Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Wer die Leut' nur sind, und was sie wollen!

Mittlerweile stürzte im Dorfe das graue Männlein umher, rief die Leute aus den Häusern und wollte Sturm läuten lassen. Sein Schützling sei ihm abhanden gekommen. Es sei ein wunderliches Kind, sei auch zu Hause schon einmal davongelaufen und ganz absichtlich mitten in die größte Todesgefahr hinein. – Noch zu rechter Zeit – Ferdinand hub schon an, seine spärlichen Locken vom Haupte zu zerren – schritt Anna die Gasse heran.

Jetzt, da die Sterne schon am Himmel standen, gingen sie erst ins Wirtshaus, wo nun Gäste zusammengekommen und Lichter aufgesteckt worden waren.

Ein Tisch war für die fremde Herrschaft bereitet und mit einem weißen Tuche bedeckt worden. Bald setzte sich zu den beiden der Kirchenschneider, der heute die weiße Schürze umgebunden und das grüne Samtkäppchen auf dem Kopfe hatte. So vornehme Gäste traten nicht jeden Tag über seine Schwelle herein. Er wollte aber zeigen, daß man auch auf dem Dorfe weiß, was sich schickt. Tat sofort seine Tabaksdose hervor, hielt sie auf der hohlen Hand dem Herrn hin: »Gefällig?«

Ließ sich's nicht zweimal sagen, der Alte. »Mit Erlaubnis« tunkte er seine Finger tief ein. Hierauf der Wirt gegen das Mädchen: »Auch gefällig?«

»Danke!« sagte dieses und wurde ein wenig rot.

Die Dorfhonoratioren, welche die Wirtsstube füllten, wollten heute nicht recht in ihre gewohnte Lebhaftigkeit kommen. Sie saßen nur so kleinlaut bei ihren Stammgläsern und rauchten aus Pfeifen. Die beiden Fremden machten ihnen zu schaffen. – Wer sie nur sein mögen! Er ist nicht der Vater, und sie ist nicht die Tochter. Er schaut aus wie ein vazierender Schulmeister. Weinhändler wird er doch nicht sein? Sie ist ein lieber Schatz. Ei, reisende Musikanten sind es, das liegt doch auf der Hand; heut' gibt's noch Musik beim Kirchenschneider; die Junge wird singen, der Alte wird eine Harfe oder dergleichen spielen. Ich denke, wir holen unsere Weiber. –

So wurde gemutmaßt. Der Wirt machte wieder den Mund auf und sagte in sehr leutseligem Tone zu den Fremden: »Mit Verlaub, wo sind wir her?«

»Schnurgerade aus der Metropole«, antwortete Ferdinand und nieste auf die Prise.

»Wahr ist's!« versetzte der Wirt in landläufiger Bemerkung über das Niesen.

»Warum sollt's nicht wahr sein?« fragte der Graue.

Die Leute blickten sich an. – Metropole? Von dem Land hätten sie noch nie was gehört.

»Ein wenig Geschäfte da herum?« hierauf der Wirt.

»Eben nicht. Wollen nur so ein bißchen die Gegend anschauen«, sagte Ferdinand. »Wie geht sich's denn da in die Einöde hinauf?«

»In die Einöde? Sehr weit. Schlechter Weg, nichts zu sehen; lauter Wald, etliche Bauern- und Holzerhütten darunter. Nicht der Mühe wert.«

»Wenn Sie eine gute Aussicht genießen wollen, so müssen Sie den Karnstein hinaufsteigen«, rief einer von den benachbarten Tischen herüber.

»Oder auf den Gilgenberg«, ein anderer. »Die Rederer-Werke sollen Sie sich aber ansehen.« – »Und auf die Ruine Breitenwart zu gehen, dürfen Sie ja nicht versäumen!« »Alles nichts. In die Wolfshöhle müssen die Herrschaften, kaum eine Stunde vom Ort, prächtig, sage ich Ihnen! werden es nicht bereuen.«

So kamen sie nun alle mit gutem Rat.

Das Mädchen saß bewegungslos da und senkte die Wimpern. Der Alte verstand es.

»Wir wollen doch vor allem in die Einöde«, sagte er, und um das Vorhaben nur irgendwie zu begründen: »Es muß dort so viele Krammetshäher geben.«

»Krammetshäher? Oh, die sind jetzt noch nicht an der Zeit«, riefen mehrere Stimmen.

»Auch ist das Fräulein hier eine große Freundin von Erikenkraut.«

»Ist lange schon verblüht«, sagten sie, und Ferdinand, der sonst wohl die Zeit der Krammetsvögel und Eriken gut genug kannte, härmte sich seiner erwiesenen Blöße wegen. Er war diesen Menschen im Grunde gar keine Verantwortlichkeit schuldig, aber das war eigen an ihm, wo er hinkommen, mit wem er zu tun haben mochte, sein gutmütiges Wesen ordnete ihn überall unter den Willen anderer.

»Die Einöde,« fuhren die Tischnachbarn eifrig fort, »die ist nur für Förster, Jäger und Wildschützen was und schließlich für etwelche Strolche . . . die Wälder sind groß, wüst, und die Leute drin wachsen auf wild wie die Bäume; man hört just nicht viel Gutes von ihnen. Man hört gar nichts; alles bleibt versteckt. Es ist sozusagen finster in den Wäldern. Nicht zu raten, für so zwei Reisende nicht zu raten!«

Der Graue trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem Tisch.

»Jetzt sitzen wir da«, brummte er und schielte über die Achsel gegen das Mädchen. »Was meinst, morgen nach dem Aufstehen, was werden wir anfangen?«

Anna saß unbeweglich da und senkte das Auge.

»Doch noch in die Einöde«, hauchte sie endlich.

»Vor zwei oder drei Tagen hätten Sie einen Begleiter gehabt in die Wälder«, sagte der Wirt, und gegen die übrigen Gäste: »Der Heidepetersohn ist wieder dagewesen.«

»Jerum!« riefen einige, »der Gabriel ein Begleiter! Der ist ja menschenscheu und lungert in den ödweiligsten Winkeln herum wie ein versprengter Rehbock.«

Jetzt hatte das Mädchen seine Augen weit aufgeschlagen.

»Der Gabriel Stammer?« flüsterte sie dem Alten zu, »und er wäre in der Gegend?«

»Wetten mag ich nichts, die Leut' da wollen zum Heidepeterhaus hinaufgehen!« rief die Wirtin, die eben mit frischgekochter Milch kam.

»Genau so ist es,« antwortete Ferdinand, »wir möchten gern das Haus sehen, in welchem der Waldsing geboren ist, und darum wollen wir in die Einöde spazieren, und das ist die ganze Geschichte.«

»Nein, nein,« sagte jetzt das Mädchen lebhaft, »wir gehen nicht in die Einöde! Wir gehen anderswo hin, auf den Karnstein, oder – . . . Nein, nur nicht in die Einöde!«

Sie war erregt und hatte plötzlich hochrote Wangen. Die Kuhmilch und den ländlichen Mehlkuchen, den sie sich eigens bestellt hatte, ließ sie fast unberührt.

»Du kindisches Herz,« sagte Ferdinand, »was wird er uns denn anhaben, der Waldsingsang, wenn wir ihm auch begegnen? Und hast es nicht fort selber gesagt, du hieltest die Gelegenheit, ihn persönlich kennenzulernen, für eine besondere Gnad' Gottes?«

»In der Stadt wohl, Ferdinand, aber hier nicht«, flüsterte sie ängstlich.

»Der Heidepetersohn!« schrie die Wirtin drein, »der ist lang' schon wieder davon, sitzt vielleicht mitten in der Stadt drin, von der ihr herauskommt, und schreibt Geschichten, die nicht wahr sind, und macht Liedeln, die kein Mensch nicht singen kann. Oder letztlich ist er im Salzburgischen und Tirolischen drin, oder Gott weiß, wo sonst; der Mensch wandert ja herum wie der ewige Jud' – kunnt's nit besser sagen – wie der ewige Jud'!«

Das Stadtkind genoß endlich einige Löffel voll der frischen würzigen Milch. Der Kirchenschneider verbiß darüber einen stillen Ärger. Da hatte er für die nobeln Gäste schon ein Extrafäßchen anzapfen und ein Huhn schlachten lassen wollen, und jetzt –

Zu Milch und Sterz braucht man nicht erst so Stadtleut', dafür ist der simpelste Drescherknecht auch noch gut genug. Ist's denn nicht wahr?

Die Partie in die Einöde wurde beschlossen. Jetzt huben die Männer von Karnstein an Wege vorzuschlagen und Führer anzurühmen. Aber Anna tupfte mit ihren Füßchen die dünnen Waden des Gefährten, er möge sich ja von der Leute Ratschlägen nicht bestricken lassen. Ganz allein und unbeirrt wollten sie durch die Gegend wandern.

Der Alte verstand seinen Liebling jedesmal; er sagte, er könne heute noch nichts Sicheres verabreden, weil man nicht wisse, was die Nacht bringen und der Morgen geben werde.

Als in der niedrigen Stube der Tabaksqualm so dicht geworden war, daß die Menschengestalten fast wie Schatten im grauen Nebel standen, sagten die beiden Stadtleute nach allen Seiten hin höflich »gute Nacht!« und ließen sich auf ihre Stuben führen.

Als das Mädchen in seiner Kammer allein war, verrammelte es Tür und Fenster mit Sesseln, Bänken und andern Möbeln, so daß Ferdinand in der Nebenstube durch die Wand schrie: »He, Prinzessin, geht er gut vonstatten, der Festungsbau?«

Da war es im Kämmerlein still geworden.


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