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11. Kapitel

Als Sagloba wieder vor dem Hetman stand, ging er gar nicht auf die freudige Begrüßung desselben ein. Er legte die Arme quer über den Rücken, schob die Unterlippe vor und blickte ihn an, wie ein strenger aber gerechter Richter einen Schuldigen ansieht. Der Hetman wurde sehr heiter, als er diese Miene Saglobas sah, denn er vermutete hinter derselben irgend einen Scherz. Deshalb begann er auch sogleich:

»Na! Wie geht es euch, alter Schalk? Warum schnüffelt ihr mit eurer Nase herum, als kitzelte dieselbe ein unangenehmer Geruch?«

»Im ganzen Lager Sapiehas riecht es nach Bigos,« war die prompte Antwort.

»Warum gerade nach Bigos? Sprecht!«

»Weil die Schweden die Krautköpfe dazu gehobelt haben!«

»Da haben wir's! Er fängt schon an zu sticheln! Schade, daß man euch nicht geköpft hat.«

»Das wäre nicht gut gegangen, denn ich diente unter einem Feldherrn, der selber köpfte und nicht zuließ, daß wir geköpft wurden.«

»Der Teufel soll euch holen! Hätte man euch wenigstens die Zunge gekürzt.«

»Das wäre erst recht nicht gegangen, wer hätte dann den Sieg Sapiehas verkündigen sollen?«

Der Hetman wurde sehr traurig:

»Herr Bruder,« antwortete er, »laßt die Vorwürfe! Es giebt mehr solcher, die meine dem Vaterlande schon geleisteten Dienste bereits vergessen haben und mich verpönen; ich weiß es, daß gegen meine Person noch viel Lärm erhoben werden wird, dennoch bin ich überzeugt, daß die ganze Sache anders gekommen wäre, ohne dieses Gelichter des allgemeinen Aufgebotes. Man spricht darüber, daß ich über Gastmählern die Beobachtung des Feindes verabsäumt habe, aber man vergißt, daß die ganze Republik diesem Feinde nicht widerstehen konnte!«

Diese Worte des Hetman stimmten den Alten etwas milder.

»Es ist einmal bei uns zu Lande Sitte, daß immer den Führer die Schuld trifft, wenn etwas versehen wird. Ich bin der letzte, welcher euch die Gastmähler zum Vorwurf macht, denn je länger der Tag, desto notwendiger wird eine Stärkung. Herr Tscharniezki ist ein ausgezeichneter Feldherr; er hat in meinen Augen nur den einen Fehler, daß er zum Frühstück, Mittagbrot und Abendessen seine Leute nur mit Schwedenblut regaliert; er ist ein besserer Feldherr als Koch; das ist aber nicht gut, denn bei dieser Art Krieg zu führen, müssen die besten und tapfersten Ritter erlahmen.«

»War Herr Tscharniezki sehr zornig auf mich?«

»Ei, woher! Anfangs war er sehr niedergeschlagen, als er aber erfuhr, daß das Heer nicht aufgelöst ist, sagte er gleich: ›Es war Gottes Wille! Dagegen kommt Menschenkraft nicht auf!‹ Das macht nichts! – sagte er. Es kann jedem passieren, daß er eine Schlacht verliert. Wenn wir mehr solche Männer hätten wie der Sapieha – sagte er – so wäre Polen das Vaterland der Aristidesse.«

»Ich würde für Herrn Tscharniezki den letzten Blutstropfen hingeben,« erwiderte der Hetman. »Jeder andere hätte mich erniedrigt, um sich um so höher stellen zu können, besonders nach seinem eben erfochtenen glorreichen Siege.«

»Ich habe auch nichts gegen ihn einzuwenden, nur bin ich zu alt für Dienste, wie er sie von einem Soldaten verlangt, und ganz besonders für die Sorte Bäder, die er der Armee bereitet.«

»So seid ihr froh, daß ihr wieder bei mir seid?«

»Wie man es nimmt! Froh und auch nicht froh! Seit einer Stunde höre ich von Leibesstärkungen reden, nur zu sehen bekomme ich nichts davon.«

»Wir werden gleich zu Tische gehen. Was wird Herr Tscharniezki jetzt unternehmen?«

»Er will nach Großpolen gehen, um den Armseligen dort zu helfen. Von dort will er gegen Stenbock ziehen und nach Preußen bis Danzig vordringen, um, wenn möglich, Kanonen und Füsiliere dort zu holen.«

»Die Danziger sind edle Bürger; sie können der ganzen Republik als leuchtendes Beispiel dienen. Da treffen wir ja bei Warschau mit Herrn Tscharniezki zusammen, denn auch ich gehe nach Warschau, nur muß ich mich zuvor in Lublin etwas aufhalten.«

»Ist Lublin wieder von den Schweden besetzt?«

»Die unglückliche Stadt ist schon zum wer weiß wievielten Male in Feindeshand. Es ist eine Deputation vom Lubliner Adel eingetroffen, die ich gleich empfangen werde, mit der Bitte, die Stadt zu retten. Da ich aber Briefe an den König und die Hetmane zu expedieren habe, muß ich mit dem Abmarsch noch ein wenig warten.«

»Nach Lublin werde ich euch gern folgen, denn dort sind die Weiber maßlos schön.«

»O, ihr Türke!«

»Ew. Erlaucht kann sich als Aelterer schon einen kleinen Spott mit mir erlauben.«

»Aber ihr seid doch älter als ich!«

»Ja und nein! Es hat mich schon manch einer darum beneidet, daß ich mich so gut konserviere. Wollt ihr mir erlauben, die Deputation zu empfangen, so will ich den Leuten versprechen, daß wir recht bald zu ihnen kommen; wir wollen erst die Männer trösten und dann die Frauen.«

»Gut!« sagte der Hetman, »dann werde ich die Briefe expedieren.«

Damit ging er hinaus.

Gleich darauf trat die Deputation ein, welche von Sagloba sehr ernst und würdevoll empfangen wurde. Er sicherte ihr die erbetene Hilfe zu unter der Bedingung, daß das Heer gut mit Proviant, namentlich mit Getränken versorgt werde. Dann lud er sie im Namen des Wojewoden zum Abendessen ein. Die Herren Deputierten waren hocherfreut, denn man brach noch in derselben Nacht nach Lublin auf. Der Hetman selbst trieb dazu; es lag ihm viel daran, mit irgend einer rühmlichen That das Andenken an die Niederlage bei Sandomir auszulöschen.

Die Belagerung begann, machte aber nur langsame Fortschritte. Während der ganzen Zeit nahm Kmiziz Unterricht im Fechten bei Wolodyjowski; er begriff überraschend schnell. Da Wolodyjowski wußte, daß dieser Unterricht dem Verderben Boguslaws galt, so verheimlichte er ihm keines seiner Kunststückchen. Oft praktizierten beide aber nicht nur unter sich. Dann gingen sie unter die Mauern des Schlosses und forderten die Schweden zum Zweikampf heraus. Auf diese Weise machten sie viele kampfunfähig. Bald war Kmiziz so weit, daß er es mit Johann Skrzetuski aufnehmen konnte, von alten anderen Rittern in der Armee Sapiehas konnte es wiederum niemand mit ihm aufnehmen. Da packte ihn eine fast unüberwindliche Lust, sich mit Boguslaw im Zweikampf zu messen; er konnte es kaum bei Lublin aushalten, besonders, da das Frühjahr ihm auch Gesundheit und Kraft wiederbrachte. Seine Wunden waren alle geheilt, das Blutspeien hatte aufgehört, das verlorene Blut sich ersetzt und die Augen hatten den früheren Glanz wieder erhalten. Die Laudaer hatten ihn anfangs sehr mißtrauisch betrachtet und Wolodyjowski mußte sie alle seine Strenge fühlen lassen, um sie von Gewaltthätigkeiten gegen ihn zurückzuhalten; erst später, als sie seinen Wandel und seine Handlungen scharf beobachtet hatten, wurde selbst sein erbittertster Feind Jozwa Butrym mit ihm ausgesöhnt. Dieser pflegte jetzt oft zu sagen:

»Kmiziz ist tot! Babinitsch lebt und der soll leben!«

Zur großen Freude der Armee kapitulierte die Besatzung von Lublin endlich. Sapieha brach unverweilt auf und marschierte auf Warschau zu. Unterwegs erreichte ihn die Nachricht, daß Johann Kasimir mit den Hetmanen und den neugebildeten Regimentern ihm zu Hilfe eile. Auch Tscharniezki ließ ihn wissen, daß er von Großpolen her gen Warschau ziehe. So hatte es den Anschein, daß die im ganzen Lande verstreuten Kämpen sich bei Warschau zusammenfinden, und der Hauptkriegsschauplatz hierher verlegt werden würde. Es sammelte sich wie ein schweres Unwetter um die Hauptstadt, das dräuend über den Häuptern der Feinde hing.

Sapieha ging über Schelechow, Garwolin und Minsk nach der Siedlezer Landstraße zu, um in Minsk mit den Freiwilligen aus Podlachien zusammenzutreffen. Johann Skrzetuski hatte über diese lose Truppe das Kommando übernommen, denn obgleich in der Wojewodschaft Lublin ansässig, war er doch den angrenzenden Podlachiern rühmlichst bekannt und als einer der größten Helden der Republik von ihnen sehr geehrt. Es war ihm auch gelungen, aus dem rohen zänkischen Kleinadel binnen kurzem ein gut organisiertes Heer zu formieren.

Von Minsk aus beeilte sich Sapieha, in einem Tage die Vorstadt Warschaus, Praga, zu erreichen. Das Wetter war den Marschierenden günstig. Von Zeit zu Zeit fiel ein leichter Sprühregen hernieder, den Staub löschend und Kühlung verbreitend, die Temperatur war herrlich, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Die Luft war klar, der Blick konnte weit in die Ferne schweifen. Das Heer marschierte auf Feldwegen, denn die Wagen und Geschütze sollten erst am nächsten Tage nachkommen, Mut und Lebenslust herrschte unter den Mannschaften. Der Wald hallte wider von den Soldatenliedern, die Pferde schnauften zum guten Zeichen. Eine Fahne nach der anderen, zogen sie in schönster Ordnung dahin, wie ein blinkender in verschiedenen Biegungen dahinfließender Strom, denn zwölftausend Mann waren es, die Sapieha der Hauptstadt zuführte. Die Rittmeister, welche die Schwadronen in Ordnung zu halten hatten, glänzten weithin sichtbar in ihren blank polierten Panzerhemden, die bunten Abzeichen der Ritter flatterten lustig über den Köpfen derselben, wie bunte Blumen.

Die Sonne war im Sinken begriffen, als die an der Spitze des Zuges reitende Laudaer Fahne die Türme der Hauptstadt erblickte. Bei ihrem Anblick entriß sich ein lauter Freudenruf der Brust der Krieger:

»Warschau! Warschau!«

Dieser Ruf zog donnernd von Glied zu Glied bis zur letzten Fahne. Man konnte eine halbe Meile lang immer wieder das unablässig wiederholte Wort »Warschau« hören.

Viele von den Rittern in der Armee Sapiehas waren noch nie in Warschau gewesen, ja die Meisten von ihnen hatten die Stadt nicht einmal von ferne gesehen. So war denn der Eindruck, den sie empfingen, ein außerordentlicher. Unwillkürlich hielten die Reiter die Pferde an; einige entblößten den Kopf, andere bekreuzten sich, wieder andere wurden von Rührung befallen und blieben thränenden Auges wie angewurzelt stehen. Plötzlich erschien Herr Sagloba aus seinem Pferde bei einer der letzten Fahnen, sprengte heran bis zu der Laudaer Fahne und rief mit weithin schallender Stimme:

»Meine Herren! Wir sind die ersten hier! Wir haben das Glück, die Ehre! ... Wir wollen die Schweden aus der Hauptstadt jagen!! ...«

»Wir wollen sie fortjagen!« riefen so viel tausend Stimmen. »Hinaus! Hinaus! Hinaus! ...«

Es entstand ein entsetzliches Getöse. Während die einen noch fortwährend riefen: »Jagt sie fort!« schrieen andere schon: »Schlagt sie tot!« und wieder andere: »Fort mit den Hundeseelen!«

Mit diesem Geschrei mischte sich das Klirren der Säbel, die Augen schossen Blitze und zwischen den halbgeöffneten Lippen glänzten die weißen Zähne.

Sapieha selbst glühte vor Begeisterung; er hob seinen Feldherrnstab hoch in die Höhe und rief:

»Mir nach!«

Unweit Praga hielt der Wojewode an und gebot, ein langsames Tempo einzuschlagen. Immer deutlicher tauchte die Hauptstadt aus dem bläulichen Aether hervor. Die hohen Linien der Türme zeichneten sich scharf am Firmament ab. Die hochgegiebelten Dächer der Häuser, die mit roten Dachsteinen gedeckt waren, glühten im Abendrot. Die Litauer hatten niemals in ihrem Leben etwas Großartigeres gesehen, als diese weißen, hohen Mauern, von einer Menge schmaler Fenster durchbrochen, übereinander hängend und klebend, wie Felsen über einem Wasser. Die Häuser schienen eines über das andere hinaus zu wachsen, hoch, höher und noch höher; über dieser engen, dichtgedrängten Masse aber ragten die schlanken Türme hoch hinaus bis an den Himmel. Diejenigen Soldaten, welche schon einmal in der Hauptstadt waren, sei es bei der Königswahl oder in Privatangelegenheiten, erklärten den anderen, was für ein Gebäude dieses oder jenes war und welchen Namen es führte. Besonders unterrichtete Sagloba seine Laudaer, die mit Bewunderung ihm aufmerksam zuhörten.

»Seht euch einmal jenen Turm in der Mitte der Stadt an,« sagte er. »Das ist die arx regia – das Regierungsgebäude! Wenn ich so viele Jahre alt werden dürfte, wie ich da drinnen am königlichen Tische Mittagbrote gegessen habe, so müßte ich Methusalems Alter erreichen; dem Könige stand niemand näher als ich; ich war sein Vertrauter. Unter den Starosteien hätte ich wählen können, wie unter Wallnüssen und sie verschenken, wie Hufnägel. Ich habe einer Menge Menschen zu Beförderungen verholfen, und wenn ich in das Schloß trat, dann verneigten sich die Senatoren vor mir, bis zum Gürtel nach Kosakenmanier. Auch Zweikämpfe mußte ich in Gegenwart des Königs ausfechten; der König liebte es, mich bei der Arbeit zu sehen.«

»Es ist ein mächtiges Gebäude,« sagte Rochus Kowalski. »Und zu denken, das alles das in den Händen der Feinde ist!«

»Und daß sie alles mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist,« setzte Sagloba hinzu. »Wie man sagt, reißen sie sogar die Marmorsäulen aus den Mauern, um dieselben mit nach Schweden zu schleppen, nebst anderen kostbaren Steinarten. Ich werde wohl die liebgewordenen Winkel kaum wieder erkennen. Die Chronikenschreiber nennen das Schloß das achte Wunder der Welt; außer diesem hat nur der König von Frankreich ein ähnliches, doch ist es mit diesem hier nicht zu vergleichen.«

»Was ist das für ein Turm rechts in der Nähe des Schlosses?«

»Das ist die heilige Johanneskathedrale; sie ist mit dem Schlosse durch einen Kreuzgang verbunden. In dieser Kirche hatte ich eine Offenbarung. Als ich einmal nach der Vesper drinnen noch ein halbes Stündchen zurückblieb, hörte ich vom Gewölbe her eine Stimme, welche mir zurief: »Sagloba, es wird Krieg werden mit Schweden, welcher große Not und Elend in das Land bringen wird.« Ich lief schnell zum Könige und erzählte, was ich gehört hatte. Da gab mir der Fürst Erzbischof einen Klaps mit dem Pastorale in den Nacken und sprach: »Redet nicht Unsinn, ihr waret betrunken.« Die zweite Kirche unweit davon ist das Jesuitenkollegium, der dritte Turm gehört zur Kurie, der vierte zum Marschallamt und jenes grüne Dach ist das Dach der Dominikanerkirche. Alle Gebäude zu nennen bin ich außerstande, selbst wenn meine Zunge wie ein Mühlrad ginge.«

»Es giebt wohl keine zweite so schöne Stadt wie diese in der Welt?« sagte einer der Soldaten.

»Deshalb beneiden uns auch alle Nationen um sie.«

»Was ist das für ein herrliches Gebäude links vom Schlosse?«

»Hinter dem Bernadinerkloster?«

»Ja!«

»Das ist der Palast Radziejowski, früher gehörte er den Kasanowskis. Man betrachtet ihn als neuntes Wunder der Welt, aber – die Pest über ihn! In seinen Mauern fing das Unglück der Republik an.«

»Wieso?« frugen mehrere Stimmen.

»Als der Herr Kanzler Radziejowski anfing mit seiner Frau zu zanken und zu streiten, da nahm der König die Kanzlerin in Schutz. Ihr müßt wissen, daß die Leute davon sprachen und der Kanzler selbst es dachte, daß seine Frau in den König verliebt sei und der König in sie. Der Streit wurde immer heftiger, bis der Kanzler durch Intriguen dazu getrieben, zu den Schweden entfloh und den Krieg schürte. Ich saß damals still auf dem Lande und erfuhr nicht mehr das Ende jener Angelegenheit. Soviel aber weiß ich bestimmt, daß die Kanzlerin nicht dem Könige, sondern einem anderen süße Augen machte und verliebte Blicke zuwarf.«

»Wer war der andere?«

Sagloba drehte an seinem Schnurrbart.

»Der andere war einer, welchem alle zuströmten, wie die Ameisen zum Honig; nur den Namen kann ich aus Bescheidenheit nicht nennen, denn ich hasse die Sucht, sich zu rühmen ... Man ist alt geworden, alt und unansehnlich im Dienste des Vaterlandes, wie ein verbrauchter Besen beim Fegen der Feinde. Früher gab es keinen glatteren Höfling als ich es war, das kann Rochus Kowalski beschei...«

Hier fiel dem alten Ritter ein, daß Rochus auf keinen Fall die Vorgänge jener Zeiten kennen konnte. Er winkte also mit der Hand und setzte hinzu:

»Uebrigens, was kann der davon wissen!«

Darauf zeigte er den Waffenbrüdern noch die Paläste der Ossolinski und Koniezpolski, welche au Umfang dem Palais Radziejowski gleichkamen, endlich die großartige Villa regia.

Die Sonne war unterdessen untergegangen, das nächtliche Dunkel umhüllte die Gegend. Auf den Wällen Warschaus gaben Kanonenschüsse und Trompetensignale das Zeichen, daß man das Nahen des Feindes bemerkt.

Herr Sapieha meldete seine Ankunft ebenfalls durch Mörserschüsse, um den Bewohnern der Stadt Mut zu machen. Darauf überschritt er noch in derselben Nacht mit seiner Armee die Weichsel; zuerst die Laudaer, dann Kotwitsch mit seiner Fahne, dann Kmiziz mit seinen Tartaren und Wankowitsch, zuletzt der Rest von achttausend Mann. Auf diese Weise waren die Schweden nicht nur samt ihrer aufgestapelten Beute eingeschlossen, sondern ihnen auch jede Zufuhr von Nahrungsmitteln abgeschnitten. Dem Herrn Sapieha selbst blieb nichts weiter zu thun übrig, als abzuwarten, bis von der einen Seite Tscharniezki, von der anderen Seite der König mit dem Kronenhetman herankam, und nur darüber zu wachen, daß keine Hilfstruppen oder Lebensmittel in die Stadt geschmuggelt würden.

Die ersten Nachrichten kamen von Tscharniezki; sie lauteten nicht sehr befriedigend. Der Kastellan berichtete, daß seine Leute und Pferde so erschöpft seien, daß er sich augenblicklich gar nicht an der Belagerung beteiligen könne. Seit jener Schlacht bei Warka waren sie täglich im Gefecht gewesen und seit Beginn des Jahres hatten sie in einundzwanzig größeren Schlachten über die Schweden gesiegt, ungerechnet die vielen kleinen Scharmützel mit verstreuten Abteilungen. Er hatte nicht bis Danzig vordringen können und somit auch keine Verstärkungen seiner Truppen erlangt. Er konnte vor der Hand nur versprechen, dafür zu sorgen, daß die schwedische Armee, welche unter Boguslaw Radziwill mit dem Bruder des Königs und Douglas bei Narva stand und den Belagerten zu Hilfe eilen wollte, in ihrem Zuge aufgehalten werde.

Die Schweden aber trafen mit allem Mut und aller an ihnen bekannten Geschicklichkeit, Anstalten zur Verteidigung der Stadt. Noch ehe Herr Sapieha Praga erreicht hatte, war diese Vorstadt niedergebrannt worden. Gegenwärtig waren sie bemüht, alle anderen Vorstädte anzuzünden. Zu diesem Zwecke schleuderten sie Brandgeschosse in die höheren Gebäude der Krakauer Vorstadt, der neuen Welt einer-, in die Kirche des heiligen Georg und in die Marienkirche andererseits. Häuser und Kirchen gingen in Flammen auf. Tagsüber waren die Vorstädte in dichte graue Rauchwolken gehüllt, während in der Nacht diese Wolken rot durchleuchtet und von Funkensprühregen erfüllt waren. Außerhalb der Mauern irrten die Bewohner der verbrannten Häuser obdachlos und hungrig umher; Weiber umringten das Lager Sapiehas und bettelten um Barmherzigkeit. Man fand Menschen, die aus Mangel an Nahrung zum Skelett abgemagert, Kinder, die in den Armen der abgezehrten Mütter aus Mangel an Nahrung starben. Die ganze Gegend um Warschau verwandelte sich in ein Thal des Jammers und der Thränen.

Herr Sapieha, welcher noch immer auf die Ankunft des Königs wartete, konnte aus Mangel an Fußsoldaten und Geschützen nichts unternehmen. Er kam daher den Armen zu Hilfe, so gut es anging, ließ sie haufenweise nach Gegenden schaffen, die von der Kriegsnot noch nicht so viel zu leiden gehabt, wo sie sich ernähren konnten. Er sorgte sich auch sehr bei dem Gedanken an die Schwierigkeiten der Belagerung, die von Tag zu Tag wuchsen, da die gelehrten schwedischen Ingenieure im Laufe der Zeit die Stadt in eine starke Festung verwandelt hatten. Hinter ihren Mauern saßen dreitausend vorzügliche Soldaten, von erfahrenen und kriegsgeübten Generalen befehligt, während ohnehin im allgemeinen die Schweden im Belagern und Verteidigen jeglicher Arten von Festungen als Meister galten.

Um diese Sorgen etwas abzulenken, stärkte sich Herr Sapieha alltäglich an auserlesenen Speisen und Getränken, wobei die Pokale eifrig die Runde machten, denn es war bekannt, daß ihm das Klingen der Gläser und eine heitere Gesellschaft so sehr über alles ging, daß er darüber zuweilen sogar seine Pflicht vergessen konnte.

Glücklicherweise verstand er am Tage immer wieder gut zu machen, was er am Abend versäumt. Bis zum Sonnenuntergang arbeitete er ehrlich, aber, sobald der erste Stern am Himmel erschien, erklang auch der erste Fidelton in seinem Quartier. War er dann erst in heiterer Stimmung, dann gestattete er alle Freiheiten, ließ die Offiziere holen, selbst diejenigen von den Wachtkommandos, und war sehr ungnädig, wenn einer von ihnen nicht erschien, denn es gab für ihn keine Freude ohne große Gesellschaft.

Herr Sagloba machte ihm morgens oft schwere Vorwürfe deswegen, obgleich er mit der beste Gast Sapiehas war und man ihn oft besinnungslos nach dem Quartier Wolodyjowskis tragen lassen mußte.

»Der Sapieha würde einen Heiligen zu Falle bringen, geschweige denn mich,« pflegte er sich am Morgen dann zu entschuldigen, »mich, der ich immer ein Freund der Geselligkeit bin. – Dazu hat er noch eine förmliche Leidenschaft, mich zum Trinken zu zwingen, so daß ich direkt grob werden müßte, um es abzulehnen, das aber läuft der guten Sitte ganz entgegen. Ich habe mir aber selbst gelobt, daß ich im nächsten Advent mir den Rücken ordentlich geißeln lassen werde, denn das steht fest, diese Ausschweifungen verlangen eine Sühne. Inzwischen muß ich ihm schon Folge leisten, schon aus Sorge, daß er in schlechtere Gesellschaft geraten könnte, als die meinige, und er dann vollständig alles Maß verliert.«

Nun befanden sich bei der Armee ja Offiziere, welche auch ohne Aufsicht ihren Dienst wahrnahmen, aber es gab auch solche, die den Dienst, abends besonders, wo sie sich unbeobachtet wußten, sehr vernachlässigten. Das wußte der Feind auszunützen.

Einmal – es war wenige Tage vor der Ankunft des Königs mit den Hetmanen, – gab sich Sapieha, wahrscheinlich aus Freude über die nahende Hilfe, den Freuden des Lukullus mehr denn je hin. Er hatte alle Offiziere zu dem Mahle geladen unter dem Vorwande, daß es zu Ehren des Königs geschehe. Zu den Herren Skrzetuskis, Kmiziz, Sagloba, Wolodyjowski und Charlamp sandte er einen expressen Boten mit der Bitte, zu erscheinen, da der Hetman sie, als besonders verdiente Männer, auch besonders auszeichnen wolle. Herr Andreas war soeben auf das Pferd gestiegen, um mit einer Patrouille auszureiten, so daß die Ordonnanz des Großhetman ihn bei seinen Tartaren aufsuchen mußte.

»Ew. Liebden dürft dem Herrn Hetman die Einladung nicht ausschlagen und sein gutes Herz mit Undank lohnen,« sagte der Offizier.

Kmiziz stieg vom Pferde und ging sich mit den Freunden beraten.

»Es ist mir sehr unlieb und paßt mir gar nicht!« sagte er. »Ich habe gehört, daß eine größere Abteilung Schweden sich in der Gegend von Babitz gezeigt hat. Der Großhetman selbst hat mir befohlen, auf jeden Fall nachzuforschen, was für Soldaten das sind, und nun ladet er mich zum Gastmahl. Was soll ich thun?«

»Der Herr Hetman sendet durch mich den Befehl, daß Akbah-Ulan die Patrouille führen soll,« entgegnete die Ordonnanz.

»Befehl ist Befehl!« sagte Sagloba, »und wer Soldat ist, hat zu gehorchen. Hütet euch, böses Beispiel zu geben, zudem wäre es nicht gut für euch, beim Hetman in Ungnade zu fallen.«

»Meldet also, daß ich erscheinen werde!« sagte Kmiziz zu dem Offizier. Die Ordonnanz ging hinaus. Akbah-Ulan ritt mit seinen Tartaren davon und Kmiziz begann sich ein wenig festlich zu schmücken, während er zu den Freunden sagte:

»Heut ist ein Gastmahl zu Ehren des Königs; morgen wird eines zu Ehren der Hetmane stattfinden u. s. w. bis ans Ende der Belagerung.«

»Laßt nur den König erst hier sein, dann hat alles ein Ende,« sagte Wolodyjowski, »denn wenn unser Allergnädigster Herr auch gern einen Sorgenbrecher nimmt, so muß doch der Dienst strenger werden, weil jeder und Herr Sapieha vor allen, doch seinen Eifer wird bekunden wollen.«

»Es ist zu viel dessen, viel zu viel, ohne Widerrede!« sagte Johann Skrzetuski. »Es ist unbegreiflich, wie ein so überlegter, arbeitsamer und tugendhafter Mensch, ein so ausgezeichneter Staatsbürger eine solche Schwäche haben kann.«

»Sobald der Abend kommt, wird aus dem Großhetman ein Trunkenbold; es ist, als wäre er nicht derselbe Mensch mehr,« sprachen die Herren untereinander.

»Wißt ihr, warum besonders mir die Gastmähler so sehr zuwider sind?« sagte Kmiziz. »Weil auch Janusch Radziwill die Angewohnheit hatte, sie auszurichten, sobald der Abend kam; und denkt euch, immer traf es sich, daß, wenn wir bei Tische saßen, ein unglückliches Ereignis eintrat oder ein neuer Verrat des Fürsten zu Tage kam. War es nun Zufall oder Gottesfügung, das Böse kam immer während des Essens. Zuletzt überfiel uns alle stets ein Grauen, schon wenn die Tische gedeckt wurden.«

»Das ist wahr,« sagte Charlamp. »Aber es kam auch daher, daß der Fürst die Zeit während des Essens immer zu Aussprachen mit den Feinden des Vaterlandes ausersah.«

»Nun!« bemerkte Sagloba. »Das wenigstens brauchen wir von Sapieha nicht zu befürchten. Wenn der jemals imstande ist, einen Verrat zu begehen, so bin ich keinen Stiefelschaft wert.«

»Davon kann keine Rede sein,« sagte Wolodyjowski. »Er ist rein, wie das Brot ohne Wasserstreifen.«

»Und was er abends versäumt, das macht er am Tage wieder gut,« versetzte Charlamp.

»So gehen wir endlich,« sagte Sagloba, »denn wahrhaftig, ich fühle eine große Leere in meinen Eingeweiden.«

Sie setzten sich auf die Pferde und ritten dem Quartier Sapiehas zu. Dort fanden sie auf dem Hofe schon eine Menge Pferde und ein dichtes Gedränge der dieselben am Zügel haltenden Pferdejungen, für welche ebenfalls eine Tonne Bier aufgestellt war. Die Jungen hatten sich schon vollgetrunken und fingen, wie das immer der Fall ist, bereits an, sich zu necken und streiten. Beim Herannahen der Ritter verstummten sie jedoch, besonders, da Sagloba diejenigen, welche ihm zu nahe kamen, mit dem flachen Säbel zur Ordnung brachte. Dabei rief er mit Stentorstimme:

»Zu den Pferden, Schelme! zu den Pferden! Nicht ihr seid zum Gastmahl geladen!«

Herr Sapieha empfing die Ritter wie immer mit offenen Armen und da er schon etwas angeheitert war, begann er sogleich Sagloba zu necken.

»Willkommen, Herr Regimentarius!« titulierte er ihn.

»Willkommen, Herr Küfer!« war die schlagfertige Entgegnung des Alten.

»Wenn ihr mich einen Küfer nennt, so will ich euch einen Wein vorsetzen, der noch im Gähren begriffen ist.«

»Einverstanden!« antwortete Sagloba, »wenn nur der Wein von der Sorte ist, der bei der Gährung aus dem Hetman einen Saufbold macht.«

Einige der Anwesenden erschraken heftig über die Dreistigkeit des Scherzes, doch Sagloba wußte, daß der Hetman, wenn er heiter war, nichts übel nahm. Auch jetzt lachte Sapieha, daß er sich die Seiten hielt, indem er betonte, was alles ihm von diesem Edelmanne angehängt werde.

Das Mahl begann heiter und geräuschvoll. Immer von neuem trank Sapieha seinen Gästen zu, brachte die Gesundheit des Königs, der Hetmane, Tscharniezkis und der ganzen Republik aus. Die Heiterkeit nahm zu, man begann zu singen. Die Stube war angefüllt mit dem Dunst der erhitzten Köpfe, mit dem Geruch der Weine und des Met.

Doch auch draußen ging es lärmend zu, sogar Waffenklirren wurde hörbar. Das Gesinde mußte Streit untereinander bekommen haben. Einige von der Tafelrunde gingen hinaus, um die Ruhe wieder herzustellen, doch die Verwirrung wurde von Minute zu Minute größer, ohne daß sich die Ursache derselben ausfindig machen ließ.

Plötzlich ertönte ein so durchdringendes Geschrei, daß die Schmausenden vor Schreck verstummten.

»Was kann das sein?« frug einer der Hauptleute. »Die Jungen allein können unmöglich einen solchen Lärm machen.«

»Stille doch, ihr Herren!« sagte der Hetman, während er beunruhigt aufhorchte.

»Das sind keine gewöhnlichen Streitrufe!«

Da erzitterten plötzlich alle Fensterscheiben vom Donner der Kanonen und einer gleichzeitigen Gewehrsalve.

»Ein Ausfall! Sie machen einen Ausfall!« schrie Wolodyjowski, »der Feind ist im Lager!«

»Auf die Pferde! Zu den Waffen!«

Alle sprangen entsetzt auf, ein fürchterliches Gedränge entstand, die Offiziere stürzten in den Hof und schrieen ihre Jungen an, ihnen die Pferde vorzuführen.

Doch war es dem einzelnen nicht leicht, in dem Wirrwarr sogleich das seinige zu finden. Aengstliche Stimmen riefen in den Hof hinein:

»Der Feind ist da! Herr Kotwitsch ist hart bedrängt!«

Jeder Offizier eilte, so schnell er konnte, zu seiner Fahne. Ueber Zäune und Gräben ging es auf Tod und Leben. Im Lager wurde schon Alarm geblasen; nicht alle Fahnen hatten die Pferde bei der Hand, die Soldaten rannten in der Eile einer wider den anderen, sie konnten in der Angst nicht mehr unterscheiden, wer Freund, wer Feind. Einzelne Stimmen schrieen schon auf, der König von Schweden sei mit seiner ganzen Heeresmacht in das Lager eingebrochen.

Glücklicherweise war Kotwitsch, der sich etwas unwohl gefühlt hatte, nicht der Einladung Sapiehas gefolgt. Er war bei seiner Fahne, als der erste heftige Anprall der schwedischen Abteilung erfolgte und er hielt ihn tapfer auf, obgleich die Schweden ihm in großer Ueberzahl gegenüber standen.

Der erste, welcher ihm zu Hilfe kam, war Oskierko mit seinen Dragonern. Den Schüssen der Schweden konnte nun erwidert werden, aber auch diese Hilfe reichte nicht aus; die Dragoner wurden bei jedem Angriff, den sie machten, zurückgeschlagen. Zweimal versuchte Oskierko seine Reiter wieder in Reihe und Glied zu bringen, zweimal mißlang dieses Bemühen, er mußte sie zurückziehen und nun stürmten die Schweden ihnen nach, dem Quartier des Hetman zu. Immer neue Schwadronen zogen aus der Stadt dem Lager zu; Füsiliere, Reiter, ja sogar Feldgeschütze wurden herausgefahren. Es hatte den Anschein, als wolle der Feind eine Entscheidungsschlacht herbeiführen.

Unterdessen hatte Wolodyjowski, als er in Eile das Quartier des Hetman verließ, schon auf halbem Wege seine Laudaer angetroffen. Sie waren, sobald sie die Alarmsignale vernommen, unverzüglich dem Quartier Sapiehas zugeeilt, was um so schneller von statten ging, da sie immer wachsam und kampfbereit waren. Sie wurde ihm von Roch Kowalski zugeführt, der wie Kotwitsch zu Hause geblieben war, nur, – daß er nicht wie jener zum Gastmahle geladen war.

Wolodyjowski befahl sogleich einige zunächst befindliche Schuppen in Brand zu stecken, dann flog er dem Kampfplatze zu. Auf dem Wege dorthin schloß sich ihm Kmiziz mit seinen Volontariern und der Hälfte seiner Tartaren an, da die andere Hälfte unter Akbah-Ulan noch nicht von ihrem Patrouillenritt zurück war.

Beide kamen gerade zu rechter Zeit an, um Kotwitsch und Oskierko vor der gänzlichen Niederlage zu bewahren. Die lichterloh brennenden Schuppen verbreiteten Tageshelle. Bei dem Schein des Feuers stürzten die Laudaer und Kmiziz auf eine Abteilung schwedischer Füsiliere und das Gewehrfeuer derselben nicht achtend, schlugen sie mit den Säbeln drein. Da sprengte eine Schwadron Reiter ihren bedrängten Landsleuten zu Hilfe. Sie prallte mit den Laudaern scharf zusammen. Eine Zeitlang kämpften sie Schulter an Schulter so dicht miteinander, wie zwei Faustkämpfer, die abwechselnd einer den anderen unterzukriegen suchen; bald aber lichteten sich die Reihen der Schweden, sie gerieten in Unordnung. Kmiziz trug mit seinen Totschlägern das seinige dazu bei, die Verwirrung zu vergrößern, Wolodyjowski ruhte nicht, bis er freien Spielraum gewann. Neben ihm arbeiteten wacker die riesigen Gestalten der Skrzetuskis, Charlamp und Kowalski. Die Laudaer wetteiferten mit den Tartaren Kmiziz', die einen, indem sie durch ihr wüstes Geschrei die Schweden in Schrecken setzten, die anderen, wie zum Beispiel Jozwa Butrym, indem sie schweigend gewaltig dreinschlugen.

Die gelichteten Reihen der Schweden wurden immer durch frische Kämpfer ergänzt, während Wankowitsch, welcher sein Quartier dicht nebenbei hatte, den polnischen Fahnen Wolodyjowskis und Kmiziz' zu Hilfe kam. Endlich führte der Hetman das ganze Heer in das Gefecht und nun entbrannte auf der ganzen Linie von Mokotow bis an die Weichsel die Schlacht auf das heftigste.

Da sprengte Akbah-Ulan, welcher mit der Patrouille ausgeritten war, auf schweißtriefendem Pferde an den Hetman heran.

»Effendi!« schrie er. »Von Babitz her zieht ein Zug Reiter und Wagen der Stadt zu; sie suchen die Mauern der Stadt schnell zu erreichen.«

Nun begriff Sapieha mit einemmale, welchen Zweck der Ausfall nach der Seite von Mokotow hin haben sollte. Der Feind wollte die Aufmerksamkeit der Heeresabteilung, welche an der nach Blonie führenden Landstraße lag, von dieser ablenken, damit die Fourage-Wagen in den Bereich der Mauern gelangen konnten.

»Reite zu Wolodyjowski!« rief er den Akbah-Ulan zu. »Die Laudaer Fahne, Kmiziz und Wankowitsch sollen ihnen den Weg abschneiden; ich sende ihnen sofort Sukkurs!«

Akbah-Ulan gab seinem Pferde die Sporen, drei Ordonnanzen folgten ihm. Sie alle kamen gleichzeitig bei Wolodyjowski an und überbrachten ihm den Befehl des Hetman.

Wolodyjowski ließ seine Fahne sofort schwenken und galoppierte mit ihr der angegebenen Richtung zu; Kmiziz holte ihn mit den Tartaren ein und Wankowitsch folgte beiden.

Doch sie kamen zu spät. Mehr als zweihundert Wagen hatten die Thore der Stadt schon passiert. Die denselben folgende stattliche Bedeckung schwerer Reiter aber befand sich schon im Bereiche der Festungsgeschütze, nur etwa hundert Mann hatten die Deckungslinie noch nicht erreicht, aber auch sie galoppierten der Stadt eiligst zu. Der letzte Offizier trieb sie durch sein Geschrei zu vermehrter Eile an.

Als Kmiziz beim Scheine der brennenden Schuppen die Reiter gewahrte, stieß er einen durchdringenden gräßlichen Schrei aus; er hatte Boguslaws Reiter erkannt, dieselben, welche ihn und seine Tartaren bei Janowo überritten hatten.

Nichts mehr achtend, jagte er wie wahnsinnig ihnen zu. Seine Leute hinter sich zurücklassend, erreichte er sie zuerst und sprengte blindlings in ihre Reihen. Glücklicherweise folgten ihm die beiden Kiemlitsch, Kosma und Damian, welche ihn nie aus den Augen ließen, auf dem Fuße. In diesem Augenblick durchschnitt Wolodyjowski die Linie in schräger Richtung und trennte damit den Nachtrab von der Hauptabteilung mit Blitzesschnelle.

Die Geschütze von den Mauern dröhnten jetzt. Die Hauptabteilung ließ ihren Nachtrab im Stich und barg sich schleunigst hinter den Thoren der Festung. Die Zurückgelassenen wurden nun umringt. Die Laudaer und Kmiziz begannen die Schlachterei ohne Barmherzigkeit.

Nur kurz dauerte der Kampf. Die Reiter Boguslaws streckten die Waffen, als sie sahen, wie schmählich man sie preisgegeben. Sie sprangen von den Pferden und schrieen aus vollem Halse, um sich in dem Lärm und Gedränge Gehör zu verschaffen.

Doch weder die Volontarier noch die Tartaren achteten darauf und hieben weiter zu. Da ertönte laut und drohend die Stimme Wolodyjowskis, welchem es darum zu thun war, einen Kundschafter zu erhalten:

»Nehmt sie lebendig! Gaß! Gaß! Lebendig nehmen!«

»Lebendig nehmen!« schrie auch Kmiziz.

Das Knirschen der Eisen verstummte. Man befahl den Tartaren, die Gefangenen an die Leine zu nehmen, was diese mit der ihnen eigenen Geschicklichkeit im Augenblick fertig brachten, dann entzogen sich die Fahnen eiligst dem Feuer der Geschütze.

Die Hauptleute lenkten den Schuppen zu. Voran ging die Laudaer Fahne, Wankowitsch bildete mit der seinigen den Nachtrab und Kmiziz nahm mit den Gefangenen die Mitte ein. Sie zogen sich vorsichtig und in voller Kampfbereitschaft zurück, stets eines Ueberfalles gewärtig. Die Tartaren führten zum Teil die Gefangenen an der Leine, teils lenkten sie die erbeuteten Pferde. Als sie sich den noch immer brennenden Schuppen näherten, blickte Kmiziz den Gefangenen aufmerksam in die Gesichter, ob nicht etwa dasjenige Boguslaws darunter sei, denn obgleich bereits einer der Reiter unter Bedrohung mit dem Messer geschworen hatte, daß der Fürst sich nicht in der Abteilung befinde, traute er dennoch nicht, daß er ihn absichtlich getäuscht.

Da tönte unter dem Steigbügel eines Tartaren hervor eine Stimme:

»Herr Kmiziz! Herr Hauptmann! Errettet einen Bekannten! Befehlt, daß man mich von der Leine lasse, bei Ehrenwort!«

»Haßling!« rief Kmiziz.

Haßling war ein Offizier von der schottischen Leibgarde des Wojewoden von Wilna, welchen Kmiziz in Kiejdan kennen gelernt und sehr lieb gewonnen hatte.

»Laß den Gefangenen frei!« befahl Kmiziz dem Tartaren »und gieb ihm dein Pferd!«

Der Tartar verschwand vom Rücken des Pferdes, als hätte ihn der Wind fortgeblasen; er wußte nur zu gut, wie gefährlich es war, zu zögern, wenn der » bagadyr« befahl.

Stöhnend kletterte Haßling in den hohen Sattel des Tartaren.

Da packte Kmiziz oberhalb des Handgelenkes seinen Arm und preßte ihn, als wolle er denselben zermalmen, während er eindringlich fragte:

»Woher kommt ihr? Gleich sagt mir, woher? Um Gotteswillen beeilt euch!«

»Aus Tauroggen,« entgegnete der Offizier.

Kmiziz's Hand umklammerte den Arm Haßlings noch fester.

»Und ... das Fräulein Billewitsch ... ist sie dort?«

»Sie ist dort!! ...«

Das Sprechen wurde Kmiziz immer schwerer, seine Zähne waren krampfhaft auf einander gepreßt.

»Und ... was hat der Fürst aus ihr gemacht? ...« rang es sich mit übermäßiger Anstrengung von den Lippen des Ritters.

»Er hat nichts bei ihr ausgerichtet!«

Kmiziz verstummte. Nach einer Weile nahm er die Luchsmütze vom Kopf, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sagte leise:

»Man hat mich im Gefecht gestoßen, das Blut zeigt sich wieder ... ich bin schwach geworden!«


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