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6. Kapitel

Tscharniezki wagte gar nicht zu hoffen, daß der Kronenmarschall sich ihm werde unterstellen wollen; er wünschte nur ein Zusammenwirken in Einigkeit und er fürchtete, daß ein solches selbst, bei der großen Eitelkeit und dem Hochmut des Herrn, nicht zustande kommen würde, denn der Marschall hatte schon früher zu seinen Offizieren geäußert, daß er lieber allein gegen die Schweden operieren wolle, um wenigstens etwas von Ruhm für sich zu ernten, denn er sähe voraus, daß ein Zusammenwirken mit Dscharniezki ihm nichts, jenem aber alles eintragen würde. Diese Aeußerung aber war dem Herrn Kastellan von Kijow zu Ohren gekommen, daher fürchtete er nun eine Zersplitterung der Kräfte.

Während nun seine Sendboten fern waren, quälte er sich mit Sorgen. Er hatte, seit die beiden Herren fort waren, die Kopie seines Briefes an Lubomirski wohl an zehnmal gelesen, um sich zu überzeugen, daß er nichts geschrieben, was den stolzen Mann reizen konnte. Dabei fand er, daß er einige Ausdrücke und Redewendungen doch lieber hätte weglassen sollen, zuletzt bereute er, den Brief überhaupt geschrieben zu haben.

Nachdenklich, grübelnd und ärgerlich über sich selbst, saß er nun in seinem Quartier, unruhig zum Fenster hinausblickend, ob die Sendboten noch nicht zurückkehrten. Die vorübergehenden Offiziere sahen ihn am Fenster stehen und errieten, was in seinem Innern vorging, denn die Sorge stand auf seiner Stirn geschrieben.

»Seht einmal,« sagte Polanowski zu Wolodyjowski, »es wird nichts gutes daraus, denn das Gesicht des Kastellan ist fleckig, das ist ein böses Zeichen.«

Das Gesicht Tscharniezkis wies nämlich eine große Menge Pockennarben auf, welche in Stunden großer Erregung oder innerer Unruhe ganz weiß leuchteten. Da überhaupt die Züge seines Gesichts und die Form seines Kopfes sehr scharf geschnitten, seine übermäßig hohe Stirn durch dichte buschige Brauen verdunkelt, die Nase scharf gebogen und der Blick durchdringend war, so trugen in solchen Fällen die Pockennarben doppelt dazu bei, daß er schrecklich anzusehen war. Die Kosaken pflegten ihn nicht mit Unrecht den »fliegenden Hund« zu nennen, denn wenn er mit lose flatternder Burka, die wie zwei schwarze Flügel zu beiden Seiten ihn umwehte, seine Soldaten zur Attacke führte, war die Aehnlichkeit mit diesem Tier eine sehr ausgeprägte. Darum schreckte sein Erscheinen auch die Feinde so sehr.

Seine Häßlichkeit war sprichwörtlich geworden. Zur Zeit der Kosakenkriege war er nicht allein durch seinen persönlichen Mut, sondern auch durch sein Aussehen der Schrecken aller Kosaken, selbst Chmielnizki fürchtete ihn vor allem als Berater des Königs. Er war es, welcher den Kosaken die fürchterliche Niederlage bei Berestetsch bereitet hatte. Wie ein flammendes Schwert war er zwischen die mächtigen Watahs gefahren, so daß selbst die Besonnensten den Kopf verloren, wenn er im Sturme die Städte der Ukraine nahm und die Schanzen derselben auseinander fegte, daß die Erde davon in alle vier Winde flog.

Mit derselben Ausdauer verfolgte er jetzt die Schweden. Karl Gustav pflegte zu sagen: »Er schlägt mir die Soldaten nicht tot, sondern er stiehlt sie mir.« Aber eben dieser heimlichen Verfolgung war Tscharniezki jetzt überdrüssig. Die Zeit zum kräftigen Dreinschlagen schien ihm gekommen und da er zur Eröffnung einer offenen Feldschlacht Kanonen und vor allem viel Fußvolk brauchte, so wünschte er sehnlichst die Ankunft und das Zusammenwirken mit Lubomirski herbei. Denn wenn auch der Marschall nur über eine geringe Anzahl Geschütze zu verfügen hatte, so brachte er doch an Fußsoldaten mehrere Regimenter mit, die sämtlich aus den Bewohnern der Berge rekrutierten, welche die Feuerprobe längst wiederholt bestanden hatten und im Notfalle den schwedischen Füsilieren schon Stand zu halten vermochten.

Tscharniezki fieberte vor Aufregung. Er konnte es im Quartier nicht mehr aushalten und war eben vor die Thür getreten, als Polanowski und Wolodyjowski daherkamen.

»Sind die Boten noch nicht zurück?« rief er sie an.

»Noch nicht,« antwortete Wolodyjowski. »Man wird sie gut aufgenommen haben.«

»Man wird sich ihrer Gegenwart freuen, aber meine Vorschläge verworfen haben, sonst hätte der Herr Marschall mir schon die Antwort durch einen seiner Offiziere geschickt,« meinte Tscharniezki.

»Herr Kastellan!« sagte Polanowski, welcher ein großes Vertrauen seitens des Generals genoß. »Wozu sich grämen! Kommt der Marschall, dann gut, wenn nicht, dann befolgen wir unsere Taktik weiter. Es fließt auch so Blut aus den schwedischen Töpfen und es ist doch eine bekannte Sache, daß wenn ein Topf leck wird, der Inhalt, wenn auch langsam, doch sicher herausläuft.

»Aber auch die Republik muß bluten,« versetzte Tscharniezki. »Wenn die Schweden jetzt entkommen, werden sie sich stärken können. Sie werden Zuzüge aus Preußen erhalten, die gute Gelegenheit ist dann vorüber.«

Während er das sagte, zupfte Tscharniezki ungeduldig an seinem Rocke herum.

Da hörte man Pferdegetrappel. Gleich darauf ertönte Saglobas Baßstimme; er sang:

»In die Kammer Kafia ist gegangen
Und der Stach' ruft nach ihr, mit Verlangen:
Laß mich Mädchen ein, sonst bin ich voller Sorgen.

Draußen heult der Sturm, es fällt der Schnee
Und die Kälte thut so wehe, ach so weh!
Laß mich ein, daß ich nicht friere bis zum Morgen!«

»Ein gutes Zeichen!« rief Polanowski. »Sie kehren fröhlich zurück. Die Angekommenen waren beim Anblick des Kastellans aus den Satteln gesprungen. Sie übergaben die Pferde den Stalljungen und schritten lebhaft dem Gange zu. Dicht vor dem General riß Sagloba plötzlich die Mütze vom Kopfe, warf sie hoch in die Luft und – indem er mit großem Geschick die Stimme des Marschalls nachahmte, rief er:

»Vivat, Herr Tscharniezki! Es lebe unser Oberbefehlshaber!«

Der Kastellan runzelte die Stirn und frug schnell:

»Habt ihr einen Brief für mich?«

»Nein!« antwortete Sagloba, »aber etwas besseres. Der Marschall stellt sich samt seinem Heere unter das Oberkommando Ew. Erlaucht! Tscharniezki schien den Sprecher mit seinem Blick durchbohren zu wollen. Dann wandte er sich an Skrzetuski, als wollte er sagen:

»Redet ihr! Dieser hier ist betrunken!«

Sagloba hatte thatsächlich einen kleinen Rausch. Da aber Skrzetuski die Aussage des Alten bestätigte, malte sich höchstes Staunen in den Zügen des Generals.

»Kommt mit mir!« befahl er den Anwesenden. »Herr Polanowski, Herr Wolodyjowski, ich bitte.«

Sie hatten noch keiner einen Platz eingenommen, als Tscharniezki schon frug:

»Was sagte der Marschall zu meinem Briefe?«

»Er sagte gar nichts,« antwortete Sagloba, »und warum er nichts sagte, daß wird aus meinem Bericht hervorgehen. Ich beginne ... Und nun erzählte er, was und wie alles geschehen, auf welche Weise er den Marschall zu dem Entschluß gebracht. Tscharniezki lauschte mit immer wachsendem Staunen, Polanowski schlug vor Verwunderung ein über das andere Mal die Hände zusammen und um den Bart Wolodyjowskis zuckte es schelmisch.«

»Ich lerne euch wahrhaftig heute erst kennen!« rief der Kastellan. »Ich traue meinen Ohren kaum.«

»Man nannte mich schon immer den polnischen Ulysses!« erwiderte Sagloba bescheiden.

»Wo ist mein Brief?«

»Hier, bitte!«

»Ich muß euch wohl verzeihen, daß ihr denselben nicht abgegeben habt! Ihr seid ja auf alle viere beschlagen! Der Reichskanzler sollte von euch lernen, mit Klugheit und Politesse etwas zu erreichen! Wahrhaftig! Ich, an des Königs Stelle, würde euch zum Botschafter in Konstantinopel ernennen ...«

»Und er würde als solcher bald hunderttausend Türken hierher schaffen,« warf Herr Michael dazwischen.

Und Sagloba brüstete sich:

»Zweihundert, nicht einhundert, so wahr ich lebe!«

»Hat der Marschall den Spott nicht gemerkt?« frug Tscharniezki.

»Er, gemerkt? Er verschlang alles, was ich sagte, wie ein gieriger Gänserich die Muskatnuß; es röchelte ihm in der Gurgel und die Augen gingen ihm vor Wonne über. Ich fürchtete, er würde vor Eitelkeit platzen, wie eine schwedische Granate. Man könnte ihn mit Schmeicheleien in die Hölle locken!«

»Wenn wir nur die Schweden bekämen, wenn wir sie bekämen, und ich hoffe, daß wir sie nun bekommen,« sagte Herr Tscharniezki hocherfreut. »Ihr seid ja ein sehr gescheiter Mann, nur treibt, bitte, den Spott mit dem Marschall nicht zu weit. Ein anderer würde sich so viel nicht erlaubt haben. Es hängt zu Vieles und Großes von seinem guten Willen ab. Wir haben bis Sandomir den Weg durch den Grundbesitz Lubomirskis. Der Marschall kann mit einem Wink seine Bauern veranlassen, uns den Durchmarsch zu erschweren. Ihr seid meiner Dankbarkeit sicher, so lange ich lebe, aber auch dem Lubomirski schulde ich Dank, denn ich vermute, daß nicht Eitelkeit allein die Triebfeder seines Handelns ist.«

Er klatschte in die Hände und befahl dem eintretenden Stalljungen, sofort das Reitpferd zu satteln.

»Wir wollen das Eisen schmieden, so lange es heiß ist.«

Und sich an die Hauptleute wendend, sagte er:

»Ihr begleitet mich! Das Gefolge muß so glänzend wie möglich sein.«

»Soll ich auch mitgehen?« frug Sagloba.

»Ihr habt die Brücke zwischen mir und dem Marschall gebaut, darum gehört es sich, daß ihr zuerst mit darüber reitet. Ueberdies vermute ich, daß ihr drüben gern gesehen werdet ... Ich bitte, Herr Bruder, thut mir den Gefallen, sonst müßte ich glauben, ihr wollt das halb begonnene Werk im Stich lassen«.

»Es hilft also nichts; ich muß mit! Zuvor muß ich aber meinen Gurt fester schnallen, sonst verwickeln sich meine Eingeweide ... Mir fehlt die Kraft zum Zusammenhalten der Därme, es wäre denn, daß ich mich erst stärken könnte.«

»Womit kann ich dienen?«

»Man hat mir viel von dem Met aus dem Keller Ew. Erlaucht erzählt; ich hatte noch nicht Gelegenheit, ihn zu kosten, möchte nun aber gern wissen, ob er so gut ist, als derjenige des Marschalls.«

»Gut! wir wollen also schnell einen Bügeltrunk aus dem Feldbecher nehmen. Wenn wir zurück sind, soll das Maß nicht karg bemessen werden, ihr werdet dann auch ein paar Bauchflaschen voll in eurem Quartier vorfinden ...«

Während er das sagte, nahm der Herr Kastellan den Feldbecher, füllte ihn und trank den Herren zu. »Auf frischen Mut und gute Laune!«

Der Marschall empfing Herrn Tscharniezki mit offenen Armen, nahm ihn gastfrei auf und hielt ihn bis zum Morgengrauen fest. Dann zogen beide Heere vereint unter dem Oberbefehl Tscharniezkis den Schweden nach.

Bei Sieniawa stießen sie auf die Nachhut der Armee, töteten viele und richteten eine kolossale Verwirrung an. Erst da es Tag wurde, zogen sich die Polen zurück, weil die feindlichen Geschütze zu viel Schaden unter ihnen anzurichten drohten. Auch bei Lesajsko fielen viele Schweden, von Tscharniezki hart bedrängt. Es waren in den aufgeweichten Wegen eine Menge Schweden stecken geblieben und in die Hände der Polen gefallen. Die Lage der Feinde wurde immer trauriger. Viele von ihnen wurden ganz ausgehungert aufgefunden und weigerten sich, Nahrung irgendwelcher Art zu sich zu nehmen, nur um den Todesstoß bittend. Viele blieben tot in dem Gestrüpp am Wege zurück, andere saßen irrsinnig geworden am Wege und starrten die Polen gleichgültig an. Die Ausländer, von denen viele unter den Schweden dienten, wurden fahnenflüchtig und gingen zu den Polen über, und nur der unbeugsame Geist, die feste Willenskraft Karl Gustavs hielten die im Erlöschen begriffene Begeisterung in seiner Armee aufrecht.

Um die Schweden zu täuschen und sie glauben zu machen, daß die Hilfstruppen des Chan schon mit ihnen seien, ließen die polnischen Heerführer den Ruf »Allah!« an allen Ecken und Enden ertönen. Tag und Nacht wurden die Beunruhigungen fortgesetzt. Dazu bekamen sie die Hand der Bauern schwer zu fühlen, denn alle Dörfer in dem Keile zwischen der San und der Weichsel gehörten dem Herrn Lubomirski oder seinen Verwandten, und der Marschall hatte bekannt machen lassen, daß jeder Bauer, welcher zu den Waffen greifen wolle, frei von der Leibeigenschaft werde. Kaum war das zur Kenntnis der Bauern gelangt, da wetzten sie auch schon die Sensen und sammelten die damit abgeschlagenen Schwedenköpfe, um sie dem Marschall zu Füßen zu legen, so daß dieser Mühe hatte, sie zu belehren, daß das gegen die Gebote des Christentums verstoße.

Nur wenige Polen waren noch bei den Schweden verblieben, täglich flüchteten ganze Scharen aus dem Lager, und diejenigen, welche noch zurückblieben, stifteten im Lager Tumulte an, so daß der König etliche der Rebellen niederschießen ließ, um die anderen zu erschrecken. Das war für sie das Signal zur allgemeinen Fahnenflucht, welche man mit dem Säbel in der Hand bewerkstelligte; es blieb kein einziger Pole mehr im Lager, sie gingen alle zu Tscharniezki über.

Der Herr Marschall blieb dem Oberbefehlshaber eine treue Stütze. Sei es nun, daß die edleren Charaktereigenschaften die Eigenliebe und den Hochmut Lubomirskis in der Zeit der höchsten Not der Republik eindämmten, genug, er scheute weder Mühsale, noch Geldopfer, noch die Sicherheit der eigenen Person, wo es galt, einzuschreiten, und da er auch sonst ein tapferer Krieger war, machte er sich sehr verdient um das Vaterland. Diese Verdienste hätten ihm bestimmt einen tadellosen Nachruhm gesichert, wenn nicht jene schamlose Verschwörung zum Schaden der Republik gegen das Ende seiner Laufbahn alle diese Verdienste zunichte gemacht hätte.

Zur Zeit aber that er, wie gesagt, alles, was ihm Lob und Ruhm bringen mußte. Mit ihm wetteiferte der Kastellan von Sandomir, ein alter, erfahrener Krieger, welcher nur gar zu gern den Herrn Tscharniezki aus dem Sattel als Oberbefehlshaber gedrängt hätte, obgleich er ihm an Feldherrntalenten nicht gleichkam. Beiden sei es zu Ruhm und Ehre nachgesagt, sie leisteten treu zu jener Zeit das ihrige zum Schutze des bedrängten Vaterlandes.

Da zu wiederholten Malen die Nachhut des schwedischen Heeres von den Polen total vernichtet worden war, so hatte Karl Gustav beschlossen, selbst mit der Nachhut zu gehen, um den geängstigten Soldaten Mut einzuflößen. Dieses Wagnis hätte ihm gleich beim ersten Male um ein Haar das Leben gekostet.

Eines Tages war er mit einer Schwadron seiner besten Leibgardisten, der Auslese aus den tapfersten Regimentern der Skandinavier, im Dorfe Rudnik eingekehrt, um etwas auszuruhen. Er aß im Pfarrhause zu Mittag und beschloß, ein paar Stunden zu schlafen, da er während der ganzen vergangenen Nacht kein Auge geschlossen hatte. Die Gardisten hatten das ganze Haus und Gehöft umstellt und hielten Wache. Trotzdem war es einem kleinen Stalljungen des Probstes gelungen, sich aus dem Hofe in das Gestütgehege der Pfarrei zu stehlen, welches ein Stück davon im Felde sich befand. Dort sprang er auf ein junges, kaum zugerittenes Pferd und jagte dem Lager Tscharniezkis zu.

Aber es war weit, etwa zwei Meilen, bis zu ihm selbst, während die Vorhut der Armee, bestehend aus der Schwadron des Fürsten Demetrius Wisniowiezki unter dem Kommando Schandarowskis, nur etwa eine halbe Meile entfernt stand. Herr Schandarowski unterhielt sich eben mit Rochus Kowalski, der einen Befehl des Kastellans überbracht hatte, als beide gleichzeitig den daherjagenden Stalljungen gewahrten.

»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?« rief Herr Schandarowski. »Der Kerl reitet wie toll und dazu noch auf einem ungesattelten Füllen?«

»Es ist ein Bauernjunge,« bemerkte Kowalski.

Der Junge war inzwischen bis dicht an die ersten Reiter herangekommen; das Pferd desselben wäre unfehlbar weitergerast, wenn es nicht plötzlich vor den Menschen und Pferden gescheut und sich auf die Hinterbeine gesetzt hätte. Der Junge war schnell heruntergesprungen, und während er das Tier fest an der Mähne packte, grüßte er die Ritter.

»Was bringst du neues?« frug Schandarowski nähertretend.

»Die Schweden sind bei uns in der Pfarrei; sie sagen, der König selber ist unter ihnen!« berichtete der Junge mit leuchtenden Augen.

»Sind es viele?«

»Es werden nicht über zweihundert Pferde sein.«

Nun leuchteten die Augen Schandarowskis auf. Doch er fürchtete Verrat, deshalb herrschte er den Jungen an:

»Wer hat dich geschickt?«

»Wer sollte mich schicken? Ich bin von selbst auf den Einfall gekommen, das Füllen aus der Hürde zu nehmen, weil sie mich sonst gesehen hätten. Ich bin dabei gestolpert und habe die Mütze verloren.«

Die Wahrheit sprach aus den Augen des Jungen. Man sah ihm an, wie er sich freute, den Schweden einen Schaden zufügen zu können. Die Wangen brannten ihm, mit der einen Hand die Mähne des Pferdes haltend, blickte er den Offizieren freimütig in die Augen, das Haar flatterte ihm im Winde und unter dem weitgeöffneten Hemd sah man die Brust sich schnell heben und senken.

»Und wo sind die anderen Schweden?« frug Schandarowski.

»Es graute kaum, da wälzten sich ihrer so viele durch das Dorf, daß wir sie nicht zählen konnten. Die sind aber weiter geritten, nur die zweihundert Reiter sind dageblieben; einer schläft beim Hochwürden. Sie sagen, es ist der König.«

Darauf sagte Schandarowski:

»Junge! Wenn du lügst, verlierst du den Kopf; sprichst du die Wahrheit, so kannst du bitten, um was du willst.«

Der Junge neigte sich vor ihm bis auf den Steigbügel.

»Ich rede die Wahrheit, Herr Offizier, so wahr ich gesund bleiben will! Eine Belohnung mag ich nicht, nur – wenn mir der Herr Offizier einen Säbel schenken wollte ...«

»Gebt ihm doch ein eisernes Hiebwerkzeug,« rief Schandarowski seinen Leuten zu. Er war jetzt überzeugt, daß der Junge nicht log.

Die anderen Offiziere frugen ihn noch, wo das Dorf liege, wo der Herrenhof und die Pfarrei, was die Schweden thäten.

»Die Hundeseelen bewachen ihn!« antwortete der Junge. »Wenn ihr geradewegs hinwolltet, könnten sie euch sehen; ich will euch aber hinter dem Erlenbusch herumführen.«

Der Befehl zum Satteln wurde bald gegeben, die Fahne marschierte ab; sie ritten erst im Trab, dann im Galopp. Der Junge ritt ohne Sattel, ohne Zaumzeug, die Hände in die Mähne vergraben auf seinem Füllen, vor dem ersten Gliede. Er spornte das Tier mit den blanken Fersen und liebäugelte glückstrahlend mit dem Kurzsäbel, den man ihm geschenkt.

Als das Dorf in Sicht kam, lenkte er von der Landstraße in einen Weidenweg, auf welchem er die Reiter in ein Erlengebüsch führte, in welchem der Boden sehr aufgeweicht und naß war. Sie kamen hier nur langsam vorwärts.

»Stille! Stille!« mahnte der Junge. »Hinter den Erlen liegen sie rechts, ein Viertelgewände weit fort.«

Die Reiter schlichen sich auf dem schlechten Wege ganz leise heran. Die Pferde versanken bis an die Kniee im Schlamm. Endlich wurden die Erlen lichter, sie waren am Rande des Wäldchens.

Etwa dreihundert Schritte vor sich, erblickten sie auf einer kleinen Anhöhe einen geräumigen Hof, in dessen Mitte das Pfarrhaus, umgeben von Lindenbäumen, stand. Zwischen den Lindenbäumen standen die Strohbeuten eines Bienenstandes. Im Hofe selbst bewegten sich gegen zweihundert Schweden in Helmen und Panzern.

Die riesenhaften Reiter saßen auf riesigen Pferden, die recht herunter gekommen waren. Sie hatten teils Säbel, teils Musketen in der Hand und blickten sehr aufmerksam nach dem Hauptwege hin, woher nach ihrer Meinung allein Gefahr drohen konnte. Eine mächtige blaue Fahne mit dem gelben Leu wehte über ihren Köpfen.

Weiter rings um das Haus standen Wachen zu je zwei Mann. Die eine dieser Wachen stand mit der Frontseite nach den Erlen zu. Die Sonne schien aber sehr hell und blendete, während die Erlen, schon im üppigen Blätterschmuck, ganz im Dunkel lagen. Darum konnte der Wachtposten die Polen nicht sehen.

In Schandarowski wallte es heiß auf, aber er bezwang sich und wartete, bis die Glieder sich geordnet. Unterdessen hatte Rochus Kowalski dem Jungen die Hand auf die Schulter gelegt.

»Höre einmal, Bremse!« sagte er. »Hast du den König gesehen?«

»Ich habe ihn gesehen, gnädiger Herr!« flüsterte der Bengel.

»Wie sieht er aus? Woran kennt man ihn?«

»Er hat ein ganz schwarzes Gesicht und trägt ein rotes Band an der Seite.«

»Würdest du sein Pferd erkennen?«

»Das Pferd ist auch ein Rappe mit einer Blässe.«

»Junge, halte dich an meiner Seite und zeige mir ihn!«

»Gut, Herr! Rücken wir bald los? ...«

»Halte das Maul!«

Sie verstummten beide, Herr Roch betete zur heiligen Jungfrau um die Gnade, den König in seine Hände zu bekommen.

Einen Augenblick noch blieb alles still. Da schnaufte das Pferd Schandarowskis. Der Wachtposten blickte scharf nach dieser Seite hin, erbebte und gleich darauf feuerte er seine Pistole ab.

»Allah! Allah! Vorwärts! Schlagt zu!« hallte es in den Erlen wieder. Und wie das böse Wetter stürzte die polnische Fahne hervor. Ehe noch die Schweden alle Front machen konnten, hatte das Handgemenge, der Kampf auf Rapiere und Säbel schon begonnen, denn zum Schießen kamen die Schweden nicht. Im nächsten Augenblick waren sie an den Zaun gedrängt, welcher dem Druck der schweren schwedischen Pferde nachgab und in Stücke ging. Zweimal versuchten es die Schweden, sich wieder zu sammeln und eine Kolonne zu bilden, doch immer wurden sie wieder auseinander gesprengt.

Plötzlich riefen einige weinerliche Stimmen:

»Der König! Der König! Rettet den König!«

Karl Gustav war gleich nach dem ersten Kriegsruf der Polen aufgesprungen, und mit der Pistole in der Hand, den Säbel zwischen den Zähnen, in die Thüre des Hauses getreten. Der Reiter, welcher sein Pferd hielt, führte es gleich vor und half dem Könige in den Sattel, worauf Karl Gustav sogleich zwischen den Linden und Bienenstöcken hindurch aus der Schußlinie der Polen zu kommen suchte. Am Zaune angelangt, setzte er über diesen hinweg und stieß zu den Reitern, welche sich wacker gegen den rechten Flügel der Polen verteidigten, der das Haus umgangen und die Schweden im Rücken überfallen hatte.

»Flieht!« rief der König, während er mit einem kräftigen Stoße seines Schwertes den Polen niederschlug, welcher schon die Waffe gegen ihn erhoben hatte und mit einem Satze seines Pferdes die Linie der Angreifer durchbrochen hatte. Seine Reiter folgten ihm und fort ging es; wie ein Rudel von den Windhunden verfolgter Rehe jagten sie davon, hinter ihrem Führer her.

Die polnischen Reiter setzten ihnen nach und nun begann eine Hetze. Die einen und die anderen waren auf die Landstraße gekommen, die von Rudnik nach Bojanowka führt. Man hatte sie vom Pfarrhofe aus gesehen und die dort Zurückgebliebenen hatten jetzt eben ausgerufen:

»Der König, der König! Rettet den König!«

Doch die Reiter auf dem vorderen Pfarrhofe waren durch Schandarowski so sehr bedrängt, daß sie an die eigene Rettung nicht mehr denken konnten, geschweige an die des Königs. So war für Karl Gustav keine andere Bedeckung geblieben, wie etwa zwölf Reiter, während die Zahl der Verfolger nahezu die dreißig erreichte, an deren Spitze Rochus Kowalski ritt.

Der Stalljunge, welcher ihm den König zeigen sollte, war ihm im Gewühl des Gefechtes doch von der Seite gekommen, aber Rochus hatte ihn selbst schon an der roten Schärpe erkannt. Er glaubte den Augenblick gekommen, wo unsterblichen Ruhm zu erringen ihm bestimmt war, deshalb stürmte er, das Pferd scharf spornend, wie der Wirbelwind dem fliehenden Monarchen nach.

Die Fliehenden spannten die letzte Kraft ihrer Pferde an, so daß sie hinzustürzen drohten. Die schnellfüßigen, leichteren der Polen hatten sie fast eingeholt. Allen voran war Rochus. Er stellte sich im Bügel auf, um besser zuschlagen zu können. Den ersten Reiter, den er erreichte, schlug er mit einem mächtigen Hiebe nieder, dann jagte er weiter, den König immer fest im Auge behaltend. Auch dem nächsten, dritten, vierten Reiter spaltete er den Kopf, die anderen überließ er seinen Leuten, während er unentwegt seinem Ziele, dem Könige, zusteuerte.

Der Raum, der ihn von Karl Gustav trennte, wurde immer kleiner; zwei Reiter und wenige Pferdelängen befanden sich noch zwischen ihnen. Da sauste ein Pfeil an dem Ohre des ergrimmten Verfolgers vorüber und blieb im Rücken des ihm zunächst fliehenden Schweden stecken. Jener schwankte nach rechts, dann nach links, schlug hinten über und fiel, einen viehischen Schrei ausstoßend, aus dem Sattel.

Noch ein Reiter nur trennte ihn jetzt vom Könige. Aber dieser eine wollte ersichtlich mit Hingabe seines Lebens den Monarchen zu retten suchen, denn statt weiter zu fliehen, wandte er plötzlich sein Roß und bot dem Verfolger die Stirn. Als Rochus ihn erreicht hatte, fiel auch dieser wie alle die anderen mit einem Hiebe hingestreckt vom Pferde.

Am liebsten hätte auch der König sein Pferd gewendet, um sich den Todesstreich zu holen, aber die anderen Verfolger waren inzwischen näher gekommen, Pfeile sausten ihm um die Ohren; er war jeden Augenblick in höchster Gefahr, verwundet zu werden. So drückte der König seinen Kopf fest auf den Hals des Pferdes und noch einmal sein braves Tier zur Anspannung aller Kraft spornend, flog er auf demselben wie eine Schwalbe dahin.

Rochus gab dem seinigen nicht nur die Sporen zu fühlen, sondern trieb es noch mit dem flachen Säbel zum Weitereilen an. Und nun flogen die beiden Reiter an Bäumen, Steinen, Weidenbüschen vorüber, daß der Wind ihnen um die Ohren sauste. Dem Könige flog der Hut vom Kopfe, er bemühte sich, während des Rittes auch seinen Uniformrock abzuwerfen, in der Hoffnung, daß dem Verfolger nach Beute gelüsten und er sich mit den Sachen begnügen werde. Aber Kowalski würdigte sie kaum eines Blickes; er ließ nur immer kräftiger den Säbel auf die Flanken seines Pferdes fallen, daß es laut stöhnte, und schrie dabei aus vollem Halse halb drohend, halb bittend:

»Halt! Beim barmherzigen Gotte, halt!«

Da strauchelte das Roß des Königs so heftig, daß es gefallen wäre, wenn der Monarch es nicht fest im Zügel in die Höhe gerissen hätte.

Rochus brüllte vor Vergnügen. Er war dem Könige durch diesen Zwischenfall viel näher gekommen.

Noch einmal strauchelte das Pferd vor ihm und wieder kam er näher, obgleich der König sein Tier noch einmal in die Höhe riß.

Rochus richtete sich schon im Sattel auf, um zum Schlage auszuholen, denn nur noch eine winzige Strecke trennte ihn von dem Verfolgten. Er sah schrecklich aus ... Die Augen waren ihm aus den Höhlen getreten, die Zähne blitzten weiß zwischen dem rötlichen Barte ... Noch ein Straucheln, ein kurzer Augenblick und das Los der Republik, Schwedens, des ganzen Krieges war entschieden.

Doch das Roß des Königs schien neue Kraft zu gewinnen, es griff wieder schneller aus, der König aber wandte sich um und schoß aus den Läufen zweier Pistolen schnell nacheinander zwei Schüsse ab.

Eine der Kugeln zerschmetterte dem Pferde des Rochus die Kniescheibe des einen Vorderbeines; es stieg erst kerzengerade in die Höhe, dann fiel es auf den gesunden Vorderfuß zurück und tauchte mit den Nüstern in den Sand.

Jetzt hätte Karl Gustav seinen Verfolger leicht töten können, doch in der Entfernung von etwa zweihundert Schritt kamen die anderen Verfolger nach. Er drückte daher seinen Kopf wieder in die Mähne des Pferdes und flog wie ein Pfeil davon.

Rochus nestelte sich unter dem gefallenen Tiere hervor ... Einen Augenblick starrte er dem Fliehenden wie blödsinnig nach, dann schwankte er wie ein Betrunkener, setzte sich auf den Weg nieder und brüllte wie ein wildes Tier.

Der König entschwand immer mehr und mehr den Blicken der Nachsetzenden. Zuletzt sahen sie noch, wie er langsamer zu reiten begann und im Dunkel des nächsten Kiefernwaldes verschwand.

Unter Geschrei und großem Lärm hatten die anderen polnischen Reiter jetzt ihren Gefährten erreicht. Es waren etwa fünfzehn, denen die Pferde standgehalten hatten. Der eine trug den Ueberrock des Königs, ein anderer den Hut, auf welchem die schwarzen Straußenfedern mit einer Spange von Diamanten befestigt waren. Diese beiden riefen schon von ferne:

»Das ist dein, das ist dein, Waffenbruder! Das kommt dir zu!«

Und andere schrieen dazwischen:

»Weißt du denn, wen du verfolgt hast? Den Karolus selbst!«

»Er ist sein Lebenlang sicher vor niemandem so ausgerissen, wie vor dir, du kannst dir etwas auf diesen unsterblichen Ruhm einbilden, Kavalier! ...«

»Wie viel Reiter er noch dazu umgebracht hat, ehe er dem Könige so hartnäckig nachsetzte! ...«

»Um ein Haar hätte dein Schwert das Geschick der Republik gewendet!«

»Da nimm den Ueberrock!«

»Nimm den Hut!«

»Schade um den Gaul, aber du kannst zehn solcher für die erbeuteten Schätze kaufen!«

Während Rochus das alles ruhig über sich ergehen ließ, starrte er wie blödsinnig vor sich hin. Plötzlich brüllte er sie an:

»Ich bin Kowalski«, sagte er »und das hier (auf seinen Säbel schlagend) ist meine Frau Kowalska. Schert euch zu allen Teufeln!!«

»Er hat den Verstand verloren!« riefen alle durcheinander.

»Ein Pferd, gebt mir ein Pferd! Vielleicht hole ich ihn noch ein!« rief Rochus.

Doch die Kameraden faßten ihn trotz seines Sträubens unter den Armen und führten ihn nach Rudnik zurück, unterwegs bemüht, ihn zu trösten und zu beruhigen.

»Du hast es ihm eingetränkt!« riefen sie. »Wohin ist es nun mit ihm gekommen, mit ihm, dem Sieger, dem Vernichter so vieler Städte, Reiche und Armeen!«

»Haha! Er hat die polnischen Kavaliere kennen gelernt!«

»Er wird die Republik bald im Magen haben. Es wird ihm bald zu enge bei uns werden!«

»Vivat Rochus Kowalski!«

»Vivat! Vivat dem tapfersten Ritter, dem Stolz der Armee!«

Man trank ihm aus den Feldflaschen zu. Er trank die ihm dargereichte bis auf den letzten Tropfen aus, darnach schien er etwas getröstet.

Während sich das auf der Landstraße begeben hatte, verteidigten die anderen Reiter auf dem Pfarrhofe ihr Leben mit der, einer so ausgezeichneten Truppe würdigen Tapferkeit. Obgleich durch den unvermuteten Ueberfall überrumpelt und auseinandergerissen, hatten sie sich doch schnell um ihre blaue Fahne wieder zusammengefunden. Auch nicht einer bezeigte Lust, sich zu ergeben. Schulter an Schulter gedrängt, stachen sie mit ihren Rapieren so wütend um sich, daß eine Weile ihnen der Sieg gewiß schien. Man mußte sie wieder auseinander zu bringen versuchen, was kaum möglich war, oder sie bis auf den letzten Mann niederhauen. Schandarowski umschloß das Karree mit einem dichten Ringe und warf sich selbst auf den Feind, wie ein russischer Geierfalke auf ein Volk langschnäbeliger Kraniche. Es entstand ein entsetzliches Handgemenge. Die Säbelklingen klirrten mit den Rapieren zusammen, die Rapiere zerbrachen an den Griffen der Säbel. Von Zeit zu Zeit bäumte ein Pferd und stieg aus dem Getümmel hoch empor, wie ein Delphin, der sich aus schäumenden Wogen erhebt. Das Geschrei war verstummt, man hörte nur das Geklirr der Waffen, das Quieken der Pferde und das laute Atmen der nach Luft ringenden Kämpfer. Die Parteien waren mit ungewöhnlicher Heftigkeit aufeinander geprallt. Man kämpfte selbst mit zerbrochener Waffe, riß sich gegenseitig die Haare aus, raufte die Schnurrbärte, biß mit den Zähnen um sich, warf sich aus den Sätteln. Diejenigen, welche von den Pferden gestürzt waren und sich noch auf den Beinen erhalten konnten, stießen ihre Messer in die Bäuche der Pferde, in die Waden der Reiter. Die Menschen schienen sich zu Riesen auszuwachsen in diesem Gebrodel von Dampf und Blut.

Noch immer schwebte die blaue Fahne über dem Häuflein Schweden, welches von Minute zu Minute kleiner wurde.

Wie die Schnitter von zwei Seiten des Aehrenfeldes mit dem Mähen beginnend der Mitte desselben zustreben und sich immer näher kommen, so auch zog sich der Ring der Polen immer enger um das Häuflein Feinde und schon konnten die Säbelenden einander erreichen.

Herr Schandarowski wütete und fraß sich förmlich in das Karree der Schweden ein, aber einer übertraf ihn noch an Wut und Grausamkeit. Dieser eine war der Stalljunge, welcher die Nachricht von der Anwesenheit des Königs im Pfarrhofe den Polen überbracht hatte. Das Füllen des Geistlichen, welches bisher lammfromm über den gefrorenen Boden geschritten war, schien, beengt und gequetscht von dem Drängen der Menschen und Tiere, gleich seinem jungen Reiter toll geworden zu sein.

Mit eingezogenen Ohren, gesträubter Mähne, hervorquellenden Augen und schnaubenden Nüstern, drängte es mitten in das Getümmel hinein, biß und schlug um sich wie sein Herr. Der Junge schlug blindlings mit seinem Säbel drein. Die Hiebe trafen rechts und links. Seine hellblonden, langen Haare flatterten ihm um Hals und Gesicht, welches schon mehrfache Wunden aufzuweisen hatte, und trieften von Blut. Die Waden und Arme waren von Rapierstichen zerfetzt, aber gerade diese Wunden stachelten seine Wut aufs äußerste. Er focht wie einer, der an der Erhaltung des Lebens verzweifelt und seinen Tod noch bei den Lebzeiten an den Feinden rächen will.

Es war zuletzt nur ein kleines, winziges Häuflein um die Standarte zurückgeblieben. Einem Haufen Schnee gleich, welcher mit kochendem Wasser begossen wird, war das Karree zusammengefallen. Wie Ameisen krabbelten die Polen auf den Trümmern derselben herum. Tapfer und mutig waren die Feinde in den Tod gegangen, keiner hatte um Gnade gefleht.

»Nehmt die Fahne!« wurden jetzt Stimmen laut. »Nehmt die Fahne!« Als der Stalljunge das hörte, spornte er mit einem Messerstich sein Füllen, dieses sprang mit einem langen Satze vorwärts, und da jeder der Schweden, der noch bei der Standarte aushielt, es bereits mit zwei bis drei Feinden aufzunehmen hatte, versetzte er dem Fahnenträger mit dem Säbel einen Hieb über das Gesicht, daß er die Arme ausbreitend, die Fahne den Händen entgleiten ließ und mit dem Kopfe auf den Hals seines Pferdes fiel.

Die blaue Fahne senkte sich und fiel langsam nieder.

Der nächststehende schwedische Reiter schrie laut auf und griff nach der Stange, der Junge aber packte das Leinentuch derselben und riß daran, bis die Nägel sich lockerten und das Tuch ihm in den Händen blieb. Er wickelte es zu einem Knaul zusammen, preßte es fest an die Brust und schrie, was er aus dem Halse bringen konnte:

»Ich habe sie, ich habe sie und gebe sie nicht her.«

Die noch lebenden letzten Reiter warfen sich wutentbrannt auf den Fahnenräuber. Er bekam noch einen Stich, der auf die Brust gerichtet war, aber durch die Fahne geschwächt, nicht mehr viel Schaden anrichtete. Im selben Augenblick fielen auch die letzten des tapferen Häufleins.

Eine Anzahl Arme streckten sich nach dem Stalljungen aus.

»Die Fahne her! Gieb die Fahne,« riefen mehrere Stimmen gleichzeitig.

Man versuchte sie ihm zu entreißen. Da sprang Schandarowski ihm zu Hilfe.

»Laßt ihn zufrieden!« befahl er. »Er hat sie vor meinen Augen erobert, er soll sie auch selbst dem Kastellan übergeben.«

»Da kommt der Kastellan, da kommt der Kastellan! ...« hörte man plötzlich rufen.

Thatsächlich wurde Pferdegetrappel laut, eine Kriegsfanfare wurde geblasen und von der Grudzer Seite her sah man eine Fahne Reiter der Pfarrei zugesprengt kommen. Es war die Laudaer Fahne, von Tscharniezki selbst angeführt. Als er wahrnahm, daß er zu spät kam und alles vorüber war, hielt er sein Pferd an.

Schandarowski sprang ihm gleich entgegen, um Bericht zu erstatten. Er war aber so erschöpft, daß er anfangs kein Wort hervorbringen konnte und bebte, wie vom Fieber geschüttelt.

Endlich vermochte er zu stammeln:

»Der König selbst war hier ... ich weiß nicht, ob er entkommen ist ...«

»Er ist entflohen!« meldeten diejenigen, welche die Verfolgung beobachtet hatten.

»Die Fahne ist erobert! ... Eine Menge Gefallene! ...«

Tscharniezki ritt, ohne ein Wort zu sprechen, auf das Schlachtfeld, welches einen entsetzlich traurigen Anblick bot. Weit über zweihundert Schweden und Polen lagen hier dicht neben- und übereinander ... Welche von ihnen hielten noch krampfhaft die Haare, die sie gerauft, viele bissen noch im Todeskampfe auf die Feinde mit den Zähnen ein, andere lagen in brüderlicher Umarmung, oder lagen mit dem Kopfe auf der Brust des Todfeindes ... Viele waren bis zur Unkenntlichkeit von den Huftritten der Pferde zermalmt. Die Luft war mit dem Geruche des Menschenblutes und dem Schweiß der Pferde durchtränkt, daß man kaum atmen konnte.

Der Kastellan blickte auf diese Gräuel mit dem Auge des Herrn, der die Getreidegarben zählt, die in den Bansen gebracht werden sollen. Befriedigung leuchtete aus seinem Gesicht. Er umritt den ganzen Pfarrhof, besah die Leichen, welche auf der anderen Seite hinter dem Garten lagen, dann kehrte er langsam zurück.

»Ihr habt wacker gearbeitet,« sagte er. »Ich bin mit euch zufrieden, meine Herren!«

Von blutigen Händen geworfen, flogen die Mützen aller Anwesenden hoch in die Luft.

»Vivat Tscharniezki,« tönte es aus hundert Kehlen, »Vivat!«

»Gott gebe uns bald wieder ein Treffen! ... Vivat! Vivat!«

Und Tscharniezki sagte:

»Ihr werdet zur Nachhut gehen, damit ihr ausruhen könnt. Wer hat die Fahne genommen, Schandarowski?«

»Bringt den Jungen her!« befahl Schandarowski. »Wo ist er?«

Die Soldaten beeilten sich, ihn zu suchen und fanden ihn in einem Winkel des Pferdestalles neben seinem Füllen hockend, welches soeben seinen Wunden erlegen war. Im ersten Augenblick konnte man glauben, auch der Junge werde bald seinen letzten Atemzug aushauchen; er saß regungslos, den Kopf an die Wand gelehnt, mit beiden Händen hielt er die Fahne fest an die Brust gepreßt.

Man hob ihn auf und die Soldaten trugen ihn vor den Kastellan, wo sie ihn auf die Füße stellten. Barfuß, mit zerzaustem Haar, die Brust entblößt, das Hemd und der Kittel in Fetzen, blutbefleckt stand er vor Schwäche schwankend, kaum einem menschlichen Geschöpf ähnlich vor dem General. Nur in den Augen des Jungen war das Feuer der Begeisterung noch nicht erloschen. Ueberrascht von seinem Anblick frug der General erstaunt:

»Wie, dieser? Der hier hat die Königsstandarte erobert?«

»Mit eigener Hand und mit dem eigenen Blut!« antwortete Schandarowski. »Er war es auch, der uns die Nachricht brachte, daß die Schweden samt dem Könige hier sind. Dann hat er hier so viel vollbracht, daß er uns alle übertroffen hat!«

»Das ist wahr! Die reinste Wahrheit!« riefen die Soldaten im Chor.

»Wie heißest du?« frug Tscharniezki den Jungen.

»Michalek!« lautete die Antwort.

»Wem gehörst du?«

»Ich gehöre zum Pfarrhofe.«

»Gut! Bisher warst du Knecht im Pfarrhofe, von nun an sollst du dein eigener Herr sein!« antwortete ihm der Kastellan.

Aber Michalek hörte diese Worte nicht mehr. Er war von dem Blutverluste so schwach, daß er plötzlich ohnmächtig wurde und mit dem Kopfe an den Steigbügeln des Kastellans schlug.

»Nehmt ihn auf, laßt ihm alle Sorgfalt angedeihen. Ich werde dafür sprechen, daß er in der nächsten Sitzung des Reichsrates in den Adelstand erhoben wird. Er werde euch gleich an weltlichem Range, wie er euch an Seelenadel gleicht!«

»Das verdient er! Er verdient es!« rief es durcheinander.

Man legte ihn auf eine Tragbahre, die in der Eile hergestellt wurde, und trug ihn in das Pfarrhaus.

Tscharniezki nahm nun die weiteren Berichte entgegen; doch nicht mehr Schandarowski war Berichterstatter, sondern jene, welche die Verfolgung des Königs durch Herrn Rochus mit angesehen hatten. Der General war hocherfreut durch die Erzählung der Leute, denn er war überzeugt, daß nach den heutigen Vorgängen der Mut der schwedischen Armee vollständig gebrochen sein müsse.

Nicht weniger erfreut war Herr Sagloba. Mit untergestemmten Armen wandte er sich an die Ritter und sprach stolz:

»Ha! Der Raufbold! Wie? Wenn er den Karolus eingeholt hätte, hätte kein Teufel ihm ihn wieder abgejagt! Mein Blut verleugnet sich nicht, nein, es kann sich nicht verleugnen!«

Sagloba hatte im Lause der Zeit sich so lange seine Verwandtschaft mit Rochus eingeredet, daß er schließlich selbst daran glaubte.

Herr Tscharniezki hatte den jungen Ritter suchen lassen, man konnte ihn aber nirgends finden, denn Herr Rochus hatte sich aus Kummer über die ihm widerfahrene Enttäuschung und aus Scham über das Mißlingen seines Vorhabens in die Scheune versteckt. Er war in den mit Stroh gefüllten Bansen gestiegen, hatte sich in das Stroh eingewühlt und war so fest eingeschlafen, daß er erst am nächsten Morgen erwachte und seiner Fahne nacheilen mußte. Er schämte sich aber noch so sehr, daß er nicht wagte, dem Ohm unter die Augen zu treten. Dieser mußte ihn selbst aufsuchen und trösten.

»Gräme dich nicht Rochus!« sagte er. »Du hast ohnehin große Ehre eingelegt. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie der Herr Kastellan dich rühmte. Seht nur, sagte er, man denkt, der Dämlak kann nicht bis drei zählen und nun entpuppt er sich als feuriger Kavalier, welcher die Reputation der ganzen Armee gehoben hat!«

»Gott hat es mir nicht gesegnet,« sagte Rochus, »denn ich hatte mich am Tage vorher betrunken und abends nicht gebetet!«

»Versuche niemals den Willen Gottes zu ergründen, damit du nicht lästerst. Nimm auf dich, was du auf dem Rücken forttragen kannst, aber denke über nichts nach, sonst gerätst du auf Irrwege.«

»Ach, ich war schon so nahe, daß der Schweiß seines Pferdes mir in die Nase fuhr. Ich hätte ihn bis auf den Sattelknopf gespalten. Ihr denkt wohl, Ohm, daß ich gar keinen Verstand habe!«

Darauf erwiderte ihm Sagloba:

»Jedes Vieh hat seinen eigenen Verstand. Du bist ein braver Kerl, Rochus, du wirst mir noch manche Freude machen. Gott gebe, daß deine Söhne einmal deinen Bauernverstand erben!«

»Ich brauche keine Söhne,« sagte Roch. »Ich bin Roch Kowalski und hier, das Schwert an meiner Seite, ist Frau Kowalska ...«


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