Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Ein Schatten im sonnigen Tag

Vom Jagdhause aufwärts hinter den Hochleutlehnen ist ein kühler Grund, in welchen sieben Schluchten ausmünden. Jede dieser Schluchten bringt ein leise rieselndes oder laut rauschendes Wildbächlein mit sich. Drei dieser Wässer bilden Fälle über terrassenförmiges Gewände; das Plätschern und Sausen davon ist weithin zu hören, und Wasserstaub durchweht den Tann, so daß an den Nadeln immer regenbogenfarbige Perlen hängen. In der Talung, wo diese sieben Bäche zusammenrinnen, liegt ein See, der Stern geheißen. Die Umgebung des Sees ist teils schwarzer Hochwald mit vom Wurm getöteten Stämmen, die allen Ausweg versperren, teils steiniges Gehänge, an welches sich wildes Rosengehege und anderes Laubwerk emporwindet. Darüber herein leuchtet an freundlichen Tagen die Sonne auf den See, von dem keine Farbe anzugeben ist, weil er alle besitzt vom lichtesten Blau an bis ins dunkelste Grün – je nach der Stimmung des Himmels, je nach der Tageszeit, je nach seiner Tiefe. An den Ufern hin schimmern eine Weile noch die grünlichen Steine. Weiterhin ist von den wenigen Waldleuten, die zu seltenen Zeiten hierherkamen, der Grund nicht entdeckt worden.

Es ist ein gar versteckter Ort, der nur auf einem einzigen, durch sträubende Büsche und zwischen Felsblöcke sich schlingenden Fußsteig erreichbar ist. Der Abfluß geht durch eine zerrissene Kluft und gurgelt hinab in die Tiefe.

Diesen See suchte unser junges Paar gern auf, wenn es von seinen Ausflügen an der Hochleut niederstieg. Ein kleiner grüner Rasenplatz am Ufer, ganz mit bemoosten Felsblöcken und blühenden Dornbüschen umfriedet, war ausschließlich Annens Eigentum. Hierher durfte ihr Gabriel nicht folgen, denn hier stieg Anna in die blaue Flut.

Gabriel hatte sich einen anderen Winkel des Sternes ausgewählt, und zwar in der Nähe eines Wasserfalles, der, ein schimmernder Schleier, von der Wand in den See stürzte und so den schönen, glatten Spiegel in einem weiten Kranze hin erregte. Hier schleuderte der junge Mann in übermütiger Lust Stück für Stück der Kleider von sich, und als er frei war von all den gewobenen, gewundenen Fäden, die ihn noch mit der Kultur verbunden hatten, sprang er in den Schleier des Wasserfalles hinein oder stürzte sich kopfüber in die Wellen. – Gut, daß ihn Anna nicht sehen konnte, ihr wäre bange geworden, denn die Flut, die sich über dem lust- und lebendurchglühten Menschenkörper geschlossen, tat sich nicht mehr auf; und immer stürzten die Bänder des Falles nieder, und weithin zitterte der See – aber der Badende tauchte hier nicht mehr empor.

Der gewandte Schwimmer strebte einer Wassernixe zu . . . und war ihm schon verboten, die Einsamkeit des Rosengestades zu verletzen, so tauchte er doch im Wasser plötzlich neben seinem plätschernden Weibchen auf; und Anna saß in der Flut und suchte den Eindringling durch Wellengischten zu verscheuchen. –

Eines Tages rüsteten sie sich zu einer Partie in die Wildschroffen.

Selbstverständlich suchten sie die allereinsamsten Wege auf. Ihre Liebe beleuchtete die Felsen; sie sahen Alpenglühen, auch wenn die Pelze der Nebel sich über die Berge schmiegten.

Es war im Gebirge tagelanges Unwetter gelegen, nun es sich löste, leuchtete auf den Höhen der Schnee. Züge von Herden trachteten niederwärts; unser Pärchen stieg rüstig und lustig bergan – dem Himmel näher, den Himmel im Herzen.

Als sie zum Schnee kamen, jubelten sie; ein solches Weiß, umsäumt von dem grünen Grunde des tieferen Waldlandes, hatte Anna noch niemals gesehen.

Allzulange waren sie nicht heiter. Sie verloren im Schnee die Spuren des Weges, sie kamen in ein Gewirr von Steinblöcken hinein. Gabriel – der Alpenkundige sonst – wollte es lange nicht gestehen, daß sie den rechten Weg nicht mehr unter den Füßen hätten. Die Gesponsin sagte: »Mein Liebster du, setzen wir uns hier auf diesen Stein zur Rast; dann kehren wir um und bleiben wohlgemut.«

So taten sie, stiegen dann in eine Schlucht hinab, in der sie die bestimmte Richtung des Pfades zu finden hofften.

Sie gingen eine Weile die Schlucht hinaus und hatten zur Rechten und zur Linken schauderhaft wilde Wände, an denen sich kein Schnee hielt und keine Gemse, an denen nur zwei Wanderer emporzuklettern vermochten: das Auge und der Gedanke.

Endlich standen unsere zwei Wanderer still und blickten sich an. Die Schlucht mündete in einen Abgrund aus. Am Felsen, wo sie standen, prangte eine Holztafel: »Hier ist Martin Scheiter auf der Gemsjagd durch einen Sturz verunglückt. Nach vier Tagen konnte sein zerschmetterter Leichnam aus der Tiefe gehoben werden.« –

»Keine Bitte um ein Vaterunser«, sagte Gabriel.

»Hier geht kein Weg vorüber,« sagte Anna, »wer soll hier denn beten?«

Gabriel schwieg. Er glaubte in ihrem Worte einen Vorwurf zu hören.

Anna blickte ihn lange an, schlich dann ganz nahe an seine Seite und hauchte: »Bist du mir böse?«

»Du mir diese Frage!« rief Gabriel, sie stürmisch an seine Brust drückend. »Ja,« setzte er kleinlaut bei, »Martin Scheiter ist der beste Kletterer in der Gegend gewesen.«

Sie setzte sich auf eine Felsbank; sie milderte das Stoßen ihres Atems und wollte nicht zeigen, wie sehr sie erschöpft war. Endlich legte sie ihre zarte Hand in die seine und flüsterte: »Ich möchte wohl gern noch ein wenig leben.«

Vor die Sonne hatten sich Wolkenbänke geschoben; über das Riff nieder fegte ein scharfer Wind.

Gabriel versicherte, daß ihm warm wäre, und er legte sein Reisetuch doppelt über ihre Schultern.

Ein Steinfalke schoß über sie hin; sonst war Ödnis.

Gabriel fühlte eine unermeßliche Wucht auf seinem Herzen, da er die zarte Pflanze betrachtete, die ihm, dem Bergsohne vertrauend, hier im Gesteine atmete.

Plötzlich gellte schlagartig, ohne allen Nachhall, ein Schuß in der Schlucht. Erschreckt fuhr Anna empor, wendete ihr Gesicht gegen die Richtung hin und schrie: »Jesusmaria, da unten steht er!« Und schon lachend, setzte sie hinzu: »Der leibhaftige Schwarze!«

»Na, der fehlt uns gerade noch«, sagte Gabriel. Und siehe, dort hinter den Felsblöcken – eine wüste Gestalt mit kohlschwarzem Antlitz, in welchem ein paar Augen funkelten. Da sie aber einen Kugelstutzen in der Hand trug und einer gestürzten Gemse zuhastete, so sagte Gabriel: »Der Teufel, Gott Dank, ist das dieweilen noch nicht, aber ein mit Ruß bestrichener Wildschütze.«

Kaum dieser Unterricht gegeben, waren sie von dem Manne bemerkt worden. Im ersten Augenblick machte er Miene zu fliehen; im zweiten wendete er sich mit einigen Schritten gegen das Paar und rief mit heiserer Stimme: »Wollt' der Herr und die schöne Frau so gut sein und dem Jäger sagen, ich wäre hier den Berg hinaufgesprungen. Er ist gleich da. Gelt, der Herr und die Frau wollt' so gut sein . . .?« faßte die noch zuckende Gemse über die Achsel und sprang damit, daß es in den Felsen klang, von Zacke zu Zacke, das Gewände hinab gegen die Tiefe.

Solange sie ihn springen sah, hielt Anna den Atem an, und als er im Geschütte verschwand, hob sich ihre Brust, als wäre mit dem Wilderer auch sie selber gerettet. Die tote Gemse hatte sie freilich auch bedauert, aber in einem der »Waldlieder« hieß es:

Manch Tierlein bringt der Hunger um.
Der Hunger des schleichenden Schützen . . .

Und wie der Schütze berechnet: schon stand der Jäger mit Weidtasche, Griesbeil da und hielt den Finger an das Schloß des Gewehres.

Auf die Bitte des jungen Paares wies er ihm kurz einen Steig, der zwischen den scheinbar zusammengewachsenen Wänden durch in die Niederung der Matten führen sollte. Dann fragte er hastig, ob nicht ein Schuß gehört und ein Wildschütze gesehen worden wäre, und welche Richtung dieser eingeschlagen hätte. – Gabriel hob schon den Arm, um durch die Andeutung der Gegend dem Wilderer die strafende Gerechtigkeit nachzuschicken. Doch stieß ihn Anna mit dem Ellbogen in die Seite, just an die Herzrippe hin, und wieder wach wurde sein eigenes Lied: »Vom Hunger des schleichenden Schützen.«

»Ein Wilderer wäre der Mann gewesen?« antwortete Gabriel dem Jäger mit dreist unbefangener Miene, »nun, der ist da den Berg hinaufgestiegen.«

»Schön Dank!« entgegnete der Weidmann und eilte flink die steinige Lehne hinan, und Anna – sonst abhold allem Bösen – freute sich, den Mann mit der erlegten Gemse gerettet zu haben.

Aber für einen Augenblick kam nachher doch das böse Gewissen: »Er hat uns den rechten Weg gezeigt, und wir haben ihn angelogen!«

Sie hatten dann noch arge Wege zu wandeln, über scharfes Gestein und loses Gerölle, durch fließigen Firn, ferner unter Baumgefälle hin, das der Sturm gerissen hatte. Anna, die sich so sehr auf die Alpenfahrt gefreut hatte, blutete an Händen und Füßen. Ihr junges Herzchen aber war lustig und froh und jauchzte, als sie in der Abenddämmerung den Fensterschein einer Hütte sah. Eine Hütte auf der stillen Matte; da wollten sie einkehren und das süße reine Glück des hellenischen Arkadiens in vollen Zügen trinken.

Anna trat mit schalkhafter Entschlossenheit zuerst in das Haus, doch blieb sie in der Tür und der fröhliche Gruß ihr in der Kehle stecken. Sprachlos wendete sie sich ihrem Gatten zu.

Der Schein, welcher die Nahenden durch die Fenster gegrüßt hatte, kam von einem Öllicht, das in einem Wasserglase flackerte. Es stand an der Wandbank, zu Häupten eines toten Menschen. Und daneben der schwarze Mann von unten.

Gabriel wollte sich wenden, da schritt schon der Schwarze gegen die Tür und sagte: »Tu sich die Herrschaft nicht schrecken. Wir haben uns oben schon gesehen. Ihr tut mir nichts, gelt?«

Es war in diesen Worten etwas Anheimelndes; was sollten sie auch sonst zur nächtlichen Weile, als in der Hütte bleiben?

»Redlich wahr,« sagte der Schwarze, während er bestrebt war, den Ruß vom Angesichte zu waschen, »mich tut's gefreuen, daß ich Unterstand und klein Ding Warmes bieten kann. Hätt' mich der Jäger ertappt, kunnt morgen der Ehemann seinem Weib nicht zum Grab mitgehen. Hannerl, mach' ein Essen!«

Jetzt trat aus der Nebenkammer ein halberwachsenes, verstört aussehendes Mädchen. Es hatte blutige Hände, es war mit der Gemse beschäftigt gewesen. Nun machte es ein Herdfeuer an.

»Ist die Tochter, das,« stellte sie der Mann vor, »sie ist dabei gewesen. – Hannerl, das Mehl ist im Mehlschrank und nicht in der Salzbutten. – Mein Gott, sie hat soviel den Kopf verloren. Eine schauderhafte Sach' ist's gewesen. Wer wollt' so was glauben!«

Dem jungen Paare wurde bang. Es atmete sich schwer. Anna ließ Gabriels Hand nicht einen Augenblick los. Das war kein hellenisches Arkadien.

»Ist Euer Weib?« fragte Gabriel den geschwärzten Älpler, »ist wohl schon eine betagte Frau gewesen?«

»An ihren Tagen ist sie nicht gestorben«, antwortete der Mann, an dem mittlerweile aus der Schwärze ein gutmütiges Gesicht hervorgekommen war. – »Hell erfroren ist sie uns . . .«

Das Herdfeuer verlieh dem Antlitz der Toten noch einmal den Schein des Lebens.

»Haben ihr abgeraten,« fuhr der Älpler fort, »bei dem groben Wetter auf den Sattel zu gehen. – Speik wollt' sie haben und so Zeug mehr; ist mit dem Korb davon. Das Hannnerl geht mit ihr; allzwei im Sommergewand – 's ist eine Leichtsinnigkeit gewesen, gar nichts anders, der Pfarrer sagt's auch. – Tu die Herrschaft jetzt was essen. Gott gesegne! Wie schaut sie denn aus heut', die Suppen?«

Freilich war die Suppe nicht in Ordnung. Anstatt Salz ein Löffel voll Asche war hineingeworfen worden.

»Mar und Joseph!« murmelte der Mann, »letztlich wird sie mir noch närrisch! Leicht kann's sein!«

Gabriel und Anna aßen ein paar Schnitten Brot und tranken Wasser.

»Da hat sich etwas Böses zugetragen«, sagte Gabriel.

»Hannerl,« rief der Mann, »setz' dich auf den Zuber und erzähl's noch einmal.«

»Ich bleib' beim Herd,« wimmerte das Mädchen, »mir ist soviel kalt.«

»So bleib' beim Herd; wir wollen dich schon verstehen.«

Sagte das Hannerl: »Ich weiß nimmer, wie ich anheben muß.«

»Auf dem Schafsattel oben habt ihr Wurzeln gegraben . . .«, leitet ihr Vater ein.

»Auf dem Schafsattel oben haben wir Wurzeln gegraben«, sagte das Mädchen. »Wir haben halt nicht auf die Höh' geschaut, und gäh ist der finster Nebel da und der Regen. Der eiskalt Regen und die Nacht. Wir wollen heimzu und versteigen uns in den Wänden. Nicht so weit, wie da vom Herd bis zum Tisch haben wir gesehen. Frei mit Messern hätt' eins den Nebel schneiden mögen. Eine Höhlen finden wir, da tappen wir uns hinein. Naß bis auf die Haut; der Wind hat schauderlich geschnitten; der Schnee ist in die Höhlen geflogen. – Jetzt, die Mutter, die –«, sie schürte mit einem Asthaken in der Glut, daß die Funken sprühten, »die Mutter, die –«

Sie stockte wieder.

»Mach', Hannerl, erzähl's in Gottes Namen!« sagte der Mann.

»– ist eine Weil' still neben mir, und dann sagt sie: Kind, heut' ist mein letzt' End' – und hebt an zu zittern am ganzen Leib. Heiliger Schutzpatron Valentin! denk' ich, wenn sie jetzt ihr Hinfallend kriegt!«

»Die Fallsucht hat sie soviel gehabt«, schaltete der Vater ein.

»Und 's ist nicht anders gewesen«, fuhr das Mädchen fort. »Ich meine hell, der ganz' Erdboden hat geschüttelt, wie es die Mutter jetzt reißt und stoßt. Ihre Zähn' hör' ich scharkezen, daß es mir gerade durch und durch geht. Ich will sie mit beid' Händen festhalten – keine Menschenmöglichkeit. – Nachher, auf einmal ist sie stillgelegen.«

»Hannerl!« rief der Mann, sein Kind aus der Betäubung des Schmerzes weckend.

Anna schauerte an Gabriels Brust.

Nach einer Weile, als das Mädchen einen Schluck Wasser zu sich genommen hatte, stand es auf, ging gegen den Tisch und sagte leise:

»Jetzt hab' ich's verspürt, die Mutter wird kalt und starr. So sitz' ich bei ihr in der Nacht und im Sturm und bete zu unserer lieben Frau. Mich schüttelt's wohl auch. – Ja, Leut', und da hör' ich was rauschen in der Luft. Das ist kein Sturmwind . . . Raubvögel flattern zu meiner Mutter Leib. – Tschuh! sag' ich; mit beid' Händen hab' ich müssen fechten, daß das Getier nicht hat angepackt.«

Das Mädchen zerrte an seinem Haar. Jetzt trat Anna zu ihm und legte ihm den Arm um und wollte es trösten.

»Die Totenvögel,« bemerkte später der Hüttenbewohner, »die Totenvögel haben mir mein Kind gerettet. Das fortwährende Abwehren und die Angst haben es ein Eichtel erwärmt. Wir haben sie dann zur Morgenfrüh neben der verstorbenen Mutter gefunden. Ich sag's aber, das Hannerl, zu erkennen ist's nimmer. Glaub's gern. Die schreckbare Nacht! – Geh jetzt, Kind, leg dich in das Bett. Wenn die Leut' kommen, so sollen sie sich selber die Mahlzeit kochen.« Anna blickte ihn fragend an.

»Morgen werden wir halt das Weib auf den Freithof tragen,« sagte der Mann, »und das darf mir die Frau und der Herr wohl glauben, ich bin kein solcher, daß ich gleich zum Zeitvertreib mit der Büchsen ging. Wär' zu einem Totenessen, wie es schon sein muß, die Sach' im Haus, so hätt' ich sicher das Gamsel nicht geholt.«

Da war ihnen die Schuld des Schützen geschlichtet.

Anna wollte sich hierauf in die Sache mischen und das Mahl bereiten helfen, aber der Rosenhauch ihres Angesichtes war vergangen. Es war christlich von dem Hüttler, daß er seinen Gästen im Dachraum die Schlafstätte anwies.

Anna sank bald in den Frieden. Gabriel wachte und hörte, wie unten Leute kamen, wie Weiber um das immer knisternde Herdfeuer wirteten, um das Fleisch der erlegten Gemse zu bereiten, und hörte, wie Männer den Deckel des Sarges festnagelten. Er legte der lieben Schläferin beide Hände an die Ohren, auf daß sie nicht geweckt werde von diesem Schall. Dann hörte er, wie sie unten beteten, wie sie zu Tisch saßen, und wie sie endlich, als das Morgenrot aufging, den Sarg unter summenden Gebeten hinaustrugen zur Tür und davon über die Hochmatten dem Kirchhof des Tales zu.

Draußen sangen die Vögel, da zog Gabriel die Hände von ihren Ohren, und sie wachte auf.

»Bist da, Gabriel?« flüsterte sie, mit der Hand über seine Locken gleitend. »Jetzt habe ich dir einen närrischen Traum gehabt. Aber er ist ganz gescheit gewesen.«

»Närrisch und ganz gescheit!« lachte Gabriel, »ja, den mußt du mir wohl erzählen.«

»Du!« sagte Anna, »zum Auslachen ist er zu ernst.«

»So will ich recht andächtig sein.«

»Dafür ist er wieder zu lustig«, lachte sie selber. »Jetzt bedenk' einmal, Gabriel, jetzt sind wir Ehefrauen alle miteinander gestorben gewesen. Und jede hat einen weiten Sarg gehabt, und zu jeder hat sich ihr Ehemann – der lebendige Ehemann in den Sarg gelegt. Und wie du es tun willst, rufe ich: »Gabriel! bleib außen, ich steh selber auf, ich leb' ja noch . . .«

Sie verließen die Hütte und zogen in das Sonnenlicht hinaus. Sie atmeten frei und leicht und dankten Gott für ihr junges Leben.


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