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Viertes Buch.

1. Kapitel

Kmiziz und die drei Kiemlitsche eilten so schnell sie konnten der schlesischen Grenze zu. Sie ritten dabei vorsichtig, um nicht einem schwedischen Vortrabe zu begegnen, denn wenn auch die Kiemlitsche mit Pässen von Kuklinowski und Miller wohl versehen waren, so wurden doch in jener Zeit selbst solche Leute, die sich genügend ausweisen konnten, angehalten und auf das Strengste ausgeforscht. Solches konnte aber für Herrn Andreas und seine Gefährten einen schlimmen Ausgang haben. So eilten sie denn über die Grenze, um ein Stück in das Innere des deutschen Kaiserreichs zu gelangen, denn selbst unweit der Grenze innerhalb desselben war man vor schwedischen Streifzüglern noch nicht sicher. Es strichen oft ganze Reiterabteilungen bis in das Innere des Schlesierlandes, um diejenigen aufzufangen, welche zu Johann Kasimir wollten. Die Kiemlitsche aber hatten während der Zeit ihres Aufenthaltes bei Tschenstochau durch ihre Beschäftigung, einzelnen Schweden aufzulauern, alle Grenzwege und Stege genau kennen gelernt, weil dort immer die reichste Beute zu finden war. Große Veränderungen waren nun vorgegangen. Ueberall hatten die Schweden Niederlagen erlitten; es war ein baldiges Ende der Schwedenherrschaft in Polen zu erwarten. Das polnische Heer war der schwedischen Kameradschaft überdrüssig. Diejenigen Regimenter, welche ihre Hetmane früher mit dem Tode bedrohten, wenn sie sich nicht mit den Schweden vereinigten, sandten jetzt Deputationen zu ihnen, mit der Bitte, die Republik aus der Gefahr zu retten, indem sie den Eid leisteten, bis zum Tode ihnen darin beizustehen. Einige Hauptleute hatten sogar allein mit der Auflehnung gegen das Schwedenregiment begonnen. Zuerst waren es die Herren Zegozki, der Starost von Bomst, und Herr Kulescha. Diese hatten in Großpolen einen Krieg im kleinen angefangen und den Schweden tüchtig zugesetzt. Vom stehenden Heere war das Regiment, dessen Führer Herr Woynillowitsch war, von den Schweden zuerst abgefallen.

Auch die Gebirgsbewohner lehnten sich jetzt gegen den Feind auf. Von den schwedischen Abteilungen, welche man ihnen in das Gebirge nachsandte, war nicht ein Mann zurückgekommen. Herr Woynillowitsch sandte den armen Bauern Hilfe; er selbst war zum Marschall Lubomirski gegangen und hatte sich mit seinen Truppen vereinigt.

Die Belagerung Tschenstochaus hatte das ganze Reich gegen die Schweden erbittert. Das Heer, der Adel schlug sie schon, wo sie sich finden ließen, die Bauern rotteten sich zusammen und die Tartaren, der Chan in eigener Person an der Spitze, kamen in Eilmärschen hergezogen. Radziwill wurde von Sapieha bedrängt und allmählich unschädlich gemacht. Bald war Kmiziz in Schlesien. Die Landstraßen wimmelten von Reisenden, die Schenken und Wirtshäuser waren überall überfüllt. Die einen flohen aus den angrenzenden Landesteilen der Republik in das Innere des Nachbarlandes, die anderen zogen wieder der Grenze zu, um Nachrichten über den Stand der Dinge im Vaterlande einzuziehen. Von Zeit zu Zeit traf Kmiziz auch solche, welche, der Schwedenherrschaft überdrüssig, eilten, ihre Dienste dem vertriebenen Könige anzubieten. Hier und da begegnete er sogar schon ganzen Abteilungen Soldaten und ganzen Zügen Adliger, welche teils freiwillig, teils auf Grund der mit den Schweden getroffenen Vereinbarungen die Grenze überschritten hatten, wie z. B. die Abteilung des Herrn Kastellan von Kijow. Sie zogen sich jetzt zusammen; die Nachrichten aus der Republik hatten den Mut dieser »Exilierten« von neuem entfacht; sie trafen nun eifrige Vorkehrungen zur Rückkehr unter die Waffen. In ganz Schlesien wogte es. Besonders rege ging es in den Herzogtümern Ratibor und Oppeln zu. Dort flogen die Kuriere hin und her. Es entwickelte sich ein lebhafter Briefverkehr zwischen dem Könige, dem Kastellan von Kijow, dem Kardinal-Primas von Polen, dem Kanzler Koryzinski und dem Kastellan von Krakau, Herrn Warschyzki, welcher seinem königlichen Herrn nicht einen Augenblick untreu geworden war. Alle diese Herren setzten sich untereinander in Verbindung. Im Einvernehmen mit der großherzigen, im Unglück an Mut unerschütterlichen Königin wurden Verhandlungen mit angesehenen Persönlichkeiten im Vaterlande wieder angeknüpft, von deren Königstreue man überzeugt war. Auch der Kronen-Marschall, die Hetmane und viele vom hohen Adel beeilten sich, durch Eilboten den König wissen zu lassen, daß auch sie die Erhebung gegen die Fremdherrschaft vorbereiteten.

Wieder stand die Republik Polen am Vorabende eines allgemeinen Krieges. Die Schweden unterdrückten zwar stellenweise die Flammen der Auflehnung gegen die Gewaltherrschaft noch, bald durch die Gewalt der Waffen, bald mit dem Henkersschwert, aber war es an einer Stelle geschehen, da stiegen sie an anderer Stelle schon wieder in die Höhe. Ein schrecklicher Sturm bereitete sich gegen die skandinavischen Eindringlinge vor. Der Boden, obgleich schneebedeckt, brannte ihnen sozusagen unter den Füßen. Drohungen und Rachegeschrei tönte ihnen rings entgegen, schreckte und ängstigte sie.

Wie betäubt schlichen sie umher. Die Siegeshymnen, welche noch unlängst von ihren Kehlen erklangen, waren verstummt, und verwundert frug einer den anderen: »Ist das denn dasselbe Volk, welches noch vor wenigen Tagen seinen eigenen Herrn verlassen, um kampflos sich uns zu ergeben?«

Waren doch thatsächlich die polnischen Herren, der Adel, das Heer mit in der Geschichte der Völker ganz unerhörter Bereitwilligkeit in das Lager der Sieger übergegangen, hatten ihnen die Thore der Städte, der Vesten und Burgen freiwillig geöffnet. Nie war wohl ein ganzes Land leichter unterworfen worden, als diese Republik. Ohne Blutvergießen, ohne Anstrengung war sie den Schweden in den Schoß gefallen. Die Sieger selbst, erstaunt über die Leichtigkeit des errungenen Sieges, konnten den Besiegten, welche beim ersten Erscheinen des schwedischen Banners ihren angestammten König, das Vaterland verleugnet hatten, um in geträumter Ruhe und Wohlleben ihr Dasein hinzubringen, ihre Verachtung nicht verbergen. Das, was seiner Zeit Wrestschowitsch dem Kaiserlichen Gesandten Lisola gesagt hatte, das wiederholten später alle schwedischen Generale, ja der König selbst: »Dieses Volk besitzt weder Mut, noch Treue, weder Glauben, noch Vaterlandsliebe, noch Sinn für geordnete Verhältnisse; – es muß zu Grunde gehen!«

Man hatte nur eines vergessen, man wußte nicht, daß ein Gefühl ihm inne wohnte, dessen irdischer Ausdruck Tschenstochau, der heilige Berg war. Und diesem Gefühl entsprang die Wiedergeburt dieses Volkes.

Der Donner der Geschütze bei Tschenstochau hatte einen nachhaltigen Widerhall gefunden in den Herzen der Magnaten, des Adels, der Städter und Bauern. Ein Schrei der Entrüstung war ertönt von den Karpaten bis zum baltischen Meere, der Riese war aus seiner Erstarrung erwacht!

»Das ist ein anderes Volk!« – sagten jetzt verwundert die schwedischen Generale.

Und alle, von Arwid Wittemberg angefangen, bis zu den Kommandanten der kleinsten Burgen, sandten sie Boten zu dem in Preußen befindlichen Karl Gustav mit der Schreckensbotschaft.

Der Boden schwand ihnen unter den Füßen. An Stelle der früheren Freunde fanden sie überall nur Feinde, statt der Unterwerfung, Widerstand, statt Furcht, wilden Mut, statt sanfter Duldung, Barbarismus, statt Ergebung, Rachelust.

Unterdessen flog in der ganzen Republik von Hand zu Hand das Manifest Johann Kasimirs, welches schon früher von Schlesien aus erlassen, vor der Belagerung von Tschenstochau gar keine Beachtung gefunden hatte. Jetzt konnte man seine Abschrift überall finden. Wo irgend der schwedische Arm nicht hinreichte, da sammelte sich der Adel, da rottete sich das Volk zusammen, um den Worten des vertriebenen Königs zu lauschen, welche dem Volke alle seine Sünden und Fehler vorhaltend, dennoch mahnten, die Hoffnung nicht aufzugeben und zur Rettung der so gesunkenen Republik sich aufzuraffen.

»Es ist noch Zeit,« schrieb Johann Kasimir, »die verlorenen Provinzen und Städte zurückzugewinnen, die Kirchenschändungen durch Feindesblut zu rächen und Freiheit, Ordnung und Recht nach altpolnischer Weise wieder herzustellen, wenn ihr die alten polnischen Tugenden, die alte, unseren Vorfahren eigene, so herzgewinnende Königstreue und Vaterlandsliebe wieder erweckt, durch welche unsere Ahnen sich stets vor anderen Völkern auszeichneten. Eure Ausschreitungen haben euren Tugendsinn abgestumpft. Wem Gott und sein Glaube über alle irdischen Güter wert ist, der erhebe sich gegen den schwedischen Feind. Wartet nicht, bis die Wojewoden und Feldherren nach alter Staatsordnung euch zur Erhebung aufrufen, denn eure Zuvorkommenheit und Bereitwilligkeit, dem Schwedenkönig den Treueeid zu leisten, haben die alte Ordnung über den Haufen geworfen. Sammelt euch zu Zweien, Dreien, Vieren, Fünfen; verpflichtet euch gegenseitig, daß ein jeder mit seinem Gesinde sich einfinde, wo euer gutes Recht Widerstand gegen den Feind erheischt. Dann wählt einen Führer. Eine solche Vereinigung schließe sich der anderen an, bis ein genügend großes Heer sich gesammelt hat, über welches dann ein Kommandierender zu wählen ist. Wartet Unsere Ankunft ab, aber unterlaßt inzwischen keine Gelegenheit, den Feind zu schädigen. Sobald Wir auch nur den geringsten Beweis von eurer Treue, eurem Entgegenkommen und eurer Zuneigung erfahren, werden Wir sogleich zu euch eilen und Unser Gut und Leben freudig zur Wiederherstellung der Ehre und des Ruhmes des Vaterlandes darbieten!«

Dieses Manifest wurde überall verlesen, sogar im Hauptquartier Karl Gustavs, im Lager der Schweden und überall, wo nur ein polnisches Fähnlein bei den Feinden stand. Die Herren und der Adel hörten mit Thränen jedes dieser königlichen Worte, sie bedauerten ihren guten Herrn und schwuren auf das Kruzifix und ihre Schwerter, seinen Willen treulich zu erfüllen.

Um aber von dieser Willensbereitschaft einen Beweis zu liefern und zu zeigen, wie groß die Begeisterung sei, griff man, noch ehe die Thränen getrocknet waren, zur Waffe, schwang sich aufs Pferd und schlug auf die Schweden los.

So kam es, daß kleinere schwedische Abteilungen fast spurlos zu verschwinden begannen. Also geschah es in Litauen, in Smudz, Masowien, in Groß- und Kleinpolen. Es ereignete sich häufiger, daß eine größere Anzahl Adlige, welche bei den Nachbarn zu einem Namensfeste, einer Taufe, Hochzeit, oder einer geselligen Zusammenkunft, ohne jede kriegerische Absicht sich versammelt hatten, das Fest damit beschlossen, daß sie in einer Weinlaune plötzlich zu den Schwertern griffen, auf die Pferde sprangen und das nächste beste schwedische Kommando niedermetzelten. Einmal im Zuge, ritt dann die Gesellschaft unter Gesang und Vivatrufen nach vollbrachtem Werk weiter, unterwegs alle diejenigen, welche Lust hatten mitzuziehen, aufgreifend, und so zu einem Haufen blutgieriger Partisanen angewachsen, zogen sie dann durchs Land, überall Krieg anfachend. Die leibeigenen Bauern und das Gesinde strömte haufenweise herzu, um sich ihnen anzuschließen. Sie brachten in der Regel die Nachricht mit, wo einzelne schwedische Wachtposten oder kleinere feindliche Abteilungen unvorsichtig in Dörfern oder Meilern stationiert waren. Die Zahl dieser sogenannten Vergnügungszügler mehrte sich täglich. Die angeborene Heiterkeit und Phantasie dieses Volkes mischte frohe Gelage und blutige Kämpfe untereinander. Man liebte es, als Tartaren verkleidet im Lande umherzuziehen, da man wußte, daß schon der bloße Name »Tartar« die Schweden zu schrecken vermochte. Es kreisten im schwedischen Heere die wunderlichsten Gerüchte von der Grausamkeit und dem Barbarismns dieser Söhne der Krimschen Steppen, welche die Skandinavier noch nie gesehen hatten. Da nun allgemein bekannt war, daß der Chan mit hunderttausend Mann seiner Horden dem Könige Johann Kasimir zu Hilfe eile und die Polen das Schlachtgeschrei der Tartaren nachahmten, wenn sie die Schweden überfielen, so entstand eine wahre Panik unter ihnen.

Die schwedischen Hauptleute und Kommandanten waren wirklich überzeugt, daß die Tartaren schon da seien und begannen sich eiligst in die größeren Festungen und Lager zu konzentrieren, überall hin die Schreckenskunde von dem Herannahen der Tartaren verbreitend. Das war gut, denn es wurden dadurch ganze Länderstriche frei, in welchen sich nun die lose umherziehenden Haufen sammeln und zu einem regelrechten Heere formieren konnten.

Doch gefährlicher als die Freizügler und schreckhafter als selbst die Tartaren, war für die Schweden der Bauern-Aufstand. Längst schon, gleich vom ersten Tage der Belagerung von Tschenstochau an, hatte es im Volke zu gähren begonnen. Die stillen, geduldigen Ackersleute hatten angefangen, den Forderungen der Feinde Widerstand zu leisten und hier und da ihre Sensen zu schwingen, um sie zu köpfen. Die verständigeren Generale beobachteten dieses heraufziehende Unwetter mit großer Besorgnis; es konnte sich plötzlich, einer Sturmflut gleich, über das Land ergießen und die Eindringlinge verschlingen.

Als geeignetstes Mittel, diese Gefahr in ihrem Entstehen zu vernichten, schien ihnen der Schrecken. Sie bedrückten die Bauern auf die schrecklichste Weise, um ihnen Furcht einzujagen. Karl Gustav war zwar sehr gnädig und schmeichelte den polnischen Fahnen, welche ihm nach Preußen gefolgt waren, in liebevollster Weise. Er that auch sein Möglichstes, um sich dem Herrn Fahnenträger Koniezpolski, dem berühmten General-Regimentar von Sbarasch, angenehm zu machen. Dieser stand mit sechstausend Reitern ihm zur Seite, welche bei dem ersten feindlichen Zusammentreffen mit dem Kurfürsten eine solche Verheerung unter den Preußen angerichtet hatten, daß der Kurfürst den Kampf aufgeben und den Weg der Verhandlungen beschreiten mußte.

Der König von Schweden hatte auch Briefe an die Hetmane, den Adel und die Magnaten abgesandt, welche sehr gnädig allerhand Versprechungen und Aufmunterungen enthielten, um sie zum Halten der Treue zu bewegen. Gleichzeitig aber erteilte er Befehl an alle Generale und Kommandanten, alle Widerspenstigen und allen Widerstand im Lande mit Feuer und Schwert zu unterdrücken, namentlich aber die Bauern auszurotten. Von da ab hörten die Schweden auf, den Schein der Freundschaft aufrecht zu erhalten, ein eisernes Regiment brach an. Das Feuer, das Schwert, Raub und Mord traten an die Stelle geheuchelten Wohlwollens. Die Festungen und befestigten Schlösser sandten Reiterabteilungen zur Verfolgung der Freizügler aus. Ganze Dörfer wurden der Erde gleichgemacht; Höfe, Kirchen und Probsteien verbrannt, die gefangenen Adligen den Henkersknechten überliefert, den gefangenen Bauern aber die rechte Hand abgehauen, worauf man sie entließ.

Am grausamsten verfuhren die Schweden in Großpolen, welches so, wie es sich zuerst ergeben, auch zuerst wieder sich gegen die Fremdherrschaft erhoben hatte. Dort ließ der General Stein eines Tages dreihundert Bauern köpfen, welche man mit den Waffen in der Hand gefangen hatte. In den Städten wurden Galgen aufgerichtet, welche für immer stehen blieben und täglich mit neuen Opfern behangen wurden. Aehnlich verfuhr Magnus de la Gardie in Litauen und Smudz, wo zuerst die Höfe, dann die Bauern zu den Waffen griffen. Da es nun schwierig war, zu unterscheiden, wer den Schweden Freund, wer Feind war, so wurde niemand geschont.

Doch das Feuer, welches mit Blut gelöscht werden sollte, erlosch nicht. Es loderte immer heftiger, immer weiter, und erbitterter entbrannte der Krieg, in welchem es beiden Gegnern nicht mehr um den Gewinn von Ehre, Schlössern und Städten zu thun war. Es wurde ein Krieg auf Tod und Leben. Die schwedische Grausamkeit hatte den Haß der Gegner entfacht, man kämpfte nicht mehr, sondern man strebte, sich gegenseitig zu vernichten ohne Erbarmen.


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