Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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»Mägdlein, die Himmelslieder spielst nur du!«

So war Gabriels erstes Mahl im Hause Mildau gewesen. Von diesem Tage an fühlte er besondere Zuneigung zur Familie, und trautsam war ihm das Haus. War doch der Herr desselben gleich ihm einst jenen Pfad gewandelt, der den Menschen adelt! Der reiche Mann, aus den Tiefen der Armut emporgestiegen, ist besser daran als der Reichgeborene. Fürs erste hat er einen weiteren Weltblick als dieser; fürs zweite weiß er den Wert seines Glückes zu schätzen und mit weisem Behagen zu genießen; und fürs dritte endlich kennt er die Größe und Bedeutung der Wohltaten, die an den Armen zu üben er Gelegenheit hat.

Öfter und öfter kam nun Gabriel in Mildaus Salon, wo er allerdings zuweilen ein bißchen angefochten wurde. Frauen und Herren ans eleganten Kreisen, wie sie sich im Hause des einflußreichen Mannes als Freunde einzufinden pflegten, machten sich höflich herablassend an den Poeten, wurden durch seine treuherzige Naivität dreist, suchten mitunter wohl auch Mäzene zu spielen und fragten ihn schließlich, wie doch eigentlich er die »Waldlieder« mache.

»Ich gehe in den Wald und singe«, gab er einmal zur Antwort. Lange freute sich Anna insgeheim über diesen Trumpf. Annen taten die kleinen Unziemlichkeiten weh, die sich die Herrschaften dem jungen Manne aus dem Walde gegenüber gestatteten; Gabriel merkte sie kaum oder setzte sich darüber mit stillem Humor hinweg. Nur selten beteiligte er sich an der inhaltslosen Salonunterhaltung, an der auch die Familie keinen besonderen Gefallen fand. Und doch war er stets gern gesehen, denn sein Wesen, bar aller Ziererei, mutete schließlich auch das zimperliche Höflichkeitspüppchen an; und wenn Gabriel Gedichte aus seinen »Waldliedern« vortrug oder lustige Anekdoten zum besten gab, da duftete es im Saale nicht mehr nach süßlichem Friseurparfüm, da roch es nach Tannenreisig.

Wenn Gabriel sich mit der Tochter des Hauses unterhielt, so bedauerte Frau Mildau immer, daß ihr Sohn nicht daheim sei. Das wäre für Herrn Stammer eine Gesellschaft, und sie würden gewiß gute Freunde sein.

Der leise Wink ist aber nicht verstanden worden. Zuweilen geschah es, daß Gabriel und Anna im großen Park wandelten, der sich hinter dem Wohngebäude des Kaufmanns über eine sanfte Höhe hinanzog. Sie gingen wie Bruder und Schwester; ihre Bekanntschaft war ja schon alt. Sie sprachen es nicht aus, aber manchmal kam über sie ein Gefühl, als wären sie in frühen Zeiten ein Leben lang mitsammen durch einen blühenden Wald gewandelt.

Von Karnstein und den Einödwäldern sprachen sie oft. Dann auch wieder von den schönen Pflanzen, die an ihrem Wege standen; sie freuten sich nicht allein an den Farben der herbstlichen Blumen, sie prüften nach Art der Botaniker die Blüten und drangen an den Blättern und Staubgefäßen vorbei bis ins Heiligtum des Kelches hinein. Da war es bei diesem Studium einmal, daß Anna plötzlich errötete. Von dieser Zeit an gab sie sich so eingehend mit Blumen nicht mehr ab.

Eines Tages hatte das Mädchen den Waldsing an ihr Lieblingsplätzchen geführt. Dasselbe war abseits von den Kunstpflanzungen und Kieswegen, im hintersten Winkel des Parkes, wohin sich durch Gebüsche und Gesträuche nur ein schmales, kaum bemerkbares Fußsteiglein schlängelte. Das Plätzchen hatte nichts als eine Moosbank und eine kühlende Gruppe junger wildwachsender Tannen und Schwarzfichten. Etliche Flechtenbärte hingen an den Bäumen, und ein Bergfink hüpfte im Geäst.

»Das sind meine Einödwälder,« sagte Anna, als sie den trauten Winkel gezeigt hatte, »im ganzen Garten werden nur diese Bäume von der Morgensonne beschienen, weil sie die höchsten sind und über die Mauer ragen. Ferdinand und ich haben diesen Wald gehegt, sonst mag ihn kein Mensch, und alles ist im Urzustande. – Auch Waldlieder gibt es zu hören!« flüsterte sie.

Ferdinand brachte ein braun poliertes Kästchen herbei, Anna öffnete es zögernd, und ihre durchscheinenden Finger glitten über die Saiten einer Zither. Sie spielte Lieder – Weisen aus den Einödwäldern.

Gabriel lehnte an der Moosbank und wandte sein Gesicht empor zu den Tannenzweigen, die in zahllosen Quirlchen und Kreuzlein in der Himmelsbläue schwammen. Da klang es in ihm:

– Mein Herz ist eine Harfe,
Zittert ohne Ruh';
Mein Lieb, die Himmelslieder
Spielst darauf nur du!

Als sie ihr Spiel geendet hatte, sagte er kein Wort. Als er dann von ihr gehen sollte, hielt er sie an der Hand und – und – sagte nichts.

»Oh, sie hat Ihnen noch lange nicht alles vorgespielt!« vertraute ihm Ferdinand am Gartentor, »sie hat Ihre Waldlieder alle in Musik gesetzt, kein einziges haben Sie davon gehört.«

Etliche Tage später trat Gabriel mit einer neuangekauften Zither unter dem Arm in Mildaus Garten.

Und nun saßen sie – er und das Mädchen – oft so manche Stunde beisammen unter der Tannengruppe und frönten dem Saitenspiel. Dann freilich wieder ruhten die Finger, und sie träumten oder plauderten von Vergangenem und hegten Wünsche für die Zukunft. Anna gab sich zufrieden mit einem Häuschen in einem freundlichen und stillen Tal. Gabriel war damit einverstanden. Dann wandten sie sich wieder den Saiten zu.

Gabriel hatte einst im Heidehause manches alte, in Rumpelkammern morschende Tonbrett aufgesucht und besaitet, um in Klängen dem Gestalt zu geben, was er durch Worte nicht zu offenbaren vermochte; es war oft eine ganz sonderbare Musik daraus entstanden, zu welcher weder jemand singen noch tanzen konnte, welche mitunter wie ein Lawinensturz polterte, dann wieder wie ein Waldbächlein rieselte, aber weder Kopf noch Fuß hatte. Ganz anders unter dieser jungen Tannengruppe. Hier mußte sich sein Spiel an Kunstregeln halten, und Anna – heimlich selbst am liebsten ungezwungene Volksweisen spielend – sah gar streng darauf, daß jeder Note volles Recht widerfahre. Und Gabriel, der sich immer eingeredet hatte, er besäße kein musikalisches Talent, spielte nach kurzer Zeit Lieder von Abt und Schubert fehlerfrei auf der Zither.

So hob sie ihn mit sanfter Hand sachte, sachte empor, und sein bisher einseitiges Wesen reifte in Kunst und Leben der Ebenmäßigkeit entgegen.


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