Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Im Neste des Waldsing

Zögernd traten sie endlich in das Haus. Im finsteren Flur flatterten erschreckte Hühner auf. Nebenan in einem räucherigen Gelaß prasselte ein Herdfeuer, und neben diesem stand eine Tür angelweit offen, die in ein Stübchen führte. Die Wohnung war von innen besser, als sie von außen versprach; sie war reinlich und bequem und nach bäuerlicher Weise eingerichtet.

Die Eintretenden wußten nicht, wohin sich wenden, und Anna zitterte vor Angst. Im ganzen Hause war kein Mensch zu sehen, und das Herdfeuer brannte wie für sich allein.

Nach langem Herumspähen in der Hütte fand Ferdinand endlich im nebenan stehenden Ställchen auf dem einfüßigen Melkstuhl einen weißhaarigen Greis sitzen, der just eine Ziege molk und laut mit derselben schwätzte. Der Greis ließ sich von den Fremden, die ihn sehr höflich gegrüßt hatten, nicht irremachen und setzte dem Tiere zu, solange noch ein Tropfen zu bekommen war. Dann stand er auf und hastete gebeugt der Küche zu, um die Milch sofort zu kochen.

Hatte er vorhin mit der Ziege gesprochen, so sprach er jetzt mit dem Feuer und den Töpfen, sie stets gütlich an ihre Dienstbarkeit erinnernd und zu ihren herkömmlichen Leistungen ermunternd.

Dieses gemütliche Wesen des Bäuerleins flößte dem Mädchen Mut ein, und es bat leise um einen Schluck von der frischgemolkenen Milch.

»Oh, halt ja!« sagte der Heidepeter – er war's – mit heiterer Stimme, goß die Milch in eine Tonschüssel und schnitt Schwarzbrot dazu; dann bedeckte er den kleinen Tisch mit einem blauen Tuche, und nun mußten sie essen. Anna wußte den Holzlöffel nicht recht zu handhaben, doch sprach sie der Gabe Gottes – wie der Greis seine schlichte Spende bezeichnete – wohlgemut zu.

Ferdinand zwinkerte mit den Augen und tat eine Weinflasche aus dem Ledersack, desgleichen einen Schinken und lud zum Essen und Trinken ein.

Der Heidepeter nippte gar schämig, doch wurden seine Wangen von den ungewohnten Tropfen beizeiten rot.

Ferdinand befragte ihn nun nach seinen Verhältnissen.

Der Peter lächelte und sagte:

»So gut wie heut' geht's mir freilich nicht alle Tage. Aber beklagen will ich mich auch nicht. In meinen jungen Jahren, da ist alles passabel gewesen, kein Pfennig Schulden ist gelegen auf meinem Haus und Grund. Nachher sind halt die bösen Zeiten gekommen; schlechte Jahre, Krankheiten und wie die Boten schon alle heißen, die einem der lieb' Herrgott schickt. So geht's. Aber jetzt schon besser! – Eine Tochter hab' ich, die ist in der Nachbarschaft verheiratet. Nachher hab' ich noch einen Sohn – der ist gar nicht daheim.«

Der Bauer schwieg und tat einen lose gewordenen Schuhriemen knüpfen.

»Doch nicht bei den Soldaten?« fragte Ferdinand absichtlich.

»Beileib nicht, beileib nicht,« antwortete der Heidepeter ohne aufzublicken, »aber nicht viel besser.« – Und nach einer Weile sah er seine Gäste an und sagte: »Wie's mit dem ist, das kunnt ich deutsch nicht erzählen; ich weiß es selber nicht. – Die Leut' reden viel über den Buben – viel reden sie über ihn; ich kenn' mich hell nicht aus. – Mir meint er's gut, sucht mich oft heim. Steigt wolter gern herum in der Einöd', noch immer. Tät' er sonst aber 'leicht gar nicht auf rechten Wegen sein, so wollt' ich fleißig für ihn beten.«

»Wo lebt er denn, Euer Sohn, und was ist er denn geworden?« fragte Ferdinand, während das Mädchen kaum zu atmen wagte.

»Was er worden ist? Ja, wenn ich das kunnt sagen – lang' nicht sooft müßt ich mich auslachen lassen, 's ist frei eine Schand', wenn der Alte nicht weiß, was sein Junger für ein Handwerk treibt. Gesagt hat er mir's oft, aber unsereiner kann sich das Zeug nicht auseinanderklauben. So Liedler hat er auch ausstudiert. Wenn er sich nur nicht versündigt, fürcht' ich alleweil, wo er da seine närrischen G'sangeln drucken laßt, wie das Evangeli und das heilige Meßbuch gedruckt ist, und wenn er seine weltlichen, 'leicht vorwitzigen Liedeln singen tut als wären sie Kirchfahrtsgesänge. – Will mir halt nicht gefallen das! Wenn er sich nur nicht versündigt, mein Bub!«

Das Mädchen hatte bei diesen Worten des Alten beharrlich das Haupt geschüttelt: Das Versündigen auf diese Weise fürchte sie nachgerade gar nicht.

»Wisset was, Vater Stammer?« rief jetzt Ferdinand, »Euer Sohn, der ist schon recht, und die Leute haben ihn gern.«

Und Anna bestätigte den Ausspruch durch ein sanftes Neigen ihres Hauptes.

»Wohl?« lächelte der Heidepeter, »wenn's aber nicht wär', ich wollt' keine Schuld haben – hab' ihn oft ermahnt. – Schon als Halterbübel hat er mit dem Zeug angefangen. Mein Weib, das hat so schön singen können –« Der Alte bückte sich wieder, um an seinen wuchtigen Schuhen zu riemen. »Die Weisen (Arien) hat sie all von ihrer Mutter her noch gewußt, aber 's Lied (den Text) hat sie bisweilen deutsch vergessen gehabt. Ist euch nicht der Gabriel da und hat zu den alten Weisen neue Lieder gemacht? Wir haben uns hell verwundert; lauter Muttergotteslieder sind es gewesen und fromm dabei, daß einem das Wasser in die Augen gekommen ist, und sein alter Schulmeister gesagt hat: Hätten wir's Geld, der Bub müßt was studieren.«

»Und Ihr habt ihn ermahnt?« fragte der alte Ferdinand.

»Deswegen nicht«, antwortete der Weißkopf. »Na, wie halt der Bub größer wird, ist er mir liederlich worden, heißt das, mit seiner Dichterei; da hat er – wollt' die Jungfrau nicht so gut sein und in die Lauben hinausschauen gehen, mich deucht, 's ist die Geiß beim Mehlsack.«

Anna stand auf, blickte von einem Alten auf den anderen und wußte nicht, was sie tun sollte.

»Bleib nur da,« sagte Ferdinand, die Sache durchschauend, »es wird nichts Ungebührliches sein, was der Vater Stammer erzählt!«

»Weiß es nicht!« sagte dieser kleinlaut. »Nicht lang, so hat der Junge lauter Vierzeilige gedichtet; aus den Liebfrauenliedern sind Liebsg'sangeln worden, kecke; und die hat ihm das junge Volk nachgesungen, zuerst, glaube ich, in der Stadt drin, und jetzt auch schon im Hinterwald, in Karnstein, auf dem Seeboden bei den Sennhütten, in den Schroffen, überall, hör' ich, täten sie die nichtsnutzigen G'sangeln von meinem Buben singen.«

»Nichtsnutzig? Nein,« sagte Ferdinand, »die Lieder sind gedruckt worden.«

»Das ist ja noch das Schlechteste,« versetzte der Heidepeter, »daß sich auch die hohen Herren um so was annehmen. Wird mir der Bub vorzeit mit Herrenleuten bekannt, und so weit ist's gekommen, daß er ganz fort ist von heim, daß er in die Stadt studieren gegangen und nur zur Sommerszeit im Gebirg herumstreift – weil er's doch nicht vergessen kann. Ja, hab' ich gesagt, studiert er, so wird er wohl gescheiter werden. Jetzt treibt er's erst recht.«

So der Weißkopf, und inzwischen hatte er mehrmals mißtrauisch auf den Schinken gelugt, der ein wenig aus dem Papier hervorguckte. Als jetzt der Graue anhub, mit kühnen Schnitten Stücke davon loszutrennen und auch den Peter dazu einlud, sprang dieser auf und sprach: »So! Jetzt weiß ich's, wie's mit meinem Sohn steht; lutherische Leut' haben ihn gelobt. – Geht mir weg!« rief er aufgeregt, »ihr seid lutherische Leut'! Heut' Fleisch essen, heut', am heiligen Freitag!«

Da blickten sich die beiden Reisenden verblüfft an. Dem Mädchen war, als müsse es vor dem Erzürnten auf die Knie fallen.

Ferdinand der Graue aber verlor die Fassung nicht. – »Freitag!« rief er, »köpfen will ich mich lassen, wenn heut' Freitag ist! – Und es wär'? 's wär' richtig? – – Du elendiglicher Knochen! Deinetweg das Gebot zu übertreten!« Er faßte den Schinken und machte Miene, ihn zur Tür hinauszuschleudern. »Nein,« sagte er dann gelassener, »du guter Brocken kannst nichts dafür, der Freitag ist daran schuld, zum Sonntag kommst du aber dran, verlaß dich drauf.«

Er schob den »guten Brocken« in die Ledertasche und trank Wein.

Und der Peter war durch die so sichtbar zutage getretene Selbstentrüstung besänftigt und beruhigt und trachtete nun, seinen Gästen durch einen Eierkuchen Entschädigung zu bieten.

Ferdinand mahnte zum Aufbruch. Anna wäre lieber noch ein wenig sitzengeblieben und hätte für ihr Leben gern gefragt, was der Herr Sohn, wenn er daheim sei, denn treibe, wo er herumgehe und mit wem, auf welchem Platz er am liebsten sitze, ob er auch etwas esse usw. – Sie brachte dazu aber den Mund nicht auf. Sie blickte in der Stube umher und suchte in Gedanken jeden kleinen Gegenstand mit dem Sänger und seinen Liedern in Verbindung zu bringen.

Etliche Strohhalme aus dem Bettschaub wollte sie zupfen zum Andenken an dieses Haus. Vielleicht hatte Gabriel Stammer diese Halme selbst geschnitten auf dem Felde, er soll ja gern noch manchmal den Pflug und die Sichel führen; vielleicht hatte er sogar einmal auf diesem Schaub geruht.

Doch sollte das schwärmerische Kind zu was Besserem kommen. Auf einem Wandnagel hinter dem Ofen hing ein alter halbverwitterter Hut mit grünem, verschlissenem Bande, schwer und breitkrempig und mit schwammigem Filze. Im Bande stak noch eine kecke Hahnenfeder und ein borstiger Gemsbart.

»Welcher Waldteufel hat denn das getragen?« fragte Ferdinand, mit der Stockspitze den Filz betupfend.

»Der da,« sagte der Peter, »der gehört meinem Sohn – heißt das, jetzt tragt er ihn nimmer viel, es sind schon die Schaben dran, und man muß ihn wegwerfen.« Er schickte sich an, dieses Vorhaben sofort auszuführen.

»Je, Vetter!« sagte der Graue, der ein Zupfen seiner Genossin am Rockschoß wohl wahrnahm, »wenn Ihr das Kleidungsstück wegwerft, so hebe ich es wieder auf, und Ihr geht leer aus. Ich gebe Euch daher den guten Rat: Verkauft mir den Hut!«

»So, so,« antwortete der Heidepeter darauf, »Ihr seid so einer, der alte Kleider zusammenkauft. Nu, wartet ein wenig, 'leicht finde ich noch mehr solche Sachen.«

Hellauf lachte Ferdinand. Es lag ihm wohl daran, die Mutmaßung des Bauers zu zerstreuen, doch erstand er den Hut und setzte denselben scherzend Annen auf das Köpfchen.

Als das Mädchen nun aus diesem Hause wieder davongehen sollte, war es in einer großen Bedrängnis. Endlich wagte es etwas. Ganz in der Nähe zum alten Vater stand es, drückte warmherzig dessen Hand, und mit errötendem Antlitz preßte es in dieselbe ein Papierschächtelchen: »Zu einem ganz, ganz kleinen Angedenken.«

Der Alte meinte, es wäre gewiß ein Heiligenbildel drin und bedankte sich gar schön.

Als aber die Fremden fort waren und er das Schächtelchen öffnete, fand er in demselben, auf schneeweiße Baumwolle gebettet, drei funkelnde Kreuzer, wovon jeder genau so aussah wie der Dukaten, den vor Wochen erst ein Kohlenmann mit in die Einöde gebracht und unter den Waldleuten herumgezeigt hatte. Der Alte schlug die Hände zusammen: »Drei Dukaten für eine Schale Milch! Wer sind diese Leut' gewesen?«


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