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10. Kapitel

Nach jenem Siege gönnte Tscharniezki seinem Heere die wohlverdiente Ruhe. Die Menschen durften sich ausschlafen und sattessen, die eben so müden Pferde wurden abgefüttert. Darnach sollte der Rückmarsch nach Sandomir in Eilmärschen fortgesetzt werden.

Da, eines Abends kam Charlamp mit Nachrichten von Sapieha in das Lager. Tscharniezki befand sich zu jener Zeit gerade in Tschersk, Ivo er die Mannschaften des allgemeinen Aufgebotes, welches sich bei jener Stadt zusammengezogen hatte, einer Musterung unterziehen wollte.

Da Charlamp den General nicht antraf, begab er sich sogleich zu Wolodyjowski, um nach dem langen Ritt bei ihm auszuruhen. Die Freunde begrüßten ihn freudig, doch sein Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an, während er sagte:

»Ich habe von eurem Siege schon gehört. Hier hat uns das Glück gelächelt, bei Sandomir hat es uns verlassen. Karolus sitzt nicht mehr im Sack; er hat sich herausgehauen und wir mußten ihn, nachdem das litauische Heer großen Schaden erlitten, ziehen lassen.«

»Nicht möglich!« rief Wolodyjowski, sich in die Haare fahrend.

Die beiden Skrzetuski und Sagloba blieben wie versteinert stehen.

»Wie ist das zugegangen? Erzählt, beim lebendigen Gotte! Wir brennen, zu hören, was geschehen.«

»Ich bin zu erschöpft,« antwortete Charlamp. »Tag und Nacht bin ich geritten, ich bin entsetzlich müde. Wenn Herr Tscharniezki zurückgekehrt sein wird, dann will ich in seiner Gegenwart alles erzählen. Laßt mich jetzt ein wenig ausruhen.«

»Also Karolus ist entwichen!« sagte Sagloba. »Ich habe das kommen sehen! Nicht wahr? Oder habt ihr vergessen, daß ich das prophezeite? Kowalski kann es mir bezeugen!«

»Der Ohm hat es prophezeit,« echote Rochus.

»Und wo hat sich Karolus hingewendet?« frug Wolodyjowski.

»Die Füsiliere sind auf Flößen stromabwärts geschwommen, die Reiter ritten durch die Weichselniederung gen Warschau.«

»Gab es eine Schlacht?«

»Ja und nein! Ach laßt mich ruhen; ich bin außerstande zu sprechen!«

»Nur eines sagt uns noch. Ist Sapieha vollständig geschlagen?«

»Ach, woher denn? Er jagt jetzt dem Könige nach, aber Herr Sapieha wird in seinem Leben niemanden einholen.«

»Der und etwas einholen. Der paßt zur Jagd, wie die Schnecke zum Wettrennen!« sagte Sagloba.

»Gott sei Dank, daß wenigstens das Heer heil geblieben ist!« versetzte Wolodyjowski.

»Heer! Sie haben uns genarrt, die Baltiker!« rief Sagloba. »Was hilft es! Wir müssen nun das Loch in der Republik wieder flicken helfen!«

»Sprecht nichts Böses auf das litauische Heer,« entgegnete Charlamp. »Karolus ist ein großer Krieger und es bedarf keiner besonderen Ungeschicklichkeit, das Spiel mit ihm zu verlieren. Habt ihr vom Kronenheere, bei Uschtsch, bei Wolborsch, Sulejowo und anderen Städten euch etwa nicht foppen lassen? Hat nicht Herr Tscharniezki bei Golembin auch eine Niederlage erlitten? Warum soll da nicht auch Herr Sapieha einmal eine Schlacht verlieren? Besonders da ihr ihn ganz verwaist zurückgelassen habt.«

»Sind wir etwa zum lustigen Tanze nach Warka marschiert?« sagte Sagloba entrüstet.

»Ich weiß, ihr zoget in die blutige Schlacht und habt den Sieg errungen. Aber wer kann wissen, ob es nicht besser gewesen wäre, uns nicht zu verlassen? Man sagt bei uns, daß die beiden Armeen, jede für sich, leicht vernichtet werden können, während sie vereint selbst den Teufel besiegen würden.«

»Das wäre nicht unmöglich!« sagte Wolodyjowski. »Was aber die Feldherren beratschlagt haben, dagegen können wir uns nicht auflehnen. Uebrigens seid ihr jedenfalls nicht von jeder Schuld freizusprechen.«

»Sapieha muß auf seinem Posten eingenickt sein, ich kenne ihn schon!« sagte Sagloba.

»Ich kann das nicht bestreiten!« murmelte Charlamp für sich.

Sie verstummten eine Weile, warfen sich von Zeit zu Zeit düstere Blicke zu, denn sie fürchteten, daß das Glück wiederum von der Republik zu weichen beginne. Und doch waren sie noch vor kurzem so voll froher Hoffnungen gewesen.

Da sagte Wolodyjowski:

»Der Herr Kastellan kehrt zurück!«

Mit diesen Worten eilte er zur Thür hinaus.

Tscharniezki war wirklich zurückgekehrt. Wolodyjowski, der ihm entgegenlief, rief ihn schon von weitem zu:

»Erlaucht! Der König von Schweden hat das litauische Heer bewältigt und ist entflohen. Es ist ein Bote vom Herrn Wojewoden von Wilna angekommen.«

»Bringt ihn zu mir!« befahl Tscharniezki. »Wo ist er?«

»Bei mir! Ich führe ihn gleich her.«

Aber Herr Tscharniezki war so betroffen von dieser Nachricht, daß er nicht warten wollte, bis Charlamp zu ihm kam, sondern vom Pferde sprang und in das Quartier Wolodyjowskis eilte.

Die Anwesenden sprangen von ihren Sitzen auf, als der General eintrat und grüßten, doch er nickte ihnen kaum zu, er rief gleich:

»Ich bitte um die Briefe!«

Charlamp reichte ihm ein versiegeltes Schreiben. Der General trat damit an das Fenster, denn in der Stube war es dunkel, und begann mit gerunzelter Stirn und Sorge im Antlitz zu lesen. Von Zeit zu Zeit blitzte es zornig in seinen Augen.

»Der Kastellan ist aufgeregt,« flüsterte Sagloba dem Skrzetuski zu, »sieh mir, wie ihn die Pockennarben rot hervortreten: er wird auch gleich anfangen zu lispeln, wie er immer thut, wenn der Zorn ihn packt.«

Tscharniezki war mit dem Lesen zu Ende gekommen; er drehte mit der Faust an seinem Kinnbart und sann nach. Endlich wandte er sich mit klanglosen undeutlichen Worten an Charlamp:

»Tretet näher, Soldat!«

»Zu Befehl, Erlaucht!«

»Sprecht die Wahrheit,« sagte der Kastellan mit Nachdruck. »Dieser Bericht ist so fein und geheimnisvoll versaßt, daß ich nicht auf den Grund der Dinge kommen kann ... Aber die Wahrheit ... nichts beschönigen ... ist die Armee aufgelöst?«

»Sie ist nicht aufgelöst, Erlaucht.«

»Wieviel Tage werden nötig sein, sie wieder zu sammeln?«

Hier flüsterte Sagloba wieder Skrzetuski zu:

»Er will ihn, wie man das nennt, aufs Glatteis führen.«

Doch Charlamp antwortete, ohne zu zögern:

»Wenn das Heer nicht aufgelöst ist, braucht es doch nicht gesammelt zu werden. Es ist ja wahr, daß wir noch etwa fünfhundert Bauern mit ihren Pferden vermißten, als ich fortritt, die wir unter den Gefallenen nicht entdecken konnten, aber das kommt nach jeder Schlacht vor, darunter leidet die Ordnung des Heeres nicht. Der Herr Hetman folgt in guter Ordnung der Spur des Königs.«

»Kanonen habt ihr keine verloren? Keine?«

»Doch! Vier! Die Schweden haben sie, da sie dieselben nicht mitnehmen konnten, vernagelt.«

»Ich glaube, ihr sprecht die Wahrheit. Erzählt nacheinander, wie es gekommen.«

»... Incipiam!« sagte Charlamp. »Nachdem wir allein zurückgeblieben waren, bemerkte der Feind doch bald, daß das Heer jenseits der Weichsel nicht mehr im Lager war, sondern nur regellose Parteien und Hausen aufständischer Bauern. Wir dachten, oder, um korrekt zu sprechen, Herr Sapieha dachte, daß die Schweden jene überfallen konnten, deshalb sandte er ihnen Sukkurs, aber nur kleinen, um nicht sich selbst zu schwächen. Im Schwedenlager war ein Leben und Summen, wie in einem Bienenstock. Gegen Abend drängten ganze Haufen an die San. Wir warm im Quartier des Wojewoden. Da läßt sich dieser Herr Kmiziz, welcher jetzt Babinitsch heißt, melden. Herr Sapieha will sich gerade zu Tische setzen; er hatte eine ganze Menge adliger Damen bis von Kraschnik und Janowo her zu einem Gastmahl geladen, ... es ist ja bekannt, daß der Herr Wojewode das weibliche Geschlecht liebt«

»Gut zu essen liebt!« unterbrach ihn Tscharniezki.

»Ja, ja, ich fehle ihm! es ist niemand da, der ihn zur Mäßigkeit anhält!« warf Sagloba ein.

Darauf Herr Tscharniezki:

»Ihr werdet wieder eher bei ihm sein, als ihr denkt, dann könnt ihr euch gegenseitig Mäßigkeit empfehlen.«

Und zu Charlamp gewendet:

»Sprecht weiter.«

»Babinitsch meldet also die Bewegung im Schwedenlager, der Wojewode antwortet darauf: ›Sie simulieren nur den Angriff! Sie werden nichts unternehmen! Eher, sagte er, werden sie die Weichsel überschreiten. Aber ich habe ein wachsames Auge und werde rechtzeitig einschreiten. Unterdessen wollen wir uns unser Vergnügen nicht stören lassen. Auf daß es uns Wohl sei!‹ Wir aßen und tranken. Die Kapelle spielte nachher, der Wojewode selbst bat zuerst zum Tanz ...«

»Ich werde ihm das Tanzen anstreichen!« unterbrach Sagloba.

»Schweigt!« befahl Tscharniezki.

»Da kommen von neuem Boten mit der Meldung, daß das Getümmel und Gelärme an der San ganz entsetzlich sei. Es nützt nichts! Der Wojewode flüstert dem Pagen zu: ›Du sollst mich nicht immerzu stören!‹ Wir tanzten bis zum Morgen und schliefen bis zum nächsten Mittag. Als wir endlich aufwachen, da sehen wir drüben mächtige Schanzen, wie aus der Erde gewachsen, und auf ihnen die schweren schwedischen Kartaunen. Von Zeit zu Zeit wird eine abgefeuert und wo sie hinschlägt, fällt sie schwer auf. Aber eine einzige der geladenen Frauen genügte, um den Hetman völlig blind für alles das zu machen!«

»Laßt die Bemerkungen,« unterbrach ihn Tscharniezki. »Ihr seid hier nicht beim Hetman!«

Charlamp wurde sehr verlegen und fuhr fort:

»Nachmittag ritt der Wojewode selbst an den Fluß. Die Schweden hatten unter dem Schutze der Schanzen bereits angefangen eine Brücke zu bauen. Sie arbeiteten bis zum Abend zu unserer großen Verwunderung, denn wir waren der Meinung, daß sie die Brücke bauten, aber nicht herüber kommen konnten. Am folgenden Tage bauten sie weiter. Der Wojewode fängt nun auch an besorgt zu werden; er bereitete sich auf eine Schlacht vor.«

»Die Brücke wurde doch nur zum Schein gebaut, die Schweden gingen weiter unterhalb über den Fluß, nicht wahr?« sagte Tscharniezki.

Charlamp schwieg eine Weile mit weit aufgerissenen Augen und offenem Munde, endlich frug er:

»Ew. Erlaucht wissen bereits?«

»Das muß man sagen,« flüsterte Sagloba, »alles, was den Krieg betrifft, das übersieht unser Alter im Fluge.«

»Weiter!« befahl Tscharniezki.

»Es wurde Abend. Das Heer stand in Erwartung der Schlacht kampfbereit da. Mit dem ersten Sternblinken begann bei uns wieder ein Gastmahl. Unterdessen hatten die Schweden auf jener anderen Brücke, unterhalb, die San überschritten. Dort stand am Rande unseres Lagers die Fahne des Herrn Koschütz, eines braven Soldaten. Der zieht los auf sie! Die zunächstliegenden Haufen des allgemeinen Aufgebots eilen ihm zu Hilfe, doch beim ersten Donner der schwedischen Kanonen fliehen sie. Herr Koschütz ist gefallen, von seinen Leuten sind nur wenige übrig geblieben. Erst als das allgemeine Aufgebot im Sturm das Schwedenlager überfiel, brachten sie einige Verwirrung in den Uebergang; alles, was in der Nähe der zweiten Brücke an Soldaten zu haben war, stellte sich den Schweden entgegen, aber wir richteten nichts aus, im Gegenteil, wir verloren noch unsere Kanonen, und es war ein Glück, daß der größte Teil der schwedischen Fußsoldaten mit ihren Kanonen schon in der Nacht auf Flößen die Weichsel hinab geschwommen waren, wovon wir auch nichts bemerkt hatten, sonst wäre unsere Niederlage eine schreckliche geworden.«

»Sapieha hat einen ordentlichen Bock geschossen; ich wußte das im voraus!« rief Sagloba.

»Wir haben die Korrespondenz des Königs aufgefangen,« sagte Charlamp. »Die Soldaten haben daraus ersehen, daß der König nach Preußen gehen will, um mit einem kurfürstlichen Heere von dort zurückzukehren, da er allein hier nichts ausrichten kann.«

»Das weiß ich!« antwortete Tscharniezki. »Herr Sapieha hat mir den Brief mitgeschickt.«

Dann murmelte er für sich:

»Wir müssen ihm nach Preußen folgen.«

»Das ist längst meine Meinung!« sagte Sagloba.

Herr Tscharniezki sah ihn eine Weile gedankenvoll an.

»Es ist ein Unglück!« sagte er endlich laut. »Hätte ich rechtzeitig nach Sandomir zurückkehren können, so hätten wir mit vereinten Kräften die Schweden vollständig geschlagen; der Krieg wäre beendet. Ha! was geschehen, läßt sich nicht ändern ... Der Krieg wird in die Länge gezogen, aber den Eindringlingen blüht doch der Tod.«

»So muß es sein! ...« riefen die Ritter wie aus einem Munde.

Neue Hoffnung zog in ihre Herzen ein; die Zweifel, die sie eine Weile befallen hatten, mußten weichen.

Sagloba hatte unterdessen dem Pächter von Wonsotsch etwas in das Ohr geflüstert. Dieser verschwand einen Augenblick, kehrte aber bald mit einem Gonschior Wein wieder. Als Wolodyjowski das sah, verneigte er sich tief vor Tscharniezki und bat:

»Es wäre für uns einfache Soldaten eine außerordentliche Auszeichnung, wenn Ew. Erlaucht einen Becher Wein mit uns trinken wollten ...«

»Gewiß! Gern will ich mit euch einen Trunk einnehmen,« antwortete Tscharniezki. »Wißt ihr auch warum? ... Wir müssen uns trennen.«

»Wie? Trennen?« rief Wolodyjowski verwundert.

»Herr Sapieha schreibt mir, daß die Laudaer Fahne zum litauischen Heere gehört und er sie nur für kurze Zeit zur Assistenz des Königs abgesandt hätte. Da er sie aber jetzt, besonders ihre Offiziere, sehr nötig brauchen wird, so befiehlt er ihre Rückkehr unter sein Kommando. Mein lieber Wolodyjowski! Ihr wißt, wie lieb ich euch habe und wie schwer mir die Trennung von euch wird, aber – hier ist der Befehl für euch. Zwar hat der Herr Hetman aus Artigkeit den Befehl durch mich an euch gelangen lassen; ich hätte denselben euch vorenthalten können ... Mir ist, als ob der Herr Hetman mir mein teuerstes Schlachtschwert zerbrochen hätte, ... aber gerade darum, weil der Befehl durch meine Hand geht, darf ich ihn nicht unterschlagen ... Da, nehmt ihn! ... Und thut eure Pflicht! ... Eure Gesundheit, mein liebes Soldatchen! ...«

Wieder verneigte sich Wolodyjowski tief vor dem Kastellan, aber er konnte vor Betrübnis kein Wort hervorbringen, und als Tscharniezki ihn in seine Arme schloß, da flossen ihm die Thränen in Strömen in den gelben Schnurrbart.

»Ich wollte, ich wäre gefallen!« sprach er traurig. »Es war so herrlich unter eurem Oberbefehl zu stehen, verehrter General ...«

»Herr Michael, beachtet doch den Befehl nicht!« sagte Sagloba gerührt. »Ich werde selbst an Sapieha schreiben und ihm tüchtig die Leviten lesen.«

Aber Herr Michael war vor allen Dingen Soldat, er drehte sich zu Sagloba um und sagte barsch:

»Ihr bleibt doch ewig nur der alte Freiwillige! ... Ihr würdet besser thun, zu schweigen, da ihr doch nicht versteht, was das Wort ›Dienst‹ bedeutet.«

»Da habt ihr es!« sagte Tscharniezki.


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