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15. Kapitel

Obgleich die Tartaren, besonders die aus der Dobrudscha, auch in der offenen Feldschlacht tapfer ihren Mann standen, so führten sie doch viel lieber Krieg gegen Wehrlose, d. h. gegen alte Männer, gegen unschuldige Frauen, welche sie besonders gern in Gefangenschaft mit sich nahmen, gegen Bauern, die sie ihrer Habe beraubten. Darum war dem Tschambul, welchen Kmiziz führte, der Ritt durch das Land kein kurzweiliger, weil die unerbittliche Strenge ihres Kommandanten sie von jeder Ausschreitung zurückhielt. Die Wölfe mußten sich in Lämmer verwandeln, ihre Beile in den Scheiden halten, die Sehnen der Bogen lose spannen und die Lassos in den Taschen aufbewahren. Anfangs murrten sie heftig.

In der Nähe von Tarnogrod blieben absichtlich einige von ihnen zurück, um den roten Hahn auf ein Dach zu setzen und ein Paar junge Dirnen einzufangen. Kmiziz war beim ersten Aufleuchten der Flamme auf dem Wege nach Tomaschow zu umgekehrt und hatte sie, immer einer den anderen, sich aufzuhängen befohlen. Akbah-Ulan sah der Exekution nicht nur ruhig zu, sondern feuerte die Missethäter an, das Aufhängen zu beschleunigen, da sonst der »Bagadyr« zornig werden möchte. Seitdem gingen die übrigen wie die Lämmer im Zuge und drängten sich in den Ortschaften in dichte Haufen zusammen, damit nicht etwa einen von ihnen der Verdacht einer Schuld treffen konnte. Trotz der großen Strenge, mit welcher die Exekution ausgeführt worden war, erweckte sie nicht einmal Haß bei ihnen gegen den Hauptmann. Kmiziz war immer so glücklich, von seinen Untergebenen geliebt zu werden.

Er ließ ihnen aber auch keine Not ankommen und kein Unrecht widerfahren. Das Land war zwar durch die Raubzüge Chmielnizkis und Scheremets arg verwüstet, so daß die Beschaffung von Lebensmitteln ein schweres Stück Arbeit war. Trotzdem sorgte er, daß die Leute zur rechten Zeit ihre Nahrung erhielten und nicht Hunger zu leiden brauchten. Wo die Einwohner widerspenstig die ihnen zu Gebote stehenden Lebensmittel vorenthalten wollten, da half er ihren Starrsinn mit etlichen Stockschlägen überwinden.

Das nahm die Tartaren sehr für ihren Hauptmann ein. Für ihre Ohren war das Geschrei der Geschlagenen Musik. Sie lobten ihn und sagten dann stets: »Eh! unser Kmita, unser Falke, läßt seine Lämmer nicht Not leiden.« So kam es, daß die Leute nicht abmagerten, sondern eher an Körperfülle zunahmen. Der alte Ulan, dessen Bäuchlein immer runder wurde, betrachtete den jungen Ritter mit immer größerer Bewunderung.

»Wenn Allah mir einen Sohn geschenkt hätte, dann hätte ich ihn mir gewünscht wie diesen; ich würde einst im Alter nicht Hungers zu sterben brauchen,« sprach er oft für sich.

Kmiziz klopfte ihm von Zeit zu Zeit den Schmerbauch und sagte scherzend:

»Höre einmal, Eberchen! Wenn die Schweden dir nicht etwa deinen Bauch aufschlitzen, dann sammelst du mit der Zeit alle Vorratskammern der Welt hier drinnen!«

»Die Schweden? Wo sollen die herkommen? Die Lassos faulen in unseren Taschen,« seufzte Ulan.

Seine Seele lechzte nach einer Schlacht. Zuerst war der Tschambul durch eine Gegend gezogen, die von der schwedischen Invasion noch unberührt geblieben war, weiterhin durch Ländereien, wo die Schweden einzelne größere Trupps in Schlössern stationiert hatten, die aber bereits sämtlich von den Konföderierten vertrieben worden waren. Dafür begegneten sie häufig kleineren und größeren Abteilungen Adliger und Bauern, die nach allen Richtungen hin das Land durchschwärmten. Zuweilen geschah es, daß dieselben sie aufhielten und eine drohende Haltung gegen sie annahmen. Es bedurfte dann oft großer Mühe, die Angreifer zu überzeugen, daß sie es nicht mit Feinden, sondern mit Verbündeten zu thun hatten.

Endlich langten sie in Samoschtsch an. Wie staunten die Tartaren über die Stärke der Mauern dieser Festung, und ihre Bewunderung wuchs noch, als sie vernahmen, daß an diesen Mauern die Macht Chmielnizkis gebrochen worden war.

Als ein Zeichen großer Gnade und Vertrauens, gestattete ihnen Herr Samojski, der Kommandant der Festung, in dieselbe einzutreten und die Stadt in Augenschein zu nehmen. Man öffnete ihnen das sogenannte Ziegelthor, weil es das stattlichste war, die anderen beiden Thore waren aus Steinen aufgeführt. Kmiziz selbst konnte sein Staunen über die Schönheit der breiten geradlinigen Straßen, der schönen Häuser, des Schlosses, der Akademie und die Stärke der mächtigen Festungswerke nicht bemeistern. So wenig, wie irgend ein anderer Magnat mit dem Enkel des großen Kanzlers einen Vergleich auszuhalten vermochte, so wenig konnte das jede andere befestigte Stadt mit Samoschtsch.

Wahrhaftes Entzücken aber ergriff die Tartaren beim Anblick desjenigen Teiles der Stadt, welcher den Armeniern eingeräumt war. Ihre Nüstern sogen mit Behagen den Duft, welchen die großen Lager Saffian ausströmten, welchen die Kunsthändler aus Saffa direkt bezogen, während die kostbaren Kleinigkeiten, morgenländische Teppiche, Gürtel, mit Edelsteinen besetzte Säbel, Dolche, Bogen und Köcher, türkische Lampen und sonstige schönen Dinge, ihnen herrliche Augenweide boten.

Herr Samojski selbst gefiel Herrn Andreas ausnehmend gut. Er war ein kleiner König in seinem Samoschtsch; ein Mann in der Blüte der Jahre, obwohl etwas kränklich, da er in frühester Jugend seinen Leidenschaften nicht genügend Zügel angelegt hatte. Er liebte noch heute das zarte Geschlecht, und seine Gesundheit war nicht so sehr zerrüttet, daß der ihm angeborene Frohsinn darunter hätte leiden sollen. Er war noch unvermählt, denn – obgleich er überall in den höchsten Adelskreisen mit offenen Armen empfangen worden wäre, – war er doch der Ansicht, daß kein Fräulein schön genug für ihn sei. Etwas später dann fand er eine Frau nach seinem Geschmack in der Person einer jungen Französin, die, obgleich bis über die Ohren in einen anderen verliebt, dennoch ohne Zaudern die Hand Samojskis seines Reichtums wegen annahm, nicht ahnend, daß jener andere Verschmähte dereinst sein und damit auch ihr Haupt mit einer Krone zu schmücken vom Schicksal bestimmt war.

Der Herr von Samoschtsch zeichnete sich nicht durch großen Witz aus; er besaß davon gerade so viel, als er für sich brauchte. Er bemühte sich nicht um Aemter und Würden, die ihm unverlangt zuflossen, und wenn seine Freunde ihn wegen seines Mangels an Ehrgeiz tadelten, dann widerlegte er sie, indem er sagte:

»Das ist nicht wahr! Mir fehlt der Ehrgeiz nicht; ich besitze mehr davon als diejenigen, welche aus Sucht nach Erhöhungen zu Schmeichlern werden. Wozu soll ich mich in den Winkeln der großen adligen Hofhaltungen herumquetschen? Hier in Samoschtsch bin ich nicht nur Ich, der Johann Samojski, sondern vor allem der Selbstherr Samojski.«

Darum nannte man ihn allgemein den Selbstherrn, worüber er sehr vergnügt war. Gern kehrte er den schlichten Mann heraus; wenngleich er eine ausgezeichnete Erziehung genossen hatte und in seiner Jugend viel gereist war. Er nannte sich selbst nur einen schlichten Edelmann und betonte bei jeder Gelegenheit die Mittelmäßigkeit seines Standes; vielleicht wollte er dadurch den Widerspruch der anderen herausfordern, vielleicht auch unter dieser Bescheidenheit seine mittelmäßigen Geistesgaben verbergen. Im übrigen war er ein sehr geachteter Mann und ein besserer Sohn der Republik, als viele andere.

Er war Kmiziz sehr lieb geworden und auch Kmiziz gefiel dem Herrn sehr wohl. Deshalb lud er den Ritter in die Gemächer seines Schlosses, denn auch das liebte er, daß man seine Gastfreundschaft lobte.

Herr Andreas lernte im Schlosse viele angesehene Personen kennen, besonders die Fürstin Griseldis Wisniowiezka, welche die Schwester Herrn Samojskis und die Witwe des großen Jeremias Wisniowiezki war, der seinerzeit der größte Magnat der Republik gewesen, aber sein ganzes ungeheures Vermögen während der Invasion der Kosaken verloren hatte, so daß nunmehr die Fürstin bei ihrem Bruder Johann das Gnadenbrot aß. Sie war eine imposante, majestätische Erscheinung, ausgestattet mit den schönsten weiblichen Tugenden, und ihr Bruder Johann war der eifrigste ihrer Verehrer, denn er fürchtete ihr geistiges Uebergewicht wie das Feuer. Er that ihr allen Willen und holte in jeder Angelegenheit von Wichtigkeit ihren Rat ein. Man sagte, die Fürstin wäre eigentlich der Herr von Samoschtsch, die Gebieterin über alle Schätze, Wälle und Kanonen der Stadt, ja ihres Eigentümers selbst. Doch machte sie nie Gebrauch von ihrer Macht; sie lebte still dem Andenken ihres Mannes und der Erziehung ihres Sohnes.

Dieser Sohn war vor kurzem vom Wiener Hofe auf kurze Zeit in die Heimat zurückgekehrt und weilte gegenwärtig bei der Mutter. Er war noch sehr jung, aber Kmiziz suchte vergebens bei ihm nach Eigenschaften, welche den Sohn eines so großen Mannes hätten auszeichnen sollen.

Die Gestalt des jungen Fürsten war schön, das Gesicht ungewöhnlich groß, aber die Züge desselben verschwommen, die Augen hervortretend, der Blick scheu. Sein Mund war groß, die Lippen stark entwickelt und immer feucht, wie bei Menschen, die die Freuden der Tafel lieben. Dichtes, rabenschwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab. Dieses Haar und die hellbräunliche Hautfarbe waren sein Erbteil vom Vater.

Diejenigen, welche ihn näher kannten, versicherten Herrn Kmiziz, daß dem jungen Fürsten eine edle Seele innewohne, daß er ein sehr entwickeltes Begriffsvermögen, ein außerordentliches Gedächtnis besitze, vermöge dessen er fast alle fremden Sprachen sprechen gelernt, und daß nur seine große körperliche und geistige Trägheit, sowie seine große, an Gefräßigkeit grenzende Eßlust, diesem sonst ungewöhnlichen Prinzen als Fehler angerechnet werden konnten.

Während einer längeren Unterhaltung mit dem Prinzen überzeugte sich Kmiziz auch, daß derselbe viel Verstand, ein treffendes Urteil und außerdem die Gabe besaß, die Menschen für sich einzunehmen. Er gewann ihn bald lieb, d. h. er fühlte ein gewisses Mitleid mit ihm, ein Verlangen, dieser vaterlosen Waise zu dem glänzenden Lose zu verhelfen, auf welches er durch seine hohe Geburt ein Recht hatte.

Doch schon bei dem nächsten Mittagessen konnte Kmiziz sich überzeugen, wie Recht diejenigen hatten, die des Prinzen Gefräßigkeit tadelten! Der Prinz schien für nichts anderes Sinn zu haben, als für das Essen. Seine hervorstehenden Augen folgten unaufhörlich den verschiedenen Schüsseln, sie schienen die Speisen zu verschlingen, und wenn er sich vorlegte, that er es in ungeheuren Mengen, welche er hastig und mit häßlichem Schnalzen der Lippen verschlang. Das blasse Gesicht der Fürstin erbleichte bei diesem Anblick noch mehr und nahm den Ausdruck tiefer Betrübnis an. Dem Herrn Andreas aber wurde so übel zu Mute, daß er den Prinzen nicht mehr ansah und seinen Blick dem Selbstherrn Samojski zuwandte.

Der Herr Starost sah aber weder den Prinzen Michael, noch seinen Gast, er schien nur von einem Gegenstande gefesselt zu sein, und als Kmiziz dem Blicke des Gastgebers folgte, erblickte er hinter der Schulter der Fürstin Griseldis etwas ganz Wunderbares, dem er bisher keine Beachtung geschenkt hatte.

Es war dies ein kleiner Mädchenkopf, mit Haaren weiß wie Milch, mit Wangen wie die Rosen, das Ganze lieblich, wie ein schönes Bild. Ganz kleine, natürliche Löckchen ringelten sich über ihrer Stirn, die blitzenden Augen flogen von einem Offizier zum anderen, die neben dem Starosten saßen, vermieden auch ihn selbst nicht und blieben zuletzt an ihm, Kmiziz, so fest und voll verliebter Schelmerei haften, als wollten sie ihm bis in das Herz dringen.

Doch Kmiziz war nicht so leicht in Verlegenheit zu setzen; er erwiderte den Blick dreist, während er dem neben ihm sitzenden Herrn Schurski einen leichten Rippenstoß gab und halblaut frug:

»Wer ist die feurige Elster dort?«

»Mein Herr!« antwortete Herr Schurski laut. »Sprecht nicht so leichtfertig; ihr wißt nicht, wen ihr vor euch habt ... Das ist keine feurige Elster, sondern Fräulein Anusia Borschobohata Krasienska ... Ich verbiete euch, sie anders zu nennen, wenn ihr eure Grobheit nicht bereuen sollt!«

»Ihr wißt wahrscheinlich nicht, daß eine Elster ein sehr artiger Vogel ist, darum auch sein Name für ein Frauenzimmer keine Beleidigung sein kann,« entgegnete Kmiziz lachend. »Aber nach eurer Heftigkeit zu urteilen, müßt ihr schrecklich in sie verliebt sein!«

»Wer wäre hier nicht verliebt in sie!« brummte Schurski unwirsch. »Guckt sich doch selbst der Herr Starost die Augen nach ihr aus. Seht ihr nicht? Er sitzt wie aus Nadeln.«

»Freilich sehe ich es!«

»Nichts seht ihr! ... Er, ich, Grabowski, Stolongiewitsch, Konojadzki, Rubezki von den Dragonern, Pietschhuka, alle hat sie in ihrem Netze ... Auch euch wird das Gleiche geschehen, falls ihr hier bleibt, sei es auch nur vierundzwanzig Stunden.«

»Ei, ihr täuscht euch! Bei mir würde sie in vierundzwanzig Jahren nichts ausrichten.«

»Wie das?« frug Herr Schurski beleidigt. »Habt ihr denn ein Herz von Schieferstein?«

»Das nicht! Doch wenn man jemandem alle Taschen ausgeräumt hat, dann finden die Taschendiebe nichts mehr bei ihm ...«

»Ach, so ist es gemeint!« erwiderte Schurski.

Kmiziz war plötzlich nachdenklich geworden. Der eigene Kummer ließ ihn alles rings umher vergessen; er bemerkte auch nicht, daß jene schwarzen Aeuglein immer hartnäckiger ihren Blick auf ihn hefteten, als wollten sie ergründen: »wer bist du? wie heißest du? und woher kommst du? junger Ritter.«

Und Schurski murmelte:

»Sie bohrt! Sie bohrt! So hat sie es auch mit mir gemacht, bis mein Herz durchbohrt war! ... Nun kümmert sie das nicht mehr!«

Kmiziz schüttelte gewaltsam die Gedanken ab, die sich ihm aufdrängten.

»Warum heiratet einer oder der andere von euch sie nicht?«

»Weil einer dem anderen im Wege ist.«

»Bah! auf diese Weise kann das Mädchen ledig bleiben ... Zwar hat es den Anschein, daß diese Birne noch weiße Kerne hat.«

Schurski riß die Augen weit auf. Er neigte sich dicht an das Ohr Kmiziz' und flüsterte geheimnisvoll da hinein:

»Man sagt, sie zählt fünfundzwanzig Jahre. Sie war schon vor dem Feldzug gegen Chmielnizki bei der Fürstin.«

»Wunderbar!« versetzte Kmiziz, »Ich hätte sie für eine Sechzehnjährige gehalten, höchstens!«

Unterdessen hatte »die Elster« jedenfalls erraten, daß die Rede drüben von ihr war; sie hatte die Lider gesenkt und schielte nur von Zeit zu Zeit unter ihnen hervor nach dem Ritter, vielleicht um zu erforschen, wer er sei, woher er komme.

Fast wider Willen drehte Kmiziz verlegen an seinem Barte.

Nach beendeter Tafel nahm der Starost seinen Gast unter den Arm. Er behandelte ihn mit Rücksicht auf seine höfischen Manieren mit besonderer Auszeichnung.

»Herr Babinitsch!« redete er ihn an. »Sagtet ihr nicht, daß ihr aus Litauen kämet?«

»So ist es, Herr Starost.«

»Kanntet oder kennt ihr in Litauen vielleicht eine Familie Podbipienta?«

»Nein, ich kenne niemanden dieses Geschlechtes: sie leben alle nicht mehr, wenigstens von derjenigen Linie nicht, welche den Hutschläger im Wappen führen. Der letzte von ihnen ist bei Sbarasch gefallen; er war der tapferste Ritter Litauens. Wer wüßte das bei uns daheim nicht?«

»Auch ich habe von ihm gehört. Aber – warum ich nach ihm frage? Seht! es befindet sich unter dem Frauenzimmer meiner Schwester eine Respektsdame, welche Borschobohata Krasienska heißt ... Sie stammt aus edlem Geschlecht ... Das war die Verlobte jenes Podbipienta, der bei Sbarasch gefallen ist. Das Mädchen ist vater- und mutterlose Waise, aber obgleich die Fürstin Griseldis sie sehr liebt, so bevormunde ich als natürlicher Vormund meiner Schwester auch sie ein wenig.«

»Eine angenehme Vormundschaft,« bemerkte Kmiziz.

Der Herr Starost lächelte, blinzelte mit den Augen und schnalzte mit der Zunge.

»Wie? Ein süßes Marzipänchen?«

Doch schnell brach er ab, da er fürchtete, sich zu verraten; er steckte eine ernste Miene auf.

»Verräter,« sagte er halb scherzend, halb ernst. »Ihr wolltet mir eine Falle stellen; fast hätte ich mich verplaudert.«

»Womit?« frug Kmiziz, ihn fest anblickend.

Der Starost merkte, daß er es in der Gewandtheit der Rede mit dem Gaste nicht aufnehmen konnte. Er kam sogleich zur Sache.

»Dieser Podbipienta,« sagte er, »hat ihr verschiedene Vorwerke in Litauen verschrieben; – die Namen sind so seltsam, ich kann sie nicht recht behalten: Baltylup, Syrntsch, Myschykischki – kurz, alles war er besaß – fünf oder sechs Vorwerke.«

»Aber das sind ja gar keine Vorwerke,« wandte Kmiziz ein. »Das sind lauter große Rittergüter! Podbipienta war sehr reich, und wenn das Fräulein einmal seine sämtlichen Herrschaften in Besitz nimmt, so ist sie in der Lage, sich ein eigenes Frauenzimmer zu halten und unter den Senatoren des Reiches ihren Gatten zu wählen.«

»Meint ihr? Kennt ihr die Güter?«

»Ich kenne nur Lubowitze und Scheputy, da diese an meine Besitzungen grenzen. Die Wälder und Felder, die dazu gehören, haben einen Umfang von etwa vier Quadratmeilen.«

»Wo liegen sie?«

»In der Wojewodschaft Witebsk.«

»Oho! das ist sehr weit. Die Sache lohnt nicht die Reise in einen Landesteil, welcher von den Feinden okkupiert ist.«

»Wenn wir die Feinde hinausgetrieben haben werden, werden wir auch zu den Gütern gelangen. Doch die Podbipientas haben auch noch Güter in Smudz und anderen Gegenden von sehr bedeutendem Flächeninhalt; ich weiß das, denn auch ich besitze in Smudz ein Stück Erde.«

»Ich merke schon, daß auch eure Substanz mehr ausmacht, als einen Beutel voll Siede,« sagte der Starost.

»Die Güter bringen jetzt nichts ein,« versetzte Kmiziz. »Dennoch brauche ich fremde Unterstützung nicht.«

»Ratet mir doch, Ew. Liebden, wie ich dem Mädchen zu ihrem Besitz verhelfen kann.«

Kmiziz lachte.

»Wenn jeder Rat so leicht wäre wie dieser! Am besten wäre es, diese Angelegenheit den Händen des Herrn Sapieha anzuvertrauen. Wenn er sich die Sache angelegen sein läßt, so kann er viel dazu thun, denn als Wojewode von Witebsk übt er eine große Macht in Litauen aus.«

»Er könnte die Tribunale in Kenntnis setzen, daß das Vermögen Podbipientas testamentarisch der Borschobohata verschrieben ist, damit andere entfernte Verwandte nicht Besitz von den Gütern ergreifen.«

»Das könnte er; aber die Tribunale tagen jetzt nicht und der Herr Sapieha hat jetzt auch wichtigere Dinge zu thun.«

»Man könnte das Mädchen auch unter seinen persönlichen Schutz stellen, sie zu ihm schicken,« schlug der Starost vor. »Wenn er sie unter den Augen hätte, würde er eher daran denken, etwas für sie zu thun.«

Herr Kmiziz stutzte und sah den Starosten forschend an.

»Was fällt ihm ein?« dachte er. »Was kann ihm daran liegen, sie los zu werden.«

Der Starost fuhr fort:

»Es würde sich freilich schlecht machen, daß sie im Lager bei dem Wojewoden verbliebe, aber man könnte sie zu den Töchtern desselben bringen.«

Kmiziz begriff noch immer nicht.

»Sollte Herr Samojski wirklich nur ihr Vormund sein wollen?« dachte er wieder.

»Nur eine Schwierigkeit stünde dem im Wege,« sprach Samojski weiter. »Wie könnte man das Mädchen in diesen unruhigen Zeiten zu ihm bringen? Es gehörten zu ihrem Schutze mindestens einige hundert Mann und ich kann Samoschtsch jetzt nicht seiner Verteidiger entblößen. Wenn sich jemand fände, unter dessen Schutze sie reisen könnte ... Wie wäre es, wenn ihr sie mitnehmt, da ihr doch zu Herrn Sapieha reist? ... Ich würde euch Briefe an den Wojewoden mitgeben; ihr aber müßtet bei eurer Kavaliersehre versprechen, sie sicher und wohlbehalten hinzubringen.«

»Ich soll das Fräulein zu Herrn Sapieha bringen?« frug Kmiziz sehr verwundert.

»Wäre das eine so unangenehme Mission? ... Gesetzt den Fall, ihr entbrenntet in Liebe zu dem Mädchen ...«

»Oho!« warf Kmiziz schnell ein ... Meine Liebe hat eine ganz andere im Besitz und wenn sie mir auch nicht mit Gegenliebe lohnt, so beabsichtige ich doch nicht, die Besitzerin zu Wechseln.«

»Um so besser! Ich kann sie euch also in Ruhe anvertrauen.«

Es entstand eine Weile tiefsten Schweigens zwischen beiden.

»Wie also? Wollt ihr sie mitnehmen?« frug dann der Starost.

»Ich führe doch einen Tschambul Tartaren,« antwortete Kmiziz.

»Meine Leute haben mir gesagt, daß die Tartaren euch fürchten wie das Feuer. Nun? Wollt ihr?«

»Hm! Warum nicht, wenn ich euch einen Gefallen damit thun kann. Nur ...«

»Aha, ich errate. Ihr meint, die Fürstin müsse ihre Einwilligung erst dazu geben ... Sie wird sie geben, so wahr ich Gott liebe! Denn denkt euch, sie hat mich im Verdacht, das; ich dem Mädchen nachstelle.«

Hier flüsterte der Starost seinem Gaste lange etwas in das Ohr, endlich sagte er laut:

»Sie war sehr böse deshalb auf mich und ich zog die Ohren ein, denn wißt ihr! ... Kämpft erst einmal mit den Weibern ... Ah! man richtet nichts aus. Lieber sehe ich die Schweden vor den Mauern Samoschtschs. Ich kann ihr also jetzt den besten Beweis liefern, daß ich nichts Schlimmes im Schilde führe, wenn ich selbst darauf dringe, daß das Mädchen von hier fort geht ... Na! bei der ersten besten Gelegenheit Will ich mit ihr darüber sprechen.«

Nachdem er das gesagt, drehte der Starost sich auf dem Absatz herum und ging davon. Kmiziz sah ihm lange nach und murmelte:

»Ihr stellt mir eine Schlinge, Herr Starost, und wenn ich auch noch nicht begreifen kann, was für eine, so durchschaue ich euch doch; ihr seid ein sehr ungeschickter Vogelsteller.«

Der Herr Starost aber war sehr zufrieden mit sich selber, wenn er auch begriff, daß erst die Hälfte seiner Arbeit gethan war, während die andere, bei weitem schwerere Hälfte, noch zu erledigen war. Ihm graute bei dem Gedanken daran; Zweifel und Angst, ob es ihm gelingen werde, was er vorhatte, befiel ihn. Es galt die Einwilligung der Fürstin Griseldis zur Abreise Anusias zu erlangen und der Starost fürchtete ihre Strenge und ihren Scharfblick mehr, wie eine Belagerung seiner Festung.

Da er einmal die Sache eingefädelt hatte, wollte er sie auch so schnell als möglich zu Ende führen. Am nächsten Morgen also, nach der Messe, nachdem er gefrühstückt und seine Kompagnie deutscher Söldlinge besichtigt hatte, begab er sich in die Gemächer der Fürstin.

Der Starost fand die Fürstin allein, fleißig an einem Ornate für das Kollegium stickend. Hinter ihr wickelte Anusia einen über zwei Stuhllehnen gespannten Seidensträhn ab; einen zweiten rosenfarbenen hatte sie um den Hals gelegt. Sie ging, die kleinen Hände schnell bewegend, dem Faden folgend immer um die Stühle herum.

Bei diesem Anblick leuchteten die Augen des Starosten auf, doch bemühte er sich sogleich unter einer ernsten Miene die verräterischen Blitze zu verbergen. Nachdem er die Fürstin begrüßt, bemerkte er wie beiläufig:

»Dieser Herr Babinitsch, welcher mit den Tartaren hier durchreist, ist ein Litauer. Er muß sehr viel Geld haben, ist ein artiger, hübscher Mensch, dazu soll er ein tapferer Soldat sein. Habt ihr ihn bemerkt, Frau Schwester?«

»Du hast ihn ja selbst zu mir gebracht,« antwortete die Fürstin gleichgültig.

»Er hat ein ehrliches Gesicht und scheint ein guter Soldat zu sein.«

»Ich habe ihn über die geerbten Güter des Fräulein Borschobohata ausgefragt. Er meint, dieselben seien sehr große Rittergüter.«

»Gott wende sie der Anusia zu. Sie würde weniger fühlen, daß sie eine Waise ist und könnte dem Alter ruhig entgegensehen,« sagte die Fürstin.

»Es liegt aber die Gefahr vor, daß entfernte Verwandte Ansprüche darauf erheben und die Besitzungen zerstückeln. Babinitsch sagt, der Fürst Wojewode von Witebsk könnte, wenn er wollte sich die Sache angelegen sein lassen, viel für Anusia thun. Er ist ein edler Mann, unserer Familie zugethan; ich würde ihm ohne Bedenken eine eigene Tochter anvertrauen ... Es würde genügen, wenn er bei den Tribunalen seine Vormundschaft über Anusia anmeldete. Aber Babinitsch sagt, dazu bedürfte es der Anwesenheit des Fräuleins, sie müßte selbst zum Fürsten reisen.«

»Wohin? Zu Herrn Sapieha?« frug die Fürstin interessiert.

»Oder zu dessen Prinzessinnen Töchtern,« antwortete der Starost. »Es ist nur darum, daß sie pro forma dort ist, wenn die Installation erfolgt.«

Der Starost simulierte in diesem Augenblick, weil er darauf rechnete, die Fürstin werde die Installation für bare Münze halten.

Sie dachte ein Weilchen nach, dann sagte die edle Frau:

»Wie sollte sie jetzt reisen, da die Schweden alle Wege besetzt halten?«

»Ich habe sichere Nachrichten, daß der Feind Lublin verlassen hat. Das ganze Land diesseits der Weichsel ist frei.«

»Ja, aber wer sollte denn Anka begleiten?« warf die Fürstin ein.

»Babinitsch hat sich erboten, sie mitzunehmen, da er zu Sapieha zieht.«

»Mit den Tartaren soll ich das Mädchen ziehen lassen? Du bist von Sinnen, Herr Bruder! Mit diesen wilden, ungeschlachten Menschen?«

Die Fürstin sagte das sehr indigniert.

»Ich fürchte diese Menschen gar nicht!« warf Fräulein Krasienska achselzuckend ein.

Die Fürstin aber hatte bereits erraten, daß der Starost einen bestimmten Plan verfolgte. Sie schickte das Fräulein hinaus, während sie ihren Bruder forschend anblickte.

Er aber sprach leise, wie im Selbstgespräch, vor sich hin:

»Die Tartaren kriechen in den Staub vor Babinitsch: er läßt jede geringste Widersetzlichkeit mit dem Tode durch den Strick bestrafen.«

»Ich kann dieser Expedition nicht zustimmen,« entgegnete die Fürstin. »Das Mädchen ist zwar aus edlem Geschlecht, aber sie liebt es, den Männern die Köpfe zu verdrehen und ihre Sinne zu entflammen ... Du weißt das am besten ... Niemals werde ich Anusia einem unbekannten jungen Manne anvertrauen.«

»Unbekannt ist er nicht; denn wer kennt die Babinitsch nicht als ein altes erprobtes Geschlecht! (Der Starost hatte den Namen Babinitsch gestern nämlich zum ersten Mal gehört.) Uebrigens, fuhr er fort, könntest du ihr irgend eine ältere Frau als Anstandsdame mitgeben, das decorum wäre damit gewahrt. Für die Ehrenhaftigkeit des Herrn Babinitsch garantiere ich; du kannst bezüglich seiner beruhigt sein, denn er selbst hat mir erzählt, daß er in Litauen eine Verlobte hat, in die er schrecklich verliebt ist ... Wer aber gründlich in eine verliebt ist, dem kann eine andere nichts anhaben ... Doch die Hauptsache ist, daß eine zweite günstige Gelegenheit sich schwerlich finden dürfte. Unterdessen können ihr die Güter verfallen oder von anderen genommen werden und dann bleibt das Mädchen im Alter vermögens- und obdachlos.«

Die Fürstin legte ihre Stickerei fort und indem sie langsam das Haupt emporrichtete, heftete sie ihre durchdringenden Augen fest auf des Bruders Gesicht.

»Was hast du, daß du das Mädchen durchaus fort haben willst?« frug sie langsam Wort für Wort betonend.

»Was ich habe? Was ich dabei haben sollte? Nichts!« antwortete der Starost, während er die Augen niederschlug.

»Gestehe Johann! Du hast mit dem Babinitsch einen Anschlag auf die Tugend Anusias vor!«

»Da haben wir's! Wahrhaftig! Das hat nur gefehlt!« rief der Starost anscheinend entrüstet. »Du sollst den Brief lesen, welchen ich an Herrn Sapieha schreiben will, du sollst selbst einen hinzufügen ... Ich verspreche dir, daß ich Samoschtsch nicht verlasse ... Zudem kannst du Babinitsch selbst ausforschen und ihn darum bitten, das Schutzgeleit zu übernehmen. Da du mich wieder verdächtigst, so will ich nichts weiter mit dieser Angelegenheit zu thun haben.«

»Ja, aber warum dringst du dann so darauf, daß sie fort soll?«

»Weil ich ihr Bestes will und es sich um ein enormes Vermögen für sie handelt. Endlich ... gestehe ich, daß mir auch darum sehr viel daran liegt, sie von hier fortzubekommen, weil ich es überdrüssig bin, mich ihretwegen unaufhörlich von dir hofmeistern zu lassen ... Ich denke durch ihre Entfernung deine häßlichen Verdächtigungen am besten zu widerlegen ... Wahrhaftig, es ist so! Ich bin doch kein dummer Schulbube, der nachts bei den Mädchen fensterln geht ... Noch mehr! Meine Offiziere sind ihretwegen untereinander schon ganz verhetzt und fauchen einander an, wie die Kater. Weder Ordnung noch Disziplin kann ich mehr aufrecht halten. Genug, ich bin es überdrüssig! Und da du noch nicht aufhörst, mich mit den Augen zu durchbohren, so sage ich dir, – hüte dir deinen Sohn selbst, Michael gehört dir – nun thue wie du willst!«

»Michael?« sagte die Fürstin gedehnt.

»Ich kann seinetwegen dem Mädchen nichts vorwerfen; sie kokettiert mit ihm nicht mehr, wie mit allen anderen, aber wenn du, Schwester, deines Sohnes verliebte Blicke und heiße Gefühle für Anusia noch nicht bemerkt hast, dann ist es wahr, daß Kupido nicht so blind ist, als Mutterliebe,«

Die Fürstin runzelte die Brauen; ihre Wangen wurden um einen Ton blässer.

Der Starost, welcher sogleich bemerkte, wie getroffen die Fürstin sich fühlte, klatschte sich mit den Händen die Kniee und sprach weiter:

»Sieh' so, sieh' so, liebe Schwester! ... Was geht das mich an! ... Mag Michael meinetwegen ihr die Seide beim Wickeln halten, mag er lachen, wenn er sie sieht, mag er verlegen erröten, oder mag er durch das Schlüsselloch sie betrachten ... Was kümmert mich das! ... Endlich ... so unrecht wäre das nicht ... Die Herrschaft in Litauen soll fürstlich sein, sie selbst von altem Adel ... ich stelle mich nicht so hoch über andere ... Wenn es dir recht ist, – gut! Ich finde nur, im Alter passen sie nicht zusammen, doch das geht mich wieder nichts an.«

Während der letzten Worte hatte der Starost sich erhoben und schickte sich an, hinauszugehen.

Der Fürstin war das Blut nach dem Kopfe gestiegen. Der stolzen Frau war kein Adelsfräulein in der Republik gut genug für einen Wisniowiezki; sie wählte bereits unter den Erzherzoginnen Oesterreichs für ihren Sohn. Die Worte des Bruders trafen sie wie Dolchstiche.

»Warte noch, Johann, warte noch!« stammelte sie.

»Ich wollte nur, pro primo! dir beweisen, daß du mich fälschlich verdächtigst, pro secundo! daß du ganz jemand anderen zu hüten Ursache hast als mich. Nun thue, was dir beliebt; ich habe nichts mehr zu sagen.«

Bei diesen Worten verbeugte sich der Starost tief vor der Fürstin und verließ das Gemach.


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