Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein heißer Gang unter den Flocken

Anfangs war doch ein bißchen Eitelkeit im Spiele gewesen. Man war Geschäftsmann und als solcher durchaus realistisch; aber es stand gut, der Welt zu zeigen, daß man trotz so manchem und manchem auch Sinn für Ideales habe, und daß Mildaus Haus den sonst stets flüggen Vogel aus den Einödwäldern zu fesseln vermochte.

Frau Mildau hatte, die jungen Leute beobachtend, freilich bald geahnt, wohin das zielte, nur wollte sie sich's, wollte es ihrem Manne nicht gestehen; ihr war, es könne, es dürfe nicht sein, was ihr vorschwebte. Nicht, weil sie einer Familie entstammte, die ihr den Adelsbrief als Erbe hinterlassen, war ihr der Gedanke peinlich; denn noch edler als ihre Herkunft war ihr Gemüt. Aber vor dem Verlust der einzigen Tochter bangte Frau Mildau so sehr, und eine Ahnung war zuweilen in ihrer Seele wach, als wäre mit dem ersten Schritt des jungen Mannes in ihr Haus ein ernstes Geschick mit eingezogen. Sie bedauerte einerseits die Reise ihrer Tochter in die Einödwalder, sie grämte sich still über das harmlose Mädchenherz, in welches die Gewalten der Liebe eingezogen waren; und anderseits fühlte sie sich selbst dem schlichten, offenen Manne warm geneigt.

Herrn Mildau ging es insgeheim nicht viel besser. Er hatte sich in der Schule des Lebens jenen Scharfblick erworben, der den Frauen angeboren ist.

Als praktischer Mann ging er jeder Sache stets auf den Kern; er wußte bei jedermann gleich, wo der Geldbeutel saß – und auch das Herz. Mildau sah von der Stunde an, als Anna aus den Einödwäldern zurückgekehrt war, daß sie ihr Herz an den Sänger der »Waldlieder« verloren hatte. Wohl erschrak er bei dieser Wahrnehmung, denn er ahnte, was in einem Kinde, wie Anna mit der treuen Seele, die Liebe bedeuten mochte. Als er sich aber mit dem Gedanken vertrauter gemacht hatte, und als er Stammer kennen und achten gelernt, da sagte er bei sich: Was soll es schließlich? Die Hauptsache ist das Glück des Kindes. – Dennoch aber lehnte sich der Geschäftsmann auf: Ein Poet! Ein unpraktischer Mensch! Und noch dazu – nein, die Sache ginge denn doch wohl nicht. –

Wie unerwartet kam ihm daher das, was an einem stöbernden Novemberabende geschah.

Wir sahen ja, Mildau war schon von Natur aus ein tiefer gegründeter Mensch, als seine Genossen in der Regel zu sein pflegen. Geld und Geschäft war wohl sein erstes, aber nicht sein letztes. Und wenn er zuweilen an Kopfschmerz litt, so gestand er ganz offen, es wären die leidigen Ziffern daran schuld, die sich in sein Gehirn eingenistet und die guten, gesunden Gedanken daraus vertrieben hätten. Er fühlte das Bedürfnis, jeden Tag ein Stündchen aus seinem Geschäftskreis zu fliehen, um ein Mensch zu sein wie andere Menschen auch, die keine Reichtümer und keine Orden hatten, und das Beste an dieser Welt, das Familienglück und die Schönheiten der Natur dennoch in reichem Maße genossen. Es war gar nicht zu leugnen, der Mann hatte eine poetische Ader an sich; er freute sich nicht allein an dem goldenen Steigen der Kurse, sondern auch an dem goldigen Sonnenmorgen; und oftmals, wenn ein Gewitter mit Blitz und Donner über die Stadt zog, verließ er sein Kontor, in welchem die feuerfesten Kasten standen, und ging auf den Söller des Hauses, um das Naturspiel zu betrachten. Irgendwo in seinen alten Papieren, vielleicht im Wanderbuche des Tuchmachers noch, mußten sich sogar etliche Gedichte von ihm finden.

Humoristische Gelegenheitsstrophen von Mildau zu Familienanlässen ober einem vertrauten Freunde zu Ehren waren seitdem sogar auf gut geleimtem Papier gedruckt worden, natürlich aus Rücksicht für den kaufmännischen Kredit nicht unter dem wahren Namen des Verfassers. Mildaus idealer Sinn war es auch gewesen, der sich einst unter den besten Familien der Stadt eine wenngleich vermögenslose, so doch feingebildete Braut zu suchen und zu erringen gewußt. Es gab eines der glücklichsten Ehepaare.

Heute war ein unwirtlicher Novemberabend. Ein heftiger Sturm hatte den Winter gebracht. Große Schneeflocken wirbelten an den Gebäuden nieder und tanzten um die flackernden Laternen.

Mildau verließ, in einen guten Mantel gehüllt und eine Zigarre schmauchend, sein Haus und schlenderte durch die gewundenen Gassen hinaus gegen die blattlosen Alleen der Promenade. Die stillen kalten Flocken taten ihm wohl; die Dunkelheit schützte ihn vor dem Grüßen und Gegengrüßen – er war im Bewußtsein des Glückes, sich selbst zu gehören.

In einer ähnlichen Stimmung schwelgte auch Gabriel Stammer, als er an jenem Abend, aus einem Deklamationssaale fliehend, durch die menschenlose Öde schritt, die sich um die Stadt zog, und die mit ihren Platanen, Büschen und Gartenhäusern zur Sommerszeit die Wonne der spazierenden schönen Welt ausmachte.

Heute waren die beiden Männer völlig allein. Aber sie blieben es nicht. Sie begegneten sich, sie begrüßten sich bei dem trüben Scheine einer Laterne.

»Auch Sie gehen dem Winter entgegen?« sagte der Kaufmann leutselig.

»Entgegen und schnurgerade hindurch – dem Lenze zu«, antwortete Gabriel.

Dann gingen sie langsam nebeneinander hin und ließen den Flockenschleier still über sich niedersinken.

»Herr!« sprach Gabriel plötzlich, »ich glaube, der Zufall kommt mir zustatten. – Ich hätte Ihnen ein wichtiges Wort zu sagen.«

– Haben Sie ein Anliegen, lieber Freund, so seien Sie offen. – Mildau wollte es sagen, schritt aber gleichmäßig weiter, schwieg und blies viel Rauch in das Gestöber hinein.

Eine Weile verging, ohne daß einer ein Wort sprach.

»Herr Mildau,« sagte endlich Gabriel leise, »ich mache Ihnen das Geständnis, daß ich Ihre Tochter so sehr liebhabe.«

»Was tausend!« rief Mildau laut aus, ärgerte sich aber sofort über diesen Ruf – er wollte ja doch platterdings nicht passen für seine Stimmung und für des jungen Mannes Bekenntnis. – Gabriel blieb nun stehen; Mildau mußte dasselbe tun. Gabriel sagte: »Geben Sie mir Anna zum Weibe.«

Da hub der Kaufmann an, auf dem weichen Schnee wieder zu wandeln. Beide schwiegen. Die Flocken schmolzen, die an Gabriels Wangen vorübertanzten.

»Haben Sie denn schon mit meiner Tochter darüber gesprochen?« fragte nun Mildau mit völlig klangloser Stimme.

»Ich habe mit ihr darüber gesprochen,« antwortete Gabriel, »sie hat nicht nein gesagt. Sie wies mich an ihre Eltern.«

Wieder schritten sie schweigend. Auf den Hüten der Wandelnden schwollen die flaumigen Schneehauben. Mildau räusperte sich; Gabriel schlich ganz auf den Zehenspitzen und hielt schier den Atem ein, da – wurden sie unterbrochen.

Ein Geschäftsfreund Mildaus war hastig des Weges gehuscht; er kam aus einer Filiale der Vorstadt, fluchte über das Wetter, machte Späße mit seinem Fanghund – dem Poeten war ganz gräßlich zumute – und suchte Mildau mit sich fort gegen die Stadt zu zerren: »Komm', Alter, heut' trinkst du mit mir eine Tasse Grog. Hast du das Hamburger Kursblatt gelesen?«

»Ich komme nach, Freund, ich komme nach!« versetzte Mildau rasch. Der andere eilte wegsüber davon. Mildau und Gabriel, wieder allein, schritten weiter.

Lange waren sie stumm. Gabriel hörte fast die Schneeflocken fallen.

Plötzlich tat der Kaufmann mit lebhafter Stimme die Frage: »Als was, junger Mann, als was wollen Sie heiraten?«

Als Mann. Das Wort lag auf der Zunge; der Werber würgte es glücklich hinab. Doch die Frage des Geschäftsmannes heischte Antwort.

»Der günstige Erfolg meiner Waldlieder –«

»Sie sind der Dichter der Waldlieder«, unterbrach ihn Mildau. »Das weiß ich und freut mich. Doch aufrichtig gesprochen, lieber Freund, Waldlieder singt jeder Fink. – Ich bitte um Entschuldigung. Ich möchte Sie nicht beleidigen in einem Augenblick, da Sie mir bekennen, daß Sie das Wesen lieben, welches auch mir über alles teuer ist. Und – Sie mögen es sogleich wissen – ich bin prinzipiell der Verbindung nicht entgegen. Ich zweifle nicht daran, daß Sie lediglich nur die Persönlichkeit meiner Tochter bestochen haben wird. Doch hier müssen Sie nicht allein mit dem Herzen, sondern auch mit dem Kopfe rechnen. Sie sind ein unbemittelter Mann; meiner Tochter hingegen muß bewußt sein, daß sie das Kind eines vermögenden Hauses ist. – Vor kurzer Zeit erst ist in ähnlichen Verhältnissen eine Verbindung eingegangen worden. Ich kenne das Paar, es ist eines der beneidetsten der Stadt, und dennoch weiß ich, daß die junge Frau jetzt schon ihrem Gatten vorwirft: Was waren Sie, was hatten Sie, ehe ich Ihnen die Hand gab? – Freund, wie unangenehm müßte so etwas Ihr zartes Gemüt berühren! Glauben Sie mir, auch in den sogenannten besseren Ständen gibt es niedrig denkende Leute.«

»Aber, Herr Mildau –«

»Sie verteidigen meine Tochter. Ich auch. Ich denke, Anna wird einen Gatten glücklich zu machen wissen. Doch sollten Sie auf alle Fälle – und wäre es nur bloß der Welt willen – auch Ihrerseits auf etwas pochen können. Sie verstehen mich.«

»Ich verstehe«, sagte Stammer. »Herr, ein zagender Bursche trat heute vor Sie; ein entschlossener Mann sagt Ihnen seinen Dank.«

Nach kurzer Zeit hatten sie sich getrennt, und die Flocken verhüllten bald die Spuren ihres Fußes.


 << zurück weiter >>