Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Die Zapfenwirtsleute

Um Mitternacht verließen die Treiber das Zapfenwirtshaus.

Der Wirt mußte auch mit, aber er schimpfte »wie ein Sperling im Hühnerhof«. Er, der gesetzte und, wie er sich gern ausdrückte, der allerorts estimierte Zapfenwirt von der Einöde, der einmal drei Jahre und neun Tage Richter gewesen, in dessen Hause alljährlich die Christenlehre abgehalten wird, und bei dem einmal der Prinz Johann über Nacht geblieben war, er wurde nicht geladen zur Jagd als Jäger, sondern wurde aufgefordert als Treiber wie jeder Köhler und Bauersknecht. Er hätte sich am liebsten »unpaß« gemeldet, aber er dachte an das Lächeln des Patrons, das ihm zuzeiten schon verhängnisvoll geworden war. So ging er; doch nun handelte es sich, den anderen Treibern gegenüber zu zeigen, daß er zur Jagd eigentlich geladen sei mit Pulver und Blei, wie sich's von selbst verstehe und es auch immer der Fall gewesen. Er habe wohl schon seine hundert Jagden als Ehrengast mitgemacht, und er gehe nun einmal mit den Treibern aus reiner Passion, er müßte wieder einmal sehen, wie sich das Gaudium von dieser Seite ausnehme. Es sei möglich, daß sich diesmal der Graf selbst als Treiber beteilige, er habe so etwas gegen ihn geäußert, und zwar, als sie letzthin in Frohnburg bei Tische zusammen gewesen wären.

Als die Treiber mit ihren Fackeln gegen das Heidehaus kamen, trillerte der Knecht des Hahnenkamps:

Faules Heu,
Da Dalkerd duselt da sein Wei!

Da lispelte der Zapfenwirt:

»Tut ihm was an, Leut'; wenn unsereins auf ist, soll ein solcher auch nicht Polsterzipf tunken.«

Da hielt ein übermütiger Bursche eine Lunte an das Fenster und schrie aus vollem Halse:

»Auf, Heidepeter! Feuer! 's Haus brennt!«

Da erscholl in der Stube ein Schrei, und darauf ein Stöhnen und Jammern.

Die Männer lachten und gingen weiter. Der Hund bellte und riß heftig an der Kette; der Zapfenwirt sprang hin und versetzte dem Tier einen Fußtritt.

»Tolles Vieh, deinetwegen letztens meinem Davidl. Noch eins! Und sag's dem Dalkerd, ihm mach' ich's auch einmal so – noch eins, du Beest!«

»Ist ein alt' Ding, daß der Heidepeter keinen Spaß versteht,« sagte der Knecht, »dalkerd sind diese Leut'!«

»Und wollen noch hoch hinaus dabei.«

»Ja, zum Schornstein 'leicht!«

»Liegen auf der faulen Haut bis sechs!«

»Jetzt hat er für seinen Prinzen gar einen Hofmeister ins Haus genommen«, sagte der Haberturm.

»Dem versprengten Schulmeister gibt er Unterstand!«

»Der soll dem Gaberl den Teufel austreiben – den Teufel von der Jakobinacht«, lachte ein Kohlenbrenner.

»Weißt du auch schon davon?«

»Ha, das erzählt die ganze Einöd. Das war ein Hauptspaß.«

»Wie ist denn das eigentlich zugegangen?« fragte der Haberturm.

»Du sollst so was gar nicht fragen, Haberturm – weißt, deines Haberturms wegen nicht!« rief der Wirt, auf die Weiblosigkeit anspielend.

Der Bauer gab darauf keine Antwort; in Sachen seines Erbverhaltes war er empfindlich.

»Je, wie ist's zugegangen!« rief der Toni, Hahnenkamps Knecht, »sauber halt. Lacken-Lisi. Ich mach' zum Samstagabend bei ihr mein Fensterln. Das war nächst, am Jakobitag. Ich geh über des Heidepeters Wiese; sitzt der Gaberl auf dem Rain. – Was machst so spat? frag ich. – Ein Liebfrauenschüherl fliegt, sagt er, und ich geb' ihm einen Gruß mit in den Himmel hinauf. – Wird der heilig Dalkerd wie sein Vater; heut' machst mit ihm einen Spaß! denk' ich, und sag': Magst mit mir laufen, Gabriel? – Hab' kein' Zeit, mein Vater pfeift gleich zum Rosenkranzbeten. – Bist bald zurück, ich zeig' dir ins Paradies hinein, siehst Adam und Eva. – Hüpft der Kleine vom Rain herab: Weißt du die? – Und lauft mit mir und fragt mich zehnmal: Sieht man den Apfelbaum auch? – Freilich sag' ich. – Und beißt die Schlange? – Kein' Red'! – So kommen wir zu der Lisi ihrem Fenster; 's ist schon finster. Sie macht zu eigens auf. Wir sind drinnen, und ich hals' die Dirn. Da hebt euch der tolle Bub auf einmal an zu schreien: Vater, Mutter!«

Sie lachten, und der Wirt sagte:

»Der Dalkerd, hör' ich, hat dir deswegen ja schon eine Bußpredigt gehalten?«

Unter solchen Gesprächen ging es aufwärts über die Heide und durch die Waldungen gegen den Pfaffenhut.

*

Im Heidehause war Jammer mitten in der Nacht.

Klara lag bewußtlos auf dem Boden, und der Peter schüttete ihr ununterbrochen kaltes Wasser ins Gesicht und rief:

»Ja, Klara, meine Klara, was ist denn das? Wirst mir doch nicht sterben! Schau' auf, es ist nicht wahr, es brennt ja nicht, es ist ja nur ein Spaß gewesen von den Leuten.«

Gabriel stand im Hemdchen vor der Mutter und weinte, und als der Vater sagte:

»Gabriel, geh, bet', bet' zum lieben Gott im Himmel!« kniete er hin zum Tisch, und gegen den kleinen Hausaltar gewendet, betete er laut: »Vater unser! Vater unser!«

Regina schluchzte in der Wiege und stammelte:

»Himmel-Tata, Himmel-Tata!«

Das waren die einzigen Worte, die sie schon sprechen konnte.

Jetzt kam vom Oberstübchen herab der Schulmeister mit Licht, und als er die Dinge sah, sagte er:

»Hör' auf mit dem Wasser, Peter, hast kein Federmesser da?«

»Mein, wo hätt' ich denn ein Federmesser! Seht, das Unglück auf einmal.«

Der Schulmeister nahm aus der Lade den Brotschnitzer, ließ der Ohnmächtigen zur Ader und verband sie.

Nun bewegte Klara eine Hand, und endlich schlug sie die Augen auf.

»Die Jäger sind vorbeigezogen«, berichtete der Peter, »und die haben halt einen Spaß gemacht, haben eine Fackel ans Fenster gehalten, und darüber ist sie frei soviel erschrocken. – Daß du nur wieder da bist, Klara, Gott sei Lob und Dank!«

Dem kleinen Gabriel war das Gebet im Munde erstickt, als er den schwarzen Blutstrahl sah, der aus dem Arm seiner Mutter hervorquoll.

Als das Weib wieder im Bette lag und ruhiger Atem holte, dann und wann die Augen aufmachte, nach den Kindern fragte und dabei ein wenig lächelte, zog der Peter seine Sonntagskleider an, um den Arzt zu holen.

Der Schulmeister machte sich erbötig, den Gang zu tun, allein der Peter sagte:

»Nein, bleib' der Schulmeister derweil bei meinem Weib. Beim Bader ist so viel aufzumerken und anzusagen; da muß ich schon selber gehn.«

Und er ging hinaus nach Rattenstein.

Das war in derselben Nacht, von der die Treiber sagten, der Dalkerd bleibe liegen bis sechs. –

Nun waren im Heidehause wochen- und monatelang die Fenster verhangen. Der Arzt kam allwöchentlich einmal hereingeritten, um die Krankheit zu beobachten.

»Sie ist ein so frisches, kräftiges Weib gewesen«, sagte er einmal zum Peter.

Der Bauer zitterte und getraute sich kaum zu fragen:

»Wird's doch wohl wieder werden?«

»Ei ja freilich, ei ja freilich«, versetzte der Arzt und stellte sich dabei munter.

Als dieser hernach auf der Heimkehr sein Pferd vor dem Zapfenwirtshause anhielt, eilte die Wirtin herbei:

»Nein, Herr Doktor, wie mich das freut, daß uns der Herr Doktor auch einmal heimsucht. Hans, geschwind dem Herrn Doktor sein Roß in den Stall; schütt' ihm von dem besten Hafer ein! Nein, das kann ich mir denken, daß so ein weites Hereinreisen da in die Einöd lästig sein wird. Mit was kann ich dem Herrn Doktor aufwarten? Da oben bei diesem Dalkerdbauern haben der Herr Doktor so nicht einmal soviel Jausen kriegt, als eins im Aug' erleiden könnt', das sind soviel geizige Leut'. Ei beileib', sie hätten's schon, und der Heidegrund ist rechtschaffen gut; wie oft hab' ich zu meinem Mann gesagt, du, hab' ich immer gesagt, wenn wir diesen Grund hätten, in fünf Jahren wären wir steinreich. Aber so! der Heidepeter versteht halt nichts anzufassen, der läßt lieber 's Gras auf dem Kornacker wachsen, eh' er um ein Stündl früher aufsteht; er ist einmal ein Dalkerd und bleibt ein Dalkerd.«

»Mir scheint,« sagte der Chirurg, in der Gaststube Platz nehmend, »es sind gute, fleißige Leut', und soviel man bei uns in Rattenstein weiß, ist der Heidepeter ein braver Mann.«

»Ei, das wohl,« versetzte die Wirtin einlenkend, »und man kann ihm sonst auch gar nicht feind sein. Annel, rühr' dich doch, hast denn eingefrorene Bein'! Bring' dem Herrn Doktor eine Flaschen vom Guten! – Gar nicht, sag' ich! er ist fleißig und auch häuslich; 's ganze Jahr kommt er mir nicht ins Haus, ausgenommen, 's ist Christenlehr'. Ja, dasselb' muß ich sagen. Mein, wo wär' der Mensch, über den niemand was aufzubringen wüßt'; die Leut' reden gar viel, wenn der Tag lang ist. – So nimm doch ein Tasserl, du ungeschickte Schnepf', nein, wenn unsereines nicht alles selber angreift!«

Und sie riß der Magd die Flasche aus der Hand, langte ein glänzendes Tellerchen aus dem Glaskasten, und stellte darauf die Weinflasche höflich und zierlich vor den Gast auf den Tisch.

»Nein, das freut mich recht, Herr Doktor; 's vergeht schon völlig kein' Stund', wo ich nicht auf den Herrn Doktor denk', und wo ich nicht sag': Aber schau', der Herr Doktor hat uns halt dennoch ganz vergessen und kommt uns gar nicht mehr heimsuchen. Vor zehn Minuten hab' ich's noch gesagt; Annel, hab' ich's nicht gesagt, vor zehn Minuten grad? Und mit Verlaub, wie geht's denn der armen Haut, der Klara?«

»Wohl besser, wohl besser,« sagte der Arzt, »aber ganz gesund wird sie sobald nicht, all' ihr Lebtag wird's ihr anhängen. Der Schlag ist eben ein Unglück, und er wiederholt sich nur zu gern.«

»O mein Gott!« seufzte die Wirtin und schlug die Hände zusammen. »Das ist ein Elend für die Leut', sie erbarmen einen wohl rechtschaffen. Wenn nur die Einschicht-Res nicht dazu kommt, sag' ich allemal, die ist gleich da mit ihren Kräutern und Hexensachen, wenn so was ausbricht. Das von den drei Holzknechten werden der Herr Doktor wohl schon wissen?«

»Drei Holzknechten?« fragte der Arzt, indem er trank und darauf ein saures Gesicht machte.

So auffallend dieses Gesicht war, die Wirtin wollte es nicht bemerken, sie rückte ganz geheimnisvoll näher.

»Ja, hören der Herr Doktor, das ist – Gott verlass' uns nicht – eine schauderhafte Geschichte. Mir hat's gestern ein Pechölträger erzählt; wenn er lügt, lüg' ich auch, aber ich mein', 's wird wahr sein. Gar nicht weiter soll's eins sagen, aber ich sag's auch nur dem Herrn Doktor, sonst keinem Menschen nicht; – drei Holzknecht hat sie umbracht.«

»Wer?«

»Nu ja, halt da oben das Hexenweib, die Einschicht-Res. Drei junge, starke Holzknecht'; was weiß ich, durch ein Trankel soll sie s' vergiftet haben. So hab' ich's gehört; mein, ich sag's halt nach. Wahrhaftig, bei der Zeit traut sich eins schier nicht auf der Welt zu sein.«

So plauderte die Wirtin fort.

Auf den Arzt schienen ihre Neuigkeiten weniger Eindruck zu machen, als sie es gewohnt war. Als er hierauf nach der Zechrechnung fragte, sagte sie:

»Hätt' mir ein' Ehr' daraus gemacht, wenn ich hätt' dürfen aufwarten; aber wenn der Herr Doktor von der Zapfenwirtin schon nichts geschenkt haben wollen: neunundfünfzig Kreuzer alt's Geld, wenn ich bitten darf.«

Er warf einen Gulden hin.

»Behaltet den Kreuzer fürs Schwatzen.«

Sein Gesicht war sauer, und doch funkelte des Weines größter Teil noch im Glase.

»Vergelt's Gott! Und kommen der Herr Doktor nur recht gesund heim. Und fürs nächste Mal bitt' ich mir wohl wieder die Ehr' aus!«

Als der Arzt auf dem Pferde fortgetrabt war und die Wirtin in der Gaststube Teller und Glas wegräumte, redete sie noch in einem fort, diesmal zum Annel, dem sie dartat, wie lästig ihr so ein Mensch sei, der da auf hohem Roß herumhopse und stolziere wie der Hahn im Teig, und einen Herrn spielen wolle, während er, recht besehen, doch nichts anderes sei als ein Guckhäusler in Rattenstein, der daheim bei Weib und Kind gewiß froh sein würde, wenn er zum Sonntag so einen Wein hätt'.

Hast gesehen das G'sicht, das er geschnitten hat? Das Leiden Christi ist oben gestanden und der link' Schächer noch dazu. Und dabei hätt' er dem heiligen Antoni drei Wallfahrten versprochen, wenn er das Tröpfel rundweg hätt' trinken dürfen. So sind sie, die Hungerleider auf hohem Roß.«

Dann rief sie den Davidl herbei und sagte, er möge den Wein austrinken, und sie warf ein Stück Zucker in das Glas.

Der Davidl war heute besonders zerrauft und zerzaust. Er hatte eben mit einem Pecherbuben Händel gehabt. Die Spuren davon fanden sich so auffallend vor, daß die Zapfenwirtin sagte:

»Leg' mir aber gleich das Sonntagshös'l an, mein Kind, und gib das der Annel zum Flicken.«

»Das tu ich nicht!« schrie der Knabe trotzig und nagte an den Fingernägeln.

»So soll dir die Annel helfen.«

Aber der Magd schlug er ins Gesicht, und dann spuckte er in der Stube umher und polterte aus Zorn mit den Bänken.

Der Forstjunge Herbert trat ein. Er lehnte sein Gewehr in die Ecke und begehrte ein Glas Schnaps.

»Uj, grüß' dich Gott, Herbert,« rief ihm die Wirtin zu, »du kommst mir gar so selten unter mein Dach. Dein Vorfahr, der Gregor, ist nicht so stolz vorbeigegangen. Aber, daß ich's aufrichtig sag', dem Greg hätt' ein eisernes Sparbüchsel gar nicht geschadet, der Großteufel – aber na, das ist schon grob, sein Lebtag: Ein schlechtes Wort, eine graue Maus, wie's beim Ohr hinein, so beim Mund heraus! – Aber dasselb' ist richtig, der Herr Graf pensioniert seine Leut' mit dem Bettelsack, und just nicht mit dem vollen. Und daß ich frag', wie geht's dir alleweil, bist doch nicht gar krank gewesen?«

»Immer gesund, wenn man das nicht zählt, was fehlt«, versetzte der Bursche. »Ihr wißt es wohl, Zapfenwirtin, daß mir der Haberturm schier ein Bein abgeschlagen.«

»Kein Wort, bei meiner armen Seel', kein Wort«, beteuerte die Wirtin lebhaft, und ihre Äuglein funkelten vor Begierde nach einer wahrhaftigen Neuigkeit.

»Als ob ich anders könnt', als meine Pflicht erfüllen,« sagte der Jäger bitter, »meinetwegen sollen sie alle Böcke und Hirsche niederbrennen, aber sehen darf ich's nicht. Ich muß den Wald und das Wild hüten, das hab' ich geschworen. Wenn der Haberturm ein Weib hätt', ginge er in der Nacht gleichwohl nicht mit der Büchs' herum. In seinem eigenen Hof hab' ich ihm das gesagt, darauf schleudert er mir den Haustiel an die Beine.«

»Siehst du, siehst du,« drauf die Wirtin, »alleweil ist's mir vorkommen, dieser Haberturm ist ein Wildling! Und das ist ein rechter Jammer mit diesen Leuten, daß man nie weiß, wer und was sie sind, wo man sie hintun soll, bis sie nicht der Müh' wert was anstellen. Seinen jetzigen Jungen hat der Haberturm gar auf der Straßen aufklaubt. Mir träumt beim hellichten Tag, das ist ein Zigeunerkind oder noch was drüber, und ein stehender Traum ist selten ein Schaum.«

Der Haberturmhof gab für die Zapfenwirtin stets unerschöpflichen Gesprächsstoff, von welchem sie indessen heute auffallend bald abwich, indem sie zum Jäger sagte:

»Just früher ist der Bader von Rattenstein dagewesen; er kann an uns nicht vorübergehen, sagt er, und draußen im Tal bekam er halt nirgends das Trankel wie bei uns. Freilich, ein guter Tropfen ist's erst bei einem rechtschaffenen Wirt, und für einen solchen hab' ich mich mein Lebtag umtan. Der Bader ist bei der Heidepeterin oben gewesen; nicht drei Tag lebt sie mehr, sagt der Bader, 's kommt der Schlag und aus ist's.«

»'s wär' ihr zu wünschen!« sagte der Jäger halb für sich.

Die Wirtin sah ihn von der Seite an. Ist denn das ein so schlechter Mensch?

»Wahrhaftig,« fuhr Herbert fort, »das arme Weib hat nichts Gutes auf der Welt. Diese Einöde ist ein unseliger Fleck Erde. Ihr all' miteinand' habt nichts als das Elend. Die Armut ist es nicht allein, mehr sind es ihre guten Kameraden, der Hader, der Neid, die Bosheit; 's gibt wenig Engel, aber viel Teufel hier – eine schauerliche Einöde. Wenn sie die Heidepeterin hinabsenken, so werf' ich eine Scholle Erde auf den Sarg und sage: Gott sei Dank! Es sollte gar kein anderes Wort gesprochen werden, wenn sie einen von der Einöde begraben.«

Die Schänkin schwieg eine Weile und machte sich bei dem Gläserkasten zu schaffen, endlich entgegnete sie:

»Da laß ich jeden bei seiner Meinung.«

Als der Jäger davongehen wollte, vermißte er das Gewehr. Der Davidl hatte sich damit heimlich aus der Stube gemacht.

Und der Davidl hielt das Gewehr fest mit beiden Händen und lief damit durch den Schachen aufwärts, gegen das Heidehaus.

»Heidepeter, Heidepeter, der Fuchsbartl kommt!« schnaufte er unterwegs und guckte immer auf die funkelnde Kapsel unter dem Hahn.

Vor dem Heidehause nagelte der Schulmeister die bretterne Hirschgestalt zusammen. Es war in der Nacht ein heftiger Wind gewesen, und der hatte das Ding von der Wand geworfen. Der Schulmeister nahm eine Leiter und befestigte den Hirschen wieder an seinem Platze. Gabriel langte ihm dazu die Nägel hinauf.

Als sie mit der Arbeit fertig waren, gingen sie zum Bänkl unter den Tannen, und es begann die Lehrstunde.

Gabriel hatte eine Schiefertafel auf den kleinen Knien und einen Stift in der Hand, und der alte Mann diktierte ihm folgende Worte:

Rastlos mußt du vorwärts streben,
Durch die Nacht zum Morgenrot;
Denn im Lichte blüht das Leben
Und im Dunkeln kriecht der Tod.

Es ging wohl ein Stündchen vorüber, bis der Kleine mit diesem fertig war, und die Tafel wurde schier zu eng. Weil Gabriel die Gewohnheit hatte, das Gesicht sehr nahe an die Tafel zu halten, so fragte ihn der Lehrer heute:

»Gabriel, schreibst du mit der Hand oder mit der Nase?«

»Mit der Hand«, versetzte der Knabe schnell, erst später hielt er den Kopf empor und wurde sehr rot im Gesicht.

Als der Heidepeter über den Hof ging, entließ der Schulmeister den Knaben und schritt dem Bauer entgegen.

»Lernt der Bub' was?« fragte der Peter.

»'s ist eine rechte Freude, was ich mit dem Kind erleb'«, antwortete der Greis.

»Wenn's nur wahr ist; aber die Bauernarbeit muß mir der Bub' halt nach und nach auch lernen; er wird dazu, der Tausend, schon bald Mensch genug.«

»Ich hab' ihn jetzt laufen lassen,« sagte der Schulmeister, »weil ich Euch sogleich was auszurichten habe. Der Bader läßt Euch noch sagen, Ihr sollt die Jagdtreiber verklagen wegen der Spanfackelgeschichte, durch die Eure Hausfrau in die schwere Krankheit gefallen. Die Leut' müßten Euch die Unkosten vergüten.«

»Geht's, geht's mir mit diesen Geschichten!« rief der Peter abwehrend, »ich fang' nichts an, will im Frieden leben mit der Nachbarschaft. Und wenn ich sie all miteinander klagen tät vor dem Kaiser und vor Gott, und wenn sie mir alles auf der Welt geben könnten, meine Klara machen sie mir damit doch nicht gesund. Gott allein kann's, Herr Schulmeister, und ich fang' mit der Nachbarschaft keinen Streit an. Sie haben mich ins Elend bracht, 's ist wahr, aber daß es so traurig ausgeht, haben sie halt voraus nicht wissen können.«

Der Schulmeister dachte:

– Der nimmt's genau mit der Satzung: »Wer dir einen Backenstreich gibt auf die rechte Wange, dem halte auch die linke hin.« – Gesagt ist's recht schön, aber wenn's darauf ankommt, hau' ich schon lieber die erste Ohrfeige gleich wieder zurück. Da hat die christliche Lieb' einen wunden Fleck. »Wie du ausmissest, wird dir eingemessen werden«, wäre das Pflaster drauf.

Der Peter schob einen Ziehkarren aus der Hütte und räderte ihn dem Wiesenrain zu, um das dort in Haufen gesammelte Moos und Heidekraut aufzuladen und zur Winterstreu heimzuziehen. Bei dergleichen Fuhrwerken sind die Kleinhäusler selber ihre Pferde und Ochsen.

Hinter dem Hause im Haselgebüsch hatte der Peter eine Fuchsfange gelegt. Zu dieser ging Gabriel gern nachsehen, ob nicht einmal so ein Hühnertod in der Klemme wäre. Auch heute hüpfte er von der Tannenbank weg gegen das Gebüsch. Da hörte er in demselben etwas rauschen und bald darauf ein Gezeter. Als der Knabe vor Begierde brennend nachsah, fand er Zapfenwirts Davidl in der Klemme. Fest hatte der Eisenreif um das Bein geklappt. Neben dem Gefangenen lag das Gewehr.

»Du lieber Gabriel, jetzt laß mich aus!« bat Davidl kläglich, »du bist immer mein Freund und Gespan gewesen, und ich hab' dich am liebsten von allen Menschen. Laß mich aus; ich bin ja zu dir gekommen und will dir dann was erzählen. Was ganz Merkwürdiges will ich dir als Lohn erzählen.«

Vom Herzen gern hätte Gabriel der Bitte willfahren, aber er war zu schwach und konnte die starre Eisenfeder nicht bewältigen. So ging er und rief den Schulmeister.

»O heiliger Antonius, jetzt bringen sie mich um!« wimmerte der Davidl und schlug mit der Faust wütend auf das Fangeisen.

Endlich kam der Schulmeister, faßte zuerst das Gewehr und hielt wegen desselben mit dem Jungen ein strenges Verhör ab. Davidl sagte, daß er es vom Jäger Herbert bekommen habe, um von den Hühnern des Heidepeters die Füchse wegzuschießen. Ob ihm das aufs Wort geglaubt wurde, hat er selbst nie erfahren. Endlich aber wurde er aus seiner peinlichen Lage befreit.

»Weil du nur keine Wunde hast,« sagte Gabriel teilnehmend, »aber nun erzähle mir auch das Merkwürdige!«

»Wirst es gleich hören!« rief der Davidl. »Deine Mutter lebt keine drei Tage mehr, es trifft sie der Schlag. Freilich! Ich weiß es gewiß, hab's vom Bader selbst.«

Der Junge lief davon.

Gabriel begann laut zu weinen, aber der alte Mann drückte ihn an seine Brust und sagte mit zitternder Stimme:

»Du gutes Kind, das war ein Lügenwort. Aber ich bitte dich, sag's nicht daheim. Sei ruhig, mein Knabe! Den Wirtsbuben wird Gott strafen, du sei gesegnet. Bleib' gut, mein Gabriel, bleib' mir nur du gut!«

Der Greis küßte den Knaben auf die Stirne.


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