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2. Kapitel

Dieser Vernichtungskrieg war eben in seinen Anfängen ausgebrochen, als Herr Kmiziz mit dem alten Kiemlitsch und dessen beiden Söhnen in Glogau anlangte. Der Weg war mühevoll und langsam gewesen, denn die Gesundheit des jungen Helden war stark erschüttert. Sie kamen nachts am Ziel ihrer Reise an. Die Stadt war so überfüllt von Soldaten, Herren, Adligen, königlichen und anderen Bediensteten, die Herbergen alle besetzt, so daß der alte Kiemlitsch nur mit großer Mühe ein Unterkommen für seinen Herrn bei einem Seiler fand, welcher schon außerhalb der Stadt wohnte.

Den ersten Tag verbrachte Herr Andreas auf seinem Lager im heftigsten Wundfieber. Zuweilen dachte er, eine schwere Krankheit werde ihn befallen, seine kräftige Natur aber half ihm das Fieber bewältigen. Während der darauf folgenden Nacht besserte sich sein Zustand. Am nächsten Tage stand er schon früh auf und ging in die Pfarrkirche, um Gott für seine wunderbare Rettung zu danken.

Der Morgen war grau und dämmerig; es schneite. Die Stadt lag noch still im Schlummer, aber durch die offene Kirchenthüre konnte man die Lichter auf dem Altar brennen sehen und die vollen Klänge der Orgel hören.

Kmiziz trat in das Innere der Kirche. Am Altar zelebrierte der Geistliche die Votive; nur wenige Betende noch befanden sich darin. In den Bänken knieten einige Gestalten, welche ihre Angesichter in den Händen verbargen. Außer diesen gewahrte Herr Andreas, als sein Auge sich an das Dunkel gewöhnt hatte, eine dicht vor den Kommunionbänken zu Kreuz liegende Gestalt. Hinter ihr knieten zwei halberwachsene Knaben mit rosigen, engelsschönen Kindergesichtern. Der Mann, welcher dort lag, verharrte regungslos, nur einzelne schwere Seufzer, welche sich seiner Brust entrangen, ließen erraten, daß er wache und mit voller Inbrunst bete. Auch Kmiziz betete aus voller Seele, doch wider Willen zog die auf dem Boden ausgestreckte Gestalt seine Blicke immer wieder an, zuletzt konnte er sie gar nicht mehr von derselben losreißen. Beim gelben Lichte der Kerzen konnte er nun auch allmählich deutlicher die Umrisse erkennen.

Die Kleidung des Mannes ließ auf eine Person von Rang schließen, ebenso der Umstand, daß alle Anwesenden, den Geistlichen nicht ausgenommen, ihre Blicke zuweilen voll Ehrfurcht auf ihn richteten. Der Unbekannte war ganz in schwarzen Sammet gekleidet, welcher mit Zobelpelz gefüttert und besetzt war. Nur die Schultern wurden von einem breiten weißen Spitzenkragen bedeckt, unter welchem die Glieder einer goldenen Kette hervorschimmerten; ein schwarzer Hut mit breiter Krämpe und mit schwarzen Federn geschmückt, lag neben ihm. Einer der hinter ihm knieenden Pagen aber hielt seine Handschuhe und einen blaugeschmelzten Säbel. Das Gesicht des Unbekannten konnte Kmiziz nicht sehen, es war halb in den Falten des kleinen Teppichs verborgen, auf welchem er lag, und die herabfallenden Locken einer üppigen Perücke verdeckten es vollends.

Herr Andreas rückte so nahe als möglich, um, wenn der Unbekannte aufstand, sein Gesicht sehen zu können. Unterdessen näherte die Votive sich ihrem Ende; der Geistliche sang schon das pater noster. Die Kirche begann sich mit Menschen zu füllen, welche der bald darauffolgenden zweiten Messe beiwohnen wollten. Es wurde etwas Gedränge. Da stieß Kmiziz einen neben ihm stehenden Edelmann an und flüsterte:

»Verzeiht, Ew. Liebden, wenn ich eure Andacht störe, aber meine Neugierde ist zu groß. Wer ist jener dort?« Er zeigte mit den Augen hinüber nach dem auf dem Boden Liegenden.

»Ihr müßt von sehr weit hergekommen sein, daß ihr das nicht wüßt,« entgegnete der Edelmann.

»Das ist es eben,« sagte Kmiziz. »Deshalb frage ich, in der Hoffnung, daß meine Frage an einen Menschenfreund gerichtet ist, welcher mir die Antwort nicht schuldig bleibt.«

»Es ist der König!«

»Beim lebendigen Gotte!« rief Kmiziz.

In diesem Augenblick erhob der König sich, denn der Geistliche verlas das Evangelium.

Herr Andreas erblickte ein hageres, leidend aussehendes Antlitz, so gelb, wie das Wachs der Kerzen auf dem Altar. Die Augen des Königs waren feucht, die Lider gerötet. Ein großer Schmerz, Leiden und Sorgen waren in diesen Augen, in diesem edlen Antlitz ausgeprägt. Schlaflose Nächte, kummervolle Tage, Enttäuschungen, die Trauer über die Demütigung und Verbannung der Majestät, über die Undankbarkeit seines Volkes, für welches er Blut und Leben so gern geopfert hätte, waren in diesen Zügen zu lesen, wie in einem Buche. Bei alledem hatten stille Resignation, Glaubenstreue und unendliche Güte das Haupt und das Antlitz dieses Gesalbten des Herrn mit einem Heiligenschein umflossen. Man mußte auf den ersten Blick sehen, daß es nur der Rückkehr der Abtrünnigen bedurfte, nur der Bitte, sie wieder an sein Herz zu nehmen, um den Strom der Liebe, welchen das Herz dieses Mannes barg, überfließen zu machen.

Kmiziz war zu Mute, als presse ihm eine eiserne Klammer das Herz. Schmerz und Reue, sein großes Schuldbewußtsein, Ehrfurcht und tiefstes Mitleid benahmen ihm fast den Atem. Ein neues, früher nie gekanntes Gefühl zog in seine Brust ein. Er fühlte sich zu diesem Manne hingezogen; er wußte plötzlich, daß er die schmerzvolle Lage dieser Majestät vollständig begriff, daß er Gut und Leben opfern wolle, um ihr zu ihrem Rechte zu verhelfen. Er hätte ihr jetzt zu Füßen fallen, sie um Vergebung seiner Schuld anflehen mögen. Der freche Raufbold in ihm war vollständig erstorben, ein neuer Mensch war er beim Anblick so schmerzvollen Leides, so unendlicher Güte geworden, ein seinem Könige treuergebener Diener.

»Das also ist unser Herr, unser unglücklicher Herr!« flüsterte er.

Wieder war Johann Kasimir niedergekniet, wieder hatte er sich mit gefalteten Händen ins Gebet versenkt. Der Geistliche hatte die Kirche schon verlassen, eine Bewegung war entstanden, aber der König betete noch.

Da stieß jener Edelmann, welchen vorher Kmiziz gefragt hatte, ihn an.

»Wer seid ihr?« frug er.

Kmiziz verstand nicht sogleich die Frage und antwortete auch nicht, so sehr waren seine Gedanken von dem, was er sah, eingenommen.

»Wer seid ihr?« frug der Edelmann noch einmal.

»Ein Edelmann, wie ihr!« antwortete Kmiziz, wie aus einem Traume erwachend.

»Wie nennt man euch?«

»Wie man mich nennt? Ich heiße Babinitsch und bin aus Litauen, aus der Gegend von Witebsk.«

»Und ich bin Lugowski, ein Hofschranze! Bitte, also aus Litauen, aus Witebsk seid ihr hierher gekommen?«

»Nein! Ich komme aus Tschenstochau.«

Herr Lugowski sah Herrn Andreas starr vor Staunen an.

»Wenn das der Fall ist, dann kommt schleunigst mit mir, denn ihr müßt erzählen, was ihr wißt. Seine Majestät zehrt sich auf vor Kummer, daß seit drei Tagen keine Nachricht von dort mehr hierher gelangt ist. Seid ihr von der Fahne Sbroscheks, oder Kalinskis, oder Kuklinowskis bei Tschenstochau?«

»Ich komme nicht bei Tschenstochau her, sondern von dort, direkt aus dem Kloster selbst!«

»Ihr scherzt doch wohl? Wie steht es? Hält das Kloster sich noch?«

»Es hält sich und wird sich halten. Die Schweden werden demnächst abziehen müssen.«

»Wahrhaftig? Der König wird euch in Gold fassen für diese Kunde! Aus dem Kloster selbst, sagt ihr? ... Wie seid ihr denn durch das Schwedenlager gekommen?«

»Ich habe die Schweden um Erlaubnis zum Durchmarsch nicht gebeten. Aber entschuldigt, mein Herr; ich kann in der Kirche nähere Auskunft nicht erteilen.«

»Ihr habt recht!« entgegnete Herr Lugowski. »Barmherziger Gott! ... Ihr kommt wie vom Himmel gesandt! ... In der Kirche schickt es sich nicht, darüber zu sprechen! ... Wartet ein wenig! Der König wird sich gleich erheben, er wird vor dem Hochamt frühstücken ... Heute ist Sonntag ... Kommt mit mir ... Wir wollen uns beide an die Thüre stellen, so kann ich euch gleich beim Hinausgehen dem Könige vorstellen ... Kommt, kommt, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Indem er das sagte, eilte er fort und Kmiziz folgte ihm auf dem Fuße. Sie hatten sich kaum an der Thüre aufgestellt, da kamen auch schon die beiden Pagen, hinter ihnen langsam der König gegangen.

»Allerdurchlauchtigster Herr!« rief Lugowski. »Wir haben Nachrichten aus Tschenstochau!«

Die bleichen Züge des Königs belebten sich plötzlich.

»Wie? Wo? Wer bringt sie?« frug er hastig.

»Dieser Edelmann hier! Er sagt, daß er aus dem Kloster selbst komme.«

»So ist das Kloster schon genommen?« rief der König aus.

Da warf sich Kmiziz dem Könige zu Füßen.

Johann Kasimir beugte sich herab und faßte ihn an den Schultern.

»Laßt das!« rief er. »Laßt das ... Steht auf, um Gottes Willen und sprecht ... Ist das Kloster genommen?«

Die Augen voll Thränen, sprang Kmiziz auf und sagte begeistert:

»Es ist nicht genommen, Majestät, und wird auch nicht genommen werden! Die Schweden sind geschlagen! Ihr größtes Geschütz ist zersprengt! Panik, Schrecken, Hunger und Not herrschen unter ihnen! Sie sind gezwungen, an den Rückzug zu denken ...«

»Gelobt seist du, Königin der Engel!« sagte der König.

Er wandte sich um, dem Eingang der Kirche zu, entblößte sein Haupt, kniete nieder, lehnte den Kopf an die steinerne Einfassung der Thüre und verharrte schweigend. Nach einigen Augenblicken hörte man ihn leise schluchzen, sein ganzer Körper bebte.

Auch die anderen Anwesenden wurden von Rührung erfaßt. Herr Andreas weinte laut aus.

Nach einer Weile stand der König beruhigt auf. Sein Antlitz trug einen viel heitereren Ausdruck. Er frug Kmiziz sogleich nach seinem Namen und als dieser ihm seinen angenommenen genannt hatte, sagte er:

»Herr Lugowski wird euch in Unser Quartier führen. Wir wollen Unser Frühstück einnehmen, während ihr Uns von der Belagerung erzählt!«

Eine Viertelstunde später stand Kmiziz in den königlichen Gemächern vor einer äußerst vornehmen Gesellschaft. Der König wartete nur noch auf die Ankunft der Königin. Maria Ludwika erschien auch bald, worauf man sich setzte, um die Morgensuppe einzunehmen. Der König hatte kaum seine Gemahlin erblickt, so rief er ihr schon entgegen:

»Tschenstochau hat die Belagerung ausgehalten! Die Schweden müssen sie aufgeben! Hier ist Herr Babinitsch, welcher von dort kommt und uns die frohe Botschaft gebracht hat!«

Die schwarzen Augen der Königin ruhten eine Weile forschend auf dem Antlitz des Ritters. Der Eindruck, welchen sein offenes Gesicht und sein grader Blick machten, schien sie zu befriedigen, denn ihre Züge wurden heiter. Er verneigte sich tief vor ihr und begegnete ihrem Blick mit offenherziger Ehrlichkeit.

»Bei der Allmacht Gottes!« sagte die Königin. »Ihr habt eine große Last von Unseren Herzen genommen. Walte Gott, daß dies der Anfang eines Umschwunges in Unserem Geschick sei. Ihr seid direkt von Tschenstochau hierher gekommen?«

»Er sagt, direkt aus dem Kloster sei er, einer der Verteidiger desselben!« rief der König. »Das ist ein teurer Gast! ... Wollte Gott, es kämen solche täglich einer ... Aber laßt ihn doch zu Worte kommen ... Erzählt, Bruderherz, wie habt ihr euch dort des Feindes erwehrt, wie hat Gottes Hand euch beschützt?«

»Ja, Allerdurchlauchtigste Herrschaften,« sagte Kmiziz. »Es war wirklich nur Gottes Fürsorge und die Huld der wunderthätigen Gottesmutter, daß wir den Sieg errungen haben.«

Schon wollte Kmiziz mit dem Erzählen der Einzelheiten der Belagerung beginnen, da traten noch mehrere hohe Würdenträger in das Gemach. Es erschienen zuerst der päpstliche Nuntius mit dem Fürst Primas Leschtschinski und dem Probst Wydzga, einem berühmten Kanzelredner, welcher dazumal Kanzler der Königin, später Bischof von Kulm und zuletzt Primas von Großpolen war. Bald nach ihnen kam der Reichskanzler, Herr Koryzinski, und der Franzose de Noyers, Kammerherr der Königin, etwas später noch andere Herren vom Hofe, welche mit ihrem hohen Herrn die Verbannung teilten.

Der König, welcher gern schon näheres erfahren hätte, rief allen Eintretenden gleich entgegen:

»Hort, hört, meine Herren! Wir haben einen Gast vom heiligen Berge hier ... Er bringt gute Nachrichten!«

Die Würdenträger blickten neugierig zu Kmiziz hinüber, welcher wie vor einem Gericht stand halten mußte. Doch er, von Natur furchtlos und an den Verkehr mit Vornehmen gewöhnt, ließ sich durch die staunenden Blicke so vieler hochgestellter Personen nicht aus der Fassung bringen. Sobald alle Platz genommen hatten, begann er seine Erzählung.

Man merkte es seiner Rede an, daß er die Wahrheit sagte, denn er sprach klar und mit Nachdruck, wie jemand, der das alles selbst erlebt hat. Er sprach vom Prior Kordezki wie von einem Heiligen, erhob die Heldenthaten Zamoyskis und Tscharniezkis bis in den Himmel, lobte das Verhalten der Ordensbrüder und ließ niemand aus, nur sich selber erwähnte er nicht. Die Erhaltung des Klosters aber schrieb er nur den Wunderthaten der Mutter Gottes zu.

Mit andächtigem Staunen hörten ihm die Anwesenden zu. Der Fürst Primas erhob die thränenfeuchten Augen zum Himmel, der Probst Wydzga dolmetschte das Erzählte eiligst dem Nuntius, die anderen Herren stützten ihre Köpfe in die Hände oder falteten die Hände über der Brust.

Kmiziz war in seinem Bericht eben bei den letzten Stürmen angekommen. Als er erzählte, daß Miller die schweren Belagerungsgeschütze von Krakau, unter denselben die Riesenkanone, welcher noch keine Mauer widerstanden hatte, herbeischaffen ließ, da hingen aller Augen an seinen Lippen und Totenstille herrschte im Gemach.

Plötzlich brach Kmiziz ab. Dunkle Röte färbte seine Wangen, sein Atem ging rascher. Nun runzelte er die Stirn, hob den Kopf ein wenig und sagte barsch in kurzen, abgerissenen Lauten:

»Jetzt muß ich von mir sprechen, obgleich ich lieber darüber geschwiegen hätte ... Wenn ich etwas sage, was mir zum Lobe gereicht, so ist Gott mein Zeuge, daß ich es nicht thue um irdischen Lohnes willen, denn diesen brauche ich nicht. Mein höchster Lohn wäre der, daß ich mein Leben für die Majestät einsetzen dürfte ...«

»Sprecht dreist, Wir glauben euch!« sagte der König. »Was war es mit der Riesenkanone?«

»Diese Kanone ... Ich stahl mich nachts aus der Veste und zersprengte sie mit Pulver in tausend Splitter! ...«

»Beim allmächtigen Gotte!« rief der König.

Auf diesen Ausruf folgte wieder tiefe Stille. Die Erzählung des Herrn Andreas hatte einen bewältigenden Eindruck auf die Hörer gemacht. Aller Blicke hingen an der Gestalt des jungen Helden, welcher mit hoch emporgerichtetem Haupte, glühenden Wangen und blitzenden Augen dastand. In seiner Haltung lag so viel männliches Selbstbewußtsein, ein so hoher, unerschütterlicher Mut drückte sich in seinen Zügen aus, daß unwillkürlich sich den Anwesenden die Ueberzeugung aufdrängen mußte, dieser Mensch sei einer solchen Heldenthat wohl fähig.

Dieser Ueberzeugung gab auch zuerst der Fürst Primas Ausdruck, indem er sagte:

»Der Mann sieht ganz darnach aus, so etwas vollbracht zu haben.«

»Wie habt ihr das angestellt?« frug der König.

Kmiziz erzählte.

»Es ist kaum zu glauben!« meinte der Kanzler Koryzinski.

»Meine Herren!« sagte der König würdevoll. »Wir ahnten nicht, daß es solche Helden unter uns giebt. Uns bleibt die Hoffnung, daß die Republik nicht verloren ist, so lange sie solche Männer gebiert, wie dieser hier.«

»Er kann von sich sagen: › Si fractus illabatur orbis impavidum ferient ruinae‹,« sagte der Probst Wydzga, welcher bei jeder Gelegenheit mit Zitaten zur Hand war.

»Es ist fast unmöglich,« machte sich der Herr Kanzler wieder bemerklich. »Erzählt doch, Herr Kavalier, wie seid ihr denn mit dem Leben davongekommen und auf welche Weise gelangtet ihr aus dem Schwedenlager?«

»Der Donner der Explosion betäubte mich,« sagte Kmiziz. »Ich blieb liegen und erst am folgenden Tage fanden mich die Schweden an der Schanze bewußtlos daliegend. Sie stellten mich auch sogleich vor das Kriegsgericht und Miller verurteilte mich zum Tode.«

»Ihr seid entflohen?«

»Ein gewisser Kuklinowski bat mich bei Miller für sich aus, damit er seinen Haß an mir auslassen könne, denn ich hatte ihn beschimpft.«

»Er ist ein berüchtigter Raufbold und Mörder; wir haben hier auch von ihm gehört,« sagte der Herr Kastellan von Kriewen. »Seine Abteilung steht mit Miller bei Tschenstochau ... Es ist wahr!«

»Jener Kuklinowski war einmal als Gesandter Millers ins Kloster gekommen und hatte mich privatim zum Verrat überreden wollen, als ich ihm bis zum Thore das Geleit gab ... da ohrfeigte ich ihn und stieß ihn den Berg hinunter. Dafür wollte er sich nun rächen.«

»Ihr seid ja ein Edelmann vom reinsten Blut!« sagte der König heiter. »Nun so einen Kuklinowski beleidigt man nicht straflos! ... Also Miller schenkte euch dem Kuklinowski?«

»Er schenkte mich ihm, Majestät! ... Jener aber zog sich mit mir in eine einsame Scheune zurück ... Es waren noch drei seiner Soldaten dabei ... Dort ließ er mich mit Stricken an einem Balken in die Höhe ziehen und marterte mich, indem er mir die Seite mit glühendem Pech verbrannte.«

»Barmherziger Gott!«

»Da wurde er plötzlich zu Miller abberufen und unterdessen kamen drei andere seiner Soldaten vom Klein-Adel, welche früher in meinen Diensten gestanden hatten. Die schlugen die Wächter nieder und banden mich los.«

»Aha, ich verstehe!« sagte der König. »Ihr entflohet dann?«

»Nein, Majestät! Wir warteten die Rückkehr Kuklinowskis ab. Dann ließ ich ihn an denselben Balken festbinden, an welchem ich vorher gehangen hatte und brannte ihn besser, als er mich.«

In der Erinnerung au dieses Ereignis hatten sich die Wangen des Kavaliers von neuem gerötet, seine Augen sprühten Feuer.

Der König aber, welcher gern von der Trauer zur Fröhlichkeit, vom Ernst zum Scherz überging, klatschte vor Vergnügen in die Hände und rief lachend:

»Das war recht! Das war recht! Dieser Verräter hat es nicht besser verdient.«

»Ich ließ ihn lebend zurück,« fuhr Kmiziz fort, »aber bis zum Morgen muß er erfroren sein.«

»Rache ist süß! Wir könnten viele solche Tapfere brauchen, wie ihr seid,« sprach der König. »Ihr seid also allein mit den drei Soldaten hierhergekommen? Wie heißen sie denn?«

»Kiemlitsch; es ist der Vater mit zwei Söhnen.«

» Mater mea de domo Kiemlitschowna est« (Meine Mutter ist eine geborene Kiemlitsch), sagte würdevoll der Kanzler der Königin, Probst Wydzga.

»Dann muß es zweierlei Kiemlitsch geben, vom großen und vom Kleinadel,« entgegnete Kmiziz heiter, »die, welche ich bei mir habe, sind nicht nur vom Kleinadel, sondern sie sind von Grund aus Gesindel, sonst aber tapfere Männer und mir sehr ergeben.«

Unterdessen hatte der Reichskanzler, Herr Koryzinski, schon längere Zeit mit dem Erzbischof von Gnesen geflüstert. Jetzt sagte er:

»Es kommt mancher hier an, welcher, um sich in gutes Licht zu setzen, oder eine Belohnung zu erhalten, gern lügt und aufschneidet. Sie bringen falsche Nachrichten, oder solche, welche uns irre führen, sind auch wohl gar vom Feinde dazu gedungen.«

Diese Bemerkung wirkte erkältend auf alle Anwesenden. Kmiziz färbte sich dunkelrot.

»Ich kenne die Stellung nicht, welche Ew. Gnaden bekleiden,« sagte er. »Sie mag wohl eine sehr hohe sein und ich will ihr nicht zu nahe trete». Aber ich denke, selbst die höchste Stellung berechtigt niemanden, einen Edelmann grundlos der Lüge zu zeihen.«

»Mensch! Ihr sprecht zum Reichskanzler!« sagte Herr Lugowski.

Jetzt entbrannte in Kmiziz der Zorn lichterloh.

»Wer mich der Lüge beschuldigt,« sagte er, »dem sage ich, gleichviel ob er Kanzler ist oder nicht, daß es leichter ist, jemanden Lügner zu nennen, als sein Leben in die Schanze zu schlagen, leichter ein Siegel in Wachs zu drücken, als sein Blut hinzugeben.«

Herr Koryzinski hörte gelassen diesen Zornesausbruch an. »Ich sagte nicht, daß ihr lügt,« antwortete er. »Aber Herr Kavalier, wenn ihr die Wahrheit sprecht, so muß eure Seite ja verbrannt sein.«

»Kommt mit mir, gnädiger Herr, ich will sie euch zeigen!« stieß Kmiziz wütend hervor.

»Das ist nicht nötig,« sagte der König, »Wir glauben euch auch so!«

»Ich fordere diese Untersuchung als eine Gnade, Allergnädigste Majestät! Niemand hier, sei er auch noch so hochgestellt, soll mich einen Lügner schimpfen! Die Qualen, welche ich ausgestanden, werden durch dieses Mißtrauen schlecht gelohnt. Ich verlange keine andere Belohnung, als daß man mir glaubt; mögen die Ungläubigen meine Wunden untersuchen!«

»Bei Mir findet ihr Glauben!« sagte der König.

»Seine Worte tragen den Stempel der Wahrheit,« setzte die Königin hinzu, »Ich täusche mich nicht.«

Kmiziz aber faltete die Hände und bat:

»Allergnädigste Herrschaften! Erlaubt, daß jemand mit mir zur Seite trete; ich konnte das Mißtrauen nicht ertragen.«

»Ich werde mit euch gehen,« sagte Herr Tysenhaus, ein junger Höfling am Hofe des Königs.

Während er Kmiziz in ein anliegendes Gemach führte, sagte er zu ihm:

»Ich gehe nicht deshalb mit euch, weil ich euch nicht glaube, denn ich glaube alles, was ihr sagt, nur um mit euch zu sprechen. Wir sind uns irgendwo in Litauen schon begegnet. Auf euren Namen kann ich mich nicht erinnern, denn es ist leicht möglich, daß wir uns gesehen haben, als wir beide noch erst halberwachsene Burschen waren.«

Kmiziz wandte den Kopf ein wenig zur Seite, um seine Verlegenheit zu verbergen.

»Vielleicht sahen wir uns auf irgend einem Landtage. Mein seliger Vater nahm mich gern mit zu den öffentlichen Verhandlungen, damit ich frühzeitig einen Einblick in das politische Leben und Treiben gewinne.«

»Das ist möglich! ... Euer Gesicht ist mir bestimmt nicht fremd, nur hattet ihr damals diese Narben nicht. Aber, wenn ich nicht sehr irre, so führtet ihr auch einen anderen Namen.«

»Die Zeit täuscht das Gedächtnis,« entgegnete Herr Andreas.

Sie befanden sich im Nebengemach. Nach einer Weile trat Tysenhaus wieder vor den König.

»Seine ganze Seite ist verbrannt, wie auf dem Rost gebraten,« berichtete er.

Als nun auch Kmiziz zurückgekehrt war, stand der König auf, nahm den Kopf des jungen Ritters in beide Hände und sagte: »Wir würden niemals an der Wahrheit eurer Angaben zweifeln, und euer Verdienst, sowie eure Schmerzen werden nach Gebühr gewürdigt werden.«

»Wir bleiben eure Schuldner,« setzte die Königin hinzu, ihm die Hand reichend.

Herr Andreas ließ sich auf ein Knie nieder und küßte ehrfurchtsvoll die Hand der Königin. Diese aber streichelte sein Haar mit mütterlicher Zärtlichkeit.

»Und nicht wahr, ihr zürnt auch dem Herrn Reichskanzler nicht mehr?« frug der König. »Es ist ja wahr, Verräter und Lügner drängten sich schon oftmals Uns auf und es gehört doch zu den Funktionen des Reichskanzlers, Wahrheit von Unwahrheit zu sondern.«

»Ich glaube, der Zorn meiner Wenigkeit würde eine so hohe Persönlichkeit wenig grämen,« antwortete Herr Andreas. »Es ziemt mir auch gar nicht, einem Staatsmanns auch nur einen Augenblick zu zürnen, welcher durch seine Vaterlandsliebe und Treue allen ein so nachahmenswertes Beispiel giebt.«

Der Kanzler lächelte gutmütig und reichte Kmiziz die Hand.

»So sei also Friede unter uns. Ihr habt mir da mit dem Siegel auf Wachs einen häßlichen Hieb versetzt, denn ihr solltet wissen, daß die Koryzinskis ihre Königstreue auch schon mit Blut besiegelt haben.«

Der König wurde sehr froh gestimmt.

»Dieser Babinitsch gefällt Uns, wie selten jemand,« sagte er zu den Anwesenden. »Wir wollen ihn auch nicht mehr von Uns lassen und hoffen, recht bald gemeinschaftlich in das Vaterland zurückzukehren.«

»O, Allergnädigster Herr!« sagte Kmiziz begeistert, »obgleich ich in der Veste mit eingeschlossen war, so weiß ich doch vom Adel, dem Heere, ja sogar von denjenigen, welche bei Tschenstochau unter Sbroschek und Kalinski dienen, daß alle sehnsüchtig des Tages der Rückkehr Ew. Majestät harren. Sobald Ew. Majestät im Lande erscheinen, wird Litauen, Kongreßpolen, und Reußen wie ein Mann sich erheben und zu Ew. Majestät eilen. Alle, bis auf den letzten Mann, denn selbst der geringste leibeigene Bauer sehnt den Tag der Befreiung herbei. Die Hetmane sind bereit, die Schweden anzugreifen; ich weiß sogar, daß sie Deputationen an Kalinski, Sbroschek und Kuklinowski nach dem Lager bei Tschenstochau gesandt haben, um sie gegen die Schweden aufzuhetzen. Ich bin sicher, daß einen Monat nach dem Erscheinen Ew. Majestät kein Schwede mehr im Lande sein wird, denn das ganze Land harrt nur der Ankunft seines Hirten, welcher die verirrten Schafe allein wieder um sich zu sammeln vermag! ...«

Kmiziz hatte sich in eine solche Begeisterung hineingesprochen, daß seine Augen in leuchtendem Feuer erglänzten. Er war in der Mitte des Gemaches auf ein Knie gesunken, während er den König beschwor, in das Land zurückzukehren. Auch die Königin, welche mutig und besonnen oft in die Regierungsgeschäfte eingriff und den König schon wiederholt gemahnt hatte, in sein Land zurückzukehren, war von der Begeisterung des jungen Ritters ganz hingerissen.

Sie wandte sich also jetzt an Johann Kasimir und sagte energisch und fest:

»Ich höre die Stimme des ganzen Volkes aus dem Munde dieses Mannes! ...«

»So ist es auch, wirklich, so ist es! Allergnädigste Frau! ... Allerdurchlauchtigste Landesmutter! ... rief Kmiziz aus.

Auch der Kanzler und der König waren durch etliche Worte Kmiziz' betroffen gemacht worden.

»Wir sind immer bereit, Unser Leben dem Wohle Unseres Volkes zum Opfer zu bringen. Wir warteten nur auf ein Zeichen der Besserung Unserer Unterthanen.«

»Diese Besserung ist schon eingetreten,« sagte Maria Ludwika.

» Majestas infracta malis!« sprach der Probst Wydzga, ehrfurchtsvoll zu ihr aufblickend.

»Es ist von großer Wichtigkeit,« unterbrach ihn der Erzbischof Leschtschinski, »daß zwischen den Hetmanen und den Hauptleuten bei Tschenstochau Verhandlungen eingeleitet sind. Ist das aber auch wirklich geschehen?«

»Es ist mir von meinen Leuten, den Kiemlitschs, erzählt worden!« entgegnete Herr Andreas. »In den Abteilungen Sbroscheks und Kalinskis ist offen darüber gesprochen worden, ohne Rücksicht auf Miller und die Schweden. Die Kiemlitsch, welche nicht in der Veste mit eingeschlossen waren, unterhielten Verbindungen mit der Welt, dem Adel, den Soldaten. Ich kann die Dreie Sr. Majestät und euch edlen Herren vorführen; sie mögen selbst erzählen, wie es im ganzen Lande gährt. Die Hetmane sind doch nur aus Zwang zu den Schweden übergegangen, das Heer will zu seiner Pflicht zurückkehren, denn die Schweden maltraitieren die Geistlichkeit, sie rauben, sengen und morden, spotten über die frühere Freiheit des Volkes; so kommt es, daß dieses mit geballten Fäusten und zähneknirschend des Augenblicks harrt, wo es zum Schwert greifen kann.«

»Auch Wir hatten schon geheime Botschafter vom Heere hier,« sagte der König, »welche Uns einen allgemeinen Umschwung der Dinge und den guten Willen Unserer Unterthanen zur Umkehr kund thaten ...«

»Auch hier stimmen also die Nachrichten dieses Kavaliers mit den schon eingelaufenen überein,« sagte der Kanzler. »Es ist also von großer Wichtigkeit, daß die Regimenter bestrebt sind, untereinander Verbindungen anzuknüpfen, denn das ist das untrügliche Zeichen, daß die Frucht reif ist, unsere Bemühungen nicht umsonst waren und die Arbeit beginnen kann ...«

»Und Koniezpolski?« warf der König dazwischen. »Und die vielen anderen, welche noch immer dem Eindringling beistehen, ihn ihrer Treue versichern?«

Diese Bemerkung des Königs machte alle verstummen. Der König selbst wurde plötzlich ernst. Wie die Wolken, wenn die Sonne sich hinter ihnen birgt, die Welt in dunkle Schatten hüllen, so warf der Gedanke an seine ungetreuen Edlen einen tiefen Schatten über des Königs Antlitz.

Nach einer Weile sprach er weiter:

»Gott weiß es, daß Wir jederzeit zur Rückkehr ins Vaterland bereit sind. Was Uns davon zurückhält, ist nicht die schwedische Königsmacht, sondern allein der unglückselige Wankelmut Unseres eigenen Volkes. Wer kann wissen, ob seine Umkehr von Dauer sein wird, ob nicht gerade in der Schnelligkeit seiner Gefühlswandlungen eine große Gefahr liegt? Können Wir einem Volke trauen, welches unlängst erst seinen König, sein Vaterland und seine Freiheit aufgegeben hat, um dem Fremdherrscher sich zu eigen zu geben? Wir schämen Uns Unserer Unterthanen und namenloser Schmerz über diese Schande preßt Uns das Herz. Wo findet man in der Geschichte der Völker ähnliche Vorgänge, wo lebt ein König, welcher so viel Mißgunst, so viel Verrat erfahren hat, welcher so verlassen dasteht, als ich? Erinnert ihr euch noch daran, meine Herren, daß Wir mitten unter Unseren Soldaten, welche Uns doch Treue geschworen hatten, nicht mehr Unseres Lebens sicher waren? Und wenn Wir das Vaterland verlassen haben und in fremdem Lande Schutz und Unterkommen suchten, so geschah das nicht aus Feigheit und aus Furcht vor den Schweden, sondern weil Wir Unser Volk vor dem gräßlichen Verbrechen des Königsmordes bewahren wollten.«

»Majestät!« rief Kmiziz. »Unser Volk hat sich schwer versündigt und das Elend, welches es jetzt erduldet, ist eine gerechte Strafe Gottes, aber bei den Wunden Jesu! es würde sich Keiner finden lassen, weder jetzt noch in alle Ewigkeit, welcher so verworfen wäre, die Mörderhand gegen seinen König zu erheben!«

»Ihr seid zu ehrlich, um an solche Schandthat zu glauben,« antwortete der König, »Wir haben aber Beweise! Obgleich die undankbaren Radziwills Uns alle Güte durch Verrat gelohnt haben, so hatte doch Fürst Boguslaw noch so viel Gewissen, Uns vor dem Dolchstoß des Mörders zu warnen. Er hat Uns geschrieben ...«

»Er hat geschrieben?« frug Kmiziz verwundert.

»Er hat Uns mitgeteilt, daß sich ihm einer für hundert Goldgulden angeboten hat, uns entweder tot oder lebendig den Schweden auszuliefern.«

Die Versammelten überlief ein Schauer des Entsetzens bei diesen Worten des Königs, und Kmiziz vermochte kaum die Frage zu stammeln:

»Wen konnte er meinen, wen?«

»Einen gewissen Kmiziz nannte er,« antwortete der König.

Da schoß eine heiße Blutwelle dem Kavalier in den Kopf. Es wurde ihm dunkel vor den Augen; er griff mit beiden Armen nach seinem Kopfe und schrie wie ein Irrsinniger: »Das ist eine Lüge! Der Fürst Boguslaw lügt wie ein Hund! Majestät, König, mein Herr! Glaubt diesem Verräter nicht! Er hat die Lüge erdacht, um seinen Feind unschädlich zu machen, und Ew. Majestät in Schrecken zu setzen. Herr, mein König! ... Er ist ein Verräter! ... Kmiziz würde eine solche Handlung nie begehen ...«

Hier überwältigten die Aufregung, die Not und Pein der jüngst vergangenen Tage, die geschwächten Kräfte den jungen Ritter. Er drehte sich plötzlich im Kreise herum und stürzte leblos dem Könige zu Füßen.

Man hob ihn auf und trug ihn in ein Nebenzimmer. Der königliche Leibmedikus machte Wiederbelebungsversuche. Keiner der Versammelten aber konnte sich erklären, warum die königlichen Worte eine so erschütternde Wirkung auf den Edelmann hervorgebracht hatten.

»Entweder ist er so edlen Charakters, daß der bloße Gedanke an solche Greuelthat ihn ohmnächtig machte, oder er ist ein Verwandter von Kmiziz,« sagte der Herr Kastellan von Krakau.

»Wir werden das in Erfahrung zu bringen suchen müssen,« sagte der Reichskanzler Koryzinski. »In Litauen sind fast alle unter einander verwandt, wie bei uns auch.«

»Majestät!« fiel jetzt Tysenhaus ein. »Gott bewahre mich, daß ich diesem Edelmanne etwas Böses nachsagen wollte ... aber ... ich glaube, man darf ihm nicht allzusehr vertrauen. Daß er in Tschenstochau war, ist wahr. Seine Seite ist verbrannt und das haben ihm die Mönche nicht gethan, denn diese müssen als Diener Gottes selbst an den Feinden Barmherzigkeit üben. Nur eines geht mir immerfort im Kopfe herum und läßt kein volles Vertrauen zu ihm bei mir aufkommen ... Ich habe ihn schon irgendwo in Litauen gesehen ... als er noch ein Bürschchen war, ... gelegentlich eines Landtages oder Vergnügens, ... ich kann mich nicht erinnern, wo ...«

»Nun, und was folgt darauf?« frug der König.

»Und er ... mir ist immer, ... daß er damals nicht Babinitsch hieß.«

»Sprecht keinen Unsinn!« sagte der König. »Ihr seid jung und zerstreut, da kommen leicht Verwechselungen vor. Ob er Babinitsch heißt oder anders, – weshalb sollte ich ihm mißtrauen? Offenheit und Ehrlichkeit prägen sich in seinen Zügen aus, er hat ein treues Herz. Wenn ich auch ihm nicht trauen dürfte, der sein Leben für mich gewagt, dann müßte ich alles Selbstvertrauen verlieren.«

»Jedenfalls verdienen seine Worte mehr Glauben, als der Inhalt des Briefes vom Fürsten Boguslaw,« mischte sich die Königin ein. »Ich bitte die Herren, in Erwägung zu ziehen, daß wirklich kein Wort Wahrheit an dem zu sein braucht, was der Fürst schreibt. Den Radziwills der Birzer Linie muß thatsächlich viel daran liegen, Uns vollständig mutlos zu machen, und es ist leicht möglich, daß Boguslaw auch einen seiner Gegner verderben und für den Fall, daß die Lage der Dinge sich ändert, für sich durch die Warnung den Rückzug offen halten wollte.«

»Wenn ich nicht daran gewöhnt wäre, daß den Lippen unserer Allergnädigsten Königin nur Worte der Weisheit entströmen, so müßte ich über die Kombinationsgabe Ew. Majestät staunen,« sagte der Fürst Primas. »Sie ist des größten Staatsmannes würdig.«

»... curasque gerens, animosque viriles! ...« flüsterte der Probst Wydzga vor sich hin.

Durch diese Anerkennung ermutigt, erhob sich die Königin von ihrem Sessel und begann so zu sprechen:

»Es handelt sich hier weniger um die Birzer Radziwills, denn sie sind den Einflüsterungen ihrer protestantischen Glaubensgenossen gefolgt. Auch der Brief des Fürsten Boguslaw ist Mir nicht viel Redens wert. Der ist wohl der Ausfluß irgend einer Privatangelegenheit desselben. Was Mich mehr aufregt und schmerzt als alles andere, das sind die verzweifelten Worte des Königs, Meines Herrn und Gemahls, das ist das Urteil, welches er selbst über sein Volk fällt. Wer soll es in seinem Falle aushalten, wenn der eigene König es aufgeben will? Wenn Ich Umschau halte unter den Völkern der Erde, da muß Ich dem Urteil des Königs folgendes entgegenhalten: Wo findet sich ein Volk, in welchem die alten Ueberlieferungen sich so fortpflanzen und vermehren, wie bei Unserem Volke? Wo ist noch ein Volk, welchem so viel Freimut inne wohnt? Zeigt, nennt Mir ein Königreich, in welchem so wenige Verbrechen verübt werden wie bei Uns? Hier giebt es keine Meuchelmörder und Giftmischer und keine Hinterlist, wie z. B. bei den Engländern. In Unserem Vaterlande ist bisher jeder Herrscher eines natürlichen, ruhigen Todes gestorben, während in anderen Ländern der Königsmord an der Tagesordnung ist ... Es ist wahr! ... Unser Volk hat sich schwer versündigt durch Uebermut und Leichtsinn ... Aber welche Nation hätte das nicht auch schon gethan und welche wäre wohl so bald zur Einsicht ihrer Schuld gelangt, welche so schnell bereit, Buße zu thun, wie die Unsrige? ... Da seht, Mein Herr und Gemahl! Sie kommen schon, die Abtrünnigen, mit dem Schuldbekenntnis zu Ew. Majestät! Sie wollen Euch ihr Leben weihen, ihr Blut für Euch vergießen. Wollt Ihr Euer Volk von Euch stoßen? Wollt Ihr den Reuigen nicht Verzeihung gewähren, den Besserung Versprechenden nicht vertrauen, den Kindern, welche an das Herz des Vaters flüchten, Eure Liebe nicht wieder zuwenden? ... O schenkt doch Euer Vertrauen denen, welche das väterliche Regiment der Jagiellonen zurückersehnen ... Gehen Wir zu Unserem Volke! ... Ich, ein Weib, fürchte Mich nicht vor Verrat. Ich sehe nur die Liebe und Reue Unserer Unterthanen, die das Königreich wieder herstellen wollen, welches sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. Es ist ja auch unmöglich, daß Gott dieses herrliche Land, in welchem die Leuchte seines Glaubens ihr Licht in ferne Länder sendet, dem Untergänge geweiht haben sollte. Gottes strafende Hand hat eine Weile auf Unserem Volke geruht. Seine Güte wird es in kurzem wieder zurückführen auf den Weg des Heils. So verachte es auch sein König nicht! Vertraut den Söhnen des Vaterlandes Euer Leben an, und auf diese Weise kann das Böse zum Guten, der Gram in Freude, das Elend in Glück sich wandeln.«

Nachdem sie also gesprochen, setzte die Königin sich wieder nieder. Ihre Augen leuchteten, ihr Atem ging schnell. Mit Bewunderung blickten alle Anwesenden auf die hohe mutige Frau und der Probst Wydzga fing feierlich zu zitieren an:

»Nulla sors longa est, dolor et voluptas
Invicens cedunt.
Ima permutat brevis hora summis ...«

Doch niemand hörte auf ihn. Die Begeisterung der Königin hatte sich allen mitgeteilt. Selbst des Königs Wangen waren von der Aufregung gerötet: er sprang auf und rief aus:

»Noch ist mein Reich nicht verloren, solange eine solche Königin mir zur Seite steht! Es sei denn! Ihr Wille geschehe, denn prophetisch klingen ihre Worte. Je eher wir aufbrechen und im Lande erscheinen, desto besser ...«

Da sagte ernst und würdevoll der Fürst Primas:

»Ich möchte dem ausdrücklichen Wunsche der Allerhöchsten Herrschaften nicht zuwider sprechen. Doch bleibt die Ausführung desselben immerhin ein Wagnis. Meine Ansicht ist die, daß die Vorsicht gebietet, zuerst noch nach Oppeln zu gehen, wo die Mehrzahl der Senatoren sich aufhält, um dieselben zu einer Versammlung zusammenzuberufen, ihre Meinung zu hören, da die Herren dort jedenfalls besser über alle politischen Vorgänge unterrichtet sein werden, als wir.«

»Auf denn nach Oppeln!« rief der König, »und dann auf den Weg, den Gott Uns weist!«

»Gott wird Uns zurück ins Vaterland und zum Siege führen!« sagte zuversichtlich die Königin.

»Amen!« sagte der Primas.


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