Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Haus- und heimatlos

Jahre gingen hin, aber es blieb heute wie gestern.

Die Felswälle der Wildschroffen ließen nichts Altes hinaus und nichts Neues herein. Was in der Einöde aufging, das war da, und dahin war, was in der Einöde zusammenbrach.

Zapfenwirts Davidl wuchsen Haare im Gesicht. Man kann nicht sagen, er bekam einen Bart, denn die Haare waren sehr dünn verteilt über Backen, Kinn und Wangen, und sie waren lichtfalb, so daß das Gesicht ein gelbliches Aussehen bekam. Auf allen Sommersprossen und Muttermalen standen drei oder vier Härchen. Die Brillen waren etwas vergangen, und die grauen Augen sahen nur noch kleiner aus als früher. Die Nase hatte sich in den letzten Jahren scharf und spitzig gewachsen; die borstigen Haare waren stets kurz geschnitten. Einmal hatte ihm die Wirtin gesagt, daß er schier bräunliche Vorderzähne habe, und daß er sich deswegen gewöhnen wolle, den Mund zu schließen. Über diese Bemerkung riß der Bursche den Mund erst recht weit auf. Da hatte ihm die Zapfenwirtin auch einmal vertraut, daß es gut sei für das Zahnweh, wenn er sich jeden dritten Freitag die Fingernägel abbeiße; er hatte aber kein Zahnweh, und so biß er sich die Nägel nur, wenn Christenlehre war.

Der Wirt bekam immer schwächere Augen und mußte sich demzufolge die meiste Zeit in der Gruft aufhalten; im Taglicht war er sehr grämig und mißmutig.

Nur einmal hatte er einen rechten Freudentag. Davidl strich in der Stube am Brotkorb vorüber und schob in merkwürdiger Gewandtheit mit Blitzesschnelle zwei Semmeln in die Tasche.

Da sagte sein Vater:

»Schau nach, Davidl, es sind dir zwei Brote in den Sack gefallen. Eins kannst haben.«

Fletschte ihm der Bursche die Zähne entgegen.

Darauf der Alte:

»Wart, du Grasel, ich fass' dich bei den Ohren!«

Da erwischte der Junge einen Stiefelknecht und schleuderte ihn seinem Vater unter die Füße.

Und als dies geschehen war, fiel der Alte dem Jungen fast um den Hals und rief:

»Davidl, du bist doch mein Sohn, ich hab's ja meinem seligen Vater auch einmal so gemacht!«

Am wohlsten war dem Zapfenwirt, wenn er seine böse Zunge loslassen konnte; er hatte hierin nach und nach die Fertigkeit seiner Ehehälfte erreicht. Der Gegenstand seiner Auslassungen war stets der Dalkerd, gegen den er alles aufzuhetzen suchte. Der Heidepeter war ja der Feind seines Hauses; oder hatte der Peter seit Bestehen in dem Wirtshause je soviel verzehrt, was drei Spatzen kosten? Hatte ferner der Peter nicht den Davidl mißhandelt, und hatte er nicht einmal das Fangeisen gelegt, wo der Davidl hineinsprang? War der Davidl nicht in jener Christenlehr' durch Heidepeters Kinder zuschanden geworden? Eine wahre Qual war es dem Wirt, wenn er hören mußte, wie von Gabriel gute Nachrichten gesagt wurden, und daß dem Burschen das Brot schier in den Honigtopf gefallen sei. Auch erzählte der Ameisler einmal, daß er seines Gedenkens noch keine Dienstmagd im Hause gehabt hätte, die so fleißig, folgsam und umsichtig gewesen wäre wie Heidepeters Regina, und daß das Mädchen, wenn es auch keinen Groschen mitbringe, doch einmal eine rechtschaffene Hausfrau abgeben werde.

Der Wirt nickte dazu nur langsam mit dem Kopfe, als wollte er sagen: Schon recht, werden schon sehen. – Dann ging er in den Keller.

Die Wirtin aber sagte:

»Gut, wenn's wahr ist; ich wünsche der Regina nichts Schlechtes nicht; und ich wünsche keinem Menschen nichts Schlechtes; aber ich hab' kein Zusammensehen mit dieser Person; anstatt daß sie für ihre Vaterleut' Brot sammeln ging', trägt sie einen Sack voll Bettelstolz herum. So duckerisch wie der Heidepeter ist, hat sie's nicht gelernt. 's schaut völlig so aus, als wie wenn dasselb' Gered' wahr wär' – daß – Man sagt der mühseligen Haut, der Klara, so was nicht gern nach; aber wenn halt der Apfel gar so weit vom Stamm fällt, so denkt man dran, man kann sich nicht helfen.«

Einmal saß Davidl unter den Fichten und putzte mit Schmer die Spielkarten, weil sie schon zur Unkenntlichkeit schmutzig geworden waren. Da kam sein Vater herbei, setzte sich zu ihm auf die Lehmbank und sagte süßlich:

»Davidl!«

Der Bursche sah nicht auf, er hatte immer Ärger, wenn ihn eins von seinen Eltern ansprach.

»Davidl,« fuhr der Alte fort, »du bist ein verteufelter Junge! Du, was sagst denn zu der Ameishüter-Regina?«

Davidl glotzte den Vater an und riß den Mund auf.

»Davidl, in deinen Jahren hab' ich's ein bißchen anders getrieben als du. Jeden Unterrock hab' ich gekannt in der ganzen Gegend. Deine Mutter weiß es. Da war auch so eine Stallmagd beim Ameishüter – so recht eine fromme und augenverdreherische, daß man gemeint hat, sie hätt' ihre Jungfrauschaft in einen Pechöltopf tan und mit einem roten Bandel zubunden. Sind wir unser drei, vier Burschen einmal gesessen im Wirtshaus beisammen, haben Silberzwanziger in einen Hut geworfen und es ausgemacht: Wer der Stallmagd das rot' Bandel aufzwickt, weißt eh, der kriegt neun Maß Wein und einen doppelten Gamsbart auf den Hut. Ist im Winterfasching gewesen, und zu Weihnachten drauf haben sie der frommen Stallmagd beim Ameishüter das rot' Bandel mit der Scher' abzwickt. Ich hab' den doppelten Gamsbart gewonnen. Das waren dir Zeiten, Davidl! Heutigentags ist alles ein wahrer Totengräbertanz, und die jungen Burschen rutschen nur mit den Spielkarten herum und haben kein' Hitz und kein' Kurasch!« Dann stieß der Alte seinen Sohn ein wenig mit dem Ellbogen: »Die Regina, du, das wär' ein Schluck!«

Davidl grinste und rieb eifrig an den Karten, und an dem Herz-Aß rieb er sehr lange – das wollte durchaus nicht licht werden. –

In denselben Tagen verbreitete sich in der Einöde ein sonderbares Gerücht. Niemand wußte, wer es zuerst gesagt hatte, aber man hörte es allenthalben, und man verbreitete es allenthalben.

Berichte aus der fernen Hauptstadt waren ihm vorangegangen. Nach Rattenstein war ein Zeitungsblatt gekommen, und darin stand ein langer Aufsatz über Gabriel, des Heidepeters Sohn. Fremde, die in Rattenstein durchreisten, erkundigten sich nach Gabriels Geburtsort und sagten, der Bursche aus dem Heidehause sei ein berufener Mann geworden und werde seiner Heimat Ehre bringen.

Von anderer Seite hieß es wieder, es wäre siebenmal gescheiter gewesen, wenn Gabriel in der Einöde geblieben wäre und den Eltern tüchtig hausen und bauen geholfen hätte. Das fände man sonst nirgends, daß ein Haus in fremde Hände käme, wenn einmal die Kinder arbeitsfähig, und so was könne sich nur beim Dalkerd zutragen. Daß dieser Bursche seine darbenden Eltern verlassen habe und in die Fremde gegangen sei, habe er nur getan, daß er offen von dem heiligen Glauben abfallen könne – wie die Städter denn schon alle ohne Religion und Gewissen seien. Gabriel sei ein schlauer Bursche, man würde schon noch andere Dinge von ihm hören.

Dann fragte man sich, ob es denn wahr sei, daß bei Gabriels Geburt sein Vater im Gefängnisse saß; ja, das sei schon ein rechtes Zeichen. – Man könne sich auch sonst noch Geschichten erzählen von den Heidepeterischen, aber aus Christenliebe schweige man davon. Es könnte sich nach dem, was in jener Nacht mit der Schulmeisterleiche vorgefallen, so jeder denken, mit welchen Dingen das zuging. Die Kinder haben ihre Gelehrtheit fertig gehabt, das Brot ist zuwenig gewesen, und so ist der Alte überflüssig gewesen. Sie haben ihn – lebendig begraben.

Und das war das Gerücht.

Der Schulmeister hatte sich ja auf der Bahre noch bewegt, sie wußten es zu vertuschen, und eine gerichtliche Totenschau unterblieb, wie sie in der Einöd' öfters unterbleibt. Wer konnte jetzt kommen und widerlegen, wenn die Leute behaupteten: Sie haben ihn lebendig begraben!

Mit Fleiß lebendig begraben, den guten, alten Mann! Darum all das Unglück, das über das Heidehaus hereingebrochen ist!

Und sie haben ihn lebendig begraben! – Regina hörte es und ging noch an demselben Tage im Abenddämmern fort vom Ameishüter, hinauf zum Heidehause und klopfte ans Fenster der Oberstube ihre Eltern aus dem Schlafe. Laut weinend erzählte sie die Anschuldigung.

Der Peter sagte kein Wort darauf, aber Klara rief:

»Du, Peter, du hast allweg geschwiegen, du hast zu rechter Zeit geschwiegen, und du hast zu unrechter Zeit geschwiegen. Nicht arm gegessen und nicht arm gekränkelt – arm geschwiegen haben wir uns, und anstatt den Mund haben wir den Beutel aufgemacht, bis der letzt' und der allerletzt' Groschen herausgefallen ist. In Gottes Namen, 's ist vorbei, ich mach's Kreuz darüber. Aber das sag' ich dir, Peter, wenn du jetzt auch noch stillschweigst und diese Anklag' über uns und unsere Kinder ergehen läss'st, so schau ich dich mein Lebtag nicht mehr an, und ich heiß' dich die Letfeigen, den Dalkerd und noch was anderes! Und nachher reut's mich so oftmals, soviel Haar ich auf den Kopf habe, daß ich dich geheiratet hab'!«

Das Weib sank auf ihr Strohlager, sie hielt ihren Kopf in den Händen, als ob er zerspringen wollte, und klagte halb verloren:

»Närrisch muß man zuletzt auch noch werden!«

Der Peter sprang aus dem Bett, riß die Tür auf und rief:

»Aus ist's! Jetzt hat mir mein Weib das gesagt!«

Dann ging er wieder zurück zum Lager und sagte die Worte:

»Klara, du bist alleweil mein liebster Mensch auf der Welt, und jetzt schreist auch du mit den anderen und hilfst mich martern. Was kann ich denn sagen? Sie werden mir nichts glauben, und beweisen? Wieso beweisen? Mir schwindelt alles im Kopf; der lieb' Herr Jesus hat auch geschwiegen, wie sie ihn angeklagt haben, und ist doch unschuldig gewesen. Mit dem Menschenleben hat's bald ein End', und das ist das beste!«

»Du, das ist eine Sünd', wenn du so denkst,« rief Klara, »merk' dir das, mit dem Menschenleben hat's kein End'! Wir haben Kinder und sind in ihnen fort, wir müssen sorgen für ihre Ehr'; und Eltern, die das nicht tun, soll man totschlagen mit einer eisernen Keul', hat die Einschicht-Res gesagt!«

Der Peter lag auf den Knien und betete still.

Regina hatte große Mühe, ihre Eltern endlich wieder zu beruhigen, und auf dem Heimweg machte sie sich harte Vorwürfe, daß sie den alten, kranken Leuten das Gerücht hinterbracht habe. –

Die Abspannung nach der aufgeregten Nacht machte es, daß am Morgen der Heidepeter über die Stund' hinaus schlief. Es war aber zur Heumahd, und der Hahnenkamp hatte keine Rast und Ruh', solange noch ein Hälmlein Heu auf den Wiesen war. Er wachte schier die ganze Nacht, und wenn er gleich an dem Heuwagen nicht zerren konnte, so zerrte er am Bettstroh und meinte, damit richte er auch was aus. Das war ihm unbegreiflich, wie die Leute so fest und sorglos schlafen konnten, und es lag das Heu auf den Wiesen. Seinem Weibe rannte er die Nacht hindurch den Ellbogen mehrmals in die Seite, daß es ächzte.

»Da sieht man's halt, daß du dir gar keine Wirtschaft angelegen sein lassest! Meine Mutter hat in der Heumahd die ganze Nacht vom Aufstehen geredet, und du liegst im Nest wie zum Hinwerden!«

Das Weib seufzte und schlief wieder ein. Und der Morgenstern war dem Hahnenkamp ein heißersehnter Morgenstern. Wie der zum Fenster hineinguckte, guckte der Hahnenkamp zum Fenster hinaus. Hei und Heu! es war wieder schön Wetter. Da machte er einen gewaltigen Lärm im Hause und schreckte das Gesinde auf, und da wurden Sensen gedengelt, Kümpfe gefüllt, Rechen gezähnt, Heukarren flottgemacht – alles schon zur frühesten Morgenstunde.

Der Dalkerd, bleibt er heut' kleben in seinem Nest?

»Dalkerd, Dalkerd!« schrie der Hahnenkamp und tümmelte mit der Heugabel an der Oberstube, daß die Hühner kreischend von ihren Sitzstangen flatterten. Er hörte nur ein Brummen in der Stube. Da trat er die Tür ein und zerrte den alten Leuten die Decke aus dem Bett.

»Du bist ein Unmensch, Hahnenkamp!« sagte Klara und zog die Decke wieder zu sich, »gib Obacht, daß es dir nicht heimkommt.«

Jetzt war der Bauer von neuem aufgebracht.

»Was!« rief er, »die Krank' schreit da! Schau, sonst will sie all' Tag schon abgeleuchtet sein; predigen kann sie 'leicht noch? Ich aber sag' dir, du armselige Krautschreck', daß du in meinem Hause stirbst, hast du nicht schriftlich; du bist eine – eine – gar nicht aufhalten mag ich mich bei dir; hinaus geh! hinaus geh! Auf der Stell' nimm deine Fetzen und geh! Da hast einen Stecken, da hast einen Bettelsack – da hast einen Kreuzer!«

Jetzt kam der in Peters Leben so seltene Moment, daß ihm die Geduld riß. Wutschäumend und jäh warf er sich auf den Hahnenkamp und mehr zufällig als absichtlich schleuderte er den kräftigen Mann an die Tür, daß dieser zu Boden taumelte. – Kaum war das geschehen, faßte der Peter Klaras Hände und stieß heraus:

»Behüt' dich Gott, mein Weib, jetzt wird's für mich zum Sterben sein; im Zorn hab' ich mich hinreißen lassen, und jetzt wird er mich erschlagen. Wenn er nur dir nichts tut; bet' für mich! Daß ich keinen Geistlichen haben kann zu meinem letzten End', das ist mein Jammer. Bet' für mich, meine Klara!«

Der Peter hatte erwartet, daß der wilde, gereizte Mann in seiner Wut ihn töten werde; allein der Hahnenkamp hatte seinen Kopf in den eisernen Türhaken geschlagen, blieb nun am Boden kauern und ächzte.

Der Peter rief um Hilfe, Klara sprang aus dem Bett, goß einen Krug Wasser über den Kopf des Bauern und jammerte:

»Maria und Joseph, jetzt hat er ihn umgebracht! Jetzt sind wir fertig. Du unglückseliges Heidehaus, du unglückseliges Heidehaus!«

Und der Peter stöhnte:

»'s ist richtig, jetzt hab' ich ihn erschlagen!«

»O nein!« gurgelte der Bauer, »noch lange nicht! Ich bin Herr im Heidehause, und jetzt fangen wir erst an, Peter, jetzt wird's erst lustig. Oh, da tragen sie alle früher hinaus als mich, alle!«

Er erhob sich langsam und wischte das Blut von den Wangen. Und als Leute kamen, sagte der Hahnenkamp, er sei ungeschickt gewesen, und wie er den Peter habe wecken wollen, sei er in der Dunkelheit an den Haken gerannt. Er schämte sich, die Wahrheit zu sagen: das gäbe doch einen Hohn und Spott, wenn ihn, den großen, kräftigen Mann, der einst des Haberturms Köhlerhütte vor das Zapfenwirtshaus gezogen, nun der Dalkerd an die Wand schleudern könnte. Die Stunde ging hin, und bei der Morgensuppe sagte der Hahnenkamp, der sich mit einem blauen Tuch den Kopf verbunden hielt:

»Die Klara wirft heut' 's Heu auf den Überstadl, und der Peter gräbt auf dem Wiesenrain die Steine aus und schafft sie in die Schlucht hinüber!«

Da hub das Gesinde an zu kichern.

Der Hahnenkamp warf den Löffel weg, schlug die beiden Fäuste in den Tisch und schrie:

»Wer hat da was zu lachen? Ich hau' euch die Köpf ineinander! Ich weiß schon, was ich sag' und was ich verlang', und ich lad keinem zuviel auf.«

Drauf zum kichernden Unterknecht:

»Und wenn ich dir Haderlump ein Dutzend Prügel auflad', so wird's nicht zuviel sein!«

Klara saß am Ofen und kaute an den harten Rinden, die man ihr in die Suppe gebrockt hatte. Nach dem Frühstück nahm sie den Peter beim Arm und flüsterte:

»Jetzt werd' ich dir was sagen, Peter. Wir hätten keine gute Stund' mehr in dem Haus, wir tun unsere Sach' zusammen in ein Tuch und gehen fort, ganz fort. Schlechter kann's nimmer kommen. Steine ausreuten! Du! Wir gehen zum Ameishüter hinab, der ist mit der Regina zufrieden und wird uns wohl ein Dach geben. Und ist das nichts, so gehen wir zum Gabriel, der wird ein Platzel für uns wissen. Das ist das gescheitest. Und das versprech' ich dir da, wo ich jetzt steh', ich geb' dir kein böses Wort mehr, Peter, hast meine rechte Hand drauf.«

Wenn Klara auch in letzter Zeit dann und wann irre, verlorene Worte gesprochen und wieder stumpf vor sich hingebrütet hatte, so zeigte dieser Vorschlag, daß sie doch noch bei Vernunft und einer Überlegung fähig war. Der Peter war denn mit allem einverstanden, nur sagte er, daß er an diesem Tage dem Bauer noch einmal im Heu helfen wolle, weil er es versprochen habe; er gäbe dem Hahnenkamp nicht gern einen Grund zu übler Nachrede.

So entschloß sich Klara, allein zum Ameishüter zu gehen, schärfte aber dem Peter ein, daß er am nächsten Tage mit den Habseligkeiten, soweit sie sie heute nicht tragen könne, nachkommen solle.

Sofort machte sie sich an das Einpacken. Als dieses vorüber war, kam sie mit ihrem Bündel in die Küche, hielt der Bäuerin die rechte Hand hin und sagte:

»So, Hahnenkampin, jetzt geh ich. Wir wissen noch nicht wohin, aber der liebe Herrgott nimmt alleweil und überall Kostgänger auf. Es muß schon so sein, daß ich jetzt hinausgeh aus diesem Haus, in dem ich geheimt und gewirtschaftet hab', in dem ich meinem Manne die Kinder geboren hab', und in dem ich seit vielen Jahren auf das Hinaustragen gewartet habe. Ich mag nicht leben und nicht sterben, und Ihr habt's ja gesehen, was es mit mir für eine arme Sach' ist. Vielleicht wird's bald anders, ich geh jetzt in die Welt Gottes hinaus. Der Peter kommt morgen nach, heute hilft er euch noch im Heu. Gebt mir die Hand, Hahnenkampin, ich leg' Euch keine Schuld bei. Ich dank' Euch für alles, und ich bedank' mich auch bei Eurem Mann.«

Die Bäuerin sagte beschwichtigende Worte und wollte Klara das Bündel abnehmen, diese aber stolperte zur Tür hinaus.

Tief gebeugt und gestützt auf den Stock, den Kopf dicht in Tücher gewickelt, das Bündel an einem Arm, gehüllt in einen braunen Rock von grober Leinwand und mit schweren ausgestückelten Schuhen – so torkelte das Mütterl davon. Waldl, der alte, treue Haushund, heulte und riß an seiner Kette, als wollte auch er in seinen letzten Tagen den heimischen Kobel verlassen und seiner vertriebenen Hausfrau folgen.

Hinter den Tannen stand sie still, wendete sich noch einmal um und machte mit der Hand das Kreuzzeichen über den Hof. Dann blickte sie aus ihrer Vermummung wirr umher, sie suchte den Weg, und sie prüfte mit dem Stock den Boden wie ein Blinder, bis sie endlich, von dem rechten Pfad überzeugt, schleppend und zitternd weiterhinkte.


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