Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Die Binde wieder trocken

Gabriel war allein. Und so still war es in der düsteren Stube, daß die Mäuse aus ihren Verstecken kamen und auf dem Boden sachte herumschnupperten.

Gabriel fühlte in seiner Brust eine Beklemmung, als läge ihm auf dem Herzen ein heißer Stein. Sollte das von der Kopfwunde kommen? – Das Tuch, das sie ihm zuletzt noch kalt befeuchtet über die Stirn gelegt hatte – es war wieder trocken.

Wie oft in seines Vaters Hütte, auf seinen stillen Heiden, in seinen Wäldern, in seiner Studierstube war er allein gewesen!

Heute war er vereinsamt.

Jeder andere hat einen Genossen, der mit ihm denkt und strebt. Es ist kein Glück, ein Sondermensch zu sein; man lebt außerhalb des Kreises, ist durch einen Abgrund getrennt von den anderen. Was dient mir ein Anschließen an die Mitlebenden, wenn ich in dem nächsten Augenblick wieder abgestoßen werde? Sie suchen mich mit Gier, sie lassen mich enttäuscht wieder laufen. Das Bild meiner Zukunft ist nebelhaft und gestaltlos, denn mein Leben läuft nicht hin in bekannten Regeln. Ich habe niemand, für den ich leben könnte; niemand, der mit mir wäre in Drangsal und Not. – So sann Gabriel, der einsam gewordene.

Die Menschen, sie wähnen mich glücklich, weil ich singe. Auch der geblendete Vogel singt. Nicht glücklich bin ich gewesen im Waldland. Nun habe ich einen Blick in die Welt getan. Ach, ich hätte mir sie schöner, besser gedacht. Neue Wünsche und Bedürfnisse sind in mir aufgestanden, von denen ich einst keine Ahnung gehabt, die nur da sind, um zu quälen und die unersättlich weiterwachsen, auch wenn sie erfüllt werden. Da ich sah, daß da draußen alle – die Besten wie die Mächtigsten – dem Eigennutz frönen, und daß des Menschen ganzes pathetisches Trachten nichts anderes bedeutet als einen lebenslänglichen Kampf um sich selber – so ist das Ideal wie eine verscheuchte Taube ausgeflogen aus meinem Herzen. Schon sind meine Lieder angekränkelt, denn ich vermag das, was ich singe, selber nicht immer zu glauben . . .

Wie sehne ich mich nach einer treuen Seele! . . .

Zu dieser Stunde entstand im Stübchen des Pfarrhauses das Lied von dem einsamen Burschen, der vergleichbar ist einem vergessenen Zaunpfahl draußen auf der Heide.

. . . Und weiß er doch eine,
Die er gern haben möcht,
Die er, müßt' es sein,
Aus der Felsenwand graben möcht,
So sucht er nicht erst
Mit dem Faden zu binden,
Und nicht mit dem Strohhalm,
Auf der Gasse zu finden.

Er eilt um eine Kette,
Die stark ist und starr ist,
Die doppelt und dreifach
Geschlungen und wahr ist . . .

Er schleppt sie zum Schmied,
Sein Mädchen führt er mit:
Schmied' ewig zusamm' uns,
Du herzguter Schmied!

Dann wird er nach anderen
Freuden nicht fragen mehr,
Dann wird er in Drangsal und
Leiden nicht klagen mehr . . .



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