Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Zutiefst in der Einöde

Es war ein klarer Julimorgen, und es war Leuchten und Musizieren und Freudigsein überall, und die Einöde war in solchen Tagen keine Einöde mehr.

Als Klara zum Lärchenwald hinauskam, wo die Heide zu Ende geht, saß dort auf einem Strunk die Kleesam-Kathel. Das war ein altes Bettelweib, welches das ganze Jahr hindurch mit Klee- und anderen Samen Handel trieb. Sie konnte es nicht leiden, wenn man sie ein Bettelweib nannte und sie als solches behandelte; sie war »Hausiererin«, obwohl sie von ihrer Ware kaum den Tabak erwarb, den sie rauchte. Auch heute hatte sie das Pfeifel im zahnlosen Munde. Als sie aber hier so hockte und in die Weite sah, nahm sie das Zeug in die runzelige Hand und keifte:

»Aufrichtig Gott wahr, wenn ich noch einmal auf die Welt komm', so werd' ich eine Schnecken, daß ich allzeit mein Haus bei mir hab'.« Und plötzlich rief sie wie aufjauchzend: »U Josl Maronsaam, da steigt ja die Heidepeterin daher?«

Sie kamen gleich ins Gespräch.

»Hätt' dich völlig nicht kennt, Kathel,« sagte Klara, »meine Augen, die wollen mich schier verlassen, 's will halt schon finster werden.«

»Ach, beileib' nicht,« versetzte die Kathel, »'s ist ja mitten im Vormittag. Ah so, bei dir, meinst; last' nur Zeit, Heidepeterin, 's wird schon noch einmal hellicht werden; wenn da nicht, im Himmel oben gewiß. Ich denk' nur auch allweg so. Hab' dich aber auf den ersten Blick erkannt, hast mir ja oft einen Sterz gegeben, und du bist eine rechtschaffene Bäuerin gewesen, du, das muß man dir nachsagen, und 's kommt keine zweite mehr ins Heidehaus, die dir's nachtut.«

Klara lächelte ein wenig. Es war ihr ein großer Trost, daß auch noch in anderen Leuten das Andenken wach war an die schöne Zeit ihres Lebens, da sie eine geachtete Hauswirtin gewesen, da sie von ihrem Eigentum den Notleidenden teilen konnte. So viele tausend und tausend »Vergelt's Gott!« waren ihr gegeben worden von denen, die der Heiland meinte: Was ihr den ärmsten meiner Bruder tut, das tut ihr mir! – Sollten denn alle diese »Vergelt's Gott!« verhallt sein wie Spatzengesang, sollte denn keines davon aufgestiegen sein zu Gottes Thron, keines aufbewahrt worden sein für diese dunkle Zeit eigener Not und Bedrängnis? – Doch, was hat der Peter oft gesagt? Unser alles haben wir in unseren Kindern. Wenn jedes Vergelt 's Gott auf die Kinder kommt, dann ist's ja recht. – Besseres könnte sich die Klara gar nicht wünschen.

»Daß du allweg so krank bist, Heidepeterin, das drückt mich schier selber,« sagte die Bettlerin, »wärest ja nicht so alt wie der frische Stamm im Wald. Ich bin bei deiner Hochzeit gar schon eine betagte Person gewesen; hab' neulich einmal nachgedacht, dein Gaberl wird halt jetzt gegen zwanzig sein. Ja, und das hab' ich mir auch gedacht, es muß dir wohl rechtschaffen hart sein. Mein Gott, was ist zu machen? Ich sag', die Eltern können aller Lebtag nichts für die Kinder, 's ist halt ein Unglück für den, den's trifft. – Ich denk' aber, Ketten haben sie ihm nicht angelegt.«

»Wem?« fragte Klara.

»Nu, deinen Gaberl mein' ich,« sagte die Bettlerin, »ja, zuletzt weißt du's gar nicht. Mag auch sein, nachher – Heidepeterin, ist's besser, wir plaudern was anderes.«

Die Alte sog eifrig an ihrem Pfeifchen.

»Wenn du was weißt, wenn du was weißt, Kathel!«

Das kranke Weib faltete angstvoll die Hände.

»Mein, die Leut' reden gar viel.«

»Sie sagen allerhand über meinen Sohn,« versetzte Klara ruhiger, »ich glaub' nicht alles. Geld hat er uns schon geschickt; wenn er nur wieder einmal schreiben tät – daß er mir doch nicht krank ist.«

»Von wegen dem Geld, das mein' ich halt auch,« sagte die Alte, »tät dir's aber tausendmal wünschen, Heidepeterin, wenn die ganze Rederei erstunken und erlogen wär'. Beim Zapfenwirt unten haben sie gestern so gewartelt davon; mein, ich hab' nicht recht nachfragen mögen. Das hab' ich halt gehört, eingesperrt soll er sein.«

Klara zuckte zusammen. Dann blieb sie eine Weile still, und dann sagte sie, die Hände auf die Brust drückend: »Das hat mir aber einen Stich gegeben im Herzen. Eingesperrt – eingesperrt«, murmelte sie und dann wie lauernd: »Kathel, und kannst mir gar nicht sagen, warum?«

»Und wenn du mir den Hals abschneiden tätest, so könnt' ich dir's nicht sagen.«

Die Heidepeterin bückte sich torkelnd zu Boden nach dem Stock, der ihr entfallen war, dann sagte sie halb verloren:

»So, jetzt dreh' ich mich wieder schön langsam um und such' den Peter auf. Der wird aber recht lachen, wenn er's hört. Eingesperrt! Was die Leute doch alles aufbringen!«

Und als sie wieder allein war, kam eine Bitterkeit in ihr Gemüt, die sie bisher noch nie empfunden hatte.

»Nau, Gabriel,« sagte sie, »hast es recht hoch gebracht, hast ja schon ein Haus, wie sie sagen! Dich werfen sie nicht hinaus, aber deine Mutter haben sie hinausgeworfen; du, deine Mutter ist jetzt ein sauberes Bettelweib geworden. – Ei, Gaberl, sollst wohl ein wenig herausschauen zum Fenster, lug, das Bettelweib wird's auch hoch geben, das mag nicht mehr recht laufen, das läßt sich tragen von vier Männern, das läßt sich schön zudecken, und auf der Decke wachsen Blumen. – Magst nicht ein Eichtel durchs Fensterl gucken?«

Doch bald löste sich die Bitterkeit in Schmerz der Mutterliebe auf – sie lehnte sich an einen Zaun und weinte. Sie weinte, wie sie in ihrem Leben noch nie geweint . . .

Einmal blickte sie zum Himmel auf, und dort schwebte eine Lerche im blauen Zelt.

»Das ist ein Wunder, daß ich dich noch sehen kann,« rief sie dem Vogel zu, »du fliegst wohl hin über Berg und Tal, du setzest dich wohl lustig auf die Türme und guckest durchs Gitter hinein in sein Gefängnis. Flieg hin und flieg her und bring' Botschaft, du liebes Vöglein, von Gott erschaffen!«

Dann betete sie in ihrem Herzen, und dann sagte sie:

»Geht mir weiter mit eurer Rederei! Ist ja gar nichts wahr, 's ist nur zum Lachen!«

Der Peter stand in der Reihe der anderen auf der Wiese und mähte im hohen Grase. Funkelnde Tropfen hingen und lagen noch auf den Halmen, Blättern und Blumen.

Und es war immer Vormittag, die Schatten der Erlen wollten nicht kürzer werden, und drüben im Haberturmhof stieg immer noch kein blauer Rauch aus der Dachluke. Ein einziger Vormittag ist Ewigkeit für einen mühseligen Mann, der da schaffen muß mit und gleich den anderen, die jung und kräftig und übermütig sind. Dem Peter wollte schier die Sense in den Boden wachsen. Er stützte sich nur einen Augenblick an den Stab, da sah er sein Weib über die Mahden einhertorkeln. Er barg die Sense in das hohe Gras, daß sie die Sonne nicht schädige, und trat hin zu Klara. Und nun hörte er die Kunde von seinem Sohne.

Was entgegnete der Heidepeter darauf? Er nahm wieder die Sense aus dem Grase, zog den Wetzstein aus dem Kumpf hervor und schärfte sie.

Da schlug Klara die Hände zusammen und rief:

»Jetzt trau' ich mir's zu sagen vor Gott: Dir ist an deinen Kindern nichts mehr gelegen. Bei dir heißt's, aus den Augen, aus dem Sinn, wenn du nur deinen Hahnenkamp hast, so ist dir gut. Und wenn dich Gott straft und dir Weib und Kind nimmt, so geschieht dir recht, du bist der Dalkerd, du bist der Garnichts, du bist – mäh', mäh' dein Gras und schau mich nicht an! Im Himmel ist's geschrieben worden, und im Himmel ist's ausgelöscht.«

Das Weib eilte mit einer ungewöhnlichen Schnelligkeit davon.

Der Peter besann sich eine Weile über das, was sie gesagt hatte, dann wollte er ihr nachlaufen. Aber eine andere Stimme in ihm sagte: Wozu? Sie geht zum Ameishüter; das weiß man schon, wie sie ist, dort wird man auf sie schauen, bis ich nachkomm'.

Und er mähte weiter.

Aber als das Mittagsmahl auf die Wiese kam, als sich die Leute unter den Schatten einer Esche setzten und sich aus abgemähtem Grase Sitze und einen Tisch bildeten, und als sie das Tischgebet sprachen und aßen – im hohen und weiten Speisesaal Gottes –, da genoß der Peter keinen Bissen. Er saß ein wenig abseits und legte die Hand ans Kinn. Niemand kümmerte sich um ihn, nur eine alte Magd zupfte ihn und lispelte:

»Peter, wir warten all' nur mit der linken Hand auf dich; wie wirst denn mähen können den ganzen Tag, wenn du keine Vorspann hast!«

Der Hahnenkamp hörte das und sagte:

»Wenn dem Herrn Heidepeter 's Essen nicht gefällig ist, bitten tun wir ihn nicht, dasselb' getrauen wir uns nicht.«

Als sie aber nach dem Essen zum gedörrten Heu gingen, um es in Schöbern zu sammeln, schlich der Peter abseits und davon. – Das war sein letzter Werktag gewesen beim Heidehause. Er eilte abwärts durch Geschläge und Anwuchs und Heideland gegen den Ameishüter.

Beim Ameishüter war das Heu schon eingeheimst; die Männer waren im Walde, die Mägde arbeiteten auf dem Krautacker und setzten Kohlpflanzen ein. Als Regina ihren Vater daherkommen sah, wischte sie sich mit der Schürze die Erde von den Händen, ging den Weg hinab und rief:

»Wie steigt denn Ihr heut' herum, Vater? 's ist doch nichts geschehen?«

»Ist die Mutter gekommen?« fragte der Peter schnell.

Da erschrak das Mädchen. Die Mutter war zum Ameishüter nicht gekommen, und niemand hatte sie gesehen.

Der Peter lief wieder zum Heidehaus hinauf. Dort war Klara schon fort seit dem frühen Morgen. Nun ging er durch die Heide, und er ging hinab durch den Anwuchs und in die Schlucht und rief den Namen Klara. Vielleicht ist sie in der Kapelle und betet. Die Kapelle ist leer, aber hinter derselben schimmert etwas Weißes. Da lag das Bündel, welches die Heidepeterin vom Hause mit fortgenommen hatte. Jetzt lief der Peter noch einmal hinauf zur Wiese, fiel vor dem Hahnenkamp auf die Knie und sagte:

»Bauer, mein Weib ist davon, hilf mir suchen!«

Der Hahnenkamp lachte.

Da eilte der Peter zum Haberturm hinüber; auch dort wußte man nichts. Ein Waldarbeiter kam nach Hause, der berichtete, daß er oben in den Wildschroffen ein Weib an den Felsen habe hinklettern gesehen.

Der Haberturm erlaubte dem Rudolf, daß er dem Heidepeter möge suchen helfen.

Bald wußte man's in der ganzen Einöde, die kranke, halbirre Heidepeterin sei davongegangen, und oben in den Hinterschroffen, wo sich kein Jäger und keine Gemse zu halten vermag, klimme sie umher.

Der Peter eilte barhaupt durch die Gegend, seinen Hut hatte er verloren, er wußte nicht wo. Er rief nicht mehr den Namen seines Weibes, er hatte sich schon heiser geschrien. Nur leise beten konnte er noch.

Lass' mich krank und blind und lahm werden, barmherziger Gott, betete er in seiner angstvollen Seele, lass' mich verhungern auf den Felsen, nur lass' mich mein Weib wiederfinden! Wenn ich mein Weib wiederfinde, so will ich all mein Lebtag nichts mehr essen als Wurzeln und Kräuter, und Glasscherben will ich in meine Schuh' tun. Ich will meine Füße abgehen bis auf die Knie zu deiner Ehr', oder ich will stehen auf einem Kreuz in Hitze und Kälte, Tag und Nacht! Nur meine Klara schenke mir wieder, daß ich sie nur noch einmal sehe. Du weißt es, Herrgott, wie ich meine Kinder lieb hab'; aber wenn du sie verlangst, so nimm sie hin allbeid', nur meine Klara schenke mir, Vater unser, der du bist in dem Himmel! –

Spät am Abend sprach der Peter, zum Tode erschöpft, im Zapfenwirtshause ein. Die Wirtin wußte einiges zu erzählen. Klara sei so zur Nachmittagszeit am Hause vorübergehumpelt.

»Na, denk' ich, die schaut heut' auch rar aus, und ich hab' sie ins Haus geheißen und hab' ihr eine warme Suppen vorgesetzt. Wie wenn sie drei Tage keinen warmen Bissen genossen hätt', so hat sie gegessen, und ich hab' noch gesagt zum Rindenschlager-Lenz – der Lenz ist da im Winkel gesessen –, sag' ich, 's ist halt doch wahr, daß der Hahnenkamp seine Leut' völlig verhungern läßt, und von diesem Hahnenkamp kunnt man für die ganze Einöd' einen großen Hut machen, so ein Filz ist er. Da steht die Suppenschale noch, hab' ihr auch Brot eingeschnitten, hat's alles sauber ausputzt. Hab' sie nachher noch schön gefragt, wo sie hingeht, ist aber kein rechtes Wort von ihr herauszubringen gewesen. Zuletzt ist sie da vor dem Haus noch ein Eichtel gestanden, und nachher ist sie über den Steinanger hinein gegen das Schroffeneck. Weiter hab' ich nicht nachgeschaut. Unsereins hat auch seine geschlagene Arbeit in der Wirtschaft!«

So die Zapfenwirtin.

Rudolf fragte nach Davidl, daß er suchen helfe; die Wirtin aber sagte, der Davidl sei nach Rattenstein gegangen; er habe allweg Geschäfte mit seinem Freund, dem Amtmann. – Das war aber anders.

Davidl strich auf geheimen Wegen mit einer Büchse in den Hochwäldern der Schroffen umher. Es war eine günstige Zeit zum Wildern, der Herbert war Soldat und mußte zu seinem Regiment einrücken, der neue Jäger war noch nicht da. Davidl hatte einen grünen, hohen Holzknechthut mit Gemsbart auf, trug heute die Haare schwarz gefärbt und hatte sich ein dunkles Schnurrbärtchen angezeichnet. Das ist Wildschützen-Vorsicht. Das Gewehr hatte er, in zwei Teile zerlegt, in der Joppe. Auch trug er in der Tasche seines Bruststeckes ein Fläschchen Scheidewasser; er wußte, wozu es gut war.

Gegen Abend war er von dem Wirtshause fortgegangen. Als er hinaufkam in das Gefälle, wo vor wenigen Jahren der Sturmwind einen ganzen Waldstreifen entwurzelt hatte, setzte er sich auf einen liegenden Baum. Er sah seinen hohen Hut an und den braunen Gemsbart, und er erinnerte sich dabei an die Jugendgeschichte seines Vaters.

In demselben Augenblicke hallte eine menschliche Stimme durch den Wald, Davidl erschrak und wollte sich unter irgendeiner aufgerissenen Baumwurzel verstecken. Da rief es noch einmal: »Mutter!«

Mutter! sagte der Wald – Mutter! lallte es im Jungwald am jenseitigen Berge. – Bald darauf kam Ameishüters Regina die Lehne heran. Sie hielt einen großen Baumast als Stock in der Hand und schritt rüstig fürbaß den Wildschroffen zu.

»Daß es nur keine Wölfe und keine Bären mehr gibt, und daß es nicht kalt ist in der Nacht«, sagte sie zu sich, dann stand sie still und horchte, und rief wieder mit heller Stimme: »Mutter!«

Aber keine Antwort. – Wann und wo wird man sie finden, und wie wird das enden?

»Ich geb' nicht nach, und ich ruh' nicht, und ich führe keinen Bissen Brot zum Mund, solang wir sie nicht haben!« sagte sie zu den Bäumen und eilte weiter – aufwärts gegen die finsteren Hochwaldungen.

Davidl schlich ihr nach. – Es begann zu dunkeln.

*

Der Heidepeter und Rudolf wußten nicht, daß auch Regina auf war, um die Vermißte zu suchen. Die beiden Männer gingen noch in derselben Nacht hinein durch die engen Talschluchten gegen das Schroffeneck.

Als sie zur Hütte der Einschicht-Res kamen, setzte sich der Peter müde auf das Moos und sagte:

»So weit bin ich gekommen auf der Welt!«

Dann sank er ganz zu Boden.

Die Einschicht-Res war in den letzten Jahren gealtert und gebrochen. Ihr Gesicht war furchig, aber die Augen glühten noch wie zehrende Funken unter der Asche. Ihre reichen Haarsträhnen waren grau geworden, an ihrem gebeugten Körper hing notdürftig zusammengeheftetes Pelzwerk.

So kam sie nun, führte den armen Mann in die Hütte und bereitete ihm einen Kräutertrank.

Rudolf verließ schon zum ersten Morgengrauen das Dach und ging aufwärts zwischen Felsgraten und Zirbengesträuchen gegen das wilde Gestein; Peter war sehr erschöpft und blieb in der Hütte.

Durch die Äste und Kronen des Waldes und zwischen den Schluchtwänden war zu sehen, wie hoch oben die Felsen leuchteten in der Morgensonne. Herunten um die Hütte lag dichter Reif, am brausenden Bache glänzten Eiszäpfchen.

Der Peter richtete sich nun von seinem Mooslager auf, tastete um sich und sah befremdet seine Umgebung.

Halbdürre Kräuter hingen an Querstangen nieder, und an die schwarze Wand waren ausgestopfte Geier und Eulen und andere Tiere genagelt.

Wo war er, daß er heute sein Weib nicht fand neben sich? Er faltete die Hände.

Jetzt trat die Alte zu ihm und sagte:

»Bist auch noch so einer, Heidepeter, der meint, er muß beten! Ach, das können sich die wenigsten Leut' abgewöhnen, und sie mögen noch so alt werden. In guten Tagen, da lassen sie's oft eine randige Zeit lang; aber wenn halt die liebe Erde sie zermalmt zwischen den Steinen, da rufen sie einen Gott an. Dieser Gott soll nachher alle anderen im Stich lassen und ihnen helfen. – Peter, was mich – wie ich jetzt dasteh', ein Weib, weit über die Fünfzig hinaus – dieses Leben schon gemartert hat! Zuerst kam's kleinweis, hab' schon geflennt bei einem Distelstich. Dann hab' ich im Zahnschmerz geschrien; bin ungeduldig geworden in langwierigen Krankheiten und hab' einmal ein ganzes Jahr zu Gott gebetet, daß er mich sterben lasse. Es geschah kein Wunder; wie die Krankheit aus war, wurde ich gesund. Dann kam's innerlich, und das war was anderes! Nicht mehr an mich, an die Meinen machte sich das Unglück. Ich sag' dir nur von demselben Ostertag, an dem kein Rindel Brot und kein Stückel Fleisch in der Hütte war. Für was lauft's denn lebendig herum draußen im Schnee und hungert? Kann dem Rehbock geholfen werden und dem Menschen auch, denkt mein Großvater und geht mit der Büchse in den Wald. Dasselb' ist schon recht gewesen, aber am Ostermorgen haben sie ihn gefunden bei einem Stein, ist sein Gewehrkolben abgeschlagen, sein Kopf eingeschlagen gewesen. Im Walde haben wir ihn begraben. Meinen Vater hat eine totgiftige Schlange gestochen, meine Mutter – ich mag's gar nicht sagen, was sie der angetan haben. Meinen Mann hat der Wald selbst umgebracht, damit ein's sagen kann, 's ist alles zusammengespielt auf der Welt, den Menschen auf der Marterbank zu halten. Peter, ich hab' einmal auf geweihte Dinge viel gehalten, und eine breitgeschlagene Bleikugel, ein Andenken an den Urgroßvater, hab' ich angehängt gehabt. 's ist blöd, wenn man auf solche Sachen was setzt. Gebetet hab' ich, geflucht hab' ich, verzweifeln hab' ich wollen – all' eins ist's geblieben. Nun bin ich das Wesen, das ausschaut, als hätt's der Tod vergessen in der Einöd'. Aber das Mundwerk noch, und ich red' mit mir selber, und ich red' mit den Füchsen und Geiern. Nachher bild' ich mir wieder die alte Geschichte ein und red' mit Gott, und bitt' ihn um Verzeihung für alles; und er hat meinetwegen doch an keinem Härlein gelitten, ich hab' gelitten. Er soll mich um Verzeihung bitten, daß er mich erschaffen hat auf Erden zum Elendsein! – – Hui, wie du dreinschaust, Peter! Geht's dir 'leicht viel besser als mir? Glaub' nicht. Ist wer, der dir hilft? Kein Mensch. Dieses rote Steinl da am Herd und du, das ist der Welt just gleich. Und ob du dich erfreuest, oder ob du dich windest und krümmst unter den allergrößten Schmerzen, ob dein Weib verdirbt, deine Kinder zugrunde gehen – ist ihr just gleich, und ob du bist oder nicht bist – ist ihr just gleich. Wir wissen uns nicht zu helfen –«

Die grauen Haarsträhnen hingen der Alten wirr über das Gesicht, die strich sie jetzt mit den hageren, halbnackten Händen zurück. Dann raffte sie aus einem Topfe eine Handvoll Samenkörner und hüstelte:

»Schau, Heidepeter, das ist das best' Morgengebet!« und warf die Körner zwischen die Holzspangen eines kleinen Hühnerkäfigs, welcher unter der Herdstelle war.

Die Hühner pickten die Körner auf, reckten dann ihre Kragen hervor und glucksten.

»Oh, paß auf, Heidepeter!« fuhr das Weib fort, »die Einschicht-Res weiß noch ein anderes Morgengebet!«

Nach diesen Worten schob sie den Deckel eines Holzzubers beiseite und zog aus dem Gefäße einen flatternden kohlschwarzen Raben. Diesen hielt sie über einen Block, ergriff mit der anderen Hand ein rostiges Messer und hackte dem Tiere den Kopf ab. Der Kopf schnappte noch im Finstern unter der Bank, der Körper aber flatterte in der dunkeln Hütte umher, prallte an die Wand, an den Ofen, fiel endlich an dem Türpfosten nieder und regte sich nicht mehr.

»Das ist heut' mein Mittagsmahl, und mir bringen Raben die Speise vom Himmel wie dem heiligen Antonius«, sagte das Weib. Dann hielt sie den toten Vogel vor Peters Augen und rief: »Der Rabe hätt' noch lange leben können; er hat nichts Böses getan, er hat nur gelebt nach seiner Natur, und doch hat er nieder müssen von der hohen Luft auf das Fangbrett und ins Gefängnis hier, und doch hat er sterben müssen. – Und er hat zum Ersatz kein anderes, ewiges Leben – bei ihm ist alles hin. Und ich, sein Mörder, befinde mich jetzt wohl. Heidepeter, Heidepeter, es ist kein Gott . . .«

Wie wenn der Blitz neben ihn in die morsche Wand gefahren wäre, so war der Peter bei diesen letzten Worten aufgesprungen und hinausgetaumelt vor die Hütte. Als ob auch ihm ein scharfes Messer den Kopf abgehauen hätte wie dem Raben, so kopflos war er.

– Wie blaute oben das Himmelsauge, wie strahlte und leuchtete der junge Morgen in den hohen Schroffen, wie tausendstimmig zirpte es in allen lebendigen Zweigen des Hochwaldes, und eine Meise im Föhrengehege sang in einem fort: »Dir zu Ehr'! Dir zu Ehr'!«

Aber die Einschicht-Res in der Hütte rief laut:

»Es ist keiner, und das ist die Wahrheit. Amen.«

– Jetzt, Heidepeter, bist du in der Einöde! Jetzt ist alles von dir, dein Haus, deine Ehre, deine Kinder, dein Weib, dein Selbstvertrauen – dein Gott! Jetzt ist alles von dir, Heidepeter, jetzt bist du in der Einöde!


In der Einöde.

Das ist jene dornengekrönte Geschichte, die ein Mann aufgeschrieben hat in trüben, einsamen Stunden. Die Poesie wendete ihr Antlitz von ihm ab, ließ ihn allein mit der Erde; zerrissen starrte er in den dunkeln Webstuhl, an welchem die Menschen sitzen und so unsinnig weben.


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