Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Mir graut inmitten meiner Lust!

Als in demselben Jahre der Mai kam – ach, wie oft hatte Anna den Mai gerufen! – da stand die junge Hausfrau mit ihrem blühenden Kinde gern an den Rosenhecken des Gartens. Wie war sie so jung, so zart, so blaß – der leise, kaum sichtbare Purpurhauch auf ihren Wangen war bloß Widerschein der Rosen.

Gabriel blickte oft mit starrem Auge auf diese schwebende, fast ätherische Gestalt, in welcher sich das Irdische allmählich aufzulösen schien in Gatten- und Mutterliebe.

»Mein Annchen!« sagte er eines Tages, ihre weichen, kühlen Hände in die seinen fassend, »es ist wunderbar und mir graut inmitten meiner Lust. – Du wirst jünger von Tag zu Tag.«

»Du meinst, weil ich so kindisch bin und die Blumen frage?« sprach sie lächelnd. »Nein, Gabriel, ich habe sie nicht gefragt.«

»Anna,« sagte er und preßte ihre Hände an seine Brust, »Anna – wenn – ich meine es nur –, wenn dir etwa einmal nicht ganz wohl wäre – es gibt Zustände, die an sich oft unbedeutend und vorübergehend sind –, doch, wenn du an dir etwas merktest, das dich irgendwie beunruhigte, mein Weib – bei unserem Leben! bei unserem Kinde! teile mir's mit!«

Anna schwieg einen Augenblick, senkte die langen Wimpern, und um ihre Lippen schwebte ein Lächeln, das dem Gatten durch Mark und Bein ging.

»Wir wollen einen Arzt zu Rate ziehen«, sagte er.

Da löste sie ihre Hände von den seinen los, hob sie gefaltet, so daß die Fingerspitzen an ihren Lippen lagen, und den Freund mit aller Innigkeit ihres Auges anblickend, sagte sie leise: »Gabriel, ich bitte dich, quäle dich nicht. Du siehst, ich bin so frisch und lustig wie kaum je einmal zuvor. – Einen Arzt nicht; Ärzte machen krank. Siehe, ich verstehe selber auf mich zu achten. Magst es glauben, Gabriel, heute liefe ich nicht mehr in das Seuchenspital – bin viel eigennütziger geworden –, mich freut die schöne Welt.«

»Gewiß, Anna, du bist gesunder Natur, doch die vielen Nachtwachen bei dem Kinde –«

»Die kommen mir gar nicht schwer an. Wo ist eine Mutter, die das nicht mit Freuden täte?«

»Ich dächte aber doch, Anna, ein Ratgeber –«

»Gabriel!« sagte sie mit leiser, aber entschiedener Stimme. »Wenn du mir einen Arzt ins Haus rufest, so laufe ich in den dichtesten Wald hinaus, und kein Mensch wird mich finden. Und wenn ich einmal zu laufen anheb', und der Arzt läuft mir nach, so wird sich's weisen, wer von den zweien der Gesündere ist.«

So ließ sie die Angelegenheit in einen leichten Scherz ausspielen.

Gabriel schüttelte den Kopf. Wohl kannte er ihre Abneigung gegen die Medizin schon lange. Hatte sie doch einmal gesagt, daß auch bei der Medizin nur der Glaube selig mache, daß sie den Glauben aber verloren habe seit jenem Tage, da an ihres Vaters Tisch ein Arzt saß und in der Wahrheit des Weines Geheimnisse verriet, die für vertrauensselige Patienten nicht erbaulich waren. Dann fragte sie einmal, um wieviel eigentlich die Stadtleute länger lebten als die Wäldler, die keine andere Apotheke kennen als die des lieben Herrgotts – die reine Luft und das frische Wasser, die Arbeit und die Nüchternheit, und über allem das helle Sonnenlicht? – Diese Herrgottsapotheke eben läßt den Wäldler des Arztes entbehren, hatte damals Gabriel geantwortet; und jetzt bestand Anna darauf – das Landleben sei ihr zum Heile.

Der besorgte Gatte aber ging insgeheim zu allen Ärzten der Umgebung – es waren deren nicht viele – und heischte Rat. »Mir bangt, sie ist so zart wie ein weiches Nebelchen in der Himmelsbläue des Sommers.«

»Nehmt ihr das Kind vom Arm!« war der einstimmige Bescheid.

Wohl, er nahm ihr's vom Arm, aber sie schmeichelte es ihm wieder ab. In die Hände der Mägde legte sie das liebherzige Wesen nicht ein einzig Mal, nur der alte Ferdinand durfte es wiegen. Und der Alte wußte ein possierliches Wiegenlied, das er in der Aussprache der Waldleute so gern trällerte:

's Hascherl im Heiderl is leidi,
's Äugerl is ah noh nit hell,
's Busserl is noh nit recht zeiti,
Und im Herzerl, da steckt noh a buxklani Seel'!
Nutz Heidl!

Und 's Hascherl im Heiderl wird schneidi,
's Äugerl is nimmermehr trüab;
's Busserl vom Büaberl wird zeiti,
Ins Herz kimmt fürs Dirndl a Butt'n vull Liab,
Nutz Heidl!

Dabei schlief der Knabe gern ein, um der so lieblichen Verheißung in süßen Träumen entgegenzuschlummern.


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