Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Wie sie Honigwochen hielten

Unter Gabriels Papieren finden wir ein Blatt, auf welchem folgendes geschrieben steht:

Den lieben Gott selber nimmt man bei der Hand und nennt ihn Bruder und dankt ihm, daß er einen nicht zum Engel, sondern zum Menschen gemacht hat.

»Soll denn eine Zeit kommen, wo Honigwochen nicht mehr sind?« fragt sie dich, die Geliebte, die einzige, die Angetraute.

Du sitzest in leichtem Hauskleide neben ihrem Bett und blickest das holde Wesen an – es ist so zart, so weiß, die reiche Fülle der Locken umrahmt das Antlitz, die langen Wimpern verhüllen das Kleinod des Auges; ein wenig entfaltet ist das Lippenpaar – leise aus und ein den Atem ziehend – deines Frühlings warmen Hauch; auf dem Busen wiegt die zarte Hand sich im sanften Auf und Nieder . . .

Der erste Morgen.

Jetzt schlägt sie die Augen auf, sieht dich und macht sie wieder zu. An euren Wangen ist Morgenrot. Deinen Mund zieht's nach ihren Lippen!

Draußen ist Sommertag. »Komm', mein Lieb, wir gehen ins Freie.«

»Aber – nicht unter Leute«, flüstert sie.

»Also in den Wald. Ja, Weib, du hast recht, es wird keine Zeit kommen, da diese Tage nicht mehr sind.«

Ihr wandelt die Wege, die ihr gestern gegangen seid mit den Myrten und mit den Lilien. Das ist aber nicht mehr derselbe, es ist ein anderer Weg.

Gestern und heute!

Und merkwürdig ist ihr Blick, nicht wahr? Du hast bisher keinen solchen Blick ihres Auges erfahren – so verwirrt, so vorwurfsvoll, so verzeihend, so innig, so befangen –

»Schau,« sagt sie, »jetzt trägst du eine Ehemannsseele in dir!«

»Ja,« sagst du, »jetzt leb' ich zwei Leben. Ist das eine unpaß, so hüpfe ich auf das andere hinüber. Mach du es auch so.«

»Ich bin schon drüben«, antwortet sie.

Ihr ruhet im Grünen und wendet euer Angesicht gegen das Blau, welches zwischen den Zelten des Tanns blinkt. Ein weißes Wölklein schwimmt vorüber; ein munterer Vogel hüpft in den immergrünen Gabeln, pickt in den Samengehäusen der Zapfen. Waldbienen summen und klingen – wären Saiten gespannt an den Stämmen, so müßten sie klingen. Du schließest wohl halb die Augen, um neben dieser äußeren Welt auch noch die innere zu schauen. Du öffnest halb die Lippen, um die Waldesluft in deine Brust zu trinken.

Sie hat ein Doppelpflänzchen gepflückt, an welchem zwei große Erdbeeren hängen, sie legt dir das Sträußel so in den Mund, daß eine der Beeren zwischen die Lippen sinkt. Dann neigt sie sich zu dir und nimmt mit ihrem Munde die zweite Beere der Pflanze. Dann liegt auf deinem Schnurrbärtchen nur mehr der Zweig mit seinen grünen Blätterherzen. – So liebt ein junges Paar Erdbeeren zu pflücken.

Ihr schreitet tiefer in den Schatten und suchet die dunkelsten Büsche auf. Sie ist im Herzen ein Kind und freut sich an einem Neste der Wildschnepfe; aber sie rührt keinen Halm an, und willst du es tun, so hält sie dir den Arm zurück; und willst du dir den kunstvollen Bau des Nestes besehen, so breitet sie ihre Hände darüber aus. Du bist allzu gierig. – Himbeer- und Brombeergesträuche hat seine Dornen und Hecken; da bleibt sie wohl bisweilen hängen mit ihrem luftigen Kleid. Je mehr sie sich wendet und bückt, um sich zu erlösen, je vielfältiger wird sie umstrickt. Du befreiest sie gern, bist aber nicht uneigennützig genug, um auf den Sold zu verzichten, den du dir in baren Küssen holst. Muß sie denn alles zahlen und alles geben? Schon am ersten Tage? – Was soll sie morgen für dich haben und im nächsten Jahr und in aller Zukunft? – Du fragst heute nicht, mein Freund, und ich antworte dir doch. Heute beglückt dich ihrer Liebe zitternde Ergebung, morgen berauscht dich ihrer Liebe Glut, aufs Jahr beseelt dich ihr Mutterglück und ihr Opferwille, in aller Zukunft bleibt dir ihre Treue: sie lebt für dich, sie duldet für dich, sie stirbt für dich. Du liebst sie, weil sie deine Lust ist, sie liebt dich, weil sie für dich leiden wird. Welche Schätze, um dich zu beschenken dein Lebtag lang!

Weiterhin in der Sonne wächst das immerblühende Kraut der Eriken; des Waldes Lorbeer, die edle Pflanze der Preiselbeere glänzt darunter. Dazwischen wiegen die goldfarbigen Liebfrauenschühlein, an denen die Hummeln und Bienen gern Honig sammeln. So mag es sich ja zutragen, daß auch ihr euch einmal in das Kraut der Eriken und Preiselbeeren legt und der Sonne volles Anrecht laßt auf eure Glieder. Ameisen rieseln geschäftig über eure Kleider hin, kleine und große Schmetterlinge gaukeln vor euren Augen, einer ist dabei, der will sich ins Lockenmeer des jungen Weibes setzen – aber du jagst ihn fort.

Arg drohen euch die Tiere in ihr Bereich zu ziehen. Ihr ruht auf einem Wald im kleinen, auf einer Welt im kleinen; in ihren Schattentiefen weben andere Wesen, die sind jung, da ihr euch niederlasset, und sind alt, bis ihr euch erhebt. Während einer einzigen Spanne eures süßen Lebens haben die da unten im Heidekraut und im Gemoose geworben, geliebt, gelitten und gestritten. Idealisten sind darunter, die streben höheren Welten, vollkommeneren Wesen zu und kommen – zu euch herauf. An deiner Stirnlocke sehe ich eine junge Kreuzspinne sitzen. Sie blickt mit ihren vielen Augen hinüber zu deiner Liebsten, sie möchte gern drüben sein, aber es ist keine Brücke gezogen . . . Soll sie doch warten, bis ihr selbst die Brücke baut und eure Häupter sich innig nahen? Sie will vorlang nicht müßig sein; sie spinnt einen Faden so fein, so unsichtbar wie die Ahnung der Jungfrau. Ein Lufthauch weht und trägt den Faden hinüber ins zarte Gelock deiner Gesponsin, und nun ist die fliegende Brücke vollendet. Du schaust der Liebsten unersättlich in das Auge. In deiner Brust wehen die Schauer des vollsten Lebens, mit den Lippen begehrst du zu küssen, mit den Armen ihren weißen Nacken zu umwinden. Jetzt gewahrt sie auf dem fliegenden Faden hastig die Kreuzspinne nahen – entsetzt springt sie auf – lachend eilt sie über das Heidekraut.

»Ach, Kind,« sagst du, »hättest sie gewähren lassen, sie hätte uns neu verbunden und verflochten, sie hätte uns wieder eingewebt in ihren seligen Schleier!«

Ihr seid der Erde und verschmäht den Himmel: so verhüllen euch der Bäume Kronen sein Blau, das nur die Sehnsucht mißt. Auch eure Sehnsucht hat alle blauen Himmel durchmessen und hat – zur Erde wiedergekehrt – ihr Ziel gefunden.

Die Rinden des Gestämmes sind gerissen, durchfurcht und durchgraben, das sieht aus wie eine Geheimschrift. Kannst du sie lesen? Euer Morgen mag hier aufgeschrieben sein, eure Zukunft. »Ewig vereinigt, ewig beisammen!« so jauchzt ihr heut' in Hymnen; aber einst kann ein Tag sein, da eins von euch beiden allein die Pfade wandelt – weinend oder froh! Oh, geht rasch vorbei an diesen geheimnisvollen Zeichen! – Seht, dort grast ein Reh. Es sieht euch wohl, aber flieht euch nicht, es weiß, ein Mensch an diesem Tage tötet nicht. Ihr seid des Lebens Frucht und seid des Lebens Keim, ihr seid heute das Herz der Welt . . .

Bis ihr den Weg nach dem heimatlichen Dach antretet, dämmert es. Leuchtwürmchen funkeln euch entgegen; dein liebes, großes Kind verbirgt davor die Hände, weil es glaubt, die fliegenden Funken könnten brennen. Bald aber wird sie kühn, fängt einen der strahlenden Käfer ein, stellt ihn fürsorglich auf die Spitze ihres Zeigefingers und leuchtet dir mit solcher Kerze in das Gesicht. Bei diesem Lichte lugt ihr euch nächtlicherweile in die Augen.

Nach Hause gekommen, könntet ihr beobachten, wie eine verzweifelte Köchin die Hände über den Kopf zusammenschlägt. Die Brühe veraltet, der Braten verdorben, der Pudding vertrocknet! Leichtfertiges Volk, ihr habt das Mittagsbrot vergessen! – Ein schuldlos Huhn muß alles bezahlen, ihm kostet dieser Abend das Leben. Um so fröhlicher lodert das eure auf. Rheinwein! Ein kleines Glas. Ihr stoßet an: diese Kelche sind noch gut zu leeren. Euer Wohl! . . .

Und soll ich euch weiterbegleiten? . . . Ah, du winkest! – Gute Nacht!

Zu wem Gabriel all das wohl gesprochen hat? – Er sagte es zu einer Stunde, da er mit sich allein war.


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