Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5. Kapitel

An diesem Tage gingen die Schweden hungrig schlafen, ohne zu wissen, womit sie am nächsten Tage den Hunger stillen sollten. Das nagende Gefühl im Magen ließ sie nicht schlafen. Noch ehe der Hahn zum zweitenmal gekräht hatte, hatten die meisten schon das Lager verlassen, um einzeln oder in Haufen auf den umliegenden Dörfern nach Lebensmitteln zu suchen. Nächtlichen Strauchdieben gleich konnte man sie die Ortschaften Radzymno, Kantschudz und Tytschin beschleichen sehen, wo sie hoffen konnten, noch etwas zu finden. Es tröstete sie, zu wissen, daß Tscharniezki das jenseitige Ufer der San besetzt hielt, doch selbst wenn er oder seine Hauptleute hier herüberkämen, hätte sie das nicht zurückgeschreckt, denn sie fürchteten den Hunger mehr, als den Tod. Die Disziplin im Lager mußte schon sehr gelockert sein, da über anderthalbtausend Mann, entgegen dem strengsten Verbot, heimlich das Lager verlassen hatten.

Sie begannen ihren Raubzug damit, daß sie die Häuser in Brand setzten und beim Lichte der Flammen alles ausraubten, was ihnen unter die Hände kam und alle totschlugen, die nicht freiwillig ihr Eigentum hergaben. Das war ihr Verderben, denn auch auf dieser Seite des Flusses schwärmte verschiedenes Bauerngesindel haufenweise herum und ganze »Parteien« Adliger hielten sich in den Wäldern verborgen. Eine der stärksten derselben, dem Herrn Strschalkowski gehörende, bestand aus dem kriegerischen Kleinadel des Berglandes; diese nun war zum Unglück für die Schweden heute Nacht bis Pruchnick vorgerückt.

Als Herr Strschalkowski den Feuerschein sah und die Schüsse hörte, ritt er mit seinen Leuten dem Lärm nach und überfiel plötzlich die mit Rauben Beschäftigten. Sie wehrten sich tapfer, aber Herr Strschalkowski versprengte sie und ließ keinen am Leben In den anderen Ortschaften geschah das Gleiche. Die Verfolgenden jagten den Fliehenden bis dicht an das Lager nach und versetzten das ganze Lager in Schrecken damit, daß sie in tartarischer, wallachischer, ungarischer und polnischer Sprache ein fürchterliches Gelärme anstimmten und auf diese Weise die Schweden glauben machten, es rücke ein großes Heer gegen sie an.

Es entstand im Lager eine große Verwirrung und – was bisher noch nie dagewesen, die Soldaten wurden von einer entsetzlichen Panik ergriffen, welche zu unterdrücken den Offizieren nur mit großer Mühe gelang. Dem Könige, welcher den größten Teil der Nacht zu Pferde verbracht hatte, konnte das nicht verborgen bleiben; er war zu klug, um die Folgen dieser Nacht nicht voraussehen zu können. Sobald der Tag graute, berief er den Kriegsrat.

Die sehr ernste Sitzung währte nur kurz. Es blieb kein Ausweg, als der Rückzug. Die Soldaten waren durch den Hunger und die Mühsale der Märsche entmutigt, durch die Verluste geschwächt; das feindliche Heer nahm täglich an Stärke zu.

Der schwedische Alexander, welcher sich vorgenommen hatte, den polnischen Darius bis an die äußersten Grenzen seines Reiches zu hetzen und ihn hinauszutreiben, mußte die Verfolgung nicht nur aufgeben, sondern vor allem an die eigene Rettung denken.

»Wir können dem Laufe der San folgend nach Sandomir gelangen, von da auf der Weichsel nach Warschau und Preußen,« sagte Wittemberg. »Auf diese Weise können wir dem völligen Verderben noch entgehen.«

Douglas raufte sich die Haare:

»So viel Siege, so viele Mühen umsonst!« sagte er. »Ein so großes, erobertes Land sollen wir wieder hergeben?«

Und Wittemberg erwiderte darauf:

»Habt ihr bessere Vorschläge zu machen?«

»Leider nein!« antwortete Douglas.

Der König, welcher bisher nicht gesprochen hatte, erhob sich jetzt. Das war das Zeichen, daß die Sitzung geschlossen war. Er sprach nur die wenigen Worte:

»Ich befehle den Rückzug!«

Dann sprach er den ganzen Tag kein Wort mehr.

Im schwedischen Lager schmetterten die Trompeten Signale, die Trommeln rasselten. Die Kunde, daß der Rückzug angetreten werden solle, durchlief wie ein Lauffeuer das Lager. Man begrüßte sie mit Freudenausrufen. Es befanden sich noch genug Schlösser und Festungen in den Händen der Schweden, dort würden sie Ruhe, Sättigung und Sicherheit finden.

Die Generale betrieben die Vorbereitungen zum Rückzuge mit einer Eile, die, wie Douglas ironisierte, einer schmachvollen Flucht auf ein Haar glich.

Der König entsandte Douglas zuerst mit der Vorhut. Er sollte schwierige Uebergänge beseitigen und den Wald vom Gesindel säubern. Kurze Zeit darauf folgte ihm in voller Kriegsrüstung das Heer. Zuerst kamen die Kanonen, die Reiter nahmen die Mitte ein, an den Seiten schritten die Füsiliere und die Wagenburg beschloß den Zug. Die Zelte und das Kriegsgerät schwammen auf großen Kähnen den Fluß hinab.

Alle diese Vorsichtsmaßregeln waren durchaus nicht überflüssig, denn kaum hatte der Zug sich in Bewegung gesetzt, als die Nachhut der Schweden auch schon polnische Reiter erblickte, welche seiner Spur folgten und ihn unausgesetzt im Auge behielten.

Tscharniezki sammelte seine Fahnen, alle in der Gegend befindlichen Parteigänger und Freiwillige, entsandte einen Eilboten zum Könige und folgte dem Schwedenheere.

Das erste Nachtlager in Prscheworsk brachte ihm schon den ersten Alarm. Die Polen kamen den Schweden so nahe auf den Leib gerückt, daß einige tausend Fußsoldaten und mehrere Kanonen sich ihnen entgegenstellten.

Im ersten Augenblick glaubte der König von Schweden, daß Tscharniezki mit seiner Hauptmacht endlich zum Angriff schreite, doch bald überzeugte er sich, daß wieder nur einzelne Abteilungen ausgeschickt waren, ihn zu beunruhigen. Sie hatten einen Anfall fingiert und sich gleich wieder zurückgezogen. Bis zum Morgen dauerten die Unruhen, die Schweden hatten die Nacht wieder schlaflos verbracht.

Und die folgenden Tage und Nächte sollten dieser Nacht ähnlich werden.

Tscharniezki hatte inzwischen wieder zwei Fahnen Zuzug vom Könige erhalten und einen Brief, welcher ihm meldete, daß die Feldhauptleute mit den Stammsoldaten in kurzem zu ihm stoßen würden, der König aber mit den Regimentern zu Fuß und den Tartaren unverzüglich folgen wolle, sobald die Unterhandlungen mit dem Chan, mit Rakotschy und dem Kaiser ihren Abschluß erreicht hatten.

Diese Nachricht erfreute Herrn Tscharniezki sehr und als am nächsten Morgen die Schweden weiter marschierten, dem Keile zwischen San und Weichsel zu, da sagte der Herr Kastellan zum Hauptmann Polanowski:

»Die Fische gehen in das Netz.«

»Und wir werden es machen wie jener Fischer, welcher ihnen auf der Flöte aufspielte, damit sie tanzen sollten,« sagte Sagloba. »Als sie aber nicht tanzen wollten, zog er sie aus dem Wasser und legte sie an das Ufer; da fingen sie an zu springen, während er mit dem Stocke auf sie einschlug und rief:

»O, ihr Hallunken! Warum habt ihr nicht getanzt, so lange ich spielte?«

Darauf sprach Herr Tscharniezki:

»Wir wollen sie das Tanzen schon lehren, sobald der General Lubomirski mit seinen fünftausend Mann angekommen sein wird.«

»Er muß jeden Augenblick hier sein,« warf Herr Wolodyjowski ein.

»Es sind heute ein paar adlige Herren aus den Bergen angekommen,« bemerkte Sagloba, »welche erzählen, daß Lubomirski in Eilmärschen heranmarschiert. Es frägt sich nur, ob er zu uns stoßen, oder den Kampf auf eigene Hand eröffnen will.«

»Warum sollte er das?« frug Tscharniezki, indem er den Alten forschend anblickte.

»Weil er einen außerordentlichen Hochmut besitzt und sehr ehrgeizig ist. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und war der Vertraute seiner Gedanken. Ich lernte ihn kennen, als er, noch ein Knabe am Hofe des Herrn Stanislaus Krakowski, bei den französischen und italienischen Fechtmeistern Unterricht nahm. Damals schon war er sehr beleidigt, als ich ihm sagte, daß diese allesamt nur Narreteien trieben, daß keiner von ihnen es mit mir aufnehmen könne. Wir gingen eine Wette ein, ich legte, einen nach dem andern, alle sieben auf die Erde. Da zog er vor, sich von mir, nicht nur im Fechten, sondern auch in der Kriegskunst unterweisen zu lassen. Er ist zwar, was das Begriffsvermögen betrifft, von der Natur etwas schlecht ausgestattet worden, aber, was er kann, das hat er von mir gelernt.«

»Seid ihr ein so großer Fechtmeister?« frug Polanowski.

» Exemplum! Wolodyjowski ist mein zweiter Schüler. Der macht mir wirklich Ehre.«

»Es ist wahr, ihr habt ja den Sweno erschlagen!«

»Den Sweno? Freilich, wenn das einem von euch Herren passierte, so würdet ihr euch das ganze Leben lang damit brüsten und die Nachbaren einladen, um ihnen beim Glase Wein immer wieder davon zu erzählen. Mir ist das sehr gleichgültig, denn wenn ich die von meiner Hand gefallenen Feinde aufzählen wollte, da könnte ich mit solchen Swenos den Weg bis Sandomir pflastern.«

»Meint ihr etwa nicht? Sprecht, die ihr mich kennt! Bezeugt es mir!«

»Ihr könntet es, Ohm!« bestätigte Rochus Kowalski.

Herr Tscharniezki hörte nicht mehr auf das, was Sagloba sagte. Er mußte ernstlich über die Worte des Alten, betreffend Lubomirski, nachdenken. Auch er kannte den Hochmut dieses Herrn und zweifelte nicht daran, daß Lubomirski ihm entweder seinen Oberbefehl aufzwingen, oder auf eigene Hand handeln wollen werde, selbst wenn die Interessen der Republik dadurch geschädigt würden.

Sein strenges Gesicht wurde noch ernster; er drehte an seinem Barte.

»Oho!« flüsterte Sagloba dem Herrn Johann Skrzetuski in das Ohr. »Der Tscharniezki käut schon etwas wieder, was ihm bitter schmeckt. Er sieht aus wie ein Adler, der jemandem einen Hieb mit dem Schnabel versetzen will.«

In diesem Augenblick bemerkte Tscharniezki:

»Es muß einer der Herren mit einem Briefe von mir zu Herrn Lubomirski gehen.«

»Ich will die Botschaft übernehmen, ich bin ihm bekannt,« sagte Johann Skrzetuski.

»Gut!« entgegnete der Führer. »Je bekannter der Bote mit ihm ist, desto besser ...«

Sagloba wandte sich an Wolodyjowski und flüsterte wieder:

»Er spricht schon durch die Nase. Das ist bei ihm immer ein Zeichen großer Erregung.«

Thatsächlich war die Ursache aber die, daß Herr Tscharniezki einen silbernen Gaumen trug. Eine Kugel hatte ihm vor Jahren bei Buscha den eigenen weggerissen. So oft er nun erregt, zornig oder beunruhigt war, klang seine Stimme scharf und näselnd.

Plötzlich wandte sich Tscharniezki zu Sagloba:

»Wie wäre es, wenn ihr mit Skrzetuski ginget? Wollt ihr?«

»Gern!« antwortete Sagloba. »Wenn ich nichts ausrichte, richtet keiner etwas aus. Zudem sieht es anständiger aus, wenn bei einem Manne von so hoher Geburt zwei Personen als Botschafter erscheinen,«

Tscharniezki biß sich auf die Lippen, zauste seinen Bart und brummte vor sich hin:

»Hohe Geburt! Vornehme Herkunft! ...«

»Die kann ihm niemand streitig machen!« bemerkte Sagloba.

Tscharniezki runzelte die Stirn.

»Die Republik ist groß, das heißt von hoher Größe. Im Verhältnis zu ihr ist die Zahl der Hochgeborenen, das heißt der Großen des Reiches, klein, die Hochgeborenen selbst sind winzig klein dem Ganzen gegenüber. Wehe denen, die das vergessen.«

Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der tiefe Ernst derselben machte die Anwesenden verstummen. Nach einer Weile sagte Sagloba:

»Im Verhältnis zum ganzen Reiche wohl, das ist richtig.«

»Ich bin auch nicht von Salz und Brot zusammengesetzt,« bemerkte Tscharniezki, »eigentlich nur aus Schmerzen. Der Gaumen, den mir die Kosaken vor Jahren herausgeschossen, schmerzt mich noch heute, und jetzt schmerzt mich der Schwede, der das Vaterland zerrissen und mit Blut durchtränkt hat, und ich werde dies böse Geschwür, das mich quält, entweder mit dem Säbel herausschneiden oder daran zu Grunde gehen, so wahr mir Gott helfe!«

»Und wir wollen mit unserem Blute dazu helfen!« sagte Polanowski.

Tscharniezki brauchte noch eine Weile, ehe er die Bitternis, die ihn erfüllte, verwunden hatte. Der Gedanke, daß der Hochmut des Herrn Marschall der Rettung des Vaterlandes hinderlich sein könnte, machte ihn fast rasend. Endlich beruhigte er sich und sprach:

»Es ist Zeit, den Brief zu schreiben. Ich bitte die Herren, mit mir.«

Johann Skrzetuski und Sagloba folgten ihm. Eine halbe Stunde später saßen sie auf den Pferden und ritten den Weg zurück, der nach Radymno führte. Eingegangener Nachrichten zufolge sollte der Marschall sich dort befinden.

»Johann,« sagte Sagloba, an seinem Kolett herumtastend, in dessen Tasche der Brief steckte, welchen Herr Tscharniezki ihm gegeben. »Thu' mir den Gefallen, laß mich allein zum Marschall sprechen.«

»Habt ihr ihn wirklich vor Jahren kennen gelernt und ihn fechten gelehrt, Vater?«

»Ach, woher! Man spricht so etwas hin, damit einem der Mund nicht zufriert und die Zunge nicht steif wird, was bei zu langem Schweigen leicht passieren kann. Ich kenne ihn nicht und habe ihn auch nicht fechten gelehrt. Ich hatte Wichtigeres zu thun, als der Bärenführer eines Prinzen zu sein und ihn zu lehren, wie er die Tatzen setzen soll. Das ist ja auch Nebensache. Ich kenne ihn zur Genüge aus dem, was man sich von ihm erzählt und werde ihn zu kneten verstehen, wie der Koch die Kloße. Nur das eine bitte ich mir aus: Sage nichts davon, daß wir einen Brief von Herrn Tscharniezki mit uns führen, erwähne ja nichts davon, bis ich selbst ihm denselben gebe.«

»Wie? Ich sollte meinen Auftrag nicht ausführen? Das ist mir noch nie im Leben passiert und wird auch nicht geschehen. Das ist unmöglich! Selbst wenn Herr Tscharniezki mir verzeihen wollte. Nicht um alle Schätze der Welt.«

»Dann werde ich eigenhändig deinem Gaul die Sehnen durchschneiden, damit du nicht mitkommst. Hast du jemals gehört, daß etwas mißlungen ist, was ich ausgesonnen? Rede! Bist du selbst schlecht dabei fortgekommen, wenn Sagloba sich deiner Angelegenheiten annahm? Oder hat Michael oder deine Halschka Schaden dabei genommen, oder wir alle, als ich uns aus den Klauen Radziwills befreite? Ich sage dir, der Brief Tscharniezkis kann mehr Schaden anrichten, als sich wieder gut machen läßt, denn der Kastellan hat ihn in so großer Erregung geschrieben, daß er drei Federn dabei zerbrochen hat. Uebrigens kannst du ihn immer noch abgeben, wenn meine Redekunst nicht mehr ausreicht. Mein Wort darauf, daß ich ihn selbst abgebe, wenn es nötig ist.«

»Wenn ich ihn nur aushändigen darf,« sagte Skrzetuski, »wann, ist Nebensache.«

»Weiter verlange ich ja nichts von dir! Hajda! Vorwärts! Unser Weg ist weit!«

Sie trieben die Pferde an und ritten im schnellen Trab. Sie brauchten aber nicht so weit zu reiten, als sie gedacht. Die Vorhut der Truppen des Marschalls hatte Radymno bereits weit zurückgelassen, sie befanden sich bereits hinter Jaroslaw. Der Marschall selbst stand in Jaroslaw; er hatte das Quartier bezogen, welches der König von Schweden innegehabt. Er saß mit seinen höheren Offizieren eben bei Tafel, als Sagloba mit Skrzetuski ankamen, doch ließ er sie nach erfolgter Anmeldung sofort eintreten, da er ihre Namen kannte. Waren dieselben doch in der ganzen Republik berühmt.

Aller Augen wandten sich ihnen zu, als sie eintraten; besonders neugierig betrachtete man Skrzetuski. Der Marschall begrüßte sie höflich und frug sogleich:

»Habe ich den berühmten Ritter vor mir, welcher seinerzeit aus dem belagerten Sbarasch die Briefe an den König brachte?«

»Ich bin es!« sagte Johann Skrzetuski.

»Gott gebe nur viele solcher Helden! Ich könnte Herrn Tscharniezki nur darum beneiden, daß ihr unter seinem Kommando geht, denn sonst hat er nichts vor mir voraus, auch meine kleinen Verdienste werden der Nachwelt erhalten bleiben.«

»Und ich bin Sagloba!« stellte sich der alte Ritter vor, indem er vortrat.

Während er das sagte, ließ er den Blick über alle Anwesenden gleiten. Der Marschall, welcher gern jeden für sich einnehmen wollte, rief sogleich:

»Wer hätte nicht voll dem Manne gehört, der Burlaj, den Führer der Barbaren, getötet und in das Heer Radziwills die Flamme der Empörung getragen hat ...«

»Und der dem Herrn Sapieha eine Armee zugeführt hat, die in Wahrheit mich zu ihrem Führer auserwählt hatte,« setzte Sagloba hinzu.

»Daß ihr das thatet, da ihr doch eine so hervorragende Charge bekleiden konntet! Warum entsagtet ihr und stelltet euch unter das Kommando Tscharniezkis?«

Sagloba blinzelte mit den Augen zu Skrzetuski hinüber, dann antwortete er:

»Erlauchtester Herr Marschall! An Ew. Erlaucht hat jeder gute Patriot ein herrliches Beispiel, wie man dem Wohle des Vaterlandes seinen Stolz und alle persönlichen Wünsche zum Opfer bringt.«

Lubomirski strahlte vor Befriedigung, und Sagloba fuhr fort, indem er die Arme in die Seiten stemmte:

»Herr Tscharniezki hat uns hergeschickt. Er entbietet Ew. Erlaucht seinen und seiner Armee Gruß und läßt euch gleichzeitig sagen, daß Gott uns einen bedeutenden Sieg über Kanneberg verliehen hat.«

»Ich habe schon davon gehört,« bemerkte der Marschall kühl, da der Neid ihn packte. »Aber wir alle werden gern den Bericht noch einmal von einem Augenzeugen hören.«

Herr Sagloba leistete dieser Aufforderung mit Freuden Folge. Er erzählte lebhaft, nur mit einigen Abänderungen, denn die Abteilung Kannebergs verstärkte sich in seinem Munde auf zweitausend Mann. Er vergaß auch nicht, von Sweno und sich zu berichten und schilderte sehr drastisch, wie unter den Augen des Schwedenkönigs der Rest der Abteilung Kannebergs völlig erschlagen worden, wie die Wagen mit dreihundert Mann Bedeckung in die Hände der glücklichen Sieger gefallen, und malte das alles so geschickt aus, daß der Sieg der Polen zu einer furchtbaren Niederlage der Schweden wurde.

Man hörte ihm sehr aufmerksam zu, am aufmerksamsten der Marschall. Der Ausdruck seines Gesichtes wurde immer starrer. Eisige Kühle wehte aus seinen Worten, als er sprach:

»Ich verkenne nicht, daß Herr Tscharniezki ein großer Kriegsheld ist, doch kann er allein die Schweden nicht aufessen, er wird auch anderen etwas übrig lassen müssen.«

Darauf erwiderte Sagloba:

»Erlaucht! Herr Tscharniezki ist ja gar nicht der Sieger.«

»Wer denn?«

»Der Sieger ist Lubomirski!«

Alle Anwesenden waren starr vor Verwunderung und Staunen.

Der Marschall riß den Mund weit auf, blinzelte mit den Augen, sah sehr verwundert den Redner an, als wollte er sagen:

»Ihr seid wohl nicht bei Sinnen?«

Aber Sagloba ließ sich nicht beirren. Im Gegenteil! Er warf die Lippen stark auf – er hatte diese Geste dem Herrn Samojski abgesehen – und fuhr fort:

»Ich hörte, wie Herr Tscharniezki vor seiner ganzen Armee erklärte: ›Nicht unsere Säbel haben den Sieg errungen, sondern‹, sagte er, ›der Name Lubomirski, denn als die Schweden erfuhren,‹ sagte er, ›daß Lubomirski schon ganz nahe herangekommen, da sank ihnen der Mut so sehr, daß sie in jedem Soldaten die Armee des Marschalls witterten und wie die Schafe unter das Messer gingen.‹«

Das Gesicht des Marschalls erhellte sich, als wären warme Sonnenstrahlen darüber hingehuscht.

»Wie?« rief er. »Herr Tscharniezki selbst hat das gesagt?«

»Jawohl! Und noch manches, von dem ich nicht weiß, ob ich es wiederholen darf, da es nur vertrauliche Mitteilungen sind.«

»Sprecht nur! Jedes Wort des Herrn Tscharniezki ist wert, es hundertmal zu wiederholen, Er ist ein außergewöhnlicher Mann, das habe ich schon immer gesagt!«

Sagloba blinzelte mit den Augen und während er den Marschall betrachtete, murmelte er für sich:

»Der Fisch hängt an der Angel, gleich werden wir ihn haben.«

»Was sagt ihr?« frug der Marschall.

»Ich sage, daß die Armee so viele Hurrahs auf Ew. Erlaucht ausgebracht hat, wie sie solche nur Sr. Majestät ausbringen könnte, und in Prscheworsk, wo wir die Schweden die ganze Nacht durch klopften, schrieen die Unsrigen, wo nur irgend eine Fahne auftauchte, immer: ›Lubomirski! Lubomirski!‹ Das hatte einen besseren Erfolg, als alle ›Allah!‹ und ›Schlagt zu!‹ Hier, Herr Skrzetuski, der Soldat ohnegleichen, der noch nie gelogen hat, kann es bezeugen.«

Unwillkürlich blickte der Marschall den Ritter an. Dieser wurde blutrot und murmelte verlegen etwas in den Bart.

Die Offiziere des Marschalls ließen die Botschafter hoch leben.

»O, der Herr Tscharniezki hat sehr fein gehandelt, als er uns zwei so artige Kavaliere sandte! Die beiden berühmtesten Ritter! Und dem einen fließt Honig vom Munde!« riefen sie durcheinander.

»Ich habe immer geglaubt, daß Herr Tscharniezki mir wohlgesinnt ist,« sagte der Marschall. »Es giebt nichts, was ich für ihn nicht mit Freuden thun möchte.« Die Augen des Marschalls glänzten vor Freude.

Nun schien Sagloba ganz und gar begeistert.

»Erlauchtester Herr!« begann er wieder. »Wer würde euch nicht verehren und preisen, euch, das Vorbild aller bürgerlichen Tugenden, welcher dem Aristides an Gerechtigkeit, dem Szipio au Tapferkeit gleicht! Ich habe in meinem Leben eine Menge Bücher gelesen, viel gesehen und viel gedacht; es that mir oft in der Seele wehe, denn, was sah ich nicht alles in dieser Republik! Einen Opalinski, Radziejowski, die Radziwills, welche den eigenen Stolz, ihren Hochmut und ihren Eigennutz über alles stellten und das Vaterland ihren Lastern opferten. Oft dachte ich bei mir: die Republik ist nur an den Sünden der eigenen Söhne zu Grunde gegangen! Ich sprach mich darüber auch zu Herrn Tscharniezki aus, doch dieser tröstete mich immer, indem er sprach: ›Wahrlich! – Das Vaterland ist nicht verloren, da Lubomirski für dasselbe eintritt. Jene – sagte er – denken mir an sich, dieser sieht und sucht nur alles hervor, was er auf den Altar des Vaterlandes und der allgemeinen Wohlfahrt tragen kann: er geht mit Hintansetzung aller eigenen Interessen allen anderen als leuchtendes Beispiel voran. Auch jetzt – sagte er – zieht er mit einer großen Heeresmacht heran und schon – sagte er – hat man mir zugetragen, daß er mir das Oberkommando desselben abtreten will, nur um andere zu belehren, wie man selbst den gerechtesten Stolz dem Wohle des Vaterlandes opfern muß. Geht also hin zu ihm – sagte er – und erklärt ihm, daß ich dieses Opfer nicht annehmen kann und will, da er ein besserer Feldherr ist als ich es bin. Nicht nur zum Feldherrn, nein, sogar – Gott gebe unserem Kasimir ein langes Leben! – sogar zum Könige ihn dereinst zu wählen sind wir bereit!'«

Herr Sagloba hielt plötzlich inne. Er war selbst ein wenig erschrocken über seine eigenen Worte und fürchtete, doch zu weit gegangen zu sein. Doch er war nicht zu weit gegangen! Der Magnat wechselte wiederholt die Farbe, atmete schwer und nachdem ein kurzes Stillschweigen eingetreten war, hub er an:

»Die Republik ist und wird stets die Herrin ihres Willens bleiben, denn auf ihr ruhen die Fundamente unserer Freiheit seit undenklichen Zeiten ... Doch ich bin nur der Diener ihrer Diener und Gott ist mein Zeuge, daß ich die Augen nicht zu jenen Höhen erhebe, die für einen Bürger zu hoch zum Erklimmen sind ... Was das Oberkommando betrifft, so darf kein anderer es führen, als Herr Tscharniezki. Es drängt mich, denen, die immer und bei jeder Gelegenheit auf ihre hohe Geburt und ihren hohen Rang pochen, keine Oberhoheit anerkennen, ein Beispiel der Selbstentäußerung zu geben und zu zeigen, wie man zum Wohle des Vaterlandes selbst seine hohe Stellung aufgiebt. Obgleich ich im Grunde genommen auch kein ganz schlechter Feldherr bin, stelle ich, Lubomirski, mich unter den Oberbefehl Tscharniezkis, indem ich Gott nur von Herzen bitte, daß er uns zum Siege über den Feind verhelfen möge!«

»Ihr seid wahrhaft ein Römer! Ein Vater des Vaterlandes!« rief Sagloba, die Hand des Marschalls an seine Lippen führend.

Gleichzeitig schielte der durchtriebene Alte zu Skrzetuski hinüber und blinzelte ihm zu.

Donnernde Vivatrufe der Offiziere wurden im Gemache laut, die sich bald durch das ganze Hauptquartier fortpflanzten.

»Wein! Bringt Wein her!« rief der Marschall.

Und sobald die Becher gefällt waren, brachte er den ersten dem Wohle des Königs, den zweiten dem Herrn Tscharniezki, seinem Oberbefehlshaber, wie er ihn nannte, und den dritten den Gesandten. Sagloba blieb mit Toasten nicht hinter ihm zurück und wußte allen so zu Herzen zu reden, daß der Marschall die Gäste beim Abschied bis hinter die Schwelle begleitete, die Ritter ihnen aber bis hinter den Schlagbaum der Stadt das Geleite gaben.

Endlich waren sie allein. Sagloba lenkte sein Pferd quer vor das Pferd Skrzetuskis, so daß dieser das seinige anhalten mußte. Dann stemmte er die Arme in die Seiten und frug:

»Nun, Johann? Was meinst du jetzt?«

»Wahrhaftig!« antwortete Skrzetuski, »hätte ich nicht mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen, ich würde es nicht glauben, selbst wenn ein Engel es mir erzählte.«

»Ha! Wie? Ich möchte darauf schwören, daß Tscharniezki in seinem Briefe den Lubomirski höchstens schön gebeten hat, mit ihm Hand in Hand zu gehen, was hätte er aber damit ausgerichtet? Er hätte das herausgefordert, was er vermeiden wollte! Denn wenn der Brief Beschwörungen enthält, aus Liebe zum Vaterlande u. s. w. sich ihm unterzuordnen, – und ich bin sicher, daß er sie enthält – hätte der Herr Marschall gleich eine beleidigte Miene aufgesteckt und gesagt: ›Wie kommt er dazu, sich zu meinem praeceptor aufzuweisen und mich zu lehren, wie man das Vaterland lieben soll ...‹ Ich kenne die Herren! ... Zum Glück hat der alte Sagloba die Sache in die Hand genommen, und kaum hat er den Mund aufgethan, so will der Marschall nicht nur mit Tscharniezki gehen, sondern ihn als Oberbefehlshaber anerkennen.«

Tscharniezki grämt sich jetzt sicherlich um den Ausgang der Sache; nun ich werde ihn bald trösten ... Wie, Johann? Versteht der Sagloba die Magnaten an der rechten Stelle zu fassen oder nicht?

»Ich muß gestehen, daß ich vor Erstaunen kaum zu atmen wagte,« versetzte Skrzetuski.

»O, ich kenne sie! Man braucht nur einem von ihnen eine Krone vor die Augen zu halten oder mit dem Zipfel eines Hermelinmantels zu winken, so darf man ihn gegen den Strich streicheln, wie einen jungen Windhund; er wird den Buckel bald freiwillig krümmen und ihn dir unter die Hand drängen. Keine Katze wird dir so um die Beine schnurren wie er; und hieltest du ihr eine ganze Schnur Speckschwarten hin. Dem Ehrlichsten unter ihnen werden die Augen aus dem Kopfe treten und der Speichel im Munde zusammenlaufen vor Gier, und triffst du auf einen Schelm, wie der Wojewode von Wilna einer war, so kannst du ihn mit einem Versprechen kaufen. Wie hohlköpfig die Menschen doch sind. Herr Jesu! Wenn ich so viele tausende Thaler oder Dukaten besäße, wie du Thronkandidaten in diesem Reiche geschaffen hast, so könnte ich selbst Kandidat werden. Denn wenn irgend einer denkt, ich halte mich für geringer als sie, dann soll ihm vor Hochmut der Wanst bersten ... Sagloba ist so gut wie Lubomirski, nur das macht den Unterschied, daß jener reich ist und ich arm bin! ... Ja, ja, Johann ... Glaubst du etwa, ich hätte ihm wirklich die Hand geküßt? Bewahre! Meinen Daumen habe ich geküßt und mit der Nasenspitze seinen Handrücken gedrückt. Es hat ihn sicherlich noch niemand so an der Nase herumgeführt, wie ich heute. Ich strich ihn wie Butter auf die warme Semmel für Herrn Tscharniezki ... Gott erhalte uns unseren König noch lange; aber für den Fall einer Königswahl würde ich doch lieber mir die Stimme geben, als ihm ... Roch Kowalski würde mir seine auch geben, und Herr Michael würde die Opponenten totschlagen ... Bei Gott ... ich würde dich sogleich zum Großhetman der Krone ernennen, den Wylodyjowski zum Nachfolger Sapiehas in Litauen machen ... den Rzendzian zum Schatzmeister einsetzen; der würde die Juden mit Abgaben drücken! ... Schließlich ist das Nebensache! Die Hauptsache ist, daß ich den Lubomirski am Angelhaken habe, die Schnur desselben werde ich dem Tscharniezki in die Hand drücken. Einer muß doch die Mühle drehen, die die Schweden zermahlen soll! Dieser eine bin ich doch? Wie? Einen anderen würden die Chronikenschreiber verherrlichen; ich aber habe nicht das Glück ... Der Alte muß noch zufrieden sein, wenn Tscharniezki ihn nicht anschnauzt, daß er den Brief nicht abgegeben hat ... so dankbar sind die Menschen ... Ha! das passiert mir nicht zum ersten Mal ... Andere sitzen auf Marmorsteinen und haben Schmeerbäuche wie die Mastschweine ... ich Alter aber kann mir weiter die Eingeweide auf dem Pferde ausschütteln ...«

Hier winkte Sagloba mit der Hand.

»Ach was! ich niese auf die Dankbarkeit der Menschen! Sterben muß man so oder so, und es ist doch ein schönes Gefühl, dem Vaterlande zu dienen. Der beste Lohn für einen ehrlichen Soldaten sind treue Waffenbrüder. Sitzt man erst einmal zu Pferde, dann ist es eine Lust mit solchen Kameraden wie ihr, du und Wolodyjowski, bis an das Ende der Welt zu reiten ... So sind wir Polen nun einmal geartet. Wenn wir nur erst auf das Pferd kommen. Der Deutsche, der Franzose, der Engländer oder der schlanke Spanier springen jedem gleich ins Gesicht. Der Pole mit seiner angeborenen Geduld kann sehr viel ertragen, läßt sich selbst von den Schweden viel gefallen; erst wenn das Maß zum Ueberlaufen voll, reißt die Geduld. Dann schlägt er den Peiniger mit der Faust ins Gesicht, daß der Schwede sich dreimal überkugelt ... Denn der Mut fehlt uns nicht, und so lange der vorhält, wird auch die Republik bestehen bleiben. Schreibe dir das hinter die Ohren, Johann ...«

In dieser Weise plauderte Sagloba noch lange, denn er war zufrieden mit sich, und wenn er das war, dann wurde er ungemein redselig und die Sentenzen sprudelten von seinen Lippen.


 << zurück weiter >>