen König und Vaterland widersetzen gewollt. Noch vor zwei Jahren war er die rechte Hand Radziwills gewesen.

Das alles war nun vorüber. So mit Ruhm bedeckt, durfte er wohl vor sie hintreten und sagen: »Hier bin ich, Kmiziz, dein Erretter!« Er hatte jetzt das Recht, dem ganzen Lande zuzurufen: »Ich bin Kmiziz, euer Erlöser!«

Darauf dachte er: »Der Weg nach Wolmontowitsch ist nicht weit. Ich, Babinitsch, habe eine Woche gebraucht, um den Hamilton einzuholen, aber ich, Kmiziz, werde keine Woche brauchen, um zu Olenka zu gelangen und mich ihr zu Füßen zu werfen.«

Er erhob sich, bleich vor Aufregung, mit leuchtenden Augen.

»Mein Pferd! Sofort!« rief er dem Pferdejungen zu. »Schnell!«

Der Junge führte den Rappen vor, sprang selbst vom Pferde, um seinem Herrn den Steigbügel zu halten, als er aber auf dem Boden stand, zögerte er noch und sprach:

»Ew. Liebden! Von Trupiow her kommen mit dem Herrn Soroka zwei fremde Reiter im Galopp an.«

»Was kümmern mich die!« antwortete Kmiziz.

Während Kmiziz auf das Pferd stieg, hatten sich die Reiter bis auf wenige Schritte genähert. Einer der beiden Fremden sprengte in Begleitung Sorokas vor, bis dicht zu ihm hin. Er nahm die Luchspelzmütze von seinen, mit feuerrotem Haar bedeckten Kopfe, worauf er sich tief verneigte.

»Ich glaube, daß ich Herrn Babinitsch vor mir sehe!« sagte er. »Ich bin froh, daß ich euch endlich gefunden habe.«

»Mit wem habe ich die Ehre?« frug Kmiziz ungeduldig.

»Ich bin Wierschull, ehemals Rittmeister der Tartarenfahne des Fürsten Jaromir Wisniowiezki, und komme nun in meine Heimat, um Aushebungen für den neuen Krieg zu machen. Außerdem bringe ich einen Brief für euch vom Großhetman, von Herrn Sapieha.

»Für den neuen Krieg?« frug Kmiziz stirnrunzelnd. »Was sagt ihr?«

»Dieser Brief wird euch bessere Auskunft geben, als ich es konnte,« sagte Wierschull, indem er den Brief überreichte.

Kmiziz erbrach mit fieberhafter Eile das Siegel. Der Brief Sapiehas lautete wie folgt:

»Mein sehr werter Herr Babinitsch! Eine neue Sturmflut bricht über das Vaterland herein. Zwischen Rakotschy und den Schweden ist eine Liga geschlossen worden, laut welcher die Teilung der Republik stattfinden soll. Achtzigtausend Ungarn, Siebenbürger und Wallachen wollen die Südgrenzen der Republik überschreiten; man kann sie jeden Augenblick erwarten. Da in dieser uns aufs neue drohenden Gefahr nötig wird, daß wir alle unsere Streitkräfte sammeln, damit, wenn von unserer Nation nichts mehr übrig bleiben sollte, wenigstens der Ruhm der Tapferkeit an unseren Namen haften bleibt und dieser kommenden Geschlechtern vererbt werde, so sende ich Ew. Erlaucht diese Ordonnanz, laut welcher Ihr sofort Eure Schritte dem Süden zulenken und in Eilmärschen zu uns stoßen sollt. Ihr werdet uns in Berestetsch finden, doch werdet Ihr von hier aus unverzüglich weiter gesandt werden. Unterdessen denkt daran: periculum in mora! Der Fürst Boguslaw hat sich aus der Gefangenschaft ausgelöst, aber Herr Goschewski soll auf Preußen und die Smudz ein wachsames Auge haben. Indem ich Euch nochmals größte Eile empfehle, hoffe ich, daß die Liebe zum Vaterlande, welchem Untergang droht, der beste Sporn für Euch sein wird.«

Als Kmiziz zu Ende gelesen, ließ er den Brief zur Erde fallen. Er fuhr sich erst mit beiden Händen über das feucht gewordene Gesicht, dann blickte er wie geistesabwesend den Sendboten an und sagte leise mit gepreßter Stimme:

»Warum soll denn Herr Goschewski in der Smudz bleiben und ich nach dem Süden marschieren?«

Wierschull zuckte die Achseln.

»Das müßt ihr den Herrn Großhetman fragen; ich weiß es nicht.«

Plötzlich erfaßte eine gräßliche Wut den Herrn Andreas. In seinen Augen blitzte es zornig auf, sein Gesicht wurde blaurot, während er mit durchdringender Stimme schrie:

»Und ich werde nicht von hier fortgehen! Versteht ihr mich?«

»So?« entgegnete Wierschull. »Es war meine Pflicht, euch die Botschaft zu überbringen, das andere ist eure Sache! Lebt wohl! Lebt wohl! Ich hatte die Absicht, auf ein paar Stunden eure Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, nach dem aber, was ich soeben gehört, ziehe ich vor, andere Gesellschaft zu suchen.«

Nachdem er das gesagt hatte, wandte er sein Pferd und ritt davon.

Herr Andreas setzte sich wieder an dem Kreuzbilde des Kreuzweges nieder und blickte sich verständnislos nach allen Himmelsrichtungen um, wie einer, der das Wetter erkunden will. Der Stalljunge zog sich mit den Pferden seitwärts zurück; es herrschte ringsum tiefste Stille.

Der Morgen war heiter, die Sonne schien blaß, halb herbstlich, halb winterlich. Es wehte kein Lüftchen und von den Birken, welche neben dem Kreuzbilde standen, fielen die letzten welken, von der Kälte zusammengeschrumpften Blätter lautlos hernieder. Unzählige Krähen und Raben schwebten über dem Walde. Sie erfüllten mit ihrem Gekrächze die Luft; einzelne derselben fielen mit lautem Flügelschlag neben dem Kreuzbild nieder, denn auf dem Felde und Wege lagen noch eine Menge unbeerdigter Leichname. Herr Andreas sah mit blinzelnden Wimpern und leerem Blick dem Treiben der Vögel zu; man hätte denken können, er wolle sie zählen. Dann schloß er die Lider und blieb lange regungslos sitzen. Endlich schüttelte er sich wie im Fieber und runzelte die Stirn; die Besinnung kehrte ihm wieder, seine Gesichtszüge belebten sich, er begann vor sich hin zu sprechen:

»So soll es sein! In zwei Wochen will ich fort, jetzt nicht. Mag geschehen, was da will. Ich bin doch nicht schuld, daß Rakotschy die Grenze überschreiten will. Nein, ich kann nicht! Was zu viel ist, ist zu viel! ... Habe ich mich denn nicht schon genug herumgeschlagen, die Nächte schlaflos im Sattel verbracht, mein und fremdes Blut vergossen? Sollte das nun mein Lohn sein? ... Ja, wenn ich jenen Brief nicht gelesen hätte, dann ginge ich unverzüglich: aber, daß beide Briefe zur gleichen Stunde gekommen sind, das macht mir so großen Kummer, das betrübt mich tief ... Und wenn die Welt zu Grunde geht; ich gehe nicht fort. Das Vaterland wird innerhalb zweier Wochen nicht zu Grunde gehen und übrigens, der Zorn Gottes ruht ersichtlich auf dem Vaterlande, und gegen ihn kommt Menschenmacht nicht auf. Gott, o Gott! Hyperboräer, Schweden, Preußen, Ungarn, Siebenbürger, Wallachen, Kosaken, alle, zu derselben Zeit! Wer vermochte diese Flut einzudämmen? O Herr! Was hat das arme Land verbrochen, daß du es so deine Hand fühlen lassest? Was dieser fromme König verschuldet, daß du dein Antlitz von ihm wendest, unbarmherzig immer neue Plagen sendest? Soll es noch nicht genug des Blutvergießens, der Thränen sein? Haben die Menschen doch schon verlernt zu lachen! Die Luft weht schwül und schwer ... Der Wind in diesem Lande bläst nicht, er wimmert; der Nebel fällt nicht, er weint herunter vom Himmel und du hörst nicht auf, zu schlagen! Barmherzigkeit, Herr! Rettung, Vater! ... Es ist wahr, wir haben gesündigt ... aber wir sind doch auf dem Wege der Besserung! ... Haben wir denn nicht unsere Glücksgüter geopfert und das Schlachtroß besteigend ohne Unterlaß die Feinde geschlagen? Wir haben jeder Freude entsagt, alle Privatinteressen aufgegeben ... Warum lässest du nicht ab mit Strafen? Warum sendest du uns keinen Tröster?«

Hier packte ihn das Gewissen. Er schrie auf. Wieder schüttelte es ihn wie Fieberfrost; denn ihm war plötzlich, als höre er eine unbekannte Stimme von oben herab sprechen:

»Wie? Ihr habt alle Privatinteressen aufgegeben? Und du Unglückseliger, was bist du im Begriff zu thun? Du erhebst deine Verdienste so hoch und willst schon bei der ersten Probe, die du bestehen sollst, der Versuchung unterliegen, willst wie ein störrisches Pferd dich auf die Hinterbeine setzen und schreien: Ich will nicht fort!? Die Mutter Erde blutet von den Wunden der Schwerter, mit denen sie durchbohrt wird, und du wendest dich ab von ihr, willst sie nicht mit starkem Arme schützen, sondern dem eigenen Glücke nachjagen? Du rufst: Ich will nicht helfen, während das Vaterland die bluttriefenden Arme ausstreckend, im Sinken begriffen, fleht: Kinder rettet mich! Wehe euch! Wehe solcher Nation! Wehe der Republik!«

Kmiziz stiegen die Haare zu Berge, eine gräßliche Angst hatte ihn befallen; er zitterte am ganzen Leibe ... Er fiel mit dem Gesicht aus den Erdboden und schrie im höchsten Entsetzen:

»Jesus strafe nicht! Jesus erbarme dich! Dein Wille geschehe! Ich will fort, ich will gehen!«

Dann verharrte er eine Weile schweigend, nur sein Schluchzen war zu hören. Als er sich endlich erhob, lagen Ruhe und stille Resignation über seine Züge gebreitet. Er fuhr fort zu beten:

»Wundere dich nicht, o Herr, über meinen Schmerz, denn ich stand am Vorabende meiner Glückseligkeit. Geschehe denn, wie du befiehlst! Ich begreife nun, daß du mich prüfen wolltest und mich deshalb an diesen Kreuzweg stelltest. Noch einmal, dein Wille geschehe. Ich will nicht rückwärts blicken! Dir, Herr Gott, opfere ich meinen Schmerz, meinen schweren Gram, dafür und als Buße, daß ich den Fürsten Boguslaw zum Schaden des Vaterlandes geschont habe. Du siehst jetzt, Herr, daß diese That meine letzte selbstsüchtige war ... Nie mehr will ich es thun, Vater der Barmherzigkeit! Noch einmal will ich diese heilige Erde küssen, noch einmal dieses Kreuzbild umklammern, dann ... ich gehe, Christi! ich gehe! ...«

Und er ging.

Im himmlischen Register, wo alle bösen wie guten Thaten der Menschen eingetragen stehen, wurde in diesem Augenblick jede Schuld Kmiziz' ausgelöscht, denn er war ein vollständig gebesserter Mensch.


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