Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Waldsings Hochzeitstag

Und an einem gottesfrischen, taufunkelnden Maimorgen klangen die Glocken der Waldkirche.

Die Kirche stand eine halbe Stunde von Karnstein gegen die Einödwälder hin; sie stand auf einer Anhöhe, und das weiße schlanke Türmchen ragte über die dunkelnden Tannen und grünenden Lärchen, in denen die Amseln und die Finken und die Zeisige und die Meisen und die Lerchen trillernd, singend, jauchzend Hochzeit hielten.

Das neu und schöner erstehende Karnstein hatte sich festlich geschmückt; und seit der Ort besteht, das erstemal waren die Wege mit Besen ausgekehrt und mit hellen Blümlein bestreut.

Vom Bahnhofe her kam ein kleiner, aber seltsamer Zug. Ein paar stattliche Herren, etwelche schöne freundliche Frauen – Gabriel Stammer in ihrem Kreise. Und der alte Ferdinand Küßdenker, nimmer in Grau, sondern pechschwarz, glatt und glänzend auf und auf, eine Rose im Knopfloch, Glück im Herzen, Lust in den Augen – denn ihm zur Seite schwebte sein liebes Mädchen, Anna Mildau, im Brautschleier.

Er, der Ferdinand Küßdenker, liebender Jüngling seit Anna auf Erden – heute Bräutigam im Geiste. Er führte das herrliche Mädchen zum Altar. – So hatte er es seit jenem Gange in die Einödwälder bei siebenmal verschlossenen Türen seines Herzens gewünscht; so war es gekommen. Er geleitete die Tochter seines Herrn und Freundes zum Altar – ihrem Erwählten entgegen.

Anna glitt, schwebte in ihrem zarten, schwanenweißen, myrtendurchwobenen Hochzeitskleide wie eine Äthergestalt dahin. Ihr blasses Antlitz, die dunklen Wimpern ihrer großen Augen gesenkt, mit losen Locken, auf welchen wie ein Heiligtum das grüne Sträußchen ruhte – so schwebte sie dahin. Der Schleier wallte wie eine zarte Wolke, die der nächste Lufthauch wird verwehen, über ihr Haupt. Hochklopfenden Herzens und doch kaum zu atmen wagend, um ihre süße Pein und Seligkeit nicht hinauszuschreien in den himmlischen Morgen, um sich nicht etwa selber zu wecken aus dem wunderbaren Traum – so schwebte sie dahin.

. . . Ich kann's nicht fassen, nicht glauben, es hat ein Traum mich berückt, wie hätte er doch unter allen mich Arme erhöht und beglückt! . . . So sann sie nach den Worten eines Dichters.

. . . Mir war's, er habe gesprochen: Ich bin auf ewig dein. – Mir ist's, ich träume noch immer – es kann ja nimmer so sein . . .

Sie zogen über die Felder, auf denen schon das Korn grünte, welches ein paar Wochen früher der Landmann gläubig und hoffend in die Erde gelegt hatte. Am Rande des Waldes stand ein Dornstrauch mit vielen Rosenknöspchen und mit vielen Tautropfen auf seinen Blättern. Am Rande des Waldes standen hohe Buchen, die eine schattige Pforte wölbten über den Hochzeitszug. Anna schwebte durch den dunkeln Wald wie ein weißes Rosenblatt – nein, diese Erde weiß keinen Vergleich mit dem heiligen Wesen einer jungfräulichen Braut. Wie eine Flocke wehte sie dahin, und sooft durch das hohe Gestämme ein Sonnenstrahl auf die weiße Gestalt fiel, war es, als zuckte ein Blitzstrahl durch diese Flocke.

Selbst die Vögel auf den Wipfeln, schien es, wurden andächtig und wisperten nur leise. Aber zwischen den Bäumen her klangen die Glocken hell und heller, und diesem Rufe folgte der Zug, bis er auf dem stillen Waldanger stand vor der Kirche.

Aus dem Dunkel des kleinen Gotteshauses strahlten des Altars Lichter, und das liebfreundliche Bildnis Mariens war umwunden mit einem Kranze von weißen und roten Rosen.

Als sie in die Kirche getreten waren, schwiegen die Klänge.

Bis zum roten Samt der Altarstufen geleitete Ferdinand die Braut; dort tat er noch einen kurzen, fast wirren Blick in ihr Angesicht und trat dann einige Schritte zurück. Denn an Annens Seite stand jetzt Gabriel mit dem Myrtenstrauß auf der Brust. – Er hob sein Auge gegen den Lichterkranz; sie neigte ihr Haupt zur Erde – was in ihrem Augensterne lag und was um ihre roten Lippen zuckte – – es kann nicht aufgeschrieben werden.

Nun kam der Priester. Er hielt eine kurze Ansprache über den Hauptsatz: nichts ist so göttlich auf Erden als die ewige Ehe, wenn sich zwei lieben. Es war ein hellenischer Festgruß, frohgemut stimmend mit den freudig bewegten Herzen und mit dem sonnen- und klangvollen Maimorgen.

Und als er die Stufe niederstieg, um das dreifache Ja zu hören, und als der Priester die goldenen Ringe gleiten ließ über die Fingerspitzen, und als er – die Rippe Adams wieder einsetzend in dessen Seite – die beiden Hände ineinanderlegte, da zitterte ein Sonnenfunke nieder durch die Kronen des Waldes und durch das Kirchenfenster auf die Häupter des jungen Paares.

. . . Bist mein Geliebter
Du mir erschienen,
Gibst du, Sonne, mir deinen Schein! . . .

So hub jetzt plötzlich draußen zwischen den Stämmen ein Chor von Mädchenstimmen an zu singen, im Lied der Braut um die Stirn windend der blühenden Myrte Zier.

Mildau hatte sich während der Feier mehrere Male umgesehen nach dem Vater des Bräutigams. Der Heidepeter und Regina mit ihrem Mann aus dem Haberturmhause standen in dem allerfinstersten Winkel der Kirche; der Peter wollte sich vor den vornehmen Herrschaften gar nicht sehen lassen, er wollte nichts, als das Paar am Altar schauen, und er mochte nun schier nicht glauben, daß dieses schöne junge Weib, so schön und lieblich wie »unsere lieben Frauen im himmlischen Saal«, von nun an sein Kind heißen soll.

. . . Wenn ein Brautpaar zum Traualtar tritt, so begleiten es die Himmlischen: die Sehnsucht und die Hoffnung. Darum ist dieser Gang so feierlich, so wundersam, so beklemmend, und fast schwankt die Erde. – Anders wenn die Vereinigten aus der Kirche schreiten; da fühlen sie unter ihren Füßen den festen Boden des irdischen Seins, und die Stimmung ist eine weltliche, leichtlebige, bisweilen sogar übermütige.

Gleichwohl in den schweren Banden jetzt, »die nur der Tod kann lösen«, fühlten sich Gabriel und Anna frei und wie neugeboren zu einem Leben, das keine Not mehr kennt, das erhaben ist und vollkommen – eine ewige Burg des Glückes. – Arm in Arm verschlungen gingen sie aus der Kirche und durch den Wald. Sie gingen etwas gesondert von den Hochzeitsgästen und taten nichts, als sich ins Auge blicken und selig sein.

». . . Ich kann's nicht fassen, nicht glauben!« lispelte Anna, »es hat ein Traum mich berückt.«

Und Gabriel, Chamissos hohes Liebeslied vervollständigend: »Wie hast du doch unter allen mich Armen erhöht und beglückt!«


Gabriels Einödverwandte waren aus der Kirche dunklem Hintergrunde kaum hervorzubringen. Der Bräutigam selber mußte Vater, Schwester und Schwager Haberturm schier mit Gewalt in die Gesellschaft zerren. »Wir gehören nicht dazu«, murmelte Rudolf, sich verlegen sträubend, und Regina weinte in ihr Tüchlein: »Jetzt haben wir ihn erst ganz verloren!« – »Im Gegenteil,« sagte Gabriel lustig, »ihr müßt noch unsere Butterlieferanten werden.« Denn die Haberturmleute hatten einen großen gelben Butterstritzel dahergetragen, der zierlich mit Tannenreisig bekränzt war, weil in der Einöde zurzeit noch keine Blume blühte.

Der alte Heidepeter hatte dem Brautpaar als Hochzeitsgeschenk ein lebendiges Reh gebracht. Anna hatte nun, als sie beim Mahle saßen, das zahme Tier auf dem Schoß, ließ sich von ihm das bräutliche Kleid zerdrücken, herzte es, gab ihm die allerzärtlichsten Kosenamen – wohl dem Bräutigam vermeint.

Und die Sänger von Karnstein sangen:

Der Mai, der schön' Mai
Ist erfreuliche Zeit,
Ist die ganz' Welt voll Lieb'
Und voll Lustbarkeit.

O Mägdelein mein's,
Wie fein, wie fein!
Die Vögeleln schrein's,
Daß du mein sollst sein!

Ist eine ewige Schrift:
Dich lieben, dich lieben!
Der Adam im Paradies
Hat's unterschrieben.



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