Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Was lieben heißt und glücklich sein

Rasch dahin flog die Zeit.

Der Kleine gedieh, und die junge Mutter ließ das Kind Tag und Nacht nicht aus dem Auge. Sie konnte nicht satt werden ihn anzusehen, ihn zu herzen und zu weinen vor Freude.

Gleich anfangs war ihr geraten worden, dem Kind eine Amme zu geben. Sie wies den Rat mit einer Entschiedenheit zurück, deren man die sanfte Frau kaum für fähig gehalten hatte. Eine Amme! Ihr Kind an eines fremden Weibes Brust! Ihr Kind genährt durch eines fremden Weibes Leben! Ihr Kind, ihres Gabriels Kind, einsaugend die Eigenschaften eines fremden Wesens! Dem Kinde vorenthalten sein erstes größtes Anrecht, zu ruhen an der Mutterbrust, an dem Mutterherzen; das süße, hilflose Geschöpfchen gleichsam hinausgestoßen in die Fremde, daß es seine ureigenste Heimat nimmer ganz kennenlerne und finde!

Glühenden Zorn empfand Anna über eine solche Zumutung.

»Und du kannst das so ruhig hinnehmen?« fragte sie ihren Mann.

»Deiner Gesundheit willen hätte ich's zugegeben«, antwortete er. Insgeheim doch war er glücklich darüber, daß sie die Sitte verwarf, die ihm, wo die Not sie nicht gebot, als die unbegreiflichste schien von allen Verirrungen, denen die Gesellschaft anheimgefallen. Anna verschmähte selbst eine Wärterin. Ihr gehörte das Kind, und auch die Mutterliebe kann eifersüchtig sein. Der Wiegenkreis des Kindes war ihre Welt.

»Wird sich alles geben, wenn Zeit und Weile kommt!« sagte der alte Ferdinand, »das erste Kind trinkt Mutterblut.«

Es konnte wohl kein Wunder sein, daß Anna, dieses so zart organisierte Wesen, etwas blässer wurde, als das die frische Landluft sonst leiden mag. Sie sah seit der Mutterschaft noch fast jünger und milder aus als früher. Und wenn sie Gabriel zuweilen still beobachtete, wie sie dasaß vor der Wiege, das Kind auf dem Arm – madonnenhaft –, da fielen ihm wohl des Dichters Worte ein:

Schön ist der Mutter
Liebliche Hoheit!
– – – – – – – Nicht auf der Erden
Ist ihr Bild und ihr Gleichnis zu schauen.

Niemand aber hörte es, wenn Anna, am Bette des kleinen Engels wachend, ihres anderen Dichters Worte summte:

Hab' überglücklich mich geschätzt,
Bin überglücklich aber jetzt.
Nur die da säugt, nur die da liebt
Das Kind, dem sie die Nahrung gibt,
Nur eine Mutter weiß allein,
Was lieben heißt und glücklich sein.

Chamissos schönes Gedicht »Frauenliebe und Leben« trug sie stets mit sich herum, verbarg es aber vor dem Gatten. Eines Tages jedoch kam ihm das Heftchen zufällig in die Hand, und da sah er, daß das Gedicht nicht vollständig war. Das Blatt mit den zwei Liedern – vom toten Gatten und den einsamen Tagen –, es fehlte. – Um sein Weib in der fast verzehrenden Mutterliebe ein wenig zu zerstreuen, plante Gabriel einen Aufenthalt in der Stadt. Sie zog das Landhaus vor und fragte, warum er sie doch abzulenken suche von der stillen Stätte ihrer Seligkeit . . .

Mildau und seine Gattin waren zur Freude des Paares oft auf Besuch anwesend. Mit liebreicher Verehrung hing Gabriel an seinen Schwiegereltern, ihnen dankend insgeheim, daß sie in ihrer Tochter ihm ein so echtes Weib erzogen hatten. Auch zuweilen ein fremder Gast trat ins Haus. Anna machte die gefällige Wirtin, und dabei hatten ihre blassen Wangen Gelegenheit, aus zweifachem Grunde zu erröten.

Einmal aus Glückseligkeit, wenn die Gäste ihr Kind herzten; ein andermal aus Ursache der landläufigen Gemütlichkeit, die der Herr »Burgermeister« von Karnstein und auch der Schulmeister, hatten sie ihre Gläser öfter als zweimal geleert, so kernig zu handhaben wußten.

Sie ahnten nicht, daß mehr als einmal im Nebengemache die Träne eines verletzten Frauengemütes floß. – Es gibt Glockenklänge, die unverstanden wohl eine Jungfrau hören mag, die aber das Gemüt der Gattin verletzen.

In den Stunden, da Gabriel in seiner Stube saß, um zu studieren, zu arbeiten, bewachte Anna die Tür des Gemaches mit ängstlicher Sorgfalt. Sie ahnte es wohl: dem Dichter ist jede Stunde der Kraft und Begeisterung ein Besuch Gottes . . . Auf Zehenspitzen schlich sie herum, daß ja kein Geräusch ihn störe, da sein Geist still und selig im Garten der Poesie wandelte. Und kam ein Besuch, so verleugnete sie den Gatten nicht, denn eine Unwahrheit zu sagen war sie nicht imstande; doch flüsterte sie bittend: »Er arbeitet!« und führte den Ankömmling in den Garten zu den hellen Rosen und wahrte so in Treue das Stübchen des Poeten.

Dann wieder stand sie vor seiner Tür, legte die Finger an den Mund und lauschte, ob sie denn nicht den Weihekuß ihrer göttlichen Nebenbuhlerin, der Muse, vernehme. Und dann faltete sie innig die Hände über dem Herzen und flehte um Segen für das Haupt ihres geliebten Sängers.

Und wenn er dann blassen Antlitzes, im Blicke noch die Begeisterung, wieder in ihr Zimmer trat, so schritt sie ihm langsam und still entgegen, legte ihre beiden Arme über seine Schultern und schlug ihr Auge in Ehrfurcht und unbegrenzter Liebe stumm empor zu seinem Angesicht . . .

Die Seligen des Himmels! – Anna hatte ihrer längst nicht mehr gedacht. Sie fühlte nicht mehr wie einst als schwärmerisches Mädchen das Bedürfnis, in der Kirche die Botschaft des ewigen Heiles zu vernehmen, und doch war ihr Sinn religiöser als je. Edle Frauen haben ihre besondere Religion. Sie beten nicht für sich, sie beten für Gatten und Kind. Ihr Glaube ist der Gatte, ihre Hoffnung das Kind, in der Liebe opfern sie sich beiden. – Des Gatten Kuß, Ideale und Werke, des Kindes friedsames Schlummern und heiteres Spielen und Lächeln sind ihnen ebenso viele Sakramente.

Gabriel war seit seiner Vermählung kaum mehr von Annens Seite gewichen. Die Welt war ihm versunken und vergessen; nur bei der Geliebten war sein Leben. Selbst die Größe und Schönheit der Natur erfreute ihn nur mehr, wenn er sie gemeinsam mit seinem Weibe bewundern konnte.

»Ach schade,« klagte er eines Tages, »daß wir heute um zwei Uhr morgens den Mondregenbogen nicht gesehen haben. Im Dunkel der Nacht über den Einödwäldern ist er gestanden mit seinen drei wunderbar klaren Farben.«

»So hast du ihn doch gesehen, Gabriel«, sprach sie.

»Ach, was ist es, du warst nicht bei mir.«

»Du grantiger Mann, du! Jetzt auf der Stelle lache mir eins!« Da mußte er freilich lachen.

»So, mein Gabriel, jetzt habe ich den Mondregenbogen von dir. Der ist mir der liebste.«

Als das Weihnachtsfest kam, hatte das Knäblein schon so große Augen, daß sich die Lichter des Christbaumes allesamt darin spiegelten. Und es reckte die Händchen nach den Funken im Gezweige des Tannenwipfels, der heute eingekehrt war in das Haus – ein Abgesandter des Waldes, um dem Sänger zum seligen Familienfeste den Gruß der Wälder zu bringen.

Gabriel und Anna standen mit ihrem Kinde vor dem flammenden Bäumchen; sie sagten kein Wort.

»Ist dir auch so zumute, Gabriel, wie mir?« flüsterte Anna endlich, »mir ist, als wäre mein Herz aus der Brust geflogen und täte da im Christbaum brennen.«

»Oh, du lieber kleiner Poet!« sagte Gabriel und schlang seinen Arm um das Weib, »auch ich fühle es, nur hätte ich es nicht so zu sagen gewußt.«

Ein doppeltes Kind – ein kleines, zappelndes, jauchzendes und ein erwachsenes, träumendes, sinnendes, stand der Poet vor dem Weihnachtsbaum. In diesem Augenblick wurde er sich des göttlichen Glückes der Vaterschaft ganz bewußt.

Die Gottheit baut spielend dem Menschen die goldene Leiter zum Himmel, doch eifersüchtig ist sie, naht der Begünstigte dem Ziel. Allein will sie in den ewigen Himmeln walten. Vergebens mit ihr ringt der Mensch, sie mahnend an Lieb' und Gerechtigkeit. Er stürzt, denn sie ist der Stärkere.

Über Gabriel Stammer kam – wie die lieblichen Tage so hinglitten in schattenloser Schöne – zuweilen ein seltsames Gefühl der Schwermut und Bangigkeit. Er hatte diese Stimmung bisher nicht gekannt, selbst in den Tagen nicht, als er heimatlos und ungeliebt die rauhen Wege gewandelt war. – Oft ging er in den Wald hinaus, brütete über den Ring des Polykrates und sah es nicht, wie ihn die lebendige Welt anlachte von allen Seiten. Und das leichtlebige Gevögel flatterte in den Bäumen höher um etliche Äste, kam Gabriel gegangen – er war nicht mehr der ihrige.

Wenn er jedoch wieder bei Annen mit dem Kinde saß, und wenn sie ihm mit zwei Fingern die Wange streichelte und ihm recht ins Auge blickte und mit ihrer leisen Stimme das Wort »Gabriel« sagte, dann freilich zerfloß der unheimliche Schatten in seinem Gemüte.

Eines frischen, hellen Februarmorgens fuhr er auf schellendem Schlitten in die Gegend hinaus, die Schönheit des Winters zu schauen, die jene des Sommers an ernster Größe, ja selbst an Glanz und Schimmer weit übertrifft. Und da war es zum ersten Male, daß über die junge Frau, die allein am Bette des Kindes saß, eine schwere Bangigkeit kam. Es lag sonst die holde Sorglosigkeit in ihrem Wesen, eine Unverzagtheit in allem, was sie selbst betraf. Sie konnte in plötzlicher Gefahr allerdings viel heftiger erschrecken als Gabriel, aber sie fand sich und ihren Mut um so eher wieder und wußte durch ihre Gelassenheit und Besonnenheit den Gatten stets zu beruhigen. Nur wenn diesen irgend etwas zu bedrohen schien, war sie aus Rand und Band. – Was aber sollte ihn heute bedrohen? Der Wintertag war schön, die Wege und Pferde waren gut, der Kutscher war verläßlich, Gabriel frisch und gesund. Sie sah die Grundlosigkeit ihres Bangens ein, nahm ihre Zuflucht zur Zither und spielte unter leisem Fiebern der Finger das Volkslied:

Wenn ich ein Vöglein wär'
Und auch zwei Flüglein hätt,
Flög' ich zu dir . . .

Ihr Herz lächelte erst wieder, als der Knabe erwachte und sie mit den Augen des Vaters anblickte.

Noch ehe der Abend kam, fuhr der Schlitten wieder in den Hof ein. Gabriel sprang vom Gefährt und seinem Weibe um den Hals, so stürmisch bewegt, als hätte er es seit Jahren nicht mehr gesehen.

»Gott sei Dank, daß du wieder daheim!« rief Anna, »du warst doch wohl in keiner Gefahr, Gabriel?«

»Die schönste Fahrt von der Welt war es gewesen!« sagte er, »in einem frischkalten Feuer gelodert hat das ganze Tal, meiner Tag hab' ich soviel Licht nicht gesehen. Alle Bäume haben Pelze an und Mützen auf, die Häher und Ammern haben ihr helles Getue in den Zweigen. Der Wasserfall in der Lugg hat sich hinter eine silberne Wand verschanzt und sieht aus wie das Gebilde einer Tropfsteingrotte. Aus den Zweigen der Weiden sind gläserne Sägen herausgewachsen. Die Karn ist aus ihrer Eiswölbung hervorgebrochen. Die Karnsteiner rutschen auf Schlittschuhen herum, in Georgendorf gibt es großes Eisschießen – 's ist ein vornehmer Wintertag, Anna.«

»Ist mir recht lieb, daß er dich erfreut hat, Gabriel«, sagte sie.

»Das hat er eben nicht!« rief er, »ich weiß nicht, was seit einiger Zeit in mir ist. Eine Unruhe, öde war mir der Wintertag. Die lustigsten Waldlieder wollte ich singen – ich war heiser. Die tollsten Worte rief ich dem Kutscher zu – ist ein drolliger Kerl, der Michel – setzte mich schließlich selber zu ihm auf den Bock und ließ das Fuhrwerk sausen in die scharfe Luft hinein, von der ich hoffte, daß sie mir diese Gemütsstimmung wegfegen würde. Allvergebens, mir war angst und weh – da ließ ich umkehren. Und siehe, da die Pferde heimwärts traben, ist das Ding wie weggeblasen – und jetzt ist er wieder da, dein kindischer Mann.«

Daß auch sie zu Hause von der trüben Stimmung überfallen worden, davon sagte sie nichts.

»Anna,« sagte Gabriel in ernsthaftem Ton, »ich bin nichts mehr ohne dich; all mein Lebtag kann ich nicht mehr von deiner Seite gehen, nicht auf zwei Stunden lang. Du bist mein ganzes, ganzes Herz, mein alles – ach, wie sind diese Worte abgebraucht, Anna, ich bin ein kläglicher Poet! Ich finde in unserer klingenden Sprache keinen Namen für das, was du mir bist – laß mich hell aufjauchzen!«

Und der Sänger, der seines Volkes Lust und Weh in Lieder goß, er hatte nichts für seines eigenen Gefühles Übermaß als den wilden Aufschrei, der auch dem Tiere des Waldes gegeben ist.

. . . Ihre Liebe war eine zitternde. Sie liebten sich fast zu sehr, um glücklich zu sein. Ängstlich und still wurde der heilige Hort im Gemüt bewahrt und bewacht, kaum durch ein einziges Wort wurde er der Welt, der fremden, vertraut. Der Weise hat gesagt, die Liebe sei ein Egoismus zu zweien – wohl, dann gab es keinen größeren, glühenderen Egoismus mehr auf Erden als die des Doppelwesens Gabriel und Anna.

Doch wieder anderseits fühlte der Poet, daß er gegenüber dem lieben Weibe ein echterer Mensch geworden war. Eine warme Innigkeit des Herzens, die er bisher nicht an sich gekannt, eine ruhige Ebenmäßigkeit des Denkens und Tatens trat mehr und mehr hervor – gesegnet und gekräftigt war sein Wesen durch sie, und er konnte rufen: »Ich suchte dich und habe mich gefunden!«


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