Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Eine Christenlehre in der Einöde

Für den Heidepeter kamen nun Sorgen noch ganz besonderer Art, an die er nie gedacht hätte. Sein Bub, sein Gabriel! Der hatte angefangen, so Gesangeln auszudichten, weltliche, immer einmal nichtsnutzige, die er dann gern sang, die auch Haberturms Rudolf sang und sogar die Regina! – Dem Peter wollte es nicht gefallen, das; doch sein Weib sagte: »Ist halt ein Übermut, der Bub. Aber daß es was Schlechtes ist, was er zusammendichtet, das kann man nicht sagen. Immer einmal ist es gar was recht Frommes und Erbauliches.«

»Gott geb's!« seufzte der Heidepeter.

Da kam jener Tag, der dieses Elternpaar erst hochbeglückte und dann in die bitterste Trostlosigkeit stürzte.

Zur Herbstzeit, als das Fest Maria Geburt kam, war Christenlehre in der Einöde.

Das war immer der schönste Tag für die Zapfenwirtin. Nicht zu glauben, was es da alles zu tun gab im Hause; aber sie war eine religiöse Frau, sie fand auch noch Zeit zum Aufputzen des Altars im Kirchlein.

Auch Davidl, der »junge Herr«, folgte dem Beispiele seiner Mutter; am Christenlehrtag war er immer herausgeputzt wie ein Hochzeiter, und man kann's wohl sagen – er hatte die schönsten Kleider unter allen Burschen der Einöde. Der Davidl hatte seit seiner Kindheit, sowohl wenn ein Gewitter im Anzuge war, als auch zum Eingange der Christenlehre in der kleinen Kirche das Glöcklein geläutet.

So tat er's auch heute wieder; dabei lugte er aber angelegentlich in einen Handspiegel, ob sich die Schönheit seines Gesichtes durch die starke Anstrengung nicht etwa verminderte. 's ging an, oder wollten die Wangen nicht doch ein wenig zu breit auseinanderfletschen?

Als endlich der Herr Provisor in Begleitung des Haberturm des Weges herankam, eilte ihm die Wirtin schon von weitem entgegen, sagte dreimal »Küß d'Hand, Hochwürden Herr!« und siebenmal »Nein, das ist der schönste Tag in meinem Leben! Das sag' ich heut' und allemal: Wir haben einen goldenen Herrn Pfarrer, und im Falle der einmal von Rattenstein wegkommen sollt', so geb' ich nicht nach bei meinem Mann, und wir verkaufen das Haus und ziehen dem hochwürdigen Herrn nach.«

Der Provisor war auch artig und hielt die Zapfenwirtin lange bei der Hand, und die Zapfenwirtin blickte in der Runde umher, ob die Leute, die vor dem Wirtshause bereits versammelt waren, es denn doch wohl auch bemerkten, wie gut sie mit dem Pfarrer stehe.

»Wem gehört das blaugekleidete Mädchen dort?« fragte der Provisor.

»Ah, das ist die Heidepeterisch',« antwortete die Wirtin und rümpfte ein wenig die dünne Nase, »nu ja, 's könnt' ein recht nettes Dirndl sein, aber – man muß sagen, was wahr ist – sie wachst bei diesen Leuten da oben auf wie der Baum im Wald, nur daß sie zu keiner Krone kommt. Mein Tausendherz! und der Schulmeister, der alt' Ketzer, hat sie auch verdorben. Ja, dasselb' kann ich nicht oft genug sagen, 's ist ein heiliges Glück, daß dieser Mensch – wie red' ich nur gleich – schön fest mit Erden zugedeckt ist – Gott wird mir die Sünd' vergeben, aber die ganze Einöd hätt' er angesteckt und verdorben!«

Im Kirchlein brannten zwei Kerzen, vor demselben war ein weißgedeckter Tisch aufgestellt, und um den Tisch in einem weiten Kreise auf dem grünen Rasen lagerte sich die Gemeinde Einöde.

Davidl hatte das Glöcklein schweigen lassen, saß nun neben dem Haberturm und blickte auf sein schwarztuchenes Beinkleid. Gabriel war an ihm vorübergegangen und hatte ihm ein »Grüß dich Gott, David« gegeben; aber der junge Zapfenwirt tat, als höre er es nicht, er schämte sich heimlich vor den Leuten, daß ihn dieser »ausgehungerte Kleinhäusler, der Dalkerd-Bub«, so vertraulich gegrüßt hatte. Dem Gabriel tat es einen Augenblick weh, daß sein Gruß unerwidert geblieben war, er vergaß es aber gleich und setzte sich im Hintergrunde ruhig zu seiner Schwester.

Der Hahnenkamp war seit langem heute zum ersten Male wieder beim Zapfenwirt. Er hatte es seinerzeit auch seinem Gesinde verboten, je ein Glas bei »der alten Waldschnepf« zu trinken, und er preßte zum Ersatz alljährlich einen Eimer Holzapfelmost, zu dem er drei Eimer Wasser goß. Das Gesinde war mit diesem Ersatz wirklich auch zufrieden, nur der Stallknecht sagte einmal:

»Daheim trinken, das heißt nichts, da kriegt man keinen Rausch und Rauferei gibt's auch keine.«

Heute also war der Hahnenkamp wieder einmal beim Zapfenwirt. Aber er ging nicht ins Haus, er sah es gar nicht an, und als die geschäftige Schänkin vorüberlief, redete er absichtlich mit dem Heidepeter, um zu zeigen, daß ihm sogar der Dalkerd lieber sei als die Waldschnepfe.

»Ruck' ein Trümmel, Dalkerd!« sagte der Hahnenkamp mit spöttisch herablassendem Lächeln, »bist wohl schon fertig mit dem Habersäen?«

Da lachten alle Umstehenden und Umsitzenden, denn das war ein Spott auf die langsam vorwärtsgehenden Arbeiten im Heidehause, der Hafer mußte ja bereits reif sein.

Der Heidepeter legte seine Hand an das Kinn und strich ein wenig seinen leichten falben Schnurrbart, wie er immer tat, wenn er was sagen wollte, es aber doch unterließ. Von dem Heidepeter hatte noch niemand Hohn und Spott erfahren; er sprach in seiner Gemütlichkeit oft spaßhafte Worte ohne Arg und Hinterhalt, die ihm aber nicht selten als hämische Bemerkungen ausgelegt und übel vergolten wurden. So wollte er auch heute entgegnen: »Angesäet hab' ich wohl schon, aber abgeschnitten noch nicht« – doch er schwieg.

Endlich hatte der Haberturm, der hier die Kirchendienerstelle vertrat, dem Provisor den Chorrock und die Stola umgehüllt, und die Christenlehre hub an.

Nachdem sich der Priester an dem weißgedeckten Tisch niedergelassen hatte und sich mit der flachen Hand ein paarmal über den Glatzkopf gefahren war, begann er:

»Geliebte! Ihr in der Einöde hier seid dem Himmel näher als wir draußen in Rattenstein. Warum? Erstens, weil die Berge höher sind, und zweitens, weil ihr in eurem Tun und Mühen in dieser Gegend viel größere Beschwerden und viel weniger Gewinn habt als die Bewohner gesegneter Landstriche. Doch harret aus in der Geduld, eure Leiden und Beschwerden werden eingetragen in das Buch des ewigen Lebens, und euer Gewinn ist der Himmel!«

Bei diesen Worten hörte man den Heidepeter krampfhaft aufatmen, man wußte nicht, war es ein Schluchzen oder ein zurückgehaltenes Lachen. Er wußte es selbst nicht; er war so bewegt, es war ihm so trostreich im Herzen.

Der Priester fuhr fort:

»Und eben, weil ihr so sehr beladen seid mit Not und Plage, wird in kirchlicher und geistiger Beziehung nur wenig von euch verlangt; ihr hört dann und wann auf gute Meinung und für die armen Seelen im Fegfeuer eine Messe, empfanget fleißig die heiligen Sakramente und betet euren Rosenkranz. Ich will euch heute das Gebet, aus dem der Rosenkranz zusammengesetzt ist, das Vaterunser, auslegen. Ihr werdet es wohl alle kennen, ich zweifle nicht, ich will es nur von irgend jemandem hersagen lassen, damit wir hernach anfangen können. Zum Beispiel du dort, Rotschopf, sprich uns jetzt einmal laut und deutlich das Gebet des Herrn!«

Der Provisor sah den Davidl an; dieser glotzte vor sich hin.

»Hörst du, Junge? Ja, den mit den Brillen meine ich.«

Jetzt entstand ein Gelächter.

Die Zapfenwirtin flüsterte von rückwärts:

»Die Brillen laß dem Herrn Pfarrer über, damit er ein anderes Mal besser sieht. Steh' schön auf, Davidl, und bet' das Vaterunser, kannst es ja!«

Nach und nach erhob sich der Bursche, blickte verwirrt um sich und dann den Provisor an, ob es denn wirklich sein Ernst sei; er wußte nicht, war es eine Ehre oder eine Beschämung, daß er, der junge Zapfenwirt, jetzt so vor allen Einödbewohnern das Vaterunser sagen sollte.

»Sei gescheit, Davidl!« flüsterte die Schänkin in Todesangst, und plötzlich begann der Bursche:

»Va druns erd bis nim gal werd nam gums reich wilg sche niml al sauf erscht; gims heit ste brod gims un schul alsa mir va gen schul gern sir nit vers an les al nibl amen.«

Genau so wird das heilige Gebet in manchen Gegenden hergeplappert – nicht hochdeutsch, nicht Mundart, bloß ein mechanisches Zungenspiel; das kommt von dem Mißbrauche der unzähligen Wiederholungen im »Rosenkranz«.

Und genau so hatte es Davidl gesprochen, so daß der Provisor den Kopf schüttelte und den Haberturm fragte: »Habt Ihr ein Wort verstanden?«

»Verstanden dasselb' just nicht,« antwortete dieser, »aber das Vaterunser ist's gewesen, dasselb' weiß ich.«

»Dort hinten sitzt eine liebliche Jungfrau,« rief der geistliche Herr, der heute einmal sehr gemütlich sein wollte, und deutete auf Regina, »diese wird uns gewiß das Vaterunser schöner sprechen!«

Davidl zog ein merkwürdiges Gesicht.

Regina stand sittsam auf und sagte ruhig und deutlich mit mildem, innigem Tone das Gebet des Herrn.

Die Versammlung hatte den Atem angehalten und den Worten gelauscht, als seien sie eine Himmelsbotschaft und zum ersten Male gesprochen worden in der Einöde.

»Heidepeters Tochter?« sagte der Provisor.

»Heidepeters Regina!« murmelte es in der Menge. Der Heidepeter duckte sich ein wenig hinter seinen Nachbar, und er legte die Hand ans Kinn und tat wieder jene krampfhaften Atemzüge, von denen kein Mensch wußte, war es Lachen oder Weinen.

»Dein Dirndl ist rechtschaffen brav!« lispelte ihm der Nachbar zu.

»Ich könnte nun die Christenlehre eigentlich schließen,« sagte der Provisor, »denn Heidepeters Regina hat das Gebet nicht allein gesprochen, sie hat es durch die richtige, schöne Betonung auch erklärt.« Hierauf sprach er, wie das Vaterunser ein gar wunderbares Gebet ist, welches sich nicht durch Worte auseinandersetzen und verständlich machen läßt, sondern nur durch den Hauch des Gemüts, und er redete noch manches über einzelne Sätze dieses Gebetes.

»Ferner,« fuhr er fort, »eine Handlung, die wir des Tages fast ebensooft begehen als das Abbeten des Vaterunsers, ist das heilige Kreuzzeichen. Das ist das Siegel aller unserer Andachtsübungen und guten Werke, und auch wir wollen heute das unserige damit beschließen. Der Rotschopf dürfte ungehalten sein, wenn wir ihm nicht das Recht ließen, uns das heilige Kreuzzeichen schön und deutlich zu machen. Nun, Rotschopf?«

»Das Kreuz sollst machen, Davidl!« lispelte die Wirtin wieder.

Der Bursche war ganz verwirrt; erbittert zerrte er an seinem feinen Beinkleid, das nicht einmal imstande war, ihn, den jungen Zapfenwirt, gegen solch unerhörte Zumutungen zu schützen. Endlich hob er die Hand und fuhr sich im Zickzack über das Gesicht.

»Nun, so zeig' den Einödern einmal das Kreuzzeichen!« rief der Provisor.

Davidl riß den Mund auf, und dieser verlängerte sich weit in die Wangen hinein, und die gelben Augenbrauen zuckten, und die kleinen Augensterne verkrochen sich in die Höhlen.

Endlich machte er mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit wieder das Zickzack über das verzerrte Gesicht.

Der Anblick brachte die ganze Versammlung zu einem lauten Auflachen. Der Provisor aber sagte: »Junge, komm' am Sonntag hinaus nach Rattenstein; des Baders dreijährig Bübel wird dich das Vaterunser und das Kreuzzeichen lehren. Schäme dich!«

Das war zuviel.

»Komm', Davidl,« zeterte die Wirtin, »hab' gemeint, der Herr Provisor wollt' uns heut' eine Christenlehr' halten, jetzt ist eine Schimpfschul' daraus geworden, und du sollst sein Spottmandl sein. Dazu bist du nicht da, das sag' ich! Komm', Davidl!«

Der Bursche machte eine unbeschreibliche Gebärde gegen den Priester und lief davon.

Der Provisor blickte ihm nach und suchte dann wieder seine gemütliche Miene zu gewinnen.

»Lebensart gibt's in der Einöde nicht zum Überfluß,« sagte er, »aber man muß euch manches zugute halten. Indes sind wir mit dem Kreuzzeichen noch nicht fertig; wenn ihr, wie ihr gern sagt, ein großes Kreuz tragt im Leben, so wird man wohl auch das Kreuzzeichen bei euch finden. Der Bursche neben der Regina! Bist du nicht der Heidepetersohn? Der Gabriel Stammer? Schön! Zeig' uns das Zeichen des Kreuzes! – Brav! – Ich höre, du bist ein weiser, vielbelesener Mann, der sogar dichten kann; erkläre uns einmal das heilige Kreuzzeichen!«

Gabriel hatte sich von dem Rasen erhoben; aller Augen waren auf ihn gerichtet.

»Ich habe über das Kreuzzeichen nur das gelesen, was in dem Katechismus davon steht,« begann der Bursche, »aber ich habe darüber auch sonst nachgedacht. Es erinnert mich an die heilige Dreifaltigkeit, an die Schöpfung, Erlösung und Heiligung. Und das dreifache Zeichen erinnert mich auch an Glaube, Hoffnung und Liebe; an Glaube und Hoffnung denke ich, wenn ich die Kreuze über das Angesicht mache, und bei dem Zeichen auf der Brust, am Herzen, denke ich an die Liebe.«

Gabriel schwieg. Die Leute nickten einander mit den Köpfen zu, und der Heidepeter duckte sich wieder ein wenig hinter seinen Nachbar nieder und strich sich den Bart.

»Recht schön!« versetzte der Priester kalt, »aber der Liebe gibt es verschiedene Arten, du meinst doch wohl die Liebe zu Gott?«

Gabriel zögerte einen Augenblick mit der Antwort, dann entgegnete er mit einer gewissen Lebendigkeit:

»Auch die Liebe zu den Menschen. In den Menschen können wir Gott lieben, denn wir haben kein getreueres Ebenbild Gottes als die Menschen. Darum ist es überflüssig, daß wir mit unseren Händen uns leblose Bilder machen von ihm; Gott ist allgegenwärtig, ist in allen seinen Geschöpfen, sagt der Glaube. Durch die Liebe und Verehrung der toten Zeichen aber vergessen wir nur zu leicht auf die Liebe zu den lebendigen Geschöpfen Gottes auf der Welt. – So denke ich mir, und so hab' ich's ausgesprochen, weil mich Euer Hochwürden darum gefragt haben.«

»All mein Lebtag hinein, jetzt kann der predigen«, sagten die Leute zueinander.

Der Provisor war von seinem Platz aufgestanden, winkte mit der Hand, daß Gabriel vortreten möge und sagte dann halblaut, aber so, daß es die Umstehenden noch hören konnten:

»So ist's denn doch wahr, daß mit diesem Bieder Unheil in die Einöde gekommen! – Ich ahnte es schon lange, aber in der Hoffnung, daß du zur Vernunft kommen würdest, schwieg ich.« Und zu den Leuten: »Wie ich hörte, soll er eine Anzahl Bücher besitzen; ist das so, dann trage ich euch auf, dem Jungen die Bücher wegzunehmen und sie an mich abzuliefern. Einödbewohner, ihr wollt doch keinen Irrgläubigen in eurer Mitte?«

Da ging ein Murren durch die Versammlung gegen Gabriel.

»Nun gut,« fuhr der Geistliche fort, »ihr habt die Worte des Burschen gehört; sie sind Worte der neuen Lehre, die anstatt Liebe zu Gott, Liebe zur Welt predigt!«

»Ich möchte noch ein Wort reden!« sagte Gabriel, aber da schrie die Menge aufgebracht:

»Still sei, du Heide! Davonjagen wird man dich. Solche Leut' bringen uns noch Schand und Schmach in die Einöd'!«

»Mäßigt euch, meine lieben Pfarrkinder,« versetzte der Priester, »so weit wird es wohl noch nicht gekommen sein: die Scharte wird sich auswetzen lassen. Ihr, Haberturm, oder Ihr, Hahnenkamp, einen Gotteslohn könnt ihr euch erwerben, wenn ihr den Burschen als Knecht in euer Haus aufnehmt und ihn fleißig zum Arbeiten anhaltet; denn ein Kirchenvater sagt: Emsig arbeiten ist das beste Mittel gegen Verirrungen.«

Jetzt drängte sich der Heidepeter vor; er hatte es anfangs kaum begreifen können, was da mit seinem Sohne vorging, nun aber rief er laut, wie sonst nie:

»Wollen 'leicht die Leute mich und mein krankes Weib zugrunde richten? Was tät' ich denn, wenn ich den Buben nicht hätt'? Ich sag' euch das vor Gott: ich laß mein Kind nicht davontreiben wie ein Kalb; wenn es was Schlechtes tut, so werde ich's schon selber strafen!«

»Du bist der Dalkerd«, unterbrach ihn der Rindenschlager-Lenz.

»Der Bub bleibt da bei uns,« riefen andere, »und wir gehen sogleich in das Heidehaus und suchen die Bücher auf.«

Jetzt stellte sich Gabriel vor den Provisor und sagte:

»Herr Pfarrer, ich bitte um Schutz für mein Eigentum!«

Der Priester tat, als überhöre er das Wort und rief dem Haberturm zu:

»Was Ihr Verdächtiges findet, das bringt mir in den Pfarrhof.«

»Herr Pfarrer«, rief Gabriel gewaltig erregt: »Ich habe eine kranke Mutter! Sind Sie in den Wald gekommen, um Raub zu predigen?«

»So schlagt ihn doch gleich nieder, den Lästerer!« lärmte die Menge.

Da kam Regina herbei und beschwor ihren Bruder, kein Wort mehr zu reden. Der Heidepeter verdeckte sein Gesicht mit den Händen.

»Wo die Lästerzunge spricht, da schweigt das Wort Gottes«, sagte der Priester mit einem Ton tiefer Kränkung. »Die Christenlehre ist zu Ende.«

»Ich liefere die Bücher freiwillig aus,« sagte Gabriel, »aber wer mir noch in mein Haus dringt und meinen Eltern eine Unbill antut, den – Herrgott! wo ist deine Gerechtigkeit!«

»Mein armes Weib, meine unglücklichen Kinder!« stöhnte der Heidepeter.

»Jetzt ist's aus, Dalkerd«, rief ihm der Haberturm zu. »Dein Klagen macht's nicht besser. Wer sich Kieselsteine ins Bett tut, der muß auf Kieselsteinen liegen. – Ei der Tausend, daß ich nicht vergeß, einen Brief hab' ich für dich in der Taschen. Er ist schon eine Zeit gelegen draußen beim Rattensteiner Postmeister – so hab' ich ihn mit hereingetragen. Da greif' an; 's wird kein Tausender nicht drin sein!«

Der Heidepeter machte eine ablehnende Bewegung mit der Hand. Er kenne dergleichen Briefe. Endlich nahm er ihn doch und murmelte zu Gabriel:

»Schau, Bub, kommt alles der Reih' nach, jetzt ist die Abstiftung auch da!«

»Dieser Brief ist nicht vom Amt,« sagte Gabriel, »er hat ein fremdes Siegel, und die Aufschrift trägt meinen Namen.«

Er erbrach das Schreiben, steckte es aber ungelesen in die Tasche; er konnte in diesem Augenblick nicht lesen, es kochte sein Blut.

Endlich ging er mit seiner Schwester seitwärts, fiel ihr um den Hals und weinte.

Die Wirtin brachte für den Provisor eine Flasche Wein auf den Tisch.

»Wenn mein Davidl auch nicht so vornehm das Kreuz machen kann,« bemerkte sie giftig, »und wenn er auch nicht so schön predigen kann wie der Heidepeterisch', so ist er doch – Gott sei die Ehr'! – ein guter Christ und kein Ketzer, und wir machen uns nicht lustig über die lichtblonden Haare, wie sie ihm Gott erschaffen hat. Besser Rotschopf wie Kahlkopf.«

Der Herr Provisor suchte die Bemerkungen hinabzuwürgen und schwemmte sauren Wein nach. –

Der Davidl saß zu dieser Stunde auf der mittleren Fichte im Geierneste. In seiner Wut zerknitterte er das Reisig und zernagte seine Finger. Er kauerte sich in das Nest, er bildete sich ein, er sei ein Geier und werde abfliegen und dem Pfarrer die Augen auskratzen.

Es war ihm doch eine Pein, hier oben zu sitzen, denn unten, gerade unter den Bäumen, fingen sie an, Kugel zu schieben; Rudolf war Kegelbub und strich den Gewinn ein. Davidl schleuderte Tannenzapfen hinab, ließ dürre Aststrünke fallen, bis Rudolf sagte:

»Da mag sich einer seine Kegel selber aufsetzen, ich laß mir keine Büberei gefallen!« und ging davon.

Er wollte sich nach dem Heidepeter umsehen, um ihn zu beruhigen, da eilte ihm Gabriel entgegen mit freudeleuchtendem Gesicht. Den Brief in der Hand schwingend, rief er:

»Eine andere Zeit, Rudolf, höre! Ich geh in die Fremde! Ein Herr in der Hauptstadt hat etwas von mir erfahren. Ja, ich meine gar, das ist derselbe, dem ich den Brief geschickt habe. Er schreibt, ich solle zu ihm in die Stadt kommen und lernen. Siehst du, das ist doch ein guter Mensch, jetzt will er mir helfen, daß ich was kann lernen. Gute Leute hat er für mich gesucht und gefunden, ich soll nur gleich kommen, schreibt er. Schau doch nicht so drein, Rudolf, lies!«

– Wie sie kurz und vielsagend und ernst waren, und wie sie anheimelten, die Worte des fremden Mannes, der bereit war, sich des armen, lernlustigen Burschen anzunehmen!

Rudolf hielt das Blatt lange in der Hand und blickte seinen Freund schweigend an.

»Was willst du tun?« fragte er endlich.

»Wie kannst du fragen?« antwortete Gabriel.


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