Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Es will finster werden auf der Welt

Am anderen Tage waren sie wieder im Wirtshause beisammen und konnten nicht genug sprechen über das gestrige Ereignis beim Haberturm.

Aber auch von etwas anderem war die Rede.

Ein interessanter Fremder war angekommen.

Der Fremde trug eine silberne Uhrkette; das mußte schon ein großer Herr sein.

»Wasser hat er getrunken in der Küche gleich aus der Schöpfpfanne.«

»Das tät' ich schon nicht, wenn ich so ein großer Herr wär', da müßt' ich wohl meinen Wein haben.«

»Heidepeters Gabriel ist's gewesen!« sagte plötzlich einer.

Da war alles auf, und alle glaubten und wußten es nun und hatten es sich ja gedacht.

»Alleweil hab' ich's gesagt,« rief die Wirtin, »aus dem Gaberl wird ein großer Herr, und wenn die Leut' über ihn allerlei unebene Sachen haben aufbringen wollen, so hab' ich hundertmal gesagt: Geht's, geht's mit eurem Tratsch, ihr seid an der ersten Lug nicht gestorben. All miteinander lacht er uns jetzt aus.«

»Ja, und schmiert uns an!« schrie der Rindenschlager, »ich sag', wir wollen nichts von ihm, er trägt Herrenloden, er ist ein Stadtherr. Ein Rab' hackt dem andern die Augen nicht aus; wenn er auch nicht so tut, aber er hat's mit dem Großteufel unter einem Hütel. Er ist der Sohn des Dalkerd.«

Vom Hahnenkamp wurde nichts gesprochen; dieser lag in seiner düsteren Stube verlassen im Sterben.

Gabriel hatte am frühesten Morgen desselben Tages endlich seine Schwester Regina umarmt und seinen Freund Rudolf, und beide geküßt. Sie hatten ihn kaum erkannt. Regina errötete tief. Sie getraute sich den vornehmen Herrn gar nicht anzuschauen. Das war Gabriel – Gaberl, der einst so schmale, bleiche, schwächliche Junge im Zwilchjöpplein. Wie war er jetzt so groß und fein, wie hatte er so weiche Hände, so krause, zarte Locken und das Bärtchen. Und die Stimme tönte so tief und doch so hell und freundlich. Und seine weiße Binde um den Hals – wie ein Pfarrer. Das war ihr Bruder, der Gabriel, der Gaberl? Ja doch, seine leicht aufgeworfenen Lippen, seine milden, dunkelblauen Augen waren es. Und Regina redete endlich und sprach:

»Ja, wie bist denn jetzt? – So bist du geworden?«

Sie gingen nicht hinauf gegen die Heimstätte, das Heidehaus, sie gingen zum Ameishüter.

Vor dem Hause standen einige Eschen, und von einer derselben scholl ein Hacken, und es rauschten buschige Äste nieder. Ganz oben im Wipfel saß der Heidepeter, der von seinem vergeblichen Suchen einmal zurückgekehrt war.

»Vater,« rief Regina hinauf, »steigt ein wenig herab, 's ist wer da.«

Und gleich darauf Gabriel:

»Grüß' Euch Gott! Ist das Laub noch grün?«

»Ja, 's ist noch ein wenig grün«, antwortete der Mann mit zitternder Stimme und kletterte sogleich herab; er hatte seinen Sohn schon erkannt.

Und nun sah Gabriel seinen sehr gealterten Vater mit den furchigen Wangen, mit dem grauenden Haar. Nicht das halbe Elend hatten sie ihm geschrieben, das während seiner Abwesenheit dieser Mann ertragen mußte.

Der Peter aber sah seinen Sohn frisch und in der Jugendkraft. Er vergaß in diesem Augenblick all sein Leid.

»So grüß' dich Gott, Gaberl,« sagte er ganz leise, beinahe furchtsam – »bist uns doch wohl endlich einmal 'kommen. Bei uns gibt's halt alleweil viel Elend.«

»Wo ist die Mutter?« fragte Gabriel schnell.

Da war es einen Augenblick still, Regina fing leise an zu weinen, und der Peter legte seine Hand an das Kinn und starrte zu Boden.

Sollte Gabriel denn noch nichts wissen?

*

Die Einschicht-Res saß auf der Bank vor ihrer Hütte. Neben ihr saß wieder der Heidepeter und legte die Hand ans Kinn, auf welchem rauhe, ungepflegte Bartstoppeln standen.

»Mein Gabriel geht sich die Füße ab,« murmelte er, »wird mir zuletzt auch noch krank vor Gram.«

»Unten beim toten See sehen sie alleweil ein Licht herumfliegen«, sagte das Weib.

»Und das kann ich mein Lebtag nicht glauben, daß der Herrgott meine Klara so verlassen hätt', daß sie mir ins Wasser gegangen wär'. Res, ich hab' kein' Fried' und kein' Ruh'.«

Die Res hatte still zugehört, plötzlich aber tat sie eine lebhafte Bewegung und rief:

»Jetzt laß das Trübsalblasen sein, Peter, und tu einmal einen Jauchzer!«

Er starrte die Res an.

»Mit dem Beten und Traurigsein richten wir beim Herrgott nichts mehr aus, dasselb' hab' ich schon gesehen; auch gut, so wollen wir singen und jauchzen, daß ihm die Ohren gellen!«

Und sie stieß einen grellen Ton hervor, der vielfach im Gewände widerhallte.

Von den Waldungen herüber hallte es, von der Schlucht herein hallte es auch. Und wie hell und deutlich! War das Widerhall? Nein, das war ein selbständiges Klingen und Schallen, das waren Töne aus einem Horn. – Wer bläst hier im Walde? Hatte die Res mit ihrem Schrei Geister geweckt? Wer kommt da? Stehen die Toten auf?


Ein alter, halblahmer Mann und seine Tochter, ein blindes Mädchen, die sich durch das Land bettelten, fanden eines Tages draußen auf der Ebene neben der Straße an einer Zisterne ein betagtes Weib sitzen. Das zerrte an seinen ärmlichen Kleidern und wusch mit der hohlen Hand die Augen und die Stirne.

»Was macht denn die Muhme da bei dem Wasser?« fragte der Alte halb als Gruß, halb aus Neugierde.

»Mein, was werd' ich machen,« antwortete das Weib, »dunkel will's schon werden.«

»Ihr seid ja vom Gebirge her, ich kenn's an Eurem Gewand.«

»So, vom Gebirge bin ich her?« versetzte die Fremde ein wenig verwundert, »ja, 's wird wohl sein.«

Der Bettler fragte sie noch um manches, aber sie sagte als Antwort immer: »Vom Gebirge bin ich her, man kennt's am Gewand.«

Dann im Selbstgespräch:

»Ja, richtig, man wird's wohl kennen. Ich seh's ein, ich hätt' doch noch warten sollen auf den Peter, allein werd' ich dasselb' Haus nicht finden, wo er herausschaut durchs Fenstergatter. 's wird halt schon soviel dunkel auf der Welt.«

»O du dreidoppelter Morgenstern übereinand!« rief der Bettelmann jetzt aus, »das ist ja die Heidepeterin aus der Rattensteiner Pfarre! So laßt Euch einmal recht anschauen. Und was sag' ich denn! Die Peterin in der Einöd', mein Lebtag, bei der ich vorzeiten meine beste Milch getrunken hab'! He, schaut mich an, ich bin ja der alte Greg, der Jägersknecht, der in Eurem Haus allweg auf dem Herd gesessen ist und sein Tabakfeuer geholt hat. Mein, das ist die Heidepeterin! Jeßtl, Hedwig, die Frau ist zuletzt gar nicht recht in Ordnung mit dem Kopf.«

Das Weib starrte den Alten an und gab verworrene Antworten. Dann holperte es zum Mädchen und sagte:

»Grüß' dich Gott, Regina!« setzte aber sogleich dazu: »Schau das junge Volk an, jetzt ist sie schon wieder eine andere.«

Dann nahm sie der alte Greg am Arm und sagte:

»Heidepeterin, jetzt gehen wir all drei zusammen und suchen die Einöd' auf. Siehst du, Musik haben wir auch bei uns!« Und er blies in ein Waldhorn, daß es schmetterte.

Und da humpelten drei Bettelleute die Straße entlang. Vorüberziehende blieben stehen und sahen ihnen nach und sagten: »Gott erbarm'! das sind drei Ausgesuchte: das eine ist lahm, das andere ist blind, das dritte ist lahm und blind und gar noch was dazu.«

Die arme Klara paßte prächtig zu den zweien: sie wurde endlich heiter und wußte nicht warum.

Einmal, als sie an einem Kruzifix vorüberkamen, wie sie häufiger und häufiger dastanden, je mehr sie dem Gebirge nahten, stand die Heidepeterin still und sagte:

»Aha, da hängt er. Meinem Peter haben sie's just so gemacht.«

Einmal stand eine Kapelle am Weg, da meinte sie:

»Das ist mir ganz recht, jetzt da drin sitzt unser' liebe Frau. Muß ein wenig was mit ihr reden, wir sind gut miteinander.« Und als sie am Marienbilde stand, hielt sie ihm die Hand hin: »Grüß' dich Gott! Jetzt hätt' ich dich im Himmel oben gesucht, und du bist so in der Fremde da. Ja, und jetzt muß ich dich schon fragen, halten sie meinen Gabriel noch eingesperrt? Und wegen was denn, weißt mir gar nichts zu sagen? Ei ja, jetzt bleib' ich da bei dir. Du kennst mich ja, jeden Samstag einen Rosenkranz hab' ich dir verehrt, weißt es noch? Ich bin die Heidepeterin.«

»Was denn aber muß geschehen sein in der Einöde!« meinte der Greg, »und wie sie die irrsinnige Person so herumwalgen lassen in der Welt!«

Sie hatten ihre Not, bis sie das Weib mit sich fortbrachten.

Das Mädchen sprach ihr zu mit guten Worten, und da sagte Klara einmal: »Nein, aber lachen muß ich auch über mich, ich bin 'leicht doch ein ganzer Narr. Dank dir Gott, Regina!«

»Wie seid Ihr denn so weit weggeraten von daheim?«

»Von daheim?« sagte Klara verwundert, »ja, wenn es recht aufkommt, dasselb' weiß ich zuletzt selber nicht.«



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