Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Dies ist der Tag von Gott gemacht!

Und am anderen Morgen zur frühen Zeit stand Anna am offenen Fenster und rief hell die Worte aus: »Dies ist der Tag von Gott gemacht!«

Und wahrhaftig, das war ein Morgen voll Frische und Licht und Reine, voll Leben und Lust, ein Tag zum Erwachen aus der Weltheit, zum Aufschwingen in das Reich des Hehren und des Schönen, ein Tag zum Freudigsein – ein Tag von Gott gemacht!

Auf dem Fenstertisch lag die Zither. Anna begrüßte den Tag durch das Lied »Waldesruh«. Es war ein unsagbar zartes, seelisches Spiel, es war, als habe sich das Herz der jungen Frau in Töne und Klänge aufgelöst, um hinauszuzittern in Gottes wunderbare Welt.

Das Spiel lockte sogar einen Gast herbei. Ein Vogel mit silberschimmerndem Gefieder hüpfte im Laubwerk vor Annens Fenster, horchte zuerst ein wenig der »Waldesruh«, sang und jauchzte dann und flüsterte ins Gemach: »Ich wüßt' was, ich wüßt' was! Soll ich's nennen?« – Dann flatterte das Tier plötzlich ins Zimmer, aber sogleich wieder hinaus und hin über die Wipfel des Baumgartens und hin gegen den Wald.

Gabriel und Anna rüsteten sich, und der alte Ferdinand kam wichtigtuend mit seinem Birkenstock heran: »Hausfrau, diesen Stab müßt Ihr heute tragen, es ist Segen daran!«

»Meine Mutter!« sagte Anna und nahm Frau Mildau an der Hand. »Du hütest ja mein Kind!«

Dann kniete sie nieder vor der Wiege: »Du schläfst, Herz, und deine Mutter geht davon. – Nein, das ist nicht recht.« Sie blickte zum Gatten auf: »Gelt, Gabriel, du meinst es auch, die Mutter soll beim Kinde bleiben?«

»Na, so macht nur einmal fort, ihr gefühlsseligen Leut'!« rief Frau Mildau, »hoffentlich wandert ihr nicht ins Amerika, und unsereins versteht doch auch noch einiges von der Windelwirtschaft. Gott hüt' euch und kommt beizeiten wieder zurück!«

Gabriel verstand die Unruhe der jungen Mutter wohl; es war ja das erstemal, daß sie auf stundenlang von ihrem Kind Abschied nahm.

Dann gingen sie davon.

Er jauchzte, als sie in den lichtdurchzitterten, sangeslebendigen jungen Tag dahinschritten. Sie gingen über die Felder hinaus. Sie begegneten Schulkindern, kleinere sahen sie am Bache spielen.

»Wieviel es doch Kinder gibt im Orte!« sagte Anna; erst jetzt, da sie Mutter war, fiel es ihr auf.

Als Gabriel die Wildnelken und Enzianen betrachtete, die im Morgenhauche wiegten, sagte er: »Siehe, Annchen, wie dich die neigenden Blumen grüßen. Sie freuen sich, dich endlich wieder unter sich zu sehen.«

Sie pflückte eine Nelke und steckte sie an die Brust ihres Mannes zur linken Seite, wo vor zwei Jahren die heilige Myrte geprangt. –

Sie hatten den unteren Feldweg gewählt; an der Friedhofshecke blieb Anna stehen.

Als sie Gabriel leise zum Weitergehen mahnte, fuhr sie sich mit den Fingerspitzen über die Stirn und hauchte wie im Traum: »Gott, wie das schön ist! Aber,« setzte sie erwachend hinzu, »sollten wir nicht ein wenig zu deiner Mutter hineingehen?«

Er zog sie sanft des Weges weiter. So rief sie einer hinschmetternden Lerche zu: »Du siehst, mein böser Mann, der läßt mich nicht. Fliege du, und richte mir den Gruß aus. Morgen komm' an mein Fenster und hol' dir den Botenlohn.«

Im Hohlweg, der endlich aus sonnigen Auen in den Wald führt, begegnete unserem Arm in Arm wandelnden Paar ein altes Bettelweib, das hinkte und schielte und grinste.

Gabriel wollte der Alten ausweichen, weil sie so häßlich war, allein Anna sagte, weil häßlich, um so hilfs- und liebebedürftiger wäre sie. Die junge Frau nestelte eine Münze hervor.

Die Alte ergoß sich in Dankesbezeugungen, erhaschte Annens Hand und wollte wahrsagen.

»Heute nicht,« sagte Anna, »liebe Frau, ein andermal.«

Doch die Alte ließ die kleine weiße Hand nicht mehr los. Mit hin und her zuckenden Äuglein betrachtete sie die zarten Linien und rief: »Ein langes Leben, schöne, goldene Frau, ein langes Leben!«

Gabriel griff jetzt auch in die Tasche.

Dann kamen sie zu der Waldkirche.

»Schon zwei Jahre vorbei«, sagte Anna, ging hinein, kniete nieder auf der untersten Stufe des Altars, senkte das Haupt mit den vollen Locken und betete.

Gabriel stand im Hintergrunde und blickte auf das liebe traute Wesen, das eine solch nimmergeahnte Seligkeit in sein Leben gebracht hatte. Und wie sie da kniete in der heiligen Stille des Waldkirchleins und im kindlichen Gebete wohl ihres Mannes, ihres Kindes gedachte und auch für sich den lieben Gott anflehte um Dauer des Glückes . . .

Endlich kamen sie auch zum Ring und an dem Jägerhause vorüber, in welchem sie die ersten Honigwochen genossen hatten. Als sie vor dem Hause saßen und Anna auf die bunten Steine des Sandbodens blickte, sagte sie: »Hier könnte unser Knabe schon spielen.«

Als sie wieder gehen wollten, kam ein Hochzeiter des Weges. Der war in schmucker Tracht der Gegend, trug einen langen Stock in der Hand und einen großen Strauß mit roten Bändern auf dem Hut.

»Die Herrenleut' vom neuen G'schloß?« fragte der Mann und sah dem Paare ins Gesicht. »Schau, grad' hab' ich wollen hinsteigen. Ich hätt' die schöne Bitt', daß mir die Herrschaft die Ehr' wollt' erweisen und in der Montagsfrüh zu meiner Hochzeit gehen.«

»Das ist ja ein alter Bekannter!« rief Gabriel, den Mann betrachtend.

»Wird wohl völlig so sein!« antwortete jener, »und desweg bin ich halt so keck. Und mein Lisei läßt auch schön bitten. Ein klein' Frühstück hätten wir in der Hütten! Zusamm'geben werden wir in der Karnsteiner Kirchen, und das Essen ist beim Bräuer. – Und die Frau auch mitnehmen! Gelt, ich krieg' das Geheiß?«

Händeschüttelnd gab ihm Gabriel das Geheiß. Der Hochzeiter eilte davon.

Der Berghütten-Franz war's gewesen, welchen unsere Gatten vor zwei Jahren im Gebirg als Wildschützen begegnet und in dessen Haus sie eingekehrt waren, als sein erfrorenes Weib auf der Bahre lag.

»Und – der freit wieder?« sagte Anna.

Der Sonnenstern leuchtete hoch über den Wipfeln des Rings. Gabriel und Anna gingen immer tiefer in den Wald hinein.

Allerlei Tiere – krabbelnde, kriechende, flatternde, fliegende kamen ihnen in den Weg. Das Geschlecht der Spinnen hatte ganze Netze gezogen, um die Wandernden zu umgarnen. Es war ein frohes Hüpfen und Schlüpfen über Stock und durch das Dickicht. Anna tat mit, und Gabriel sah, wie ihre Wangen leise glühten – im Wald, im schönen frischen Wald . . .

Plötzlich aber, mitten im schäkernden Hineilen, stand Anna still; es war, als müsse sie tief Atem holen. Sie legte nun den Finger an den Mund, als horche sie. –

»So närrisch! Mir ist's gewesen, als hätte unser Kind gerufen, – Gabriel, wann können wir denn wieder zu Hause sein?«

»Bis der Sepp von seinem Mittagsschläfchen erwacht, können wir wieder zu Hause sein,« antwortete Gabriel, »und auch noch früher, wenn wir jetzt umkehren wollen.«

»Du gehst so gern zum See, liebes Mannerle«, sagte sie. »So gehen wir nur.«

Es war gegen die Mittagsstunde, als sie zum Stern kamen. Bis hierher schien das gestrige Gewitter nicht gereicht zu haben. Die sieben Bäche rieselten klar, und die Wasserfälle plätscherten in dünnen Schleiern nieder über das Gewände. Der See war rein und lau und ganz geruhig. Am Rande glitzerte und zitterte der braune Sand durch das Wasser, und manche Forelle ging spazieren am Ufer entlang, ein wenig lauernd nach Mücken und Käferchen an den niederhängenden Halmen. Ein paar Libellen, einander verfolgend aus Haß oder aus Liebe, schossen hin über die bezahnten Farnkräuter und wilden Lilien des Ufers. Da und dort auf dem Wasserspiegel trieben winzige Geschöpfe, die man kaum sah, Kreise auseinander – Reiche, die sich stolz dehnten, allmählich verflachten und lösten.

Auf jenem kleinen, vom See, von bemoosten Felsen und wilden Dorn- und Rosenbüschen umfriedeten Rasenplatz, seit den ersten Honigwochen her die Annenruh geheißen, ließen Gabriel und Anna sich nieder.

Hier ruhten sie ein wenig und blickten – ein ewig träumendes Paar – den zarten Wolken zu, die oben über den Felsen und Höhen in der Bläue schwammen.

»Merkest du es nicht auch, Anna, daß die Wolken immer rascher ziehen, je länger man sie anblickt?« sagte Gabriel.

»Und ich ginge dir was wetten,« entgegnete Anna, »daß die Wolken stillstehen wie eine Mauer; aber die Felswand neigt sich immer mehr herüber, als wollte sie auf uns fallen.«

»Mein Kind,« sagte Gabriel, »der Felsen steht fest auf seinem Grund, fest wie die Zeit. Aber die Wolken fliegen, und – wir sind die Wolken.«

Unverwandt blickte Anna in den Himmel hinein. – »Seltsam, seltsam,« rief sie plötzlich, »hier wächst meine Seele . . . Gabriel, hier baue ein Haus, hier möchte ich wohnen . . . hier müßte ich gesunden.«

»Wohlan!« rief Gabriel und richtete sich auf, »bauen wir hier am See eine Hütte für die Hochsommertage. – Anna, je tiefer mit dir in der Wildnis, je einziger sind wir uns eigen.«

– – Still und heiß in der Mittagssonne. Ewig das Flüstern der fallenden Schleier – und das süße Atmen des schlummernden Sees.

Sie stiegen in das Wasser. Gabriel in frischer Lebenslust jauchzte hervor aus den gischtenden Wellen. Anna tat einen Hauch des Behagens. So erquickend war die laue Flut, die sich weich um die Glieder legte und die Gestalten verklärte zu weißem lebendig gewordenen Marmor.

Erst als Anna zwischen den Rosensträuchern ihre rieselnden Locken getrocknet und den Schnee ihres Kleides wieder an sich getan hatte, stieg auch der Gatte aus dem See. Sie pflückte eine weiße Rose, aber mitsamt dem Dornenstengel und drei grünen Blättern. Kein Stäubchen und kein Mückenstich war auf der Rose; sie ist später genau besehen und mit unzähligen Tränen begossen worden.

Als Gabriel sich wieder in den gehörigen Stand gesetzt und angeschickt hatte, das kleine Mittagsmahl aufzutischen, bat Anna vor dem Essen um ein Viertelstündchen Ruhe. Das Bad hatte sie ein wenig ermüdet.

Auf den Samt eines moosigen Steines legte sie ihr Haupt. Das immerwährende Flüstern der Wässer und ein mild rieselndes Lüftchen luden zum Schlummer ein.

Halbgeschlossenen Auges lächelte Anna ihrem Manne entgegen, hob ein wenig den rechten Arm: »Komm', Gabriel, laß mich in deine lieben Augen schauen!«

Er neigte sich über ihr Angesicht und trank mit zitternder Seelenlust den wundersamen Blick aus ihrem Auge.

Noch sog sie den Kuß von seinen Lippen, dann sanken die Wimpern.

Auch Gabriel wendete sich, um ein wenig zu ruhen. Das Antlitz nach aufwärts gerichtet, wie es seine Gewohnheit war, sah er den Wolken zu. Zuerst in leichten Flocken kamen sie, bald in dichteren Hüllen und endlich in schweren finsteren Massen gezogen, die alles Blau des Himmels verdeckten und einen Schatten warfen auf den See. – – »Es ist doch so, wie ich mir's hab' gedacht!« hörte er sein Weib sagen. Dann wurde die Finsternis schwerer, er schlief. – – Ein Ruf nach Licht scholl in den Felsen. Die Worte: »Auf! . . . auf!« zitterten nach; dann war es, als hörten die Wasserfälle auf zu rinnen.

Als Gabriel aus dem Schlaf erwachte, blickte er erstaunt um sich. Da war wieder der See am Stern mit seinen Wänden und Wasserfällen; am Himmel zogen die Wölklein wie vor und eh', nur die Sonne war hinübergesunken gegen den Waldrand. – Anna hatte ihr Haupt noch liegen auf dem grünbemoosten Stein und schlummerte. Sinnend blickte er hin auf dieses Bild. In weißem Kleide ruhte sie, die eine Hand gegen den Gatten hin ausgestreckt, die andere leicht die weiße Rose haltend über die Brust gelegt. Lose wallten die Locken, schier noch dunkler als sonst, um das zarte, blasse, so seltsam jugendliche Angesicht. Kaum weißer war die Rose als dieses Antlitz, auf dessen rechter Wange etwas wie eine Träne glitzerte . . .

»Anna!« lispelte Gabriel. Es fiel ihm plötzlich ein, sie zu wecken. »Anna!« rief er beklommen. – Wie schlief sie so fest! – »Anna!« Mit wildem Schrei stürzte er hin, faßte sie, stöhnend rüttelte er mit aller Macht an ihrem Leibe. – – – Sie war leblos. – –


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