Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Auf der Gant

Und wie ging's in der Einöde, als er fort war?

Oft, wenn stiller Feierabend, verließ Regina das Haus und ging hinab gegen die Kapelle, die verlassen und halb verfallen dastand, zwischen Erlengebüschen und hohen Föhren.

An einem rostigen Türnagel hing ein Weihwassergefäß. In dieses tauchte das Mädchen stets die Finger ein, besprengte sich das Gesicht und sagte halblaut:

»Jetzt gehe ich in das heilige Haus Gottes ein, die weltlichen Gedanken sollen weit von mir sein – hier bin ich vor Gott in der Ewigkeit!«

Dann kniete sie nieder auf ein Querbrett und sah zum uralten, in Einfalt gezierten Frauenbild auf. Sie betete:

»Himmelskönigin Maria, dein Bild verehr' ich, und zu dir ruf' ich, weil mir so bang ist im Herzen. Mein Vater ist arm und kann sich nicht helfen, weil ihn das Unglück verfolgt, weil ihn die Leut' verfolgen, und jetzt wollen sie uns gar das Haus wegnehmen und uns hinausstoßen aus dem eigenen Dach! Meine Mutter will mir erblinden, und sie weint auch so um den Gabriel. Jungfrau Maria, und das ist auch mein größtes Anliegen, meine Bitt', beschütz' mir doch meinen Bruder in der Fremde. Ganz unbekannte Leut' haben ihn fortgerufen, und ich weiß nicht, was sie mit ihm tun. O heilige, reine Gottesmutter! Jeden Samstag einen Kranz von Rosen und Marin, den flecht' ich deinem Gnadenbilde hier, wenn du meinem Bruder beistehst allzeit, weil ja ich nicht bei ihm sein kann, und weil er gewiß niemanden haben wird, der ihn pflegt und auf ihn Obacht hat. Und jetzt bet' ich auch noch für mich, daß du mich fromm und geduldig sein lassest: die Leut' bringen gar allweg Schlechtes über mich auf und führen mich in die Versuchung. So, und jetzt hab' ich dir mein Anliegen geklagt, und jetzt geh' ich und sag': Gute Nacht, Maria!«

Nichts auf Erden kann ein banges Herz so sehr beruhigen und trösten als ein gläubiges Gebet. Oh, schleudert den armen bedrängten Menschen nicht die Brandfackel des Zweifels in dieses Heiligtum, oder, wenn ihr es tut, so lasset ihnen in euch jene Allmacht und Liebe angedeihen, die sie von Gott und seinen Heiligen so zuversichtlich erwarten. Könnt ihr das?

Regina verließ stets beruhigt die Kapelle und war wieder heiter und doppelt liebreich gegen ihre Eltern.

Eines Tages im Spätherbst, als sie aus der Kapelle trat, stand Rudolf, der junge Haberturmknecht, an einem Baum und zeichnete mit einem Weidenstäbchen Dinge in den frisch gefallenen Schnee.

Das Mädchen erschrak beinahe und sagte:

»Willst 'leicht auch dein Abendgebet hier verrichten, Rudolf? Was schreibst denn da für Sachen in den Schnee?«

Der junge Mann zerstörte seine Zeichnung mit einem tiefen Strich und versetzte zerstreut:

»Nichts. Geben will ich dir was.«

»Ja, das kann ich mir denken,« lachte Regina, »fopp' du deine Leut', wirst keinen Taglohn schuldig!«

»Einen Gruß von deinem Bruder bring' ich dir in diesem Blümel.«

Er hielt ihr das vertrocknete Maßlieb hin.

»Geh, meinst, mein Bruder hätt' kein' besseren Gruß für mich wie so ein welkes Blümel da? Halt her! – Schau, lassen mag ich dir's doch nicht.«

Der Bursche stand da und blickte auf den Schnee.

»Willst 'leicht noch was?« fragte ihn Regina.

Da reichte er ihr seine Hand und sagte:

»Gute Nacht, gute Nacht, und nochmals gute Nacht!«

Dann ging er langsam über den Wassergraben, in welchem unter der Schnee- und Eisdecke der Waldbach murmelte, und jenseits aufwärts gegen den Halberturmhof.

Nun kam der Winter mit Massen.

Es war noch weit vor dem Frühjahre, es war die Faschingszeit, und unten beim Zapfenwirt schlug der Rindenschlager-Lenz das Hackbrett. Wie da die Hämmerchen hüpften auf den glänzenden, zirpenden Stahlsaiten, auf und ab, hin und her, von einer zur anderen, und wie jede getroffene ein anderes Lied sang! Und was da die Leute tanzten und jauchzten; in der Stube flogen die Silbergroschen wie draußen über der Scheune die Spatzen.

Oben im Heidehause ging es auch lebhaft zu, da eilten die Leute erregt und bewegt zur Tür aus und ein, und auch hier wurde zum Fasching ein Instrument gespielt. Nur daß dazu niemand tanzte und jauchzte, denn der Hammer, der hier spielte, schlug nicht auf klingende Saiten – er schlug auf Menschenherzen.

Der Hammer der Versteigerung.

Zahlreiche Gläubiger waren da und gingen im Hause umher und beguckten alles, und eine Anzahl Kleinhüttler, Köhlersleute, die sonst betteln gekommen waren, polterten in den Stuben herum und warfen hochmütige Blicke auf die Hausbewohner, die alles geschehen lassen mußten und sich nicht rühren durften. Wenn der Heidepeter was sagte, wenn er bat, ihm das oder jenes, was ihm besonders angewachsen, nicht wegzunehmen, so erhielt er keine Antwort.

Der Hahnenkamp war auch da.

Er trug heute einen großen, breiten Ledergurt um die Hüften, und da steckte er behäbig seine beiden Daumen hinein.

So schritt er im Hofe langsam umher, machte die Stall- und Scheunentore auf und besah und betastete die Wände und Torstöcke und die Bedachung, ob wohl alles seinen guten Stand habe. Dabei pfiff er und pfiff höllisch falsch.

Der Heidepeter saß neben seinem siechenden Weibe in der Stube und legte die Hand an das Kinn.

Klara hielt die blaue Schürze vor das Gesicht.

»Hast denn nicht besser wirtschaften können, Peter! Jetzt ist alles hin, was fangen wir an?«

»Wenn der Bub daheim geblieben, hätten wir uns noch durchgewürgt; aber hast ihn ja selbst noch fortgeschoben mit deinen Reden, Klara. Mir darfst keine Schuld geben.«

»So, und jetzt wälzest du noch die Schuld auf mich, auf die arme, kranke Haut, die sich nicht zu helfen weiß! Wenn mich der lieb' Herrgott nur gleich zu sich nehmen tät, das wär' das beste!«

Sie schluchzte so heftig, daß sie kein Wort mehr hervorbrachte. Der Peter mußte sie stützen, daß sie nicht auf den Boden fiel.

»Klara!« hauchte er ihr auf die Stirn, »tu dir's nur nicht gar so schwer legen. Sag' mir, 's wird wohl nicht unrecht sein, wenn ich dein Gebetbüchel da in den Sack steck', daß sie's nicht finden?«

»Wo ist denn heut' die Regina?« fragte Klara endlich und trocknete sich die Augen.

»Sie muß den Leuten das Korn vermessen und die Küh' aus dem Stalle treiben«, sagte der Peter traurig.

Draußen in der Lauben stand ein Tisch. Da fiel nun der Hammer nieder.

»Siebenhundert!« schrie der Amtmann.

»Achthundert!« rief ein anderer.

»Achthundert zum ersten.«

»Neunhundert!«

»Neunhundertundfünfzig!«

»Neunhundertsechzig!«

»Tausend!«

»Tausend zum ersten! Tausend zum zweiten!«

»Tausendfünfzig!«

»Tausendundfünfzig zum ersten! Zum zweiten!«

Es war still, die Leute hielten den Atem an.

»Tausendundfünfzig zum zweiten!« rief der Amtmann, »gibt keiner mehr? – Tausendundfünfzig zum – dritten!«

Der Hammer fiel auf den Tisch.

Das Heidehaus gehörte dem Hahnenkamp.

Jetzt entstand eine lebhafte Bewegung, und mehrere Gläubiger fluchten und schrien, sie litten keine Verkürzung, und sie ließen es auf einen Prozeß ankommen.

Der Bader von Rattenstein trat in die Stube.

»Heidepeter!« sagte er, »es ist schlecht ausgefallen, dein Haus mit allem, was drum und dran, ist um tausendundfünfzig Gulden abgeschlagen worden; schuldig bist aber um ein gut Stück drüber! Ich leid' keinen Schaden, Heidepeter, das sag' ich dir!«

»Könnt's mir ja den Rock vom Leib ziehen,« sprach der Peter tonlos, »mir ist alles recht.«

Der Arzt polterte wieder hinaus.

Der Peter erhob sich:

»Gleich geh ich es ihm sagen, daß er dich gesund mache«, rief er aufgeregt. »Ich hab' ihm mein halbes Haus dafür gegeben, und ich schenk' ihm's nicht. Auf der Stell' muß er dich gesund machen, Klara, oder ich geh zum Kaiser!«

»Sei nicht aufgebracht, Peter,« beruhigte ihn nun Klara, »der Arzt kann's halt auch nicht gleich so wie er möcht'. Der Herrgott wird uns nicht verlassen. Geh, ruf mir die Regina her!«

Jetzt trat der Hahnenkamp zur Tür herein.

»Bleib' nur sitzen, Peter«, sagte er mit einem Ton, der wohlwollend sein sollte. »Habt es freilich ausgeschrien, ich wär' ein Wildling, aber das ist derweil nicht richtig, und ich sag' euch's gleich, ich werd' euch nicht hinauswerfen; 's Haus ist mein von dieser Stund' an, und euch lass' ich's Oberstübel. Du, Peter, hilfst mir in der Arbeit und verdienst schon die Kost für dich und dein Weib. Ist wohl wahr, und ich sag's: Was mein ist, ist mein, und nicht ein Splitterl von meinem Güterl! Aber Stein bin ich keiner. Kannst jetzt ein Eichtel rasten, Peter, und nachher, wenn die Beschau vorbei, gehst den Schnee vom Grashaufen wegschaufeln und hackest Streu ein!«

Der Peter sagte nichts, er tat nur einen hohen Atemzug.

»Deine Tochter wird zum Ameishüter als Stallmagd hinauskommen,« fuhr der Hahnenkamp fort, »wird ihm die dreiundzwanzig Gulden abdienen, die nicht 'zahlt werden können. So, jetzt weißt es, und wenn du willst, so sag's auch deinem Weib.«

»Hab's schon gehört!« rief Klara, »weiß schon, daß Ihr uns das Haus und unser Kind weggenommen habt. Wollt's uns 'leicht allein lassen in unseren alten, mühseligen Tagen? – Hahnenkamp! – Er hört mich gar nicht an, lachen tut er noch, und fort geht er, und alle lassen sie uns allein. Peter, wir zwei sind zuviel auf der Welt, sie hätten uns am liebsten unter dem Gras. Aber sterben will ich noch nicht, beileib nicht! Will's noch erleben, daß uns der Hahnenkamp um eine Nachtherberge bittet!«

»Ich möcht' sonst nichts erleben,« entgegnete der Peter, »als daß uns unsere Kinder eine Freud' machen täten, und das ist allweg meine Hoffnung.«

Regina kam herbei und tröstete die Eltern und sagte, sie wolle ja gern dienen, um den Leuten die Schulden abzustatten, und sie käme jeden Sonntag zu Vater und Mutter und täte sie mit Freuden pflegen. Sie tat heiter, als sie dieses sagte, und sie wischte der Mutter das Feuchte von den Augen.

Da faßte Klara das Mädchen zitternd an der Hand und führte es aus der Stube hinab in den dunklen Keller.

»Du gehst jetzt zu fremden Leuten,« sagte sie hier, »und da muß ich noch etwas mit dir reden. Du bist aufgewachsen in Ehren, und bei deinen Eltern daheim hast du Gotts wegen nichts Schlechtes gehört und gesehen. Ich weiß nicht, verstehst mich schon, aber bei dem Menschen ist's einmal so, wenn er in seinen jungen Jahren ist, daß – Regina, jetzt schau her auf deine kranke Mutter, vergiß es nimmer, wie ich da steh' vor dir mit aufgehobenen Händen und dich bitte um Gottes willen, tu mir keine Unehr' an! Tu dich allweg hüten, und wenn's Gott gibt, daß du einstmalen in den Ehestand trittst – Regina, bring' den grünen Kranz mit zum Altare! – Daß du mich jetzt verlassen mußt, in meinen alten Tagen, just deswegen werd' ich nicht sterben, aber wenn du mir mein heiliges Wort vergißt, so hast du mir die Grube gegraben!«

Gegen Abend schritt Regina hinab zur Waldkapelle, und nun erst brach der Schmerz in Weinen aus, daß es so gekommen war.

»Ich bin ein armes Mädchen,« schluchzte sie vor dem Marienbilde, »und ich habe die heilige Pflicht, meinen Eltern beizustehen, aber die Leute reißen mich von ihnen fort. Jetzt will es dunkel werden in mir, und kein Mensch ist, der mir zurufen tät': Gute Nacht!«

Endlich trocknete sich das Mädchen die Tränen von den schönen, dunklen Augen, tat einen tiefen Atemzug und sagte:

»Ei ja, Tag und Nacht, 's ist so der Brauch auf der Welt. Die Sonne wird schon wiederkommen, das ist ein schlechter Christ, der verzweifelt.«

Als sie aus der Kapelle trat, blickte sie erstaunt auf die Schneedecke. Hier standen die Worte geschrieben: »Gute Nacht, Regina!«

*

Wenn die Mutter Natur will, so bringt sie alle Menschen zum Lächeln.

Gram, Sorge, Liebweh mag noch so groß sein, jegliches Leid wird gemildert, wenn die Welt mit ihrem Frühling kommt. »Sei gut, sei froh und heiter, du Menschengemüt!« sagt Mutter Natur.

Auch in der Einöde und auf der Heide ist der Frühling schön, gleichwohl er spät kommt, gleichwohl die Junisonne Schnee zu schmelzen hat in den Waldschluchten.

Wohl lange schon war jener weiße, glitzernde Brief zergangen, auf welchem die Worte geschrieben standen: »Gute Nacht, Regina!«

Tiefe Furchen hatte das Wasser gerissen, und viel Sand und Gestein hatte es hinausgeschwemmt auf die Wiesen des Zapfenwirtes und des Hahnenkamps.

Nun war Maien.

An den Rainen und Hängen blühten dunkelrot die Eriken, die Lärchbäume prangten in hellgrüner Farbe und trugen purpurne Kätzchen; auf den Wiesen glitzerten zerteilte Wässerlein. Der säuselnde, summende, allebendige Wald wurde schattiger und dunkler, je mehr in den Ästen frische Blätter nachwuchsen.

Die Ameisen kamen hervor und begannen ihre Arbeit mit den Harzkörnern, mit den Zapfenschuppen, mit den dürren Nadeln. Auf den Wipfeln hüpften die Amseln und die Finken und die Rotkehlchen und die Meisen und sangen. – Und hoch oben, im tiefblauen Himmelsauge, kreiste ein Habicht, und sein Gefieder schimmerte silbrig in der Sonne.

Hinter den dunkelnden Hochwäldern aber ragen die leuchtenden Felszinnen der Wildschroffen empor, in deren Klüften noch der Schnee lagert.

Es liegt eine wunderbare Ruhe und Reinheit über der Einöde, obwohl einmal geäußert worden ist, die Hochgegend der Einöde mit ihren träumenden, raubtierreichen Wäldern und mit ihren weißen, scharfen Felskanten im Hintergrunde sei in solchen Tagen wie ein lauerndes Ungeheuer, das die Augen halb zudrückt und die Zähne fletscht.

Über das junge Federgras und über das dunkelrot blühende Wildkraut der Heide ging in sehr kurzen, langsamen Schritten der Heidepeter und führte sein Weib.

Klaras Kopf war dicht in Tücher und Lappen gewickelt, und sie hielt immer die Hand an den Mund, damit das Alpenlüftchen nicht zu sehr hineinkäme, denn zum Alpenlüftchen hatte sie kein sonderliches Vertrauen. Auch tat ihr der helle Sonnenschein weh. Sie ging gar schleppend und gebeugt und hing sich fest an den treuen Ehemann, obwohl sie behauptete, daß ihr recht gut sei und daß sie Trost habe, endlich doch wieder gesund zu werden.

»Ich hab' was wahrgenommen, Klara,« flüsterte der Peter geheimnisvoll schmunzelnd, »wie ich jetzt vom Hause fort bin, hab' ich im Stübel die Schmalzkübel pumpern gehört; ich sag', wir kriegen heut' einen guten Sterz, Klara!«

Ein guter Sterz, das war dem Heidepeter nach Weib und Kind das Liebste auf Erden.

»Magst ein Brot, Peter? Ich hab' mein gestriges Stückel bei mir.«

Sie setzten sich endlich auf einen moosigen Stein, und der Peter sagte:

»Bin wohl rechtschaffen froh, daß Sonntag ist und daß unsereins rasten kann, 's tun mir halt doch dann und wann wolltern die Händ' weh beim Pflugführen in der Steinleiten.«

»Tust dich frei soviel herabrackern, Peter, und du wirst mir schier ein ganzer Hascher; bist eh' schon grau auf dem Kopf und wirst nach und nach letz. Wenn dir was ist, Peter, so sag's, 'leicht kann ich dir doch dann und wann Hilf' reichen. Freilich wohl, schön geduldig ertragen, wer's zuwegen bringen könnt', das wär' ein Glück. Allemal kann man's halt nicht. Und das, denk' ich, fragt einen unser Herrgott, wenn man anklopft bei der Himmelstür: Hast Kreuz und Leiden willig tragen? Geh, zeig' mir deine Schultern! Bist auf dornigen Wegen gegangen? Geh, zeig' mir deine Füße! So komm' herein, die Erden werd' ich verbrennen mit ihrem Kreuz und Leiden, und im Himmel wollen wir zusammen verbleiben. – Dasselb', denk' ich, sagt der liebe Herrgott, wenn unsereins vor die Himmelstür kommt.« Der Peter lächelte mit feuchten Augen.

»Ja, und jetzt muß ich dir was sagen,« fuhr sie fort, »ich tät' am nächsten Sonntag soviel gern nach Rattenstein hinaushumpeln, ich weiß ja schon völlig nimmer, wie eine Kirchen ausschaut. Schau, Peter, 's könnt bei mir auf einmal zum Sterben sein.«

»Dasselb' ist wohl richtig«, antwortete der Mann gedrückt und legte die Hand ans Kinn.

»Und zuletzt wär' gar vom Gabriel ein Brief beim Postmeister!«

»Wenn ich bei der Arbeit bin,« sagte der Peter, »oder wenn ich allein wo geh und steh, so bet' ich halt gern für unsere Kinder. Geh, Klara, magst mir heut' nicht das Lied vom armen Dienstmägdlein singen?«

Das Weib schmunzelte ein wenig hinter dem Tücherwall. Singen, das war ihr Lebtag was für sie gewesen, und wenn sie überlaut auch sagte, sie könne gar nicht mehr, ihre Kehle sei so rauh wie ein alter Lodensack, so war es ihr doch heimlich recht, wenn jemand sie bat um ein Lied. – Der Peter war ihr ja einst, als sie Ziegen hütete, im Walde nachgegangen, ihres Singens wegen, hatte sie kennengelernt und hatte sie hierauf geheiratet.

Darum war ihm ihr Gesang immer noch lieb zu hören.

Klara hüstelte nun ein paarmal, um die Kehle zu glätten, dann schlug sie ein klein wenig die Tücher auseinander und begann leise – halb singend, halb sagend – Peters Lieblingslied:

Es war ein armes Dienstmägdeleln,
Gar keusch und rein im Leben?
Das ging wohl alle Tag in Wald:
Da fand es eine Bildnuß bald,
Die tat es wunderschön zieren.

Die Bildnuß war alle verwischt und wild.
Die Bildnuß war kaum zu bekleiden,
All' Tag mit ein frischen Blümelein,
Wie's stunden auf der Heiden –

Hier wurde die Sängerin unterbrochen.

»Peter!« rief eine derbe Stimme vom Hause her, »wo hat dich denn der Geier wieder, du Dalkerd!«

»Der Bauer,« sagte der Peter, »jetzt muß ich gleich zum Haus hinablaufen, 's wird ein' Arbeit für mich sein. Hatsch schön stad nach.«

Und als er zum Hause kam, fluchte der Hahnenkamp, und der Zapfenwirt, der neben ihm stand und mit seinen triefenden Augen blinzelte, sagte höhnische Worte, die dem Peter weh taten.

»Mein Davidl läßt dich grüßen, Dalkerd,« sagte der Zapfenwirt, »er wär' sonst mitkommen und hätt' dir sein Kompliment gemacht, daß du's so weit bracht hast, aber 's könnt' der Kettenhund toll werden, oder du hättest ihm gar wieder ein Fangeisen gelegt. Ja, ja, Dalkerd, die Welt ist kugelrund!«

»Laßt mich in Ruh!« entgegnete der Peter kleinlaut, »ich und mein Weib haben Euch nichts in den Weg gelegt und meine Kinder wohl gewiß auch nichts.«

»Kommt er gleich mit seinen Kindern und prahlt sich damit«, lachte der Zapfenwirt. »Nu, ich will dir's nur sagen, man hört saubere Sachen von deinen Kindern!«

Da wurde der Heidepeter lebendig:

»Was hört man von meinen Kindern? Auf der Stell', Wirt, was hört man?«

»Geh selbst nachfragen, ich bin kein Kostenträger, ich bin der Zapfenwirt!« war die Antwort.

»Nur peinigen wollt Ihr mich und mein Weib!« rief der Peter mit bebendem Ton.

»Jetzt troll' dich einmal, alter Brummbär!« schrie der Hahnenkamp, »Futtermähen geh, oder sollen die Melkküh' heut' nichts fressen? Du fragst gleich nach der fetten Butter, aber sonst fragst nach nichts! Wie du dich selbst aufgefressen hast, so willst auch mich auffressen. Na – muß ich dir weiterhelfen?«

Der Bauer drohte mit der Faust, aber der Peter blieb auf seinem Fleck stehen.

»'s ist wohl heut' Sonntag,« sagte er endlich, »und die Sonntagsschänderei ist bei mir nie der Brauch gewesen. Hättest zum Futtermähen auch die Kuhmagd – aber ich geh und tu deinen Willen. Euch, Zapfenwirt, frag' ich noch ein andermal später, was für saubere Sachen Ihr von meinen Kindern wißt.«

Der betagte Mann langte die Sense von der Vorwand und ging hinab auf die Wiese. Und es war doch Sonntag und Ruhetag, und die Leute vergnügten sich und sammelten Kraft für die nächstkommenden Werktage. Nur er mußte das Zugtier sein, das keine Ausnahme erfährt.

Traurig stand er da und starrte nieder auf das grüne, frische Gras. Siehe, da saß auf einem Rispenhalm eine Heuschrecke, und die hielt ihre zwei Vorderfüße gefaltet empor gegen den hohen, blauen Himmel. – Alles hält Sonntag, selbst das Insekt im Grase feiert den Tag mit dem lieben Herrgott. –

Aber Gehorsam und Sanftmut ist auch ein Gottesdienst – hatte Gabriel einmal aus einem Buche gelesen. Der Heidepeter dachte daran und hieb die Sense in das Gras.


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