Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Allzu glücklich sein – es kann nicht taugen

Es kam der Hochsommer. Das Kind wuchs wie eine Knospe; es hatte goldfarbige Ringellocken, und es hatte die Züge der Mutter, und es regte sich von Tag zu Tag lebhafter die »buxkloani Seel'«.

Anna war wirklich so lustig, wie kaum jemals zuvor; doch schien diese Lust eine innere zu sein, die lächelnden Gesichtes nur zu den Augen heraussah, wenn die junge Mutter ihr heiteres Kind anblickte oder ihren sinnenden Gatten. Dabei war sie aber eifersüchtig, wenn Gabriel den Kleinen herzte.

»Jetzt bist du mir nicht mehr genug mein«, sagte sie einmal scherzend, und er entgegnete: »Was, du klagst? und du hast jetzt zwei und ich nur eine. Das müssen wir ausgleichen.«

Sie sagte nichts, errötete ein wenig und war dabei entzückend schön.

Im August, zum Feste Mariens, kam Frau Mildau von der Stadt, um einige Tage in dem Hause an den Wäldern bei Kind und Kindeskind zuzubringen. Seit Anna selbst Mutter geworden, war ihr Verhältnis zur Mutter fast noch inniger als sonst. Mit Freudentränen begrüßte sie die Ankommende. Da dachte Gabriel auch an seine Mutter. Wie arm und dunkel war ihr Erdenweg gewesen. Wenn sie das alles noch hätte erleben können! –

Eines Morgens hatte der alte Ferdinand der jungen Hausfrau einen Strauß auf das Fenstertischchen gestellt. Der Strauß bestand aus einer weißen, einer roten Rose und einer Knospe.

Da das Kind noch schlummerte und der Gatte schon im Garten bei den jungen Obstbäumen tätig war, so stand Anna sinnend eine lange Weile vor dem Strauß. Gabriel überraschte sie in ihrem Sinnen. »Poetin du!« rief er, sie umarmend.

Anna war völlig erschrocken aufgefahren und glitt sich nun mit den Fingerspitzen über die Schläfe.

»Ja freilich,« sagte sie dann schalkhaft, »ich lerne dir ja das Handwerk ab. Jetzt habe ich just ein Gedicht gemacht.«

»Und wird der strebsame Lehrling seine Arbeit weisen?«

»Ja,« sagte sie, ihren Zeigefinger über die weiße Rose haltend, »das ist das Eheweib!« Dann die Fingerspitze gegen die rote senkend: »Das ist der Ehemann!« Dann leise und schelmisch die Knospe berührend: »Und das ist das Kind!«

»Anna!« sagte er, »das ist ein schönes Gedicht; doch warum nicht das Eheweib die rote Rose? Und hast du wohl nachgesehen, ob an diesem blühenden Ehepaare keine Dornen sind?«

»Ach, der garstige Ferdinand!« rief die junge Frau, »die Dörnchen hat er alle weggeschnitten.«

»Und das tut dir leid?«

»Weil der Strauß verdorren wird. Zur Rose gehören die Dornen, sonst verkommt sie.«

Gabriel schritt schweigend durch den Hausflur.

Anna beugte sich über das schlummernde Kind. »Ach, mein Kind! Deiner Mutter ist bang. – Allzu glücklich sein – es kann nicht taugen . . .«

Als Frau Mildau nun auf Besuch kam, stand der Strauß noch da. Sie lobte die Rosen und stellte sie vor das Fenster, weil für das Kind der Duft betäubend sei.

Am Abend des Marientages, während eines Gewitters, sagte Anna ganz ohne Anlaß: »Gabriel, du mußt länger leben als ich. Sonst wär's mein bitteres Verderben. Tu mir den Strauß weg! Den Strauß tu mir weg! Ich mag ihn nicht mehr sehen.«

An demselben Abend – da die Großmutter bei dem Kinde war – gingen sie in das Engtal hinein, in welchem das Wildwasser des Gewitters noch rauschte.

»Eine glückselige Stunde!« sagte er und schmiegte sich an sein Weib, »jetzt sehe ich wieder einmal, wie schön dieses Tal ist und dieser Wald und diese Welt!«

Anna lächelte und sprach: »Trippelt nur erst der kleine Sepp zwischen uns einher, dann schau' die Welt mit sechs Augen an . . .«

Sie rang nach ihrer natürlichen Heiterkeit.

»Ich möchte dir gern einmal etwas sagen, Gabriel!« sprach sie plötzlich.

Er blickte sie an. »Wir wollen uns dazu auf diesen Stein setzen«, entgegnete er.

»Gehen wir noch ein wenig weiter; gehen wir bis zum Baumstrunk dort.«

Als sie auf dem Baumstrunk saßen, lauschten sie dem Tosen des Wildwassers und blickten in die braunen Wellen, die allerlei Getrümmer mit sich wälzten.

»Nun, Anna!« sagte Gabriel.

»Sollst dich vorbereiten, Gabriel –«

»Wie meinst du das?« –

»Hier rauscht das Wasser so,« sagte Anna, »laß uns bis zum Wegkreuz gehen.«

Sie gingen bis zum Wegkreuz. Dort blieben sie stehen.

»Gabriel,« sagte Anna, »jene Kleider, die ich vor zwei Jahren unterwegs in die Einödwälder getragen habe –«

»Was, mein Herz?«

»Sie sind in der Lade des Betpultes . . .«

Sie stockte und atmete schwer. Gabriel blickte ihr ins Angesicht. Auf diesem Angesichte lag jetzt ein erschreckend wundersamer Ausdruck.

»Und dann –«, fuhr sie fort, und wieder schwieg sie. – »Nein, Gabriel, ich will dir's ein andermal sagen.« – Sie gingen schweigend dahin.

Als sie wieder gegen das Haus hinabschritten und Anna in der wohligen Abendluft aufatmete, sagte der Gatte: »Ich dächte, mein Weib, wir sollten nun, solange die Großmutter bei dem Kleinen bleibt, die Zeit recht benützen. Machen wir Ausflüge!« Damit war sie wohl einverstanden, denn der Mutter vertraute sie das Kind. Gabriel war darüber innig froh; und die freie, frische Waldluft würde sie gewiß erquicken, stärken und erheitern.

Es wurde gleich für den nächsten schönen Tag eine Partie bestimmt, und zwar zum Waldsee, der Stern genannt, um die Erinnerung an so manche liebliche Stunde daselbst wieder aufzufrischen.


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