Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Der Annenhof

Bald nach dieser Brautreise wurde der traumhafte Rausch der Liebe auf eine mildere Art unterbrochen. Ein Baumeister, von Herrn Mildau gesandt, kam nach Karnstein in der Absicht, den Platz zu prüfen und aufzunehmen, den Gabriel und Anna für den Bau eines Landhauses sich ausgewählt haben würden.

Gabriel und Anna hatten aber an ein neues Landhaus noch gar nicht eigentlich gedacht. Und dennoch wußte jedes der beiden insgeheim eine Stelle, auf der ihm eine Hütte gut zu stehen schien. Es wollte nur keines dem andern in der Wahl vorgreifen. Als sie sich nun aber verständigen mußten, zeigte es sich, daß beide den einen Gedanken und dieselbe Wahl getroffen hatten.

Ein Viertelstündchen etwa von Karnstein erhebt sich in sanfter Böschung ein Hügel, den hinan die grünen, fruchtbaren Felder liegen. Die Höhung selbst aber ist steiniger Grund, auf welchem einige Erlengebüsche, Weißbirken und Lärchen standen. Von diesem Hügel gegen Abend und Mitternacht hin liegt das schöne, breite Tal mit dem Flusse, der Eisenbahn und den vielen Ortschaften, die aus Baumgärten ihre schimmernden Kirchtürme emporrecken. Jenseits des Tales steht der dreieckige Karnstein mit seiner senkrechten Wand und seiner alten zinnenreichen Burg. Weiterhin auf buschigen Anhöhen ragen die Ruinen Lichtenwart und Treisau und das Bergkirchlein St. Georgen. Rückwärts hin zieht sich ein Bergwall in mannigfaltiger Gestaltung. Gegen Sonnenaufgang und Mittag breiten sich über Tiefen und Höhen hin die Schatten der Einödwälder, und ganz im Hintergrunde erheben sich die Wuchten der Wildschroffen.

An der rückwärtigen Seite zwischen dem Hügel und dem Saum der ansteigenden Waldungen hat ein Bergbächlein ein kleines Tal, eine mäßige Schlucht gewühlt, und wenn man bei den Weißbirken stand, so hörte man deutlich das Anprallen und Gischten des Wassers unten in dem Gefelse der mit Büschen bewachsenen Schlucht. So beherrscht dieser Hügel völlig das Tal und die Wälder. Kleine Ziegen- und Schafhirten weideten zuweilen ihre Herde zwischen dem Gesträuche, oder es schlüpfte durch dasselbe ein Besenbinder, der sich die schönsten Zweige von den weißen Stämmen schnitt, oder es fand sich wohl gar einmal ein Karnsteiner Liebesgespann ein und lugte vergnügt zwischen den grünen Blätterherzen auf das Dorf hinab, das kein Plätzchen bieten wollte für ein heimlich Grüß' Gott zwischen Lippe und Lippe.

Und auf diesem Hügel baute Heidepeters Gabriel das Haus.

Während des Baues wohnte das junge Paar abwechslungsweise im Jagdhause des Ring und in der Stadt. Die Stadt gefiel ihm aber nicht mehr, sie war ja doch gar zu irdisch für das Eden, das es im Herzen hegte. Gabriel war ja nicht angespannt an den Lastwagen der Gesellschaft, an welchem viele und die Besten oft nur deshalb so schwer ziehen, weil sie nicht die gleiche Richtung mit dem Troß anstreben wollen und können. Vergebens ringen die Armen einem eigenen Ziele zu, bis sie endlich liegenbleiben, zermalmt von den ehernen Rädern des Alltags.

Mildau war zufrieden mit dem Titel »Professor«, ja er rief jetzt diesen nicht einmal; er schämte sich insgeheim seiner Engherzigkeit, da er sah, seine Tochter gab sich ganz und gar zufrieden mit dem titellosen Menschen. Am allerwenigsten wollte er einen Pegasus im Joch zum Schwieger haben.

– Hoch könnt' er fliegen,
Wär' nicht mehr gebannt.
Hätt' ihm die Lieb' nicht
Die Flügel verbrannt . . .

sang Gabriel um diese Zeit. –

Als der erste Jahrestag der Hochzeit kam, da zogen Gabriel und Anna ein in das neue stattliche Heim am Saume der Einödwälder.

Es war ein Haus, keinem der hergebrachten Stile ausschließlich huldigend, aber von jedem das Beste tragend, in der bequemen Bauart der Neuzeit.

Von den breiten Quadernstufen des Einganges bis zu dem halbflachen Schieferdache mit den Blitzableitern lag Ebenmaß. Die Wände waren aus behauenen Steinen ehern gefügt, Weinreben und junge dunkelgrüne Ranken des Efeus strebten schon empor zu den glatten Glastafeln der Fenster, aus denen die Stimmung der Trautsamkeit blickte. Ein Söller, von vier Steinsäulen getragen, führte an der Vorderseite gleichsam die Stube in die freie Weite.

Ein scheinbar wildernder Park voll junger Bäume, der Schachen genannt, deckte gegen Mitternacht hin den Bau, während gegen Abend und Mittag die Fruchtbeete trieben und gegen Aufgang des Tages die Blumengärten prangten. Dort stand auch das Glashaus und der figurenreiche Brunnentempel, in welchem ein dreifacher Quell sprudelte. Der eine Strahl floß aus dem Schlangenrachen des Äskulap, der zweite aus dem Horn der Fortuna, der dritte sprang aus einer bemoosten Felsenspalte, gemahnend an die Ursprünglichkeit und Natürlichkeit, die Labe, die nimmer fehlen darf, wo Gesundheit und Glück den Waller erfreuen.

Hinter dem Schachen duckten sich – als bangten sie ein wenig vor dem Auge des Poeten – ein paar Wirtschaftsgebäude, in denen der alte Ferdinand vielbeschäftigt aus und ein ging. Der Alte hatte zwei Tage lang keinen Bissen genossen, als er gehört, daß man ihn von seinem Annchen trennen wolle; und Anna hatte ein heimliches Tränchen vergossen, als sie hörte, den guten, betagten Mann dürfe man nicht mehr aus seiner gewohnten Bequemlichkeit in die rauhe Landluft ziehen: doch schlichtete sich die Sache, und Ferdinand ging mit dem Paare und sollte der Hauswart sein.

Von Karnstein her führte ein mählicher, gut gebauter und mit einem lebendigen Zaune besäumter Weg, mündend in den ebenen Platz vor dem Hause, der mit weißem Sande bedeckt war.

Das Innere des Baues bot alles Gute und Schöne eines Herrenhauses, von dem Marmorbecken des Badezimmers an bis zu den Meisterwerken im Ahnensaal. Die Ahnenbilder des Poeten waren Meisterwerke. Moses und Homer, Walther von der Vogelweide und Klopstock und Goethe und Schiller und Grillparzer und Stifter und wie sie heißen mögen alle, die der Poet von heute Ahnen nennen muß, weil er von ihnen stammt und bewußt oder unbewußt auf ihren Pfaden schreitet. Gabriel konnte es nimmer leugnen, daß die Bücher Mosis in der alten Bibel seines Vaterhauses ihn das Singen und das Sagen gelehrt. – Die Gemälde des Saales waren so beschaffen, daß sie nicht allein die großen Dichter, sondern in deren Umgebung auch die Zeit, in der sie gelebt hatten, darstellten; die Bilder hatten demnach zweifach kulturhistorische Bedeutung.

Ferner unterschied sich das neue Haus bei Karnstein von anderen Herrenhäusern durch eine reiche und gewählte Büchersammlung, die, abgesehen von allem geistigen Wert, in ihren geschmackvollen Einbänden selbst für das Auge wohlgefälliger war, als die prachtvollsten Möbelstücke es sein können.

Die Wohngemächer, das Spiel- und Musikstübchen, das Arbeitszimmer des Poeten sollen näher nicht beschrieben werden; überall war die Anmut mit der Bequemlichkeit gepaart, und zu all dem Reichtum und zu all den Meisterwerken aus Menschenhänden leuchtete die ewige Pracht der Alpennatur zu den Fenstern herein.

»Für einen Poeten ist das zuviel!« rief Gabriel aus.

»Für einen Poeten ist dieses Haus zu unbedeutend, solltest du vielmehr sagen,« versetzte Mildau, »ich wünsche, daß es sich hier annähernd so gut wohnen lassen möge, wie es der Dichter als Kenner der Schönheit wohl ersinnen und beanspruchen mag. Das Beste an dem neuen Hause ist, daß es in einer so schönen Gegend steht. – Gabriel, bleibe der freie Waldvogel! Hier steht dein Bauer mit dem Weibchen – fliege nach Belieben aus und ein.«

Da versetzte Gabriel heiter: »Ich habe als Knabe einen Finken gehabt, der sang in seinem schlechten Bauer nur, wenn er hungerte.«

Mildau verstand. »Du aber, mein Schwieger,« sagte er, »wirst das Singen nicht lassen, denn du wirst niemals übersättigt und blasiert sein. Und wenn ich dir und deinem Weibe alle Wünsche erfüllen könnte, die auf Erden erfüllbar sind, so würdet ihr immer noch nach weiterem streben, hungern und – singen, nicht wahr? Wir sind einmal so, nur daß mancher seinen Hunger klagt, anstatt ihn zu singen. Und gut ist's, daß wir unersättlich sind, sonst blieben wir und die Welt mit uns stehen auf einem Fleck.«

Ein schönes Haus, Gesundheit, Jugend und ein liebes Weib – ein Narr, der mehr verlangt!

Gabriel verlangte mehr, und siehe, der Erfüllung nahte sein Wunsch, noch ehe derselbe recht laut wurde.

Ein erstes Anzeichen war eine regere Empfindsamkeit Annens. Eines Tages, als Gabriel aus seiner Arbeitsstube trat, sagte Anna, die mit etwas gerötetem Antlitz an ihrem Nähtischchen saß – anschicksam und emsig lag sie stets den schlichten häuslichen Beschäftigungen ob –, »ach,« sagte sie, »kommst gerade recht, Gabriel, jetzt mußt du mir einen tüchtigen Verweis geben. Das ist häßlich von mir gewesen.«

»Was denn?« fragte der Gatte.

»Mag's gar nicht sagen,« antwortete sie unmutig, wie er sie noch kaum gesehen hatte, »du wirst mich noch fortschicken.«

»Na, na, na!«

»Zornig bin ich dir plötzlich geworden – den ganzen Seidenstoff hätte ich mögen mitten auseinanderreißen. Und das, weil – zank' mich aber aus! – zornig, weil sich dieser Faden ein wenig verschlungen hat.«

Sie lachte jetzt, und er lachte mit ihr, und sie sagte, wenn das Laster noch einmal auftauche, so peitsche sie sich selber aus der Haut.

Gabriel küßte das junge Weib für eine solche Beichte, dachte insgeheim aber beschämt daran, wie oft er der Leidenschaft des Zornes schon unterlegen war, ohne sich deshalb auch nur ein einzigmal zu peitschen.

Mildau hatte im neuen Hause noch besonders zwei lichte Zimmer einrichten und in einem derselben einen Großvaterstuhl aufstellen lassen.

Und nun hielt Gabriel Stammer das stattliche Heim für wert genug, es den Annenhof zu heißen.

Um diese Zeit sang er das Lied »von den sechs Brettern«:

Sechs Bretter, die muß ich nun haben,
Doch laß ich mich noch nicht begraben,
Sechs Bretter zur Wiege . . .


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