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5. Kapitel

Der königliche Zug war spät in der Nacht nach Sywiez gekommen und war von den Einwohnern fast gar nicht bemerkt worden. Man nahm auch am nächsten Morgen keine Notiz von ihm, da das ganze Städtchen sich von dem gestrigen Schrecken, in weichen es der Ueberfall der Schweden versetzt, noch nicht erholt hatte. Der König war nicht im Schloß eingekehrt, welches von den Schweden zum Teil zerstört worden war, sondern in der Probstei. Dort hatte Kmiziz erzählt, ein Gesandter des deutschen Kaisers komme von Schlesien und gehe nach Krakau.

Der König schlug am folgenden Tage auch scheinbar den Weg nach Wadowitz ein und bog erst weit hinter der Stadt von diesem ab, um nach Sucha zu gelangen. Von dort sollte die Reise über Kschetschonow nach Jordanowo und Nowy-Targ gehen. In Nowy-Targ wollte man Erkundigungen einziehen, ob in der Gegend von Tschorschtyn schwedische Truppen sich hatten blicken lassen. Wenn nicht, so wollte man über Tschorschtyn, anderenfalles an der ungarischen Grenze entlang nach Lubow zu kommen suchen.

Der König hoffte, daß der Herr Kronenmarschall, welcher über ein Kriegsheer zu verfügen hatte, wie ein kleiner regierender Fürst, die Wege sichern und alle Feinde fernhalten, selbst aber seinem Könige entgegenkommen werde. Nur ein Umstand konnte ihn daran hindern, nämlich der, daß er nicht wußte, welchen Weg der Monarch eingeschlagen hatte. Es würde sich wohl aber unter den Bergbewohnern irgend ein zuverlässiger Mann finden, welcher dem Marschall Botschaft bringen konnte. Man brauchte hierbei durchaus das Geheimnis, welches den König umgab, nicht preiszugeben; es genügte, zu sagen, daß es im Dienste des Königs geschehe. Das Volk, welches hier wohnte, war seinem Herrscher treu ergeben, obgleich es sehr arm war, in der Wildnis aufgewachsen, halb wild, sich nur mit der Bearbeitung des äußerst undankbaren Bodens und der Viehzucht abmühte. Es haßte den Feind bitter und die Bergbauern waren die ersten, welche bei der Nachricht von der Belagerung Tschenstochaus und Krakaus zu ihren Beilen griffen und die Berge verließen. Zwar konnten sie in der Ebene den Geschützen und Säbeln des Grafen Douglas keinen Widerstand leisten, da sie nicht gewohnt waren, in den Niederungen einen Kampf auszufechten. Dafür durften die Schweden nur mit Beobachtung der größten Vorsichtsmaßregeln sich zur Verfolgung der Bauern in die Berge wagen, da diejenigen kleineren Abteilungen, welche unnützer Weise sich in die Engpässe gewagt hatten, nie wieder zum Vorschein gekommen waren.

Jetzt hatte die bloße Nachricht von der Durchreise des Königs schon wie ein Zauber gewirkt. Was und wer eine Waffe tragen konnte, eilte unter das königliche Banner.

Es hätte nur der Nennung seines Namens bedurft, um Tausende dieser halbwilden Gebirgssöhne um Johann Kasimir zu sammeln, doch der König war mit Recht der Ansicht, daß dann die Kunde von seiner Anwesenheit mit Sturmeseile durch die Lande fliegen würde und die Schweden dann jedenfalls ein größeres Heer sammeln und ihm entgegenführen würden. Er zog daher vor, unerkannt weiterzureisen.

Ueberall fand man sichere Führer durch das Gebirge, welche nicht weiter fragten und sich zufrieden gaben, sobald man ihnen sagte, daß die Reisenden fromme Bischöfe und Herren seien, welche sich vor den Schweden verbergen wollten. So wurde der Zug über beschneite Felsengipfel, Eisfelder und Schluchten unter wehenden Stürmen auf nur den Bergbewohnern bekannten, fast unzugänglichen Pfaden weitergeführt.

Oft wandelte der König mit seinem Gefolge hoch auf steilen Felsen, während die Wolken ihm zu Füßen schwebten, und teilten sich die Wolken, so konnte sein Blick über große schneebedeckte Flächen schweifen, deren Grenzen kaum sichtbar, sich häufig in dunkle Felsschlünde verloren, welche, halb von überhängenden Felsen verdeckt, höchstens Raubtieren als Unterschlupf dienen konnten. Aber es wurden auf diesen beschwerlichen Pfaden die dem Feinde zugänglichen Wege vermieden und der Weg bedeutend abgekürzt. Es kam wohl vor, daß eine Ansiedelung, welche so fern daliegend, frühestens in einem halben Tage erreichbar geschienen, plötzlich dicht vor den Reisenden lag. Immer aber, auch in der ärmlichsten Hütte, wartete ihrer die gastlichste Aufnahme.

Der König blieb stets gut gelaunt; er sprach seinen Begleitern Mut zu, die Strapazen geduldig zu ertragen, da sie auf diese Weise am schnellsten und am sichersten nach Lubow gelangen mußten.

»Der Herr Marschall wird ganz erstaunt sein, wenn Wir eines schönen Tages plötzlich dort erscheinen!« wiederholte er öfters.

Und der Nuntius erwiderte darauf:

»Was war die Rückkehr Xenophons im Vergleich zu diesem Ritt durch die Wolken?«

»Je höher Wir steigen, desto tiefer sinkt das Glück der Schweden,« bemerkte der König.

Endlich war man in Nowy-Targ angekommen. Nun war allem Anschein nach jede Gefahr vorüber, die Bergbauern aber meinten, daß bei Tschorschtyn bis hier in diese Gegend fremde Soldaten gesehen worden seien. Der König ließ die Annahme gelten, daß diese Soldaten wohl die deutschen Söldlinge des Herrn Kronenmarschalls sein könnten, von denen er zwei Abteilungen besaß, oder, daß seine eigenen, dem Könige entgegengesandten Dragoner für fremde Soldaten gehalten worden waren. Als man nun Tschorschtyn wirklich von Truppen des Bischofs von Krakau besetzt fand, da wurde diese Annahme zur Gewißheit, aber die Ansichten über den nunmehr einzuschlagenden Weg teilten sich. Die einen wollten über Tschorschtyn an der Grenze entlang die Spiser Wojewodschaft zu erreichen suchen, die anderen rieten, noch vor Tschorschtyn die ungarische Grenze zu überschreiten, welche hier wie ein Keil sich bis dicht an Nowy-Targ in das Polnische Land zwängte, und weiter durch Engpässe und Klüfte unter Leitung bewährter Führer den Weg fortzusetzen.

Diese letztere Ansicht überwog, da auf diese Weise die Möglichkeit eines Zusammentreffens mit den Schweden fast ganz ausgeschlossen blieb und der König diesen »Adlerzug« über Abgründe und Wolken sehr interessant fand.

Man nahm daher den Weg von Nowy-Targ aus etwas südwestlich, den weißen Don zur Rechten liegen lassend. Anfangs führte der Weg durch eine ziemlich weite Ebene; je weiter man aber kam, desto näher rückten die Berge zusammen, desto enger wurden die Thäler. Man kam auf Wege, die von den Pferden nur mühsam beschritten werden konnten. Oft mußten die Reiter absteigen, um ihre Rosse am Zügel weiter zu führen – und auch das war schwierig, denn die Tiere schreckten vor den sich vor ihnen dehnenden Abgründen mit weit geöffneten Nüstern und eingezogenen Ohren zurück.

Die Bergbauern, welche an das Klettern über die steilsten Felsen an Abgründen entlang gewohnt waren, wählten oft Pfade, auf denen die des Weges Ungewohnten Schwindel ergriff. Endlich gelangten sie in eine lange, grade Felsspalte, welche so schmal war, daß sich kaum drei Reiter nebeneinander fortbewegen konnten.

Der Engpaß zog sich lang hin, wie ein endloser Korridor. Zwei hohe Felsen schlossen ihn von beiden Seiten ein; hier und da zeigten sich in denselben schmale Risse, dann wieder etwas weniger steil abfallende Lehnen, welche dick mit Schnee bedeckt und am oberen Rande mit dunklen Kiefern eingefaßt waren. Die Winterstürme hatten den Grund des Engpasses so vom Schnee reingefegt, daß die Hufeisen der Pferde überall auf den bloßen Felsenboden trafen und laut klirrten.

Gegenwärtig aber wehte kein Lüftchen; es herrschte so tiefe Stille in der Natur, daß dieses Klirren wie Glockenton in den Ohren klang. Nur hoch oben, wo zwischen den Kiefern am oberen Rande der Schlucht ein blauer Streifen des Firmaments sichtbar war, ertönte von Zeit zu Zeit das Krächzen und der Flügelschlag vorüberfliegender Krähen.

Der königliche Zug hatte angehalten, um auszuruhen.

Die Pferde dampften und die Menschen waren ermüdet.

»Sind wir hier auf polnischem oder auf ungarischem Terrain?« frug nach einer Weile der Ruhe der König den Führer.

»Wir befinden uns noch auf polnischem Boden.«

»Warum haben wir nicht gleich die ungarische Grenze überschritten?«

»Das war unmöglich,« antwortete der Führer. »Dieser Engpaß macht nicht weit von hier eine Biegung; durch diese gelangt man über einen Sturzbach, in einer Wendung nach rückwärts, in einen zweiten Engpaß und jenseits dieses liegt Ungarn.«

»Da wäre es ja besser gewesen, wir wären gleich der Landstraße gefolgt,« sagte der König.

»Stille! ...« antwortete plötzlich der Bergbauer.

Aller Augen richteten sich auf ihn. Sein Gesicht war plötzlich verändert, als er gleich darauf sagte:

»Hinter der Biegung, vom Sturzbach her, kommen Soldaten! Um Gottes Willen! Sind das etwa Schweden?«

»Wie? Was?« stürmte man von allen Seiten auf ihn ein.

»Man hört ja nichts!«

»Dort liegt Schnee, da kann man nichts hören. Bei den Wunden Jesu! Sie sind schon ganz nahe! ... Gleich werden sie hier sein!«

»Vielleicht sind es Leute des Kronenmarschalls?« sagte der König.

Kmiziz war auf sein Pferd gesprungen.

»Ich werde nachsehen!« sagte er.

Die Kiemlitsch eilten ihrem Herrn sogleich nach; wie Jagdhunde der Spur des Wildes, so folgten sie ihrem Herrn. Doch kaum waren sie ein Stückchen vorwärts gekommen, da tauchte etwa hundert Schritte vor ihnen in der Biegung des Engpasses eine dunkle Schar schwedischer Reiter auf.

Kmiziz erstarrte vor Schreck; es waren Schweden.

Sie waren schon so nahe, daß an einen Rückzug nicht mehr gedacht werden konnte, besonders da die Pferde des königlichen Zuges ermüdet waren. Hier hieß es, entweder siegen oder sterben. Das begriff auch der unerschrockene König sofort; er griff schnell zum Schwert und bestieg sein Roß.

»Beschützt den König und tretet den Rückzug an!« schrie Kmiziz.

Tysenhaus hatte sich schnell mit zwanzig Mann an die Spitze des königlichen Zuges gestellt, Kmiziz aber ritt, statt sich ihnen anzuschließen, in kurzem Trab dem Feinde entgegen.

Da er jetzt zufällig wieder den schwedischen Rock trug, in welchem er sich aus dem Kloster in das Schwedenlager geschlichen, so wußten die Schweden nicht gleich, mit wem sie es zu thun hatten. Als sie den so angethanen Reiter erblickten, glaubten sie offenbar einer schwedischen Patrouille sich gegenüber zu befinden, denn sie verblieben in ihrer gemächlichen Ruhe, nur der anführende Kapitän ritt ein wenig vor.

»Wer seid ihr?« frug er in schwedischer Sprache, indem er dem finster dreinschauenden Ritter in das ernste Gesicht blickte.

Kmiziz sprengte so dicht an ihn heran, daß ihre Kniee sich fast berührten, und ohne ein Wort zu erwidern, schoß er ihm eine Kugel in das Ohr.

Ein Schreckensschrei entriß sich den Kehlen der schwedischen Reiter, gleichzeitig aber kommandierte Kmiziz:

»Schlagt zu!«

Und wie ein losgerissener Felsblock im Falle alles mit sich fortreißt und zerstört, was ihm im Wege liegt, so stürzte Kmiziz sich Tod und Verderben bringend auf die vorderste Reihe der Feinde und die beiden Söhne des alten Kiemlitsch sprangen ihm nach wie zwei wütende Bären, ein arges Getümmel anrichtend. Das Klirren der Schwerter auf die Helme und Panzer hallte in der engen Schlucht wieder wie Hammerschläge, und bald folgten diesem Geräusch Schmerzenslaute und Stöhnen.

Im ersten Augenblick glaubten die erschreckten Schweden nichts anderes, als daß drei Bergriesen sie überfallen hätten. Die ersten Reihen prallten entsetzt vor diesem unerwarteten Angriff zurück und ehe noch die letzten um die Biegung des Engpasses herumgekommen waren, da war die Verwirrung schon bis zur Mitte des Reiterzuges vorgedrungen. Die Pferde bissen sich gegenseitig und schlugen wild um sich; die folgenden Reihen konnten weder schießen, noch ihren Kameraden zu Hilfe eilen und mußten sie den Schlägen der drei Riesen erliegen sehen.

Umsonst hielten sie ihnen ihre Lanzen entgegen, vergeblich suchten sie vorzudringen, jene drei zerbrachen die Lanzenschäfte, schlugen die Säbel aus den Händen der Schweden, warfen Menschen und Pferde über den Haufen. Kmiziz riß sein Pferd empor, daß die Hufe desselben die Köpfe der feindlichen Pferde trafen; er selbst raste, tobte, schlug um sich und stach wie besessen. Sein Gesicht war mit Blut bespritzt, seine Augen leuchteten wie im Wahnsinn, er hatte nur den einen Gedanken: der Feind mußte aufgehalten werden um den Preis seines Lebens. Seine Kräfte schienen sich zu verdoppeln, zu verdreifachen, seine Bewegungen glichen denen eines Luchses, blitzesschnell und tollkühn. Wie der Blitz die Bäume, so trafen seine Hiebe die Menschen. Die beiden jungen Kiemlitsch hielten mit ihm gleichen Schritt, während der Alte etwas rückwärts alle Augenblicke mit seinem Schwert zwischen den beiden Riesensöhnen durchfahrend, versuchte, einen Schweden zu erreichen.

Unterdessen herrschte in der Umgebung des Königs heftige Bewegung. Der Nuntius hatte wieder wie bei Sywiez die Zügel des königlichen Rosses gefaßt und hielt dasselbe von einer Seite fest, während der Bischof von Krakau auf der anderen Seite sich abmühte, den König mit seinem Pferde rückwärts zu ziehen. Der König dagegen spornte das Tier so gewaltig vorwärts, daß dasselbe kerzengerade emporstieg.

»Laßt Mich!« rief der König, »laßt Mich, um Gotteswillen! Wir müssen uns durchschlagen.«

»Herr, denkt an das Vaterland!« sagte der Bischof von Krakau.

Aber der Monarch konnte sich nicht losreißen, so wurde er zurückgedrängt, da auch Tysenhaus ihm von vorn den Weg verstellte. Dieser gab Kmiziz preis, um den König zu retten.

»Bei dem Leiden Jesu!« rief er verzweifelt, »jene dort müssen gleich den Widerstand aufgeben! ... Majestät! Retten Ew. Majestät sich, so lange es noch Zeit! ... Ich halte den Feind hier auf!«

Doch der Eigensinn des Königs, einmal entfacht, war unberechenbar. Anstatt sich rückwärts zu konzentrieren, spornte er das Pferd nur heftiger und drängte er vor.

Die Zeit verging. Jeder Augenblick konnte das Verderben bringen.

»Soll es denn sein, so sterbe Ich auf heimatlicher Erde! ... Laßt die Zügel los! ...« rief der König.

Zum Glück konnten des engen Platzes wegen nur eine kleine Anzahl der Feinde gegen Kmiziz und die Kiemlitsch vordringen. Infolgedessen konnten diese sich länger halten. Allmählich aber begannen ihre Kräfte doch nachzulassen. Kmiziz blutete schon aus einigen leichten Wunden, ein nebelgleicher Schleier legte sich über seine Augen, der Atem begann ihm auszugehen. Er fühlte den Tod nahen, deshalb wollte er sein Leben so teuer als möglich verkaufen. »Nur noch einen!« murmelte er unaufhörlich vor sich hin, während er seinen Säbel bald auf den Kopf, bald auf den Arm eines Feindes herabsausen ließ, um sogleich sich wieder einem anderen zuzuwenden. Zuletzt aber schienen es die Schweden wie eine Art Schande zu empfinden, so lange von drei Reitern aufgehalten zu werden, denn sie drängten plötzlich mit aller Gewalt vor, um dieselben durch die Gewalt des Anpralles zurückzudrängen. Da strauchelte das Pferd Kmiziz', es kam zu Falle und die schwedischen Reiter stürmten über ihn fort. Noch leisteten die Kiemlitsch einige Augenblicke Widerstand, dann wurden auch sie überritten ...

Wie ein Sturmwind jagten nun die Schweden dem königlichen Zuge zu.

Tysenhaus stellte sich ihnen mit seinen Leuten entgegen, sie prallten gegeneinander, daß das Klirren der Schwerter und das Rasseln der Panzer von den Bergen widerhallte. Was aber bedeutete diese Handvoll Soldaten gegenüber der dreihundert Reiter zählenden schwedischen Kolonne!

Es blieb kein Zweifel! Der König und seine Begleitung mußten entweder fallen oder in Gefangenschaft geraten.

Der König, welcher das erstere der Gefangenschaft vorzog, hatte sich endlich den ihn zurückhaltenden Händen zu entreißen vermocht und eilte an Tysenhaus' Seite.

Da geschah etwas ganz Außerordentliches. Die Berge selbst schienen ihrem rechtmäßigen Könige und Herrn zu Hilfe zu kommen, denn die oberen Säume des Engpasses erzitterten, als ob ein Erdbeben sie erschütterte; der dort oben wachsende Wald schien an dem Kampfe teilnehmen zu wollen. Baumstämme, kleine Schneelawinen, Eisstücke, Steine und Felsentrümmer begannen sich oben loszulösen und stürzten krachend und polternd auf die unten eingepferchten Reihen schwedischer Reiter, gleichzeitig aber ertönte zu beiden Seiten des Engpasses von oben ein wildes Geheul.

Unten aber entstand eine aller Beschreibung spottende Verwirrung. Die Schweden dachten, die Berge stürzten ein, und glaubten nichts anderes, als daß sie erdrückt würden unter der Last derselben. Herzzerreißendes Geschrei und Klagerufe, verzweifelte Schreie nach Hilfe vermischten sich mit dem Quieken der Pferde und dem Knirschen und Klirren der die Panzer treffenden herabstürzenden Felsstücke.

Bald bildeten Pferde und Menschen dort unten nur noch einen sich konvulsivisch krümmenden Haufen, welcher verzweifelte, gräßliche Schreie ausstieß.

Immer dichter flogen die Steine und Felsstücke herunter; erbarmungslos die schwedischen Reiter und Pferde niederschmetternd.

»Die Bergbauern! Die Bergbauern!« ertönte es endlich in den Reihen des königlichen Zuges, welcher voll Entsetzen diesem Ereignis zugesehen.

»Schlagt sie mit den Aexten tot, die Bluthunde!« hörte man jetzt oben rufen.

In demselben Augenblick tauchten über dem Rande der Felsen oben langhaarige, mit kleinen Lederhüten bedeckte Köpfe auf, denen gleich die dazugehörigen Körper folgten, und mit Blitzesschnelle glitten einige hundert seltsame Gestalten mit katzenartiger Behendigkeit an den steilen Felsen herab in die Tiefe des Engpasses.

Die Flügel ihrer hellen oder dunklen Mäntel, welche sich über ihre Schultern geschoben hatten, gaben ihnen das Ansehen einer Schar herabflatternder Raubvögel. Im Handumdrehen waren sie unten; ihre Aexte sausten auf die Feinde hernieder und richteten schreckliche Verheerungen an. Der König wollte dem Gemetzel Einhalt thun. Ihn erschütterte der Anblick und das Geschrei der um ihr Leben flehenden Schweden gewaltig. Aber kein Befehl, kein Einschreiten vermochte das Rachewerk der Bergbauern aufzuhalten und eine Viertelstunde später befand sich kein einziger lebender Schwede mehr im Engpaß.

Endlich wandten die blutüberströmten Bergbauern sich dem königlichen Zuge zu.

Der Nuntius sah mit Staunen diese ihm völlig fremden, groß und stark gewachsenen Männer, welche zum größten Teil in Schaffelle gekleidet, blutbefleckt, mit noch vom Kampfe dampfenden Aexten näher kamen.

Beim Anblick der Bischöfe entblößten sie ihre Köpfe, viele von ihnen knieten nieder.

Der Bischof von Krakau erhob das thränenüberströmte Antlitz zum Himmel.

»Das war Gottes Fürsorge, Gottes Auge, welches über der Majestät wachte!« sagte er.

Dann wandte er sich den Bergbauern zu und frug:

»Woher seid ihr, Leute?«

»Aus dieser Gegend!« antwortete es aus der Menge.

»Wißt ihr, wem ihr Hilfe und Rettung gebracht habt? Seht, euer Herr und König ist es!«

Dieser Erklärung folgten seitens der Bergbauern lebhafte Freudenrufe: »Der König! Der König! Jesus Maria, der König!« tönte es von allen Seiten. Es entstand ein Gedränge nach vorwärts. Ein jeder der treuen Bauern wollte seinen König sehen. Weinend und schluchzend drängten sie von allen Seiten herbei, um seine Hände, die Steigbügel, ja die Füße des Königs zu küssen. Die Begeisterung nahm so zu, daß die Bischöfe aus Besorgnis um die Person des Königs ihr zuletzt Einhalt thun mußten.

Der König aber stand hoch zu Roß unter seinem Volke, wie der Hirt unter seiner Herde, und Thränen der Rührung perlten über seine Wangen herab.

Dann wurde sein Antlitz heiter; ein Gedanke schien ihn zu beseelen und ganz zu erfüllen. Er erhob die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle und als die Menge sich beruhigt hatte, da sagte er mit erhobener Stimme, so daß alle ihn hören konnten:

»O Gott! der du Mich durch die Hände dieser einfachen Bauern vom Tode errettet hast, bei dem Leiden und dem Tode deines Sohnes schwöre Ich, daß Ich Meinem Volke immer ein Vater sein will!«

»Amen!« schlossen die Bischöfe.

Einen Augenblick herrschte andächtige Stille, dann brach sich die Freude von neuem Bahn. Man frug die Bergbauern, wie sie in den Engpaß gekommen und so zu rechter Zeit dem Könige Hilfe bringen konnten.

Sie berichteten, daß größere schwedische Truppenteile sich schon tagelang in der Nähe von Tschorschtyn umhergetrieben hätten, ohne doch das Schloß anzugreifen; es hatte den Anschein, als suchten sie jemanden. Die Bauern hatten auch von einem Gefecht gehört, welches diese Abteilung schwedischer Reiter mit polnischen Soldaten geführt haben sollten, welche den König in sein Reich zurückbegleiteten. Da hatten sie beschlossen, die Schweden durch falsche Berichte irre zu leiten und in die Engpässe zu locken.

»Wir sahen,« erzählten die Bergbauern, »daß jene vier Ritter die Bluthunde wütend angriffen und wären ihnen gern zu Hilfe geeilt, doch fürchteten wir, sie vorzeitig zu verstreuen und dann nicht alle zu bekommen.«

Hier fuhr der König empor.

»Heilige Mutter Gottes!« rief er. »Sucht Mir sofort den Babinitsch! ... Laßt uns ihn wenigstens ehrenvoll begraben! ... Und dieser Mann, der als Erster für Uns in den Tod ging, dieser Mann wurde des Verrats verdächtigt!«

»Ich bekenne mich schuldig, Majestät!« sagte Tysenhaus betrübt.

»Sucht ihn! Sucht ihn!« rief der König. »Ich verlasse diese Stelle nicht, bevor Ich sein Angesicht nicht gesehen und Abschied von ihm genommen habe.«

Soldaten und Bergbauern sprangen fort, suchten den Platz, wo der Kampf begonnen, und zogen nach kurzem Suchen den Körper des Herrn Andreas unter seinem Pferde hervor. Sein bleiches Gesicht war mit Blut bespritzt; dicke Tropfen desselben waren ihm im Barte geronnen, die Augen hatte er geschlossen. Sein Panzer zeigte mehrfach Spuren von Schwerthieben und Pferdetritten, aber dieser Panzer war es auch, welcher ihn vor dem Zerquetschen durch die Last seines Pferdes behütet hatte, und dem Soldaten, welcher ihn emporhob, schien es, als hätte er ein leises Stöhnen vernommen:

»Er lebt! Wahrhaftig, er lebt!« rief er aus.

»Nehmt ihm den Panzer ab!« schrieen andere.

Die Riemen, welche diesen zusammenhielten, waren bald durchschnitten.

Kmiziz begann tiefer zu atmen.

»Er atmet! Er atmet! Er lebt!« rief es durcheinander.

Eine Zeitlang lag der Totgeglaubte unbeweglich, dann öffnete er langsam die Augen. Ein Soldat flößte ihm etwas Branntwein ein, während mehrere andere sich bemühten, ihn aufzurichten.

Da kam eben auch der König herzugeeilt. Die Rufe: »er lebt« waren von Mund zu Mund geflogen und so auch an das Ohr des Königs gedrungen.

Die Soldaten trugen den Körper des Herrn Andreas dem Könige entgegen. Er lastete schwer und regungslos auf ihren Armen. Doch als die Stimme des Königs an sein Ohr schlug, da kehrte sein Bewußtsein noch einmal zurück, die Augen öffneten sich und die blassen Lippen sprachen leise, aber ganz deutlich:

»Mein Herr, mein König lebt ... frei ...«

Eine Thräne hing an seinen Wimpern.

»Babinitsch, Babinitsch! Womit kann Ich euch lohnen?« rief der König bewegt.

»Ich bin nicht Ba–bi–nitsch, – ich – bin Kmi–ziz!« flüsterte der Ritter.

Dann hing er wieder leblos und schwer in den Armen der Soldaten.


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