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8. Kapitel

Am nächsten Morgen in der Frühe erhielt der Fürst die Aufforderung, sofort nach Königsberg zu kommen, um das Kommando über die neueingezogenen Gruppen zu übernehmen, die nach Danzig oder Marienburg abgehen sollten. Der Brief enthielt auch Nachrichten über den waghalsigen Feldzug Karl Gustavs in das Innere der Republik. Der Kurfürst sah das schlimme Ende desselben voraus und wollte deswegen eine größere Truppenmacht kampfbereit halten, um im Notfalle der einen oder anderen Partei beispringen zu können. Er empfahl dem Fürsten die größte Eile und schien es so dringend zu haben, daß dem ersten nach zwölf Stunden schon ein zweiter Bote folgte.

Der Fürst hatte also keine Zeit zu verlieren und konnte sich auch nicht Zeit nehmen, sich von dem schweren Anfall zu erholen, welchen er in der Nacht wieder gehabt hatte. Er mußte fort. So übergab er denn dem Sakowitsch das Kommando, indem er sagte:

»Vielleicht wird es notwendig, den Schwertträger und das Mädchen nach Königsberg zu bringen. Dort wird es leichter sein, mit dem eigensinnigen Alten fertig zu werden. Das Mädchen aber werde ich mit in das Feldlager nehmen, denn ich bin es müde, mich von ihr meistern zu lassen.«

»Gut,« sagte Sakowitsch, »dann kann das Heer gleich vermehrt werden.«

Eine halbe Stunde später war der Fürst nicht mehr in Tauroggen. Sakowitsch blieb als allein Herrschender zurück und erkannte nur eine Macht über sich an und das war die Macht Anusia Borschobohatas. Und es wiederholte sich jetzt dasselbe Spiel bei ihm und ihr, wie ehedem mit dem Fürsten und Olenka. Er bezähmte seine wilde Natur und war höflich, suchte jeden ihrer Wünsche zu erraten, behandelte sie mit Hochachtung, wie ein feiner Mann das thut, wenn er sich um die Hand eines Mädchens bewirbt.

Ihr aber gefiel dieses Regieren auf Tauroggen; es war für sie ein angenehmes Gefühl, zu wissen, daß, wenn der Abend kam, durch die unteren Säle und Korridore des Schlosses und Zeughauses und durch den noch vom Winterfrost bereiften Garten das sehnsuchtsvolle Seufzen und Schmachten der verliebten jungen und alten Offiziere ging, den Astrologen nicht ausgeschlossen, welcher von seinem Turme aus die Seufzer gen Himmel sandte, und den alten Herrn Thomas, der sein Rosenkranzgebet unterbrach, um schnell einmal an sie zu denken.

Obgleich sie das gutmütigste Geschöpf war, freute sie sich doch, daß alle diese Liebesseufzer sich nicht Olenka zuwandten, auch schon im Hinblick auf Babinitsch, da sie sich hier wiederum zur Genüge überzeugen konnte, wie groß die Macht war, welche sie über die Männer ausübte. Sie sagte sich, wenn hier keiner ihr widerstand, dann konnte es nicht fehlen, daß sie auch ihm mit dem Blick ihrer Aeugelein das Herz versengte.

»Er wird jene vergessen, da er keine Gegenliebe findet, und wenn das geschehen ist, dann wird er mich suchen und finden ... der Bösewicht, der einzige!«

Gleich darauf sagte sie drohend:

»Warte! erst will ich dich auszahlen, ehe ich dich erhöre!«

Den Sakowitsch behandelte sie inzwischen wie einen, den man gern um sich sieht, wenn man auch keine besondere Vorliebe für ihn hat. Er hatte verstanden, seinen Verrat in derselben Weise vor ihr zu rechtfertigen, wie der Fürst vor Olenka sich gerechtfertigt hatte, und auch er sprach ihr davon, wie der Friede mit Schweden bereits so gut wie geschlossen war, wie die Republik nun hätte aufatmen können, wenn nicht Sapieha durch seine Selbstsucht und seinen Haß alles verdorben hätte.

Anusia, welche wenig von allen diesen Dingen verstand, ließ die Worte des Bewerbers zu einem Ohre herein, zum anderen hinaus. Dafür erweckte etwas anderes in den Reden des Starosten von Orschmian ihr lebhaftes Interesse.

»Die Billewitsch,« sagte er, »schreien zum Himmel wegen des Unrechts und der Beraubung der Freiheit, die ihnen widerfährt. Es ist wahr, der Fürst hält sie in Tauroggen fest, aber doch nur zu ihrem Besten, denn sie werden keine drei Gewände weit vom Schlosse kommen, ohne von Räuberbanden überfallen zu werden. Es ist ja auch wahr, daß er sie zurückhält, weil er das Fräulein sehr liebt; wer aber würde das nicht entschuldigen, der selbst schon mit liebendem Herzen um ein Mädchen geworben? Wenn der Fürst weniger edle Absichten hätte, so brauchte er doch nur seine Gewalt zu gebrauchen, doch er wollte sie ehelichen, er wollte dieses widerspenstige Fräulein zu sich in den Fürstenstand erheben, sie mit Glück überhäufen, die Krone der Radziwills auf ihr Haupt setzen, und für alles das erheben diese undankbaren Menschen ihr Klagegeschrei ...

Anusia schenkte dieser Erzählung nicht viel Glauben, darum forschte sie noch am selben Tage bei Olenka nach der Wahrheit dieser Sache, besonders, ob es wirklich wahr sei, daß der Fürst sie habe ehelichen wollen? Olenka konnte das nur bestätigen. Da sie mit Anusia schon recht vertraut war, brachte sie auch ihre Gründe für die Ablehnung vor. Dieselben erschienen ihr auch gerechtfertigt, andererseits aber dachte sie im Stillen, daß der Billewitsch doch kein solches Unrecht hier widerfahre und weder Sakowitsch, noch der Fürst, so große Verbrecher seien, wie der Herr Schwertträger aus ihnen machte.

Als nun die Nachricht eintraf, daß Herr Sapieha mit Babinitsch nicht nach Tauroggen kommen wolle, sondern in Eilmärschen dem Könige von Schweden nachziehe, bis weit, weit nach Lemberg zu, da überfiel zuerst eine grenzenlose Wut das kleine Fräulein, dann aber kam sie zu der Ueberzeugung, daß es mit der Flucht aus Tauroggen nun keine Eile habe, da man hier sicherer war, als irgend sonst wo, und nur die Unvernunft die Gefahren außerhalb dieser Mauern, der Sicherheit innerhalb derselben vorziehen konnte.

Es kam deswegen zu manchen Streitigkeiten zwischen Olenka und dem Schwertträger und ihr, bis endlich auch sie zugeben mußten, daß die Entfernung Sapiehas die Flucht sehr erschwerte, wenn nicht unmöglich machte, da in diesem Lande voll Unruhe und Kampf niemand des morgigen Tages sicher war. Aber selbst, wenn sie Anusias Gründe nicht stichhaltig gefunden hätten, so war es auch unmöglich, ohne deren Hilfe bei der Wachsamkeit des Kommandanten und der übrigen Offiziere von hier zu entkommen. Ketling war der einzige, der ihnen ergeben war, doch dieser war seiner Pflicht nicht abwendig zu machen; er war auch viel abwesend, da Sakowitsch ihn als erfahrenen, brauchbaren Offizier gern gegen die umherstreifenden Rebellen und Konföderierten ausschickte.

Und Anusia fühlte sich immer wohler hier.

Etwa einen Monat nach der Abreise des Fürsten hatte Sakowitsch um sie angehalten. Die Listige hatte ihm eine ausweichende Antwort gegeben. Sie hatte gesagt, daß sie ihn noch zu wenig kenne, daß man verschiedenes über ihn spreche, dem sie auf den Grund gehen müsse, daß ihre Bekanntschaft zu kurz sei, um ihn schon lieben zu können, und daß sie ohne die Zustimmung der Fürstin Griseldis ein Ehebündnis nicht eingehen könne. Nach einem Probejahre würde sie die Entscheidung gern nach seinem Wunsche treffen.

Der Starost schluckte den Aerger hinunter, ließ für irgend ein kleines Versehen einem Reiter dreitausend Rutenhiebe geben, nach welchen der arme Soldat begraben werden mußte, aber er mußte sich in die Entscheidung Anusias fügen. Sie fachte seine Hoffnung mit dem Versprechen an, nach einjährigen treuen Diensten ihm den süßen Lohn nicht zu versagen.

In dieser Weise spielte sie mit dem Bären, welchen sie jedoch schon so gut im Zaume hatte, daß er das Brummen unterdrückte und nur zu ihr sagte:

»Ihr könnt alles von mir verlangen, selbst, daß ich auf den Knieen vor euch rutsche, nur nicht, daß ich meinen Fürsten verrate.«

Vielleicht hätte Anusia ihren Verehrer nicht so gereizt, wenn sie erfahren hätte, zu welch schrecklichen Unthaten sich Sakowitsch durch seine Ungeduld hinreißen ließ und die über der ganzen Umgegend wie ein Verhängnis schwebten. Die Soldaten und Einwohner Tauroggens zitterten vor ihm und die Gefangenen verhungerten in ihren Ketten oder erlagen den ihnen beigebrachten Brandwunden.

Es war, als müsse der wilde Starost seine heiße, liebedürstende Seele in Menschenblut kühlen und baden, er sprang oft plötzlich auf und warf sich auf das Pferd, um selbst einen Ausfall gegen die Rebellen zu machen. Und der Sieg war meist auf seiner Seite. Haufenweise tötete er die Ueberfallenen, den Gefangenen ließ er die rechte Hand abschlagen und schickte sie nach Hause.

Der Schrecken, der sich an seine Person und an seinen Namen knüpfte, war grenzenlos, so daß selbst größere Parteien sich nicht weiter wie bis nach Roschen vorwagten.

Die Gegend wurde still und menschenleer und er formierte aus all dem heimatlosen Gesindel und Raufbolden immer neue Abteilungen, die er mit dem erpreßten Gelde der benachbarten Adligen und Bürger bekleidete und bewaffnete, um für den Fall der Not dem Fürsten eine Hilfstruppe stellen zu können.

Boguslaw konnte keinen treueren und zugleich schrecklicheren Diener finden, als ihn.

Dabei vertiefte er sich mit seinen häßlichen wasserblauen Augen in die dunklen Anusias und sang ihr Liebeslieder zu der Laute.

So floß das Leben in Tauroggen für Anusia fröhlich und vergnüglich, für Olenka trübe und einförmig dahin. Die eine strahlte Freude und Frohsinn aus, wie das Glühwürmchen in der Johannisnacht, während das Antlitz der anderen immer blasser, ihre Züge immer ernster und strenger wurden; die Brauen zogen sich immer mehr zusammen, man nannte sie nur noch die Nonne. Sie hatte auch etwas von einer Klosterfrau in ihrem Wesen; sie fing an, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß Gott sie durch Schmerz und Enttäuschung zum Frieden und der Ruhe des Klosters führen wolle.

Sie war nicht mehr das Mädchen mit den Rosen auf den Wangen, mit den glückstrahlenden Augen, das einst, mit dem Verlobten im Schlitten durch die Wälder jagend, voll Lust und Wonne ausgerufen hatte: »Hej! Hej!«

Es wurde Frühling draußen. Ein starker lauer Wind löste zuerst die Fluten des Baltischen Meeres von den Fesseln des Eises, dann blühten die Bäume, Blumenknospen trieben unter der rauhen Hülle der Blätter, dann schien die Sonne warm befruchtend auf die Erde hernieder und noch immer harrte das arme Mädchen auf endliche Befreiung aus dieser Gefangenschaft. Anusia wollte weniger denn je von einem Fluchtplane etwas hören, denn draußen in der Republik ging es immer schrecklicher zu.

Die Barmherzigkeit Gottes schien ganz von ihr gewichen. Wer im Winter nicht zu Schwert und Lanze gegriffen hatte, der that es jetzt. Der Schnee hatte die Pfade verschüttet. Jetzt bot der Wald besseren Schutz, das warme Wetter erleichterte das Leben.

Mit den Schwalben flogen die Nachrichten nach Tauroggen, zuweilen drohend, zuweilen tröstend. Die einen wie die anderen segnete das fromme Mädchen mit Gebet und begoß sie mit Thränen der Trauer oder der Freude.

Zuerst drang die Kunde von der allgemeinen Erhebung in diese entlegene Veste. Es hieß: So viel Bäume in den Wäldern der Republik, so viele Aehren in den Feldern vom Winde geweht, so viele Sterne zwischen dem Baltischen Meere und der Heimat der Tartaren nachts am Himmel leuchten, so viele adlige und edle Männer sind aufgestanden und haben nach Gottes Willen das Schwert ergriffen zum Kampfe gegen die Schweden; alle diejenigen, welche mit dem Pfluge die Ackerfurche schnitten, die, welche Handel und Handwerk in den Städten trieben, die in der Heide von Bienenzucht, Theerkochen, Kohlenbrennen, von der Arbeit mit der Axt oder dem Schießgewehr lebten; die, welche an den Flüssen Fischfang trieben, in der Steppe die Herden weideten, sie alle, alle haben zu den Waffen gegriffen, um die Unterdrücker aus dem Lande zu treiben.

Der Schwede fing bereits an zu sinken in der Flut, die über ihn hinbrauste.

Zum Staunen der ganzen Welt hatte die anscheinend so kraftlose Republik mehr Arme zu ihrer Verteidigung gefunden, als sie andere Reiche zur Verfügung hatten.

Dann kamen Nachrichten über Karl Gustav, wie er immer weiter vordrang, im Blute watend, brennend und sengend. Man konnte jeden Augenblick seinen Tod und den Untergang des schwedischen Heeres erwarten.

Der Name Tscharniezkis wurde immer lauter genannt; er fand lebhaften Wiederhall bis an alle Grenzen des Reiches; die Herzen der Feinde mit Angst und Entsetzen erfüllend.

»Er hat sie bei Koschenize geschlagen!« hieß es den einen Tag, »bei Jaroslaw,« einen anderen Tag – und mehrere Wochen darauf, »er hat bei Sandomir die Schlacht gewonnen!« So tönte es fort durch alle Provinzen; man staunte nur, daß es noch Schweden im Lande gab. Zuletzt verbreitete sich das Gerücht von der Einschließung des Königs mit seiner ganzen Armee im Gabelgebiet der Flüsse. Es schien, das Ende war gekommen.

Sakowitsch hörte auf, Ausfälle zu machen; er schrieb nachts Briefe und schickte sie fort.

Der Schwertträger war wie von Sinnen. Allabendlich brachte er Olenka neue Nachrichten. Er biß sich die Nägel ab bei dem Gedanken, daß er hier festsitzen mußte, während draußen der Kampf wogte. Die Seele des alten Soldaten verlangte nach dem Kampf. Zuletzt schloß er sich in sein Gemach ein; er schien stundenlang über etwas zu grübeln. Eines Tages umarmte er Olenka ganz plötzlich und unvermittelt, schluchzte laut auf und sprach:

»Du bist mir lieb, Mädchen, einzigstes Töchterchen, »aber das Vaterland ist mir noch lieber.«

Am nächsten Morgen war er spurlos verschwunden. Olenka fand nur einen Brief vor, folgenden Inhalts:

»Gott segne Dich, geliebtes Kind! Ich habe schon recht verstanden, daß man Dich festzuhalten strebt, nicht mich. Die Flucht wird mir allein leichter werden als mit Dir zusammen. Gott soll mich strafen, wenn ich Dich verlasse aus Hartherzigkeit oder aus Lieblosigkeit gegen Dich arme Waise; ich gehe nur aus Liebe zum Vaterlande. Die Qual der Unfreiheit siegte zuletzt über die Geduld; ich schwöre Dir bei den Wunden Christi, daß ich es nicht länger aushalten konnte. Wenn ich daran dachte, daß das treueste polnische Blut dort in Strömen vergossen wird pro patria et libertate, und nicht ein Tropfen des meinigen mit in diesen Strom fließen sollte, da war mir, als müßten die Engel im Himmel mich deswegen verdammen ... Ich müßte nicht in unserer heiligen Smudz, wo Tapferkeit und amor pro patria in mir von Kindesbeinen an genährt wurden, geboren, ich müßte nicht ein Billewitsch und Edelmann sein, wenn ich bei Dir hätte bleiben, Dich behüten sollen. Wärest Du ein Mann, so würdest Du ebenso handeln und mich, wie ich Dich, einen Daniel in der Höhle der Löwen zurücklassen. Ich hoffe zu Gott, daß er in seiner unendlichen Barmherzigkeit auch Dich bewahren wird, wie er den Daniel bewahrt hat und daß die allerheiligste Jungfrau, unsere Königin, Dir besseren Schutz gewähren wird, als ich es kann!«

Olenka benetzte dieses Schreiben mit heißen Thränen, aber der Oheim ward ihr nur noch lieber durch diese That, welche ihr Herz mit Stolz erfüllte. Das Verschwinden desselben verursachte in Tauroggen große Aufregung. Sakowitsch stürmte wutschäumend in das Gemach Olenkas, ohne vorher seine Mütze abzulegen, und frug:

»Wo ist euer Ohm?«

»Dort, wo alle sind, die das Vaterland nicht verraten! ... Im Felde!«

»Habt ihr von der Flucht gewußt?« brüllte der Starost.

Olenka trat ohne Bedenken ein paar Schritte vor und ihn mit einem Blick voll Verachtung messend, antwortete sie:

»Ja, ich wußte darum – was weiter?«

»Fräulein! ... Ei, wäre es nicht um des Fürsten Willen! ... Ihr werdet euch vor dem Fürsten zu verantworten haben!«

»Weder vor dem Fürsten, noch vor euch, seinem Knecht. Ich bitte jetzt!«

Sie wies mit dem Finger nach der Thür.

Er knirschte vor Wut, aber er ging hinaus.

Der nächste Tag brachte die Nachricht von der Niederlage des Großherzogs bei Warka. Wie ein Donnerschlag traf dieselbe die Verbündeten der Schweden. Sakowitsch selbst ward von solcher Furcht gepackt, daß er nicht wagte, die Priester zu bestrafen, welche in den benachbarten Kirchen das Te deum laudamus anstimmten.

Eine Zentnerlast aber fiel ihm vom Herzen, als ein paar Wochen später Fürst Boguslaw von Marienburg aus ihm schrieb, daß der König aus seiner Sackfalle entkommen sei. Andere Neuigkeiten lauteten weniger ermutigend. Der Fürst verlangte Hilfstruppen und befahl, nur soviel Mann in Tauroggen zurückzulassen, als unbedingt zur Besatzung notwendig waren.

Die Reiter zogen schon am folgenden Tage ab, mit ihnen Ketling, Oettingen, Fitz-Gregory, kurz alle Offiziere, ausgenommen Braun, welchen Sakowitsch notwendig brauchte.

In Tauroggen wurde es noch einsamer.

Anusia Borschobohata fing an sich zu langweilen und setzte dem Starosten noch mehr zu. Dieser aber dachte daran, nach Preußen zu fliehen, denn die durch den Abzug der Reiter ermutigten Rotten drangen wieder vor, sie ließen sich schon wieder in der Nähe Tauroggens blicken. Die Billewitsch allein hatten gegen fünfhundert Reiter zusammengebracht. Dieselben waren aus dem Kleinadel, den Bauern und Bürgern rekrutiert; sie hatten den Hauptmann Bützow, welcher sich ihnen entgegengestellt hatte, geschlagen und plünderten nun unbarmherzig alle Güter Radziwills.

Ihr Anhang vergrößerte sich zusehends, denn kein anderes Geschlecht, selbst die Hlebowitsch nicht, erfreuten sich im Volke eines so großen Ansehens und so großer Achtung wie sie. Dem Starosten that es leid, Tauroggen den Feinden preiszugeben; er wußte auch, daß er in Preußen nur schwer Geld und Hilfstruppen finden werde. Während er hier herrschte, mußte er dort dienen, dennoch verlor er immer mehr die Hoffnung, sich hier halten zu können.

Der besiegte Bützow flüchtete unter seinen Schutz und das, was er von der Macht und dem Wachstum der Rebellion erzählte, bestimmte Sakowitsch endlich, nach Preußen zu fliehen.

Einmal entschlossen und gewöhnt, seine Entschlüsse schnell auszuführen, beendete er in zehn Tagen die schon getroffenen Vorbereitungen und erteilte den Befehl zum Ausmarsch.

Da traf er auf hartnäckigen Widerstand von einer Seite, wo er ihn am wenigsten vermutet hatte und zwar, von seiten Anusia Borschobohatas.

Sie dachte gar nicht daran, nach Preußen zu gehen, sie befand sich in Tauroggen sehr wohl. Das Vorgehen der konföderierten Parteien schreckte sie nicht im mindesten und wenn die Billewitsch nur Tauroggen selbst angreifen wollten, das wäre ihr gerade recht gewesen. Sie dachte auch daran, daß sie in der Fremde vollständig von der Gnade Sakowitschs abhängig und viel eher zur Eingehung von Verpflichtungen gedrängt werden könnte, durch welche sich binden zu lassen sie durchaus keine Lust verspürte. Sie beschloß also, sich der Abreise zu widersetzen.

Olenka, welcher sie ihre Gründe mitteilte, stimmte ihr nicht nur bei, sondern flehte sie mit thränenfeuchten Augen an, nicht von hier fortzugehen.

»Hier können wir noch Erlösung finden, wenn nicht heute, so vielleicht morgen,« sagte sie. »Dort sind wir verloren.«

Anusia aber antwortete darauf:

»Siehst du! Fast hättest du mich gescholten, daß ich auch dem Starosten den Kopf verdrehen wollte, obgleich ich selbst keine Ahnung von meinem Thun hatte, so wahr ich die Fürstin Griseldis liebe. Das muß so von selbst gekommen sein. Und nun? Würde er wohl auf meinen Widerspruch etwas geben, wenn er nicht in mich verliebt wäre?«

»Du hast recht, Anusia, du hast recht?« erwiderte Olenka.

»Aengstige dich nur nicht, mein schönstes Blümchen! Unser Fuß verläßt Tauroggen nicht; ich werde nur den Sakowitsch zum Abschied etwas quälen.«

»Gott helfe dir, daß du etwas ausrichtest.«

»Warum sollte ich nicht? ... Erstens ist es ihm sehr um mich, zweitens, wie ich vermute, um meine Erbschaft. Es wäre ihm ein Leichtes, sich mit mir zu erzürnen und mit dem Säbel in der Hand die Abreise zu erzwingen, dann aber wäre für ihn beides verloren. Das weiß er.«

Wie recht Anusia hatte, sollten die Mädchen bald erfahren. Als Sakowitsch fröhlich und voll Selbstbewußtsein bei ihr eintrat, empfing sie ihn mit etwas verächtlicher Miene.

»Ist es wahr,« frug sie, »daß ihr aus Furcht vor den Herren Billewitsch nach Preußen fliehen wollt?«

»Nicht vor den Herren Billewitsch,« antwortete er stirnrunzelnd, »auch nicht aus Furcht, nur vorsichtshalber, um von dort aus mit verstärkten Kräften gegen diese Räuber vorzugehen.«

»Dann – glückliche Reise!«

»Was soll das heißen? Glaubt ihr, ich würde ohne euch, meine süßeste Hoffnung, gehen?«

»Wer von der Feigheit befallen ist, der suche seine Hoffnung anderswo, nicht bei mir. Ihr werdet zu vertraulich; ich aber, wenn ich einen Vertrauten überhaupt brauchen wollte, würde nicht euch dazu ausersehen.«

Sakowitsch erbleichte. O, er wollte es ihr schon eintränken, wenn sie nicht Anusia Borschobohata wäre. Doch er besann sich schnell, vor wem er stand, so steckte er denn seine süßeste Miene auf, als er scherzend sagte:

»Ei, ich frage nicht darnach! Ich trage euch in den Kutschwagen und fahre euch hinweg.«

»So?« sprach Anusia gedehnt. »Dann bin ich also doch, entgegen den Absichten des Fürsten, hier eine Gefangene? Wisset, wenn ihr das thut, spreche ich mein ganzes Leben lang kein Wort mehr zu euch, so wahr mir Gott helfe! Ich bin in Lubnie erzogen und habe für Feiglinge nichts übrig als die größte Verachtung! O, daß ich doch nie in solche Hände geraten wäre! ... Hätte mich Herr Babinitsch doch bis zum letzten Gericht in Litauen behalten, der fürchtet niemanden.«

»Um Gotteswillen!« schrie Sakowitsch. »Sagt mir wenigstens, warum ihr nicht nach Preußen wollt.«

Anusia simulierte statt einer Antwort die größte Verzweiflung; sie weinte:

»Wie eine Tartarin werde ich behandelt und gefangen gehalten, während ich doch eine Pflegetochter der Fürstin Griseldis bin und niemand als sie ein Recht an mich hat. Gefangen haben sie mich und gefangen werde ich gehalten, über das Meer will man mich bringen, in die Verbannung schleppen, wer weiß, wie bald unter die Folterzange bringen! O Gott! O Gott!«

»Bei dem Gotte, den ihr anruft!« rief der Starost. »Wer will euch foltern?«

»Rettet mich alle Heiligen!« sagte Anusia schluchzend.

Sakowitsch wußte nicht aus noch ein. Wut und Zorn drohte ihn zu ersticken; er wußte nicht recht, war er von Sinnen oder war es Anusia. Endlich fiel er ihr zu Füßen und versprach, in Tauroggen zu bleiben. Da flehte sie ihn an, doch fortzugehen, wenn er sich fürchte, was ihn vollends zur Verzweiflung brachte, so daß er aufsprang und im Hinauseilen sagte:

»Gut! wir bleiben in Tauroggen und ob ich mich vor den Billewitsch fürchte, das wird sich in kurzem zeigen.«

An demselben Tage noch sammelte er die Reste der Bützowschen Truppe zu seinen Leuten und zog hinaus, aber nicht nach Preußen, sondern nach Roschen zu, wo die Herren Billewitsch in den Wäldern von Girlakol ein Feldlager bezogen hatten. Diese erwarteten einen Angriff nicht mehr, da die Nachricht von dem beabsichtigten Auszuge der Truppen aus Tauroggen schon seit mehreren Tagen in der Gegend verbreitet war.

Die so unerwartet Ueberfallenen wurden von dem Starosten arg zugedeckt. Zwar gelang es dem Schwertträger, unter dessen Kommando die Abteilung stand, sich zu retten, doch zwei andere Billewitsch von einer Seitenlinie fielen und mit ihnen fast der dritte Teil der Soldaten. Einige Gefangene wurden nach Tauroggen gebracht und dort getötet, noch ehe Anusia für sie eintreten konnte.

Es war nun nicht mehr die Rede von einer Abreise aus Tauroggen. Sie war auch nicht mehr notwendig, denn durch den Sieg des Herrn Starosten waren die anderen Parteien zurückgeschreckt und wagten sich nicht mehr heran.

Sakowitsch brüstete sich ungeheuer damit und erklärte, der ganzen Rebellion der Smudz in kurzer Zeit Herr zu werden, wenn Loewenhaupt ihm tausend tüchtige Reiter zur Verfügung stellen wolle. Aber Loewenhaupt war gar nicht mehr in der Nähe und Anusia nahm die Prahlerei des Starosten übel auf.

»Ich glaube, daß es ein Leichtes war, mit dem Herrn Schwertträger fertig zu werden,« sagte sie. »Wäre nur derjenige euch gegenüber gestanden, vor welchem ihr mit samt dem Fürsten Reißaus genommen, so wäret ihr auch ohne mich über das Meer nach Preußen gegangen.«

Diese Worte kränkten den Starosten tief.

»Vor allen Dingen stellt euch nicht vor, daß Preußen jenseits des Meeres liegt, denn dort liegt Schweden, und dann, vor wem bin ich mit dem Fürsten ausgerissen?«

»Vor Herrn Babinitsch!« antwortete Anusia, indem sie zeremoniös knickste.

»Wenn ich diesen doch nur auf Säbellänge vor mir hätte!«

»Dann würdet ihr sicher auf Säbeltiefe in den Erdboden sinken ... Ruft den Wolf nicht aus dem Walde!«

Es war dem Starosten auch gar nicht Ernst, diesen Wolf wiederzusehen, denn wenn er auch ein unvergleichlich mutiger Mann war, so hatte er vor Babinitsch doch eine fast abergläubische Furcht, geweckt durch die Erinnerung an den letzten gräßlichen Feldzug. Er ahnte nicht, wie bald dieser schreckliche Name wieder an sein Ohr klingen werde.

Ehe derselbe jedoch noch durch ganz Smudz ertönte, verlautete eine für die einen die freudigste der freudigen, für Sakowitsch die schrecklichste aller Nachrichten, welche in drei Worten die ganze Republik durchflog:

»Warschau ist genommen!«

Unter den Füßen der Verräter schien der Erdboden zu entweichen; der Himmel schien einzufallen über den Schweden, samt den großen Kriegshelden, deren Namen wie glänzende Sterne bisher geleuchtet hatten und vergöttert worden waren. Man wollte den eigenen Ohren nicht trauen als man hörte, der Kanzler Oxenstjerna sei gefangen, Erskin, Loewenhaupt, Wrangel und Wittemberg, der große Wittemberg, welcher die ganze Republik in Blut gebadet hatte, sie alle seien in Gefangenschaft! Johann Kasimir triumphierte und werde nach Beendigung des Krieges über die Sünder Gericht halten.

Diese Kunde flog mit Windeseile durch die Republik und fiel wie eine Bombe in die Dörfer, wo ein Bauer dem anderen sie hastig erzählte; der Wind trug sie über die Aehrenfelder, die Wälder, die Aehren, die Bäume raunten sie einander zu, die Adler krächzten sie durch die Luft und – das Volk griff mit immer wachsendem Mute zur Waffe.

Die Niederlage der Billewitsch in den Wäldern von Girlakol war im Augenblick vergessen. Der schreckliche Sakowitsch wurde in den Augen der Rebellen, ja sogar in seinen eigenen, ganz klein. Die Rotten überfielen wieder schwedische Abteilungen, die Billewitsch, welche sich schnell wieder erholt hatten, überschritten von neuem die Dubisa an der Spitze ihrer Bauern und des daheim gebliebenen Laudaer Kleinadels.

Sakowitsch wußte nicht mehr, was er thun, wo er Rettung finden sollte. Er hatte schon lange keine Nachricht mehr vom Fürsten Boguslaw und grübelte vergebens darüber nach, wo, bei welcher Armee er zu finden sein könnte. Zuweilen befiel ihn die gräßliche Besorgnis, daß auch er gefangen sei.

Mit Schrecken erinnerte er sich, daß der Fürst gesagt hatte, daß er sich nach Warschau zu wenden wolle. Wenn man ihm zum Kommandanten der Besatzung der Hauptstadt ernennen wolle, so wäre ihm das lieber als alles, da er von dort aus nach allen Seiten sich frei bewegen konnte. Manche behaupteten sogar mit Bestimmtheit, daß der Fürst in die Hände des Königs Johann Kasimir gefallen sei.

Wenn der Fürst nicht in Warschau war, sagte man, warum hätte ihn dann der allergnädigste Herr von der Amnestie, die er allen Polen, welche bei den Schweden gedient, erteilt hat, ausgeschlossen? Er mußte also gefangen sein und da bekannt war, daß das Haupt des Fürsten Janusch unter dem Henkerbeil hatte fallen sollen, so nahm man an, daß mit Boguslaw das Gleiche geschehen werde.

Bei längerem Nachdenken gelangte Sakowitsch auch zu dieser Ueberzeugung und tobte vor Verzweiflung, denn erstens liebte er den Fürsten, zweitens wußte er nur zu gut, daß im Falle des Todes seines mächtigen Protektors eher das wildeste Raubtier Schutz und Zuflucht finden würde als er, die rechte Hand des Fürsten.

Ihm schien die Flucht nach Preußen noch der einzige Rettungsanker; er durfte der Weigerung Anusias kein Gehör mehr schenken, er mußte fort, Dienst und Brot zu suchen.

»Wie aber,« fragte der Starost oft sich selbst, »wenn nach Friedensschluß der Kurfürst die Ueberläufer auslieferte?«

Er fand nur einen einzigen Ausweg, – die Flucht über das Meer nach Schweden.

Zum Glück für ihn traf nach einer Woche peinvollster Ungewißheit ein Eilbote vom Fürsten Boguslaw mit einem langen eigenhändigen Schreiben desselben für ihn ein.

»Warschau ist den Schweden genommen,« schrieb der Fürst. »Mein Zeltlager und meine Sachen sind verloren. Zurück kann ich nicht mehr, denn der Haß gegen mich ist so groß, daß ich von der Amnestie ausgeschlossen bin. Meine Leute hat Babinitsch dicht unter den Thoren Warschaus niedergehauen. Ketling ist in Gefangenschaft geraten. Der König von Schweden, der Kurfürst und ich, mit Stenbock rücken mit allen zu Gebote stehenden Streitkräften der Hauptstadt zu, wo unverzüglich die Entscheidungsschlacht geliefert werden soll. Karolus verschwört sich, daß sie gewonnen werden muß, obgleich die Geschicklichkeit, mit welcher Johann Kasimir operiert, ihn nicht wenig stutzig macht. Wer hätte auch gedacht, daß in diesem Exjesuiten ein so großer Stratege steckt? Ich habe diese Entdeckung schon bei Berestetsch gemacht, wo der ganze Plan von ihm und Wischniowiezki ausgedacht war. Wir setzen unsere Hoffnung darauf, daß das allgemeine Aufgebot, welches Tausende zu Johann Kasimir geführt hat, sich wieder nach Hause zerstreut, oder daß die erste Begeisterung verraucht sein wird und sie nicht mehr so tapfer dreinschlagen. Wolle Gott mit einem Schrecken in diese Bande fahren, denn nur so kann Karolus über sie siegen, obgleich nicht abzusehen ist, was nachher geschehen soll, da selbst die Generale sich der Thatsache nicht verschließen können, daß diese Rebellion einer Hydra gleicht, welcher an Stelle eines abgeschlagenen, gleich zehn neue Köpfe wachsen. Man sagt so leicht: ›Warschau zurückerobern!‹ Als ich diese Worte aus dem Munde des Königs hörte, frug ich: ›was dann?‹ Er antwortete mir nichts. Unsere Kräfte werden mürbe, die ihrigen erstarken. Wie wollen wir da den Kampf von neuem aufnehmen? Auch die Begeisterung ist nicht mehr dieselbe und von den unsrigen wird keiner mehr mit den Schweden halten wollen. Es wird uns nichts übrig bleiben, als demütig die Gnade Johann Kasimirs nachzusuchen. Gott gäbe, daß ich unbeschädigt davonkomme, daß man mich zu Gnaden aufnimmt und ich nicht aller Güter verlustig werde. Ich hoffe zu Gott, aber der Furcht kann man sich nicht erwehren, daß das Schlimmste bevorsteht.«

»Darum versuche alles, was von dem Grundbesitz irgend zu verkaufen geht, entweder gegen bares Geld zu verpfänden oder zu verkaufen, solltest Du selbst heimlicherweise mit den Konföderierten deswegen in Verbindung treten müssen. Du selbst gehe mit dem ganzen Lager nach Birz, von wo aus Kurland leichter zu erreichen ist. Ich würde Dir raten nach Preußen zu gehen, aber dort wird binnen kurzem Feuer und Schwert den Aufenthalt unsicher machen, denn gleich nach der Einnahme von Warschau ist dem Babinitsch der Auftrag geworden, durch Preußen nach Litauen zu ziehen, um dort den Aufstand zu schüren und alles mit Feuer und Schwert zu vernichten, und Du weißt, daß er das versteht. Wir wollten ihn am Bug auffangen; Stenbock schickte eine starke Abteilung gegen ihn aus, von welcher nicht ein Mann zurückkehrte. Denke nicht etwa daran, Dich mit Babinitsch zu messen, denn Du zwingst ihn nicht, sondern eile, nach Birz zu entkommen.

»Das Fieber hat mich vollständig verlassen, da hier eine schöne, trockene Hochebene ist, nicht solche Sümpfe wie in der Smudz. Gott befohlen u. s. w.«

So sehr erfreut der Starost war, daß der Fürst lebte und gesund war, so sehr besorgt machten ihn die erhaltenen Nachrichten. Wennschon der Fürst voraussah, daß selbst ein großer Sieg das schwankende Kriegsglück der Schweden nicht wieder herzustellen vermochte, was war da noch von der Zukunft zu hoffen. Es war wohl möglich, daß der Fürst sein Leben retten und bei seinem Kurfürstlichen Oheim Schutz finden konnte und er, Sakowitsch, mit ihm, was aber war inzwischen zu thun? Sollte er nach Preußen gehen?

Herr Sakowitsch bedurfte des fürstlichen Rates in Bezug auf Babinitsch nicht. Ihm fehlte schon von selbst die Kraft und der Mut, diesem entgegenzutreten. Als letzte Zuflucht blieb noch Birz übrig; doch dorthin zu gelangen war es zu spät. Auf dem Wege dorthin lag die Partei der Billewitsch, ein Schock andere Parteien, die sich alle vereinigen würden, ihn zu vernichten, oder wenn sie sich nicht vereinten, in jedem Dorfe, in jedem Sumpfe, Walde, Felde ihm stets neue Gefechte liefern würden. Wie viele Mannschaften waren da nötig, um wenigstens dreißig Mann heil nach Birz zu bringen. Sollte er also in Tauroggen bleiben? Auch das war gefährlich, da der gräßliche Babinitsch auf dem Wege hierher war. Alle Parteien, die er unterwegs antraf, würden sich seiner Tartarenhorde anschließen und wie Rachegeister über Tauroggen herfallen, wie die Sturmflut hereinbrechen.

Zum erstenmal in seinem Leben fühlte der verwegene Starost sich ratlos der Entscheidung eines Unternehmens, machtlos der Gefahr gegenüber.

Am nächsten Tage berief er Bützow und Braun zur Beratung. Man beschloß, in Tauroggen zu bleiben und weitere Nachrichten von Warschau her abzuwarten.

Doch Braun begab sich von dieser Beratung geradenwegs zu einer anderen, das heißt zu Anusia Borschobohata.

Die Unterredung währte lange, lange. Endlich verließ Braun das Gemach mit sehr bewegten Gesichtszügen. Anusia aber stürmte wie ein Wetter zu Olenka.

»Olenka! Die Zeit ist gekommen!« rief sie noch auf der Schwelle. »Wir müssen fliehen!«

»Wann?« frug, etwas erbleichend, das tapfere Mädchen, indem sie sich zum Zeichen sofortiger Bereitwilligkeit erhob.

»Morgen! Morgen! Braun hat das Kommando, Sakowitsch wird in der Stadt schlafen, wohin Herr Dzieschuck ihn zum Gastmahl bitten wird. Herr Dzieschuck ist längst mit im Komplott; er wird ihm etwas in den Wein mischen. Braun will selbst mitgehen und fünfzig Reiter mitnehmen. O, Olenka, Olenka, wie glücklich bin ich! wie glücklich!«

Anusia umhalste die Freundin und herzte sie mit einer so stürmischen Freude, daß Olenka ganz verwundert fragte:

»Was fehlt dir, Mädchen? Es lag doch längst in deiner Macht, Braun zu bestimmen.«

»Ich ihn bestimmen? Ja, ich konnte es! Aber habe ich es dir denn noch nicht gesagt? O Gott! Gott! Weißt du es noch nicht? Babinitsch ist auf dem Wege hierher! Sakowitsch, sie alle hier sterben vor Angst! ... Herr Babinitsch kommt! Er brennt, er sengt! Einen Vortrab der Schweden hat er ganz vernichtet, Stenbock ist verwundet und nun kommt er in Eilmärschen, als hätte er selbst große Eile hierher zu kommen! Und wem könnte er hier so entgegeneilen? Sprich Olenka, bin ich von Sinnen oder nicht?«

An den Wimpern Anusias blitzten Thränenperlen, Olenka faltete die Hände zum Gebet, blickte zum Himmel auf und sagte:

»Wer es auch sei, dem er entgegeneilt, Gott lenke seine Wege, segne und behüte ihn!«


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