Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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»Gott grüße Sie in unserem Hause!«

Auf der Trümmerstätte zu Karnstein saß mancher und starrte wirr und betäubt vor sich hin.

»Was ist da geschehen?« murmelte der eine; er kann es nimmer fassen.

Ein anderer kauert auf den geborstenen Steinen seines Herdes und klagt in sich hinein: »Haben – ja, haben tu ich gar nichts. – Essen möcht' einer doch was.«

Ein weiterer rafft sich auf: »Da mag bauen wer will, ich geh davon.«

In den Bauernhöfen und Waldhäusern der Umgebung waren die Obdachlosen aufgenommen. Mancher behandelte den unglücklichen Gast mit Lieb'; manch anderer ließ es seinem Eingeheimten wohl empfinden, wie bisweilen auch bürgerliche Herrlichkeit – die Karnsteiner ließen sich gern Bürger nennen – mit dem niedrigen Bauerntum bei frischem Wasser Bruderschaft trinken müsse.

Den Kindern des Dorfes Karnstein gereichten die neuen Verhältnisse bei den Hühnern, Schafen und Kälbern des Bauernhofes, beim hochgehörnten Ziegenbock und beim rasselnden Kettenhund zur wahren Freude. Sie waren auch bald innig befreundet mit den Kindern des Gastherrn und spielten auf freiem Felde gern Feuersbrünste und Wiederaufbauung von Karnstein. Und manches Mädchen gab dabei mit Anmut die Rolle der fremden, schönen Jungfrau, welche während des Brandes die Kleinen im Baumgarten versammelt und beschützt hatte. Gabriel blieb nicht lange in der Stube. Er vergaß der Wunde seines Hauptes. Er ging hinaus und suchte zu ordnen, zu schlichten, zu helfen und zu trösten. Bald brachte er in der Umgebung einen kleinen Verein von Männern zustande, der bestrebt war, dem verunglückten Orte alsogleich wieder eine neue Grundlage zu geben. Er rief in das Land hinaus, auf daß Wohltäter die erste Not der Abgebrannten lindern und zum neuen Aufbau von Karnstein beitragen möchten. Er selbst hielt zu diesem Zweck in der Hauptstadt Vorträge aus den »Waldliedern«. Denn so sind unsere edelherzigen Herrschaften: für jedes Almosen, das sie geben, möchten sie einen Genuß haben. Nur wenige sind so uneigennützig, sich mit ihrem im Anzeiger gedruckten Vor- und Zunamen zu begnügen. Diesen war besonders leicht Rechnung zu tragen. Gabriel eignete eine Auflage seiner »Waldlieder« den Hablosesten und Verlassensten von Karnstein und ließ den Sammelbogen zu Ende des Buches bedrucken, und so war mit einer Tat einem mehrseitigen Bedürfnisse abgeholfen.

Die Leute von Karnstein wunderten sich baß, daß dieser Singvogel aus den Einödwäldern schließlich ein so brauchbares Nutztier geworden war.

Gabriel hatte in demselben Sommer noch manchen Gang getan durch die Einödwälder, hatte das Heidepeterhaus besucht und den Haberturmhof, wo er Schwester und Schwager in ehelichem Glück und wirtschaftlicher Zufriedenheit fand. Dann war Gabriel, als im Gebirge die Ahorne gilbten und die Buchen sich röteten, wieder in die Stadt gezogen. In Karnstein klangen schon lustig die Mörtelkellen, pochten hallend die Hämmer, freundliche Wohnstätten wieder zu erwecken aus dem Schutt.

Über der Stadt aber lag frostiger Nebel und machte die Studierstube des Waldsing noch düsterer, als sie schon war. Oft wendete sich der junge Mann von seinen Büchern, verdeckte mit der flachen Hand seine Augen und schaute im Geiste das liebe sommerliche Waldland.

An jenes anmutsvolle Mädchen, Anna Mildau mit Namen, hatte Gabriel in dieser Zeit so oft, so sehr oft gedacht, daß etliche seiner neuen Waldlieder darüber zu Minneliedern geworden waren. Zu Minneliedern ganz eigener Weise, wie zu singen ihn bisher niemand gelehrt hatte.

Er trieb sonst mit Vorliebe botanische Studien, um so auch noch zwischen den Mauern mit den trauten Gewächsen seiner Wälder zu verkehren. Zu dieser Zeit aber unterbrach er das Studium seltsam oft; dann zog er immer seinen schwarzen Rock an, um in dem Hause Mildau vorzusprechen; aber es fehlte ihm der Mut. Er kannte den »Salon« bereits zu wohl, er fürchtete sich, enttäuscht zu werden und geweckt aus seinem lieblich schönen Traum, der ihm die Seele so hold belebte und erhellte. Er tritt ein. Wie, wenn ihn das gnädige Fräulein nicht kennt, oder wenn es nichts als kühle Höflichkeit, ironisches Wohlwollen oder schäkernde Koketterie für ihn hat? – Sie hat einmal seiner Eitelkeit geschmeichelt – was weiter? – Er zog seinen schwarzen Rock immer wieder aus.

Eines Tages aber – er hatte die braune Lodenjoppe mit den grünen Rändern an –, als er zufällig am Hause des Kaufmannes Mildau vorüberging, rief ihn plötzlich eine Stimme: »Herr Förster, heda!«

Der alte Ferdinand. Gabriel entschloß sich rasch, ließ sich melden.

Sein Fuß schritt über Teppiche. Er wies seine Karte; die Aufwärterschaft geht mehr auf ein glattes Blättchen Papier als auf ein ehrlich Gesicht. Ein Diener schob die Vorhänge des Einganges auseinander und krümmte Bücklinge vor dem Eintretenden. Dem Burschen, im Walde geboren, war beklommen zumute, als er in den Salon trat. Er war einmal im Hause des Ministers gewesen, um für die Einödwäldler in Sachen des Jagdrechtes zu wirken; aber beim Minister wär's schlicht gegen diesen Palast, wo – seine Phantasie spielte mit – welsche Seide, kalifornisches Gold, venezianisches Glas, chinesisches Porzellan prangte, wo seltenes Getäfel und außerordentliche Kostbarkeiten aller Art die Sinne bestachen. Und zwischen all diesen Herrlichkeiten auf bunten Webematten des Fußbodens standen scheinbar wildwuchernde Blumenbüsche, Dornsträuche mit roten und weißen Rosen, das Raffinement der Pracht nur noch erhöhend. Denn die Gesellschaft hat einen solch hohen Grad der Verfeinerung und des Aufwandes erreicht, daß – will sie einen noch höheren Reiz erzielen – sie wieder zur Wildheit der Natur zurück muß.

Gabriels Besorgnis wuchs; hätte er nicht befürchtet, daß ihn der Alte unten wieder kapern würde, er wäre leise umgekehrt. Doch schon ging die Flügeltür auf, und herein hüpfte – Anna; mit einem hellen Freudenrufe flog sie ihm zu.

Das Mädchen hatte ein einfaches lichtes Hauskleid an; die reichen Locken trug es nach rückwärts in zwei Köpfen geflochten, welche durch ein blaues Bändchen miteinander verbunden waren.

»Gott grüße Sie in unserem Hause!« sagte sie nun fromm und fröhlich, »Sie haben lange gesäumt; aber ich habe wohl gewußt, daß Sie kommen würden.«

Dann eilte sie in ein Nebengemach: »Mutter, komm'! Komm' doch zu sehen, wer da ist!«

Die Frau des Hauses, eine würdevolle Gestalt in elegant-einfachem Anzug, mit glattgescheitelten Haaren und blauen Augen, begrüßte den Eintretenden mit schmeichelhaften Worten und hielt ihm die weiße Hand hin. Ein höflicher Wink, da saßen sie schon in den schwellenden Lehnstühlen, die Hausfrau zur Rechten, das Fräulein zur Linken, Gabriel in der Mitte.

»Wir haben so viel Schönes von Ihnen gelesen, Herr Stammer, und meine Tochter hat so viel Liebes von Ihnen erzählt – daß es mich herzlich freut, Sie persönlich kennenzulernen.«

So die Dame. Dann wies sie auf ein fein gebundenes Büchlein, welches nebst anderen Goldschnittbänden auf dem Prunktische lag – es waren die »Waldlieder«. – »Sie sehen, mein lieber Herr, daß Sie bei uns bereits Hausgenosse sind.«

Der junge Mann verbeugte sich und wartete nun auf Worte, von Annen gesprochen. Aber das Mädchen schwieg und blickte mit seinen klaren, ruhevollen Augen dem Gaste in das Angesicht.

Das Gespräch nahm eine andere Art an, als Herr Mildau eintrat. Schon seine schlicht bürgerliche Kleidung sowie sein behäbiger gelassener Schritt, mit welchem er in den Salon trat, war für Gabriel ermunternd. Er lachte mit seinem vollen, glatten Gesichte, und dem Gaste beide Hände entgegenstreckend, rief er: »Mein Herr Stammer, willkommen!«

Ein Viertelstündchen saßen sie beisammen, sprachen von den Einödwäldern, von dem alten Vater in denselben, von Karnstein, dessen Unglück und Wiedererstehung, und von der Waldfahrt der Tochter des Hauses endlich.

Bei diesem Gegenstande brach Frau Mildau ab und erhob sich.

Herr Mildau bat den jungen Mann noch, sich mit in sein anstoßendes Kabinett zu begeben, zeigte ihm dort mehrere Meisterstücke der Malerei, die in Prachtrahmen an der roten Tapetenwand hingen, und bot Gabriel eine Zigarre an, die dieser höflich ablehnte.

Hierauf öffnete Herr Mildau einen zierlichen Schrank, nahm ein unbeschriebenes, aber zugeklebtes Kuvert heraus, und selbes in der Hand wiegend, sagte er: »Ich hatte schon die Absicht, an Sie zu schreiben, aber Sie wissen, ein Geschäftsmann – Ich möchte daher jetzt die Gelegenheit benützen, Sie zu bitten, diese Kleinigkeit gefälligst von mir zu übernehmen –« Gabriels peinliches Erröten bemerkend, setzte er sofort bei: »und sie nach eigenem Gutdünken an die Ortsarmen von Karnstein zu verteilen.«

Gabriel atmete auf, und mit dem Ausdruck warmen Dankes übernahm er den Brief. Dann lud ihn der Kaufmann in seiner leutseligen Höflichkeit ein, das Haus recht bald wieder und recht oft mit seinen herzlich willkommenen Besuchen zu beehren und sich in demselben heimisch zu fühlen.

Mit heiter-zutraulichen Worten und kräftigem Händeschütteln wurde er entlassen.

Als Gabriel durch den Salon schritt, stand Anna noch da.

Sie hielt eine Hand hinter dem Rücken, senkte ein wenig das Köpfchen und richtete ihr Auge prüfend, zagend, bittend auf den Fortgehenden.

Er sagte ihr ein warmherziges Wort und war zugleich froh, eine Gelegenheit zu finden, seinen Lodenrock zu entschuldigen.

Das Mädchen beachtete die Entschuldigung gar nicht, es hatte ein Anliegen, »eine sehr große Bitte: ob er nicht wollte seinen Namen auf das Titelblatt der Waldlieder schreiben«. Sie reichte ihm zögernd das Büchel und die hinter dem Rücken gehaltene bereits tintennasse Feder.

»Ja, aber gerade auf dem Titelblatte steht er schon!« neckte Gabriel.

»Eh!« machte das Mädchen, »den mag ich nicht, den hat der Schriftsetzer hergetan, und den hat jeder, der das Buch besitzt. – Ich –« setzte sie schelmisch bei, »ich möchte was Besonderes haben.«

Er nahm sanft die Feder aus ihrer Hand und schrieb ins weiße Blatt des Buches die Worte: »Dem verehrten Fräulein Anna Mildau, der wackeren Wallerin in die Einöde, zur freundlichen Erinnerung an den Verfasser Gabriel Stammer.«

Errötend drückte sie ihm mit einem leisen Worte den Dank aus. Sie hielten sich an der Hand. Sie nahmen nicht Abschied, und sie sagten kein Wort vom Wiedersehen.

Im Vorsaale kam der alte Ferdinand auf ihn zugerannt. »Sie glauben es nicht,« flüsterte er vertrauensselig, »die Not, die wir mit dem Kinde haben! 's ist nicht mehr unsere Anna, 's ist eine andere, seitdem wir von Karnstein zurück sind. Ich will's nicht verantworten, Sie heute ins Haus gelockt zu haben. Nun in Gottes Namen Sie einmal da waren, so kommen Sie nur oft . . .«

Er hastete davon. Gabriel stieg sinnend den Treppenteppich nieder. Ein Diener öffnete ihm den Ausgang.


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