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Fünftes Buch.

1. Kapitel

Während in der Republik Polen alles, was atmete, sich gegen die Schwedenherrschaft auflehnte und die Erhebung immer weitere Kreise zog, weilte Karl Gustav in Preußen, damit beschäftigt, die dortigen Städte zu erobern und mit dem Kurfürsten dann Verträge zu schließen.

Nach dem über alles Erwarten leichten Siege in Polen war der kluge König recht bald zu der Einsicht gelangt, daß der schwedische Leu in seiner Gier mehr verschlungen hatte, als er zu verdauen vermochte. Seit der Rückkehr Johann Kasimirs in das Land, wußte er, daß er die ganze Republik nicht würde halten können; er resignierte daher von vornherein, wollte aber versuchen, einen möglichst großen Teil der Beute für sich zu erhalten, vor allem das schöne Kronen-Preußen, welches, an sein bereits früher erobertes Pommerland grenzend, an schönen Städten so reich war.

Die Provinz Preußen aber, welche zu allererst sich gegen den Eroberer aufgelehnt hatte, hielt auch jetzt noch wacker zu ihrem alten Herrn und König und zur Republik. Die Rückkehr Johann Kasimirs, der Zusammentritt der Tyschowietzer Konföderation, belebten den revolutionären Geist der Preußen und stützten ihre Königstreue, deshalb war Karl Gustav rasch entschlossen, den Aufstand in der Republik zu unterdrücken, das Heer Johann Kasimirs zu vernichten, um den Preußen die Hoffnung auf Hilfe zu nehmen.

Da die Belagerung Marienburgs nur sehr langsame Fortschritte machte, weil Weiher, der Kommandant der Festung, dieselbe außerordentlich gut verteidigte, zog er mit einer bedeutenden Armee in die Republik, um Johann Kasimir zu erreichen, sollte er ihn auch an den äußersten Grenzen seines Reiches suchen müssen. Der König handelte immer sehr rasch; er ließ seinen Entschlüssen die Ausführung auf dem Fuße folgen. Mit einer Schnelligkeit, die ihresgleichen suchte, hatte er auf seinem Wege nach der Republik alle um die Städte Preußens liegenden Truppen zusammengerafft, und ehe in der Republik noch jemand ahnte, was vorging, hatte er Warschau schon im Rücken und zog in Eilmärschen dem königlichen Heere entgegen.

Wie ein schweres Unwetter brach er mit seinen Soldaten in das ohnehin so zerrüttete Land; wut- und racheschnaubend zog er daher. Zehntausend Pferde stampften mit ihren Hufen den teilweise noch mit Schnee bedeckten Boden. Alle die kleinen Kommandos, welche die Städte und Schlösser der Republik besetzt hielten, mußten ihm folgen; er riß alle mit sich fort und führte sie auf Sturmesflügeln weit, weithin nach dem Süden.

Unterwegs verbrannte er die Dörfer, die kleinen Städte; er schlug alles nieder, vernichtete alles, was ihm in den Weg kam. Er war nicht mehr der Karl Gustav von ehemals, der heitere, menschenfreundliche Herr, welcher den Soldaten schmeichelte und mit den polnischen Reitern liebäugelte. Wo er sich jetzt blicken ließ, da floß das adlige und plebejische Blut der Polen in Strömen, da ließ er die Gefangenen aufhängen, da blieb nichts am Leben, nichts wurde geschont.

Aber wenn der Bär seinen mächtigen, alles erdrückenden schweren Körper durch die Wälder schleppt und im Vorwärtsschreiten das Strauchwerk und die niederen Aeste mit der Last seines Gewichtes bricht und knickt, dann schleichen die kleinen Raubtiere, welche nicht wagen, ihn anzugreifen, hinter ihm drein und suchen ihm hinterrücks zu schaden. So auch hier. Der Armee Karl Gustavs nach zogen alle die kleinen Häuflein Freiwilliger in immer kleineren Abständen und in immer größerer Zahl. Sie begleiteten ihn wie sein Schatten, folgten ihm Tag und Nacht, in Wind und Wetter.

Vor ihm her aber brach man alle Brücken ab, um seinem Vordringen Einhalt zu thun; man vernichtete alle Vorräte an Lebensmitteln, um ihn auszuhungern, beraubte ihn der Möglichkeit anderswo als unter freiem Himmel seine Nachtruhe zu halten.

So hatte der König nur zu bald einsehen gelernt, wie schrecklich und gefahrvoll das Unternehmen war, zu dem er sich in der Uebereilung hatte hinreißen lassen. Krieg, Krieg, nichts als Krieg weit und breit, soweit das Auge reichen konnte nichts als Mord und Brand, ein Meer von Flammen, Rauch und Vernichtung. Preußen und Großpolen, welche zuerst die Schwedenherrschaft angenommen, waren wiederum die ersten, welche das Joch abzuschütteln sich bemühten, Kleinpolen, Reußen, Litauen und Smudz waren ihnen gefolgt. Zwar hielten sich in den Schlössern und größeren Städten die Schweden noch gut, aber sie saßen dort wie auf Inseln, die Dörfer, Wälder, die Flüsse und das offene Land waren sämtlich in polnischen Händen. Ueberall lauerte den Schweden die Gefahr auf; nicht nur vereinzelte Soldaten oder kleinere Trupps, sondern sogar größere Abteilungen des schwedischen Heeres verschwanden spurlos, sobald sie es wagten, sich nur auf kurze Zeit vom Hauptquartier zu entfernen.

Umsonst ließ Karl Gustav in den Dörfern und Städten bekannt machen, daß jeder Bauer, welcher ihm einen Adligen in Waffen, gleichviel ob tot oder lebend ausliefere, zum Lohne dafür vollkommene Freiheit und ein Stück Land erhalten solle. Die Bauern waren sämtlich mit den Adligen und Städtern in die Wälder gezogen. Die Leute von den Bergen, aus den Steppen, den Flußniederungen und Feldern, sie alle hatten sich in den Wäldern festgesetzt und führten im Stillen und unsichtbar den Krieg gegen die Unterdrücker mit keinen anderen Waffen, als Dreschflegeln, Heugabeln und Sensen.

Die Wut Karl Gustavs steigerte sich von Tag zu Tag. Er konnte nicht begreifen, daß das Land, welches vordem sich ihm fast von selbst ergeben, plötzlich mit einer Energie sich auflehnte, die ihres Gleichen suchte, und er staunte, woher es die Waffen und Mittel nahm zu diesem Kampfe auf Tod und Leben.

Der König berief oft seine Räte zusammen. Es befanden sich bei ihm: sein Bruder Adolf, welcher das Hauptkommando über die Armee hatte, Robert Douglas, Heinrich Horn, ein Bruder jenes Horn, welcher bei Tschenstochau sein Leben durch den Sensenhieb eines Bauern verloren hatte, Waldemar Graf von Dänemark und jener Miller, welcher am Fuße des heiligen Berges seinen Kriegsruhm begraben hatte, Aschemberg, der geschickteste schwedische Reitergeneral, Hammerschild, welcher die Geschütze unter sich hatte, und der alte Nestor der schwedischen Armee, der Marschall Arfuid Wittemberg, dessen Raubzüge ihm eine traurige Berühmtheit eingetragen hatten. Dieser letztere war von einer unheilbaren Krankheit befallen und zehrte an den Resten seiner früheren Gesundheit. Dazu kamen noch Forgell und viele andere tüchtige Kriegsmänner, welche in offener Schlacht nur von dem mächtigen Genius ihres Königs übertroffen wurden.

Sie alle fürchteten im Stillen, daß dieser ganze Feldzug an der hartnäckigen Wut des Kleinkrieges und an dem Mangel an Nahrung scheitern würde. Der alte Wittemberg riet dem Könige entschieden, von weiterem Vordringen Abstand zu nehmen.

»Wie wollen Ew. Majestät bis in das ferne Reußen einem Feinde nachsetzen, der für uns unsichtbar bleibt, während er vor uns her alles vernichtet, was für unseren Unterhalt notwendig ist. Was soll dann geschehen, wenn den Pferden nicht nur Heu und Hafer, sondern auch die letzte Zuflucht, die Dachschauben zum satt füttern fehlen, und die Soldaten vor Müdigkeit und Hunger nicht mehr fort können. Wo bleiben jene Heere, welche uns zu Hilfe kommen sollten? Wo sind die Schlösser, in denen wir uns stärken und die müden Glieder ausstrecken können? Ich kann mich weder mit Ew. Majestät Klugheit, noch mit Ew. Majestät Kriegsruhm messen. Wenn ich aber Karl Gustav wäre, würde ich eben diesen so schwer durch große Siege errungenen Kriegsruhm nicht dem wechselnden Glücke dieses Feldzuges aussetzen.«

Darauf erwiderte der König:

»Wenn Ich Wittemberg wäre, dann würde Ich es sicherlich auch nicht thun.« Dann führte er das Beispiel Alexanders von Makedonien an, mit welchem er sich gern selbst verglich, und jagte weiter dem Herrn Tscharniezki nach, welcher im Gefühl der Ueberlegenheit des schwedischen Heeres ihm mit der List eines Wolfes auswich, den glücklichen, geeigneten Augenblick herbeisehnend, wo er dem Feinde die scharfen Zähne würde weisen können. Tscharniezki machte es ähnlich wie Kmiziz; er war bald den Schweden voraus, bald seitwärts von ihnen, dann wieder ließ er sie an sich vorüberziehen, wenn er in der Tiefe der dunklen Wälder rasten wollte, so daß, wenn sie glaubten, ihm nachzujagen, er sich in ihrem Rücken befand, und sie nie wissen konnten, wo sie ihn zu suchen hatten. Hier und da überrumpelte er eine kleinere Abteilung Reiter, griff die langsamer vorrückenden Fußregimenter an, oder nahm dem Feinde etliche Fouragewagen fort. Es kam auch vor, daß die Schweden plötzlich nachts ein heftiges Kleingewehr- oder Kanonenfeuer eröffneten und blindlings in die Wälder hineinschossen, im Glauben, die Polen müßten da drinnen sein. Sie machten sich unendlich müde auf den Märschen in den kalten Nächten, sie zehrten sich auf vor Kummer und steter Wachsamkeit und – dieser vir molestissimus – schwebte fortwährend mit seinem Schwerte über ihnen, wie die Hagelwolke über einem Weizenacker.

Endlich stellte er sich dem Schwedenheere bei Golembin, unweit der Mündung des Wieprsch in die Weichsel. Einige der polnischen Fahnen hatten sich dort kampfbereit aufgestellt und griffen den Feind mit solcher Heftigkeit an, daß der Vorstoß desselben sofort in Verwirrung und Schrecken geriet. Herr Wolodyjowski mit seiner Laudaer Fahne begann das Gefecht, indem er den dänischen Prinzen Waldemar angriff; ihm folgte Herr Samuel Kawezki mit seinem jüngeren Bruder Johann, welche die angelsächsischen Söldlinge Wickilsohns in wenigen Augenblicken total auseinander gesprengt hatten. Herr Malawski traf so hart mit Adolf, dem Bruder des Königs, zusammen, daß Mann und Roß zerstiebten, wie eine Staubwolke, welche ein frischer Wind in alle Himmelsgegenden zerteilt. Ehe sie sich's versahen, waren die Schweden dicht an die Weichsel gedrängt. Als Douglas das gewahrte, sprengte er mit seinen auserlesenen Reitern den Bedrängten zu Hilfe. Aber auch er konnte dem harten Anprall der Polen nicht Stand halten. Seine Reiter mußten von den hohen Ufern hinab auf das Eis flüchten, die Leichen bedeckten das weiße Schneefeld bald in schreckenerregender Menge. Unter den Gefallenen befanden sich der Prinz Waldemar, Wickilsohn; der Fürst Adolf war mit dem Pferde gestürzt und hatte einen Beinbruch erlitten. Aber auch die Polen hatten große Verluste zu verzeichnen. Die Herren Kawezki, Malawski und Rudawski zählten zu den Toten, während die Herren Rogowski, Tyminski, Choinski und Porwaniezki mehr oder weniger schwer verwundet waren. Nur Herr Wolodyjowski war unverwundet geblieben, seine kleine, geschmeidige Gestalt war überall geschickt den schwedischen Säbelhieben ausgewichen, während er um sich hieb wie ein gereizter Tiger.

Unterdessen war Karl Gustav mit der Hauptarmee und den Geschützen herangerückt. Damit nahm der Verlauf des Kampfes eine andere Gestalt an. Die anderen Truppen Tscharniezkis, welche nicht zu den Stammsoldaten gehörten, waren noch nie in einem Gefecht gewesen; sie wurden verwirrt. Teils auch hatten sie die Pferde nicht schnell genug bei der Hand, da viele von den Volontären, entgegen dem Befehl, die Pferde stets gesattelt zu halten, dieselben in entfernteren Ortschaften untergebracht hatten, während sie selbst in den Hütten der Ruhe pflegten. Diese Abteilungen waren bald versprengt und vernichtet, der Rest floh dem Wieprsch zu. Damit nun die Elite seiner Truppen nicht völlig dem Untergange preisgegeben werde, ließ Herr Tscharniezki zum Rückzug blasen. So zogen sich denn die einen aus das andere Ufer des Wieprsch zurück, während die anderen nach Konskowola abmarschierten, dem Könige von Schweden das Feld und den Siegesruhm überlassend. Diejenigen polnischen Fahnen, welche sich jenseits des Wieprsch geflüchtet hatten, wurden noch weithin von den Fahnen Sbroscheks und Kalinskis verfolgt, welche beide noch zum Könige von Schweden hielten.

Die Freude über den Sieg war im schwedischen Lager grenzenlos. Zwar hatte derselbe ihnen wenig genug Beute eingebracht – ein paar Beutel Hafer und ein paar leere Wagen, das war alles –, aber darum war es dem Könige dieses Mal weniger zu thun. Ihm genügte, daß das Kriegsglück ihn doch nicht verlassen hatte, daß er siegte, wo er sich blicken ließ, hauptsächlich aber war seine Freude darum so groß, weil Tscharniezki der Besiegte war, Tscharniezki, auf dessen Tapferkeit, Klugheit und Mut gegenwärtig die Hoffnung der ganzen Republik gestellt war. Er vermutete, daß die Nachricht von der Niederlage Tscharniezkis im ganzen Lande laut werden, daß furchtsame Gemüter die Thatsachen entstellen, die Niederlage als eine vollständige bezeichnen würden, was selbst die Mutigsten im Lande schwer treffen und alle diejenigen, welche der Konföderation beigetreten waren, vor weiteren Unternehmungen zurückschrecken mußte.

Als man daher dem Könige die eroberten Haferbeutel zu Füßen legte, und gleichzeitig die Leichname Wickilsohns und des Prinzen Waldemar herbeitrug, wandte er sich an die bekümmerten Generale und sprach:

»Schaut nicht so trübe drein, ihr Herren! Es ist dies der glänzendste Sieg, den Ich seit einem Jahre davongetragen; er kann den ganzen Krieg beenden.«

»Majestät!« antwortete Wittemberg, welcher, seit er krank war, die Dinge schwärzer sah, als sonst, besonders heute, wo er sich ganz unwohl fühlte. »Danken wir Gott auch dafür, daß wir von nun an ruhiger weiterziehen können, auch das ist schon viel wert. Uebrigens glaube ich nicht, daß wir lange unbehelligt bleiben werden, denn so schnell die Fahnen Tscharniezkis zersprengt worden sind, so schnell werden sie sich wieder sammeln.«

Darauf erwiderte der König:

»Herr Marschall, Ich halte euch für keinen schlechteren Feldherrn als den Herrn Tscharniezki. Ich glaube aber, daß, wenn euch geschähe wie ihm heute, so brauchtet ihr wenigstens zwei Monate, um euch zu erholen.«

Wittemberg verbeugte sich zustimmend, der König aber sprach weiter:

»Wir werden einen gesicherten Weitermarsch haben, denn Tscharniezki allein vermochte ihn aufzuhalten. Tscharniezki ist vernichtet, das Hindernis entfernt.«

Die Generale waren von dieser Aussicht sehr erfreut. Die siegestrunkene Armee zog im Parademarsch am Könige vorüber; das Schreckgespenst Tscharniezki schritt nicht mehr neben ihr her, hatte aufgehört zu existieren. Angesichts dieser Thatsache waren die herben Verluste bald vergessen, die kommenden Mühsale erschienen leicht und angenehm. Da die Worte des Königs bald im ganzen Lager verbreitet wurden, war das ganze Heer der Ansicht, daß dieser Sieg eine ganz außerordentliche Bedeutung für dasselbe haben mußte, daß die Zeit des Herrschens und der Rache für die Schweden gekommen war.

Der König gab dem Heere einige Stunden Ruhe. Von Kosieniez her waren Lastwagen mit Lebensmitteln herangekommen. Die Armee quartierte sich in Golembin, Krowieniki und Schyschyn ein. Die Reiter zündeten die verlassenen Häuser an, mehrere Bauern, welche man mit der Waffe in der Hand gefangen, und ein paar Pferdejungen, die man auch für Bauern hielt, wurden erhangen. Darauf folgte ein Gelage. Die Soldaten aßen sich einmal wieder satt, dann legten sie sich zum erstenmale seit Wochen zu traumlosem, ungestörtem Schlaf nieder.

Am nächsten Morgen erwachten sie neugestärkt. Das erste Wort, welches sich aller Munde entrang, war:

»Tscharniezki ist fort!«

Einer rief es dem anderen zu, als wollten sie sich gegenseitig die Wahrheit des Geschehenen vergewissern. Der Morgen war kalt, aber heiter und trocken. Der Weitermarsch wurde fröhlich angetreten, die Nüstern und Ohren der Pferde bedeckten sich bald mit Rauhreif. Ein kalter Wind hatte über Nacht alle Pfützen mit einer Eiskruste bezogen, der Weg war gut. Die Reihen der Krieger dehnten sich diesmal lang aus, was sie bisher nie gewagt hatten; sie zogen sich fast eine Meile lang.

Zwei Kolonnen Dragoner marschierten unter Dubais, einem französischen Hauptmann, über Konskowola, Markuschew und Grabow etwa eine Meile abseits von der Hauptarmee. Noch vor drei Tagen wären sie in dieser Marschordnung dem Tode verfallen gewesen, heute hatten sie sich furchtlos und siegessicher von den anderen getrennt.

»Tscharniezki ist fort!«

Einer rief es dem anderen zu. Sie marschierten auch unbehelligt weiter, kein Kriegsruf aus dein Waldesdickicht, kein Pfeilgeschoß aus dem Hinterhalte störte ihre Ruhe.

Gegen Abend langte Karl Gustav in Grabow an. Er war sehr heiterer Laune und wollte sich soeben zur Ruhe begeben, als Aschemberg durch den dienstthuenden Offizier behufs einer wichtigen Meldung um Audienz bitten ließ.

Nach einer Weile trat er beim Könige ein, aber nicht allein, sondern in Begleitung eines Dragonerkapitäns. Der König, welcher ein außergewöhnlich gutes Personengedächtnis und ein scharfes Auge hatte, erkannte sofort den Kapitän.

»Was giebt es neues, Fred?« frug er. »Ist Dubois zurück?«

»Dubois ist erschlagen!« antwortete Fred.

Der König erschrak. Erst jetzt bemerkte er, daß der Kapitän aussah, als wäre er dem Grabe entstiegen. Seine Uniform war zerfetzt und fleckig.

»Und die Dragoner?« frug er hastig weiter. »Jene beiden Kolonnen?«

»Es ist nichts mehr von ihnen übrig; ich war gefangen; man ließ mich laufen!«

Das hagere Gesicht des Königs verfinsterte sich; er strich die dichten Haarwellen höher hinter die Schläfen hinauf.

»Wer hat das gethan?« rief er.

»Tscharniezki!« sagte Fred gelassen.

Der König verstummte und starrte entsetzt Aschemberg an, welcher nur leicht mit dem Kopfe nickte, als wolle er bestätigen:

»Tscharniezki! Tscharniezki!«

»Es ist nicht zu glauben!« sprach der König nach einer Weile. »Hast du ihn selbst gesehen?«

»Ich stand vor ihm, wie ich jetzt vor Ew. Majestät stehe. Er trug mir einen Gruß an Ew. Majestät auf und ich möchte ausrichten, daß er gegenwärtig jenseits der Weichsel gehe, aber bald wieder unserer Spur folgen werde.«

»Ich weiß nicht, ob er die Wahrheit sprach.«

»Gut!« rief der König. »Hat er ein starkes Heer bei sich?«

»Genau konnte ich das nicht feststellen; an viertausend Mann habe ich gesehen, hinter dem Walde aber standen auch noch Reiter. Man umzingelte uns in der Nähe von Krafitschin, wohin Herr Hauptmann Dubois absichtlich vom Wege abbog, da man ihn gewarnt hatte, auf der Landstraße weiter zu ziehen. Jetzt kann ich mir vorstellen, daß Tscharniezki absichtlich den Warner aufgestellt hat, um uns in den Hinterhalt zu locken. Außer mir ist keiner am Leben geblieben, die Verwundeten wurden von den Bauern vollends erschlagen, ich entkam, wie durch ein Wunder!«

»Der Mensch muß mit dem Teufel ein Bündnis geschlossen haben,« sagte der König, während er den Kopf in die Hand stützte. »Es muß übermenschliche Anstrengung erfordert haben, nach der gestrigen Niederlage die Truppen wieder so weit in Ordnung zu bringen, daß der heutige Ueberfall gewagt werden konnte!«

»Es ist so gekommen, wie der Herr Marschall Wittemberg es vorausgesehen,« warf Aschemberg ein.

Darauf wurde der König sehr zornig.

»Ihr alle könnt immer alles voraussehen, nur einen Rat erteilen könnt ihr nicht!« herrschte er den General an.

Aschemberg erbleichte und verstummte. Karl Gustav schien, wenn er gut gelaunt war, aus purer Güte zusammengesetzt zu sein. Sobald er aber nur die Stirn runzelte, bebte und zitterte seine Umgebung vor entsetzlicher Angst. In solchen Fällen verkrochen sich selbst die ältesten und verdientesten Generale vor ihm, wie die kleinen Vögel sich vor dem mächtigen Adler verstecken.

Doch jetzt besann sich der König schnell. Er begann Fred weiter auszuforschen:

»Sind die berittenen Mannschaften Tscharniezkis gut im Stande?«

»Ich sah einige unvergleichlich schön ausgerüstete Fahnen, wie überhaupt die Reiterei hier zu Lande alle schön ist.«

»Es müssen dieselben sein, welche Uns bei Golembin angriffen. Es müssen altgediente Soldaten sein; sie kamen wie die Furien auf Uns los. Und er selbst, Tscharniezki, ist er guter Dinge?«

»Er ist so heiter, als wäre er der Sieger von Golembin, nicht der Besiegte. Das Herz muß ihnen dort umsomehr schwellen, als die Niederlage bei ihnen schon fast vergessen ist und sie heute die Sieger sind. Majestät! Was Tscharniezki mir zu sagen aufgetragen, das habe ich ausgerichtet, aber als ich entlassen war und mich hinwegbegeben wollte, da trat ein alter Offizier an mich heran und sagte mir, daß er derjenige sei, welcher den unvergeßlichen König Gustav Adolf im Zweikampf getötet. Er hat Ew. Majestät schändlich gelästert und die anderen haben ihm geholfen. Ich verließ unter den tiefsten Demütigungen das Lager.«

»Das ist Nebensache!« entgegnete Karl Gustav. »Die Hauptsache ist für Mich, daß Tscharniezki nicht vernichtet ist und seine Truppen schon wieder gesammelt hat. Wir müssen nun um so schneller vorwärts marschieren, damit Wir diesen polnischen Darius einholen. Ihr seid entlassen, meine Herren. Ihr werdet im Lager erzählen, Fred, daß die Dragoner von herumziehendem Gesindel genarrt, ihnen in das Dickicht gefolgt und dort umgekommen sind. Wir müssen vorwärts.«

Die Offiziere entfernten sich, Karl Gustav blieb allein zurück. Eine Weile verharrte er in düsteres Grübeln versunken. Sollte denn sein Sieg bei Golembin ihm gar keine Früchte tragen, seine Lage nicht verbessern, sondern die hartnäckige Verfolgung der Bewohner dieses Landes ihn fortdauernd begleiten?

Karl, welcher in Gegenwart seiner Generale und des Heeres stets das größte Selbstbewußtsein und die feste Ueberzeugung des Gelingens seiner Unternehmungen zur Schau trug, konnte, wenn er allein war, über den Verlauf dieses Krieges, der so günstig begonnen und je länger desto schwieriger für ihn wurde, stundenlang grübeln, und oft schon in den letzten Tagen war er der Verzweiflung nahe gewesen. Alles, was geschah, dünkte ihm so wunderbar; oft wußte er nicht, was er weiter beginnen sollte in einer Sache, von der das Ende nicht abzusehen war. Er kam sich vor, wie einer, der das sichere Ufer verlassend, in die Fluten des Meeres steigt und bei jedem Schritt vorwärts den Boden unter sich weichen fühlt und die Flut ihn zu verschlingen droht.

Er glaubte aber an seinen guten Stern. Auch jetzt trat er an das Fenster; den Blick nach oben gerichtet, suchte er nach dem seinigen, den ihm der Astrologe genannt. Es war derjenige, welcher im großen Wagen, genannt der große Bär, den höchsten Platz einnimmt und am hellsten leuchtet. Der Himmel war klar; so leuchtete auch jetzt das Gestirn in schönster goldroter Pracht – von ferne nur, fast am Horizont des azurblauen Himmelsgewölbes stand eine lange Wolkenwand, welche langsam heraufstieg und ihre Arme, immer näher rückend, nach dem Stern ausstreckte.


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