Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Nach zehn Jahren

Was ändert sich in einer kleinen, ringsum abgeschlossenen Gemeinde in zehn Jahren? Ein Dutzend Sargdeckel werden zugeklappt, der Taufsteindeckel wird einige Male aufgemacht, ein paar Invaliden kommen heim, ein paar Rekruten jauchzen in die Welt hinaus. Eine oder die andere Hütte brennt ab, da und dort wird eine neue gebaut. Alles übrige holpert in gewohnter Weise fort, wie in der Vergangenheit, wie in der Zukunft, wie immerdar.

Alljährlich wachsen die Erdäpfel, alljährlich grünt das Haferfeld, doch nicht alljährlich reift es vor dem Schnee.

Aber Not und Entbehrung, Zwist und Tücke blühen und reifen jahraus, jahrein, und das Wirtshaus steht offen jahraus, jahrein.

Und alles ist älter geworden um zehn Jahre, es wäre denn in dieser Frist geworden oder vergangen.

Die Zapfenwirtin aber ist dieselbe geblieben. Sie ist stets wohlauf und die erste und letzte im Hause; sie ist höflich mit den Gästen – heißt das, mit den anwesenden –, sie spricht gern von den Abwesenden und weiß täglich funkelnagelneue Geschichten, die sie gehört hat, die, wenn sie wahr, ganz außerordentlich sind, die sie aber nicht weitersagen will, die sie aus purer Freundschaft und im Vertrauen auf Verschwiegenheit nur dem mitteilt – nun, der eben in der Schankstube sitzt.

Die Zapfenwirtin ist den Gästen gegenüber die Gemütlichkeit selbst, bis es zur Zechrechnung kommt, bei welcher aus reiner Ehrfurcht vor den Gästen die Gemütlichkeit aufhört. Man sagt, sie könne kein Wort schreiben, aber die Ziffern macht sie wie eine; nur daß sie mitunter von all den Wirtschaftsgedanken und außerordentlichen Neuigkeiten zerstreut ist und anstatt des Sechsers einen Neuner macht – du lieber Gott, wenn eins die Gedanken überall haben soll, so ein Dingelchen ist leicht verkehrt und steht lieber auf dem Fuß als auf dem Kopf.

Ihr Mann ist bei weitem nicht so umsichtig. Wenn er auch zuzeiten bei den Gästen sitzt und die längste Weile seine Pfeife stopft, so weiß er nichts Rechtes zu erzählen, er scheint eben immer an das Pfeifenstopfen zu denken. Zwar sagt er nicht: »Ist ein schöner Tag heut'!« – sondern er gibt das viel getragener und ruft aus: »Nein, das muß man sagen, eine wunderherrliche Zeit jetzt, und die Sonne scheint alleweil so warm.« Er tut auch nicht die etwas einförmige Frage: »Wie geht's denn allweg, Vetter?« – sondern er lächelt: »Nu, wie schlägt's an? – Wie macht sich's Geschäft? – Ja, der liebe Gesund, das ist das Beste.« – Aber es kommt kein rechtes Leben in das Gespräch, und die meisten Gäste gehen nach dem ersten Glase davon. Wenn die Wirtin in der Stube ist, brummt sie bei sich:

»Nein, aber der Langweilig' mit der Beichtzettelnase vertreibt mir heut' die Gäst' wieder allsamt.« – Und laut sagt sie: »Du, Alter, 's kommt mir vor, als hätt' dich draußen wer gerufen.«

Und der Alte weiß wohl, von wannen die Stimme kommt; er geht hinaus und mit verschränkten Armen ein wenig im Hofe umher. Aber das grelle Taglicht tut seinen rotunterlaufenen Augen nicht wohl, und da steigt er denn dann und wann in den dunkeln Hauskeller oder er schleicht gar hinüber zur Kapelle und tastet die Stufen hinab in die Gruft. Und da ragen sie der Reihe nach, die runden, bauchigen Särge; in einigen gärt es noch, in anderen ist es stille – Grabesruhe. – Sind aber nur scheintot, die Aufgebahrten hier, in jedem schlummert noch der Geist, der Erlösung und Auferstehung harrend. Der Zapfenwirt verweilt gern in dieser Gruft, und er wagt nicht selten ein verwegen Spielchen mit den Geistern.

Diese Spielchen und die schattige Kühle tun dem Zapfenwirt immer wohl, aber wenn er endlich wieder heraufklettert aus den Kellerräumen, so kann er das grelle Licht schier nicht ertragen, es schwindelt ihm so, er taumelt – muß ins Bett gehen. Und wenn der Zapfenwirt in seinen Federn ruht, da ist für ihn eine schöne, friedliche Zeit.

Die Zapfenwirtin geht, wie sie sagen, wohl schon auf ihren letzten Füßen, aber ihr Ehegespons geht eben auch nicht mehr auf den ersten. Indes hegt er zuzeiten ihretwegen noch manch gelinden Zweifel. Nicht ohne innere Unruhe stand der Zapfenwirt oft da und sah sein Söhnlein, den Davidl, an. Drei Eimer aus seiner »Gruft« hätte er gegeben, wenn Davidl gleich ihm eine »Beichtzettelnase« trüge. Aber der Gesichtsvorsprung des Jungen hatte ganz andere Formen, nicht die schmale, dünne Gesichtskante, die man in der Gegend Beichtzettelnase nennt, sondern eine fremde, stumpfwulstige Nase hatte der Davidl. – Weiß Gott, die Weiber! und erst die Schänkinnen!

Davidl ist ein erwachsener Bursche geworden, hat aber noch immer die zerzausten Fuchshaare. Sein Mund ist nicht zu schmal und nicht zu enge und läßt die strohgelben Zähne sehen, die in verschiedenen Richtungen aus den Backen stehen. Die Wangen sind bereits ein wenig eingefallen und zeitweise von gelblichgrüner Farbe; um die Oberlippe liegt dunkler Bartanflug. Um die Augen hat er bläuliche Ringe bekommen, weswegen ihn boshafte Leute den Brillen-Davidl nennen. Die Zapfenwirtin aber heißt ihn den »jungen Herrn«, wie recht und billig, maßen er bestimmt ist, über kurz oder lang das Zapfenwirtshaus zu übernehmen. Vorderhand führt freilich noch die Wirtin das Regiment, und 's gibt Zeiten, in welchen sie mit ihrem Sohne in Zank gerät, ihn einen Taugenichts, einen Lumpen nennt. Davidl widerspricht ihr nicht hierin, sondern heißt sie kurzweg eine Schnattergans oder eine alte Vettel. Trotzdem zieht er regelmäßig den kürzeren, und die Zapfenwirtin schlägt in trauten Stunden Besenstiele ab auf seinem Rücken. Die Folge davon ist, daß der Davidl auf eine der alten Fichten klettert und dort in der dichten Krone bei einem Geierneste zu verharren beschließt, bis er verhungert und verdorrt wie die Zapfen herabkollert auf das Dach seines Vaterhauses.

So weit indes läßt's die Mutterliebe nicht kommen; gar bald ruft sie bangend hinaus das Wort: »Davidl!«, und sie eilt unter die Fichten, und trotz des Zapfenhagels, den ihr holder Sohn auf sie herabrüttelt, schreit sie: »Laß mir die Unbild vergeben und vergessen sein, mein Kind, und komm' herab; ich hab' dir einen fetten Eiertomerl gekocht, und zum Hinabschwemmen ist auch etwas hergerichtet. Geh, steig nieder, mein Davidl, aber gib mir Gotts wegen Obacht, daß du dich nicht verstauchst!«

Wenn auch nicht unmittelbar nach solcher Bitte, so siegt doch nach einiger Zeit die Liebe zum Eiertomerl gegen den Todesentschluß, und Davidl klettert vom Baume.

Einmal ging der Hahnenkamp vorüber, als der Bursche nach einem ihm widerfahrenen Unrecht sich eben wieder in die hohe Baumkrone verkrochen hatte.

»Eure Bäume tragen saubere Früchte!« sagte der Bauer zur Zapfenwirtin.

»Die deinen tragen gar keine, Steffel!« entgegnete die Schänkin giftig, auf Hahnenkamps Kinderlosigkeit zielend.

»Gottes Fürsicht. So ein Früchtel hätt' ich schon neunundneunzigmal ins Rübenfeld hineingehaut. Wär' der Bub' da mein Sohn, und er tät' sich so ducken da oben beim Geiernest, ich wüßt', was ich ihm sagen tät': Hol' dich der Geier, du Erzlump! Und kommst du mir noch einmal auf Gottes Erdboden nieder, so hau' ich drei Heustangen über dich ab!«

»Hau' du die Heustangen über deine Leut' ab!« schrie die Wirtin mit funkelnden Augen, »deine Knechte ludern sauber genug beim Heurechen; wenn die Sonn' scheint, liegen sie unterm Baumschatten; wenn's regnet, bleiben sie auch liegen unterm Dach. Die werden dir noch faul mitsamt dem Heu! Und hau' lieber deine hochnäsigen Mägd' in den Rübenacker, eh' sie dir ganze Säcke Rüben davonschleppen und verschachern. Von deinem Weib gilt dasselb', gilt noch mehr, du Hahn'r du! Und wer vor seiner eigenen Tür soviel Mist hat, der soll vor einer fremden nicht kratzen. Hörst es, Winkelbauer, die mein' schlag ich dir vor der Nase zu, du bist mir Kas! Von dir wird kein Wirt reich, du Geizfilz; und ich dank noch meinem Gott, wenn du mir die Gläser rein läßt, 's will nach dir so keiner trinken draus. Wasch dir dein Maul einmal mit Bachsand, das ist ein guter Rat, du grauslicher Schmutzhammel, du!«

Der Hahnenkamp lachte überlaut und rief noch durch das Fenster hinein:

»Ich lach'! Du alte Waldschnepf, und dreihundert Zapfenwirtinnen zusammen sind nicht imstand', mir soviel Ärger zu machen, nicht soviel!« Er reckte einen Finger empor und deutete nach dem schwarzen Nagel. »Und daß du die Tür vor mir zuschlägst, ist mir auch recht; wenn das Bettelweib die Hand nicht auftut, so bleibt einem der Pfennig gespart, 's ist doch wahr, was die Einschicht-Res sagt: Der Herrgott und der Teufel sind zusammen durch die Welt gegangen; wo der Herrgott gerastet, da steht eine Kirchen, wo der Teufel gerastet, da steht ein Wirtshaus. B'hüt dich Gott, Zapfenwirtin!«

Da flog die Tür auf, und die Wirtin goß einen mächtigen Kübel Schwemmwasser gegen den höhnenden Mann.

Der Hahnenkamp ging langsam davon, aber sein Gesicht war dunkelrot und sein Hals merkwürdig angeschwollen. Als er über seine Wiese ging, wo die Leute bei der Heuernte waren, sagte er halblaut zu seinem Weibe:

»Alte, komm mir in zehn Minuten nach, hab' was zu reden mit dir!« Dann schritt er dem Hause zu.

Die Bäuerin begann zu schluchzen und klagte es der Magd, daß sie nun wieder Schläge bekäme, warum, das wisse sie nicht, es müsse ihren Mann wieder wer »wild« gemacht haben, er sei nun schon vorausgegangen, um den Strick zu drehen.

»So geh ihm halt nicht nach, Bäuerin«, riet ihr die Magd.

»O jegerl, da wär's aus!« jammerte das Weib, »nicht, daß ich's sag', aber bei den Haaren tät' er mich ins Haus schleppen, und erschlagen tät' er mich. Es ist wohl ein Graus, wenn man mit einem solchen Wildling zusammengebunden ist sein Lebtag lang.«

Ergeben in ihr Schicksal, ging sie dem Hause zu. Ein Wirbelwind kam und zerzauste die Heuschichten, und die Fetzen tanzten in der Luft, und einzelne Halme trug er hoch empor; sie fielen nicht mehr zurück auf die Wiese des Hahnenkamps, sondern verloren sich im Walde, blieben hängen im Gestrüpp – ein Vogelpaar wird sie sammeln und sich ein trauliches Nest daraus bauen. Möchten die Ehen der Menschen immerdar so friedlich sein als die der heiteren Vöglein in den Lüften.

Da ging's beim Haberturm ruhiger zu.

Und der Haberturmhof zeigte, daß die Weiber überhaupt auf der Welt zu entbehren sind. Da gab's keine Stallmagd, sondern einen Stallbuben; keine Küchenmagd, sondern einen Küchenbuben; und am Herde und im Speisekasten und in der Vorratskammer, da war nur der Haberturm daheim. Und es mag wohl gesagt werden, er war hier daheim wie die umsichtigste Hauswirtin, und sein Sterz und seine Knödeln unterschieden sich in nichts weiter von denen weiblicher Erzeuger, als daß sie sehr oft – nicht da waren. Dieser Unterschied hatte seinen Grund darin, weil auch der Haberturm sehr oft nicht da war.

Es gab Tage, wo der Bauer sich dennoch gern von weiblichen Wesen kochen, einschenken und bedienen ließ, und da saß er denn unten im Zapfenwirtshause beim mittleren Tisch oder beim Kachelofen, und die Gespräche der Wirtin hielten seinen Geist rege bis auf den Moment, wo der Haberturm mit dem Oberkörper langsam nach vorn auf den Tisch sank und friedlich einschlummerte.

Indes hatte der einsichtsvolle Mann für derlei Fälle vorgesorgt.

»Du, Hannes,« hatte er einmal zum Altknecht gesagt, »Mensch ist Mensch, und sollte mir einmal irgendwie was zustoßen und ich nicht pünktlich nach Hause kommen, so wirst in der Haustruhe Zwieback finden, das trag' den Leuten auf, und Milch dazu; ist ein kräftiges Essen.«

Ein kräftiges Essen fürwahr und für kräftige Esser, denn der Zwieback war nichts anderes als altes, gedörrtes Schwarzbrot, das nur mit Eisenhacken zerkleinert werden konnte und erst durch langes Aufweichen in der Milch genießbar wurde.

Und siehe, es ereignete sich öfter und öfter, daß dem guten Haberturm etwas Menschliches zustieß, so daß die unzufriedenen Knechte schon davon sprachen, die Vorratskammer zu erbrechen.

Vor mehreren Jahren, als der Haberturm einmal auf Holzhandel aus war, brachte er einen hübschen Knaben mit heim. Dieser war der Sohn einer Dienstmagd; der Haberturm nahm ihn aus »reiner Barmherzigkeit« und übte an ihm Ziehvaterstelle. Vielleicht wollte er ihn zu seinem Nachfolger machen.

Rudolf, wie der Junge hieß, war lebhaft in der Arbeit, anstellig und flink und immer munter. Er hatte sich mit seiner Umgebung bald vertraut gemacht, und wo es im Hofe, auf dem Felde oder im Walde was zu tun gab, da war er dabei, und alles wußte er so anzufassen, daß es ihm gelang, so daß der Altknecht sagte:

»Der Kleine ist ein rechter Saggra, da spielt er sich herum mit dem Zeug, und es wird was fertig.«

Rudolfs weiße Zähne waren die einzigen, die auch mit dem Zwieback fertig wurden.

Eines Tages, als der Haberturm grämig vom Zapfenwirt heimkam, sagte der Knabe:

»Vater, ich möcht' Euch wohl schön um was bitten!«

»Gib Fried'! Ich bin nicht aufgelegt, will jetzt schlafen gehen!« entgegnete der Bauer unwirsch, aber des anderen Tages fragte er doch: »Rudolf, was hast mich denn gestern bitten wollen?«

»Vater, der Tag ist lang, und die Steinarbeit ist schwer, unsere Leut' sind alle fleißig und richten was aus.«

»Sei nur still, Bub', ich kenn' deine Flausen schon,« unterbrach der Bauer, »du möchtest dich im Hause überflüssig machen und zu Heidepeters Schulmeister 'nüberlaufen, wie du's heimlich schon getan hast. Gelt, daß ich alles erfahr' und errat' – gelt! Aber, ich sag' dir's, Bub, denk' mir an das Zeugs nicht! – Schau, Rudolf, wenn ich meine Pflüge und Mistgabeln politieren wollt', du tätst mich hellicht auslachen, und ein gelehrter Bauer ist geradeso wie eine politierte Mistgabel. Weißt, die Buchstaben bauen kein Feld an und stocken keinen Wald ab; die bleiben im Bücherstaub hocken und verduseln die Zeit. Was meinst, daß aus Heidepeters Gabriel wird. Ein Garnichts wird aus ihm: zum Bauer ist er zu gescheit, zum Herrn zu dumm. Ein Garnichts ist auch wer, meinst?«

»Ich hab' Euch nur bitten wollen wegen was anderem,« sagte Rudolf schüchtern, »wenn Ihr nicht daheim seid, da geht's verkehrt zu – die Leut' haben kein rechtes Essen. Da bitt' ich Euch, daß Ihr mich das Kochen lehrt, dann will ich's schon besorgen.«

»Ja, du junger Spatz wirst das Kochen lernen!« lachte der Haberturm; aber in den nächsten Tagen, wenn der Knabe neben ihm am Herde stand, redete er in einem fort: »So, Rudolf, jetzt schau, so macht man das, so rührt man das Mehl, so zerläßt man das Schmalz, so kocht man die Suppe ein, und das muß diese Form haben, und diese Farbe und diesen Geruch, und dazu nimmt man einen, oder zwei, oder drei Löffel voll von dem, oder dem –«

Und als hierauf dem Haberturm wieder einmal was Menschliches zustieß, da kochte Rudolf das Mahl, und die Knechte lachten und sagten:

»Jetzt mag der Bauer ausbleiben, solang' er will; wenn er nur zu Weihnachten kommt, um uns den Jahrlohn auszuzahlen.«

Und Rudolf war froh in sich hinein und aus sich heraus, und er sang und jodelte, wo er ging und stand.

Und er ging doch manchmal zum Heidepeter hinüber und lernte mit Gabriel und der kleinen Regina, und zu Hause übte er sich, nachts, wenn die anderen schliefen. Dann kam wieder Gabriel in den Haberturmhof, und sie setzten sich in der Hinterschupfe auf die Hanselbank und schrieben einander kleine Briefe.

Dann wieder erzählte Rudolf seinem Freunde im Vertrauen, daß er nicht bloß Lesen und Schreiben lerne, sondern auch eine andere Wissenschaft – das Kochen.

»Dich hat Gott zum Hausmutterl erschaffen,« sagte Gabriel lustig, »wenn ich Heidebauer werde, ich nehm dich!«

*

Und was hatten die zehn Jahre im Heidehause getan?

Dem Peter hatten sie eine erkleckliche Anzahl grauer Haare gebracht, und Klara hatten sie, gottlob! doch nicht mit sich genommen. Der Tod war wohl mehrere Male ums Haus herumgeschlichen; einmal um Mitternacht hatte er just vor dem Fenster die Sense gewetzt, und der Uhu hatte geschrien auf den Tannen. Da lag Klara im Bett, blaß und still, und der Peter stand daneben und hielt ihr, sich selbst den Atem versagend, ein Stück Spiegelglas vor den Mund.

Und das Spiegelglas wurde ein wenig trüb – eine stille Botschaft, daß die Tage der Trübsal dem armen Weibe noch nicht vorüber.

»Gottlob!« wie der Peter stets sagte, »wenn sie auch mühselig ist, wenn sie auch herumhumpeln muß mit der Krücke, weil ich sie nur noch hab'! Was tät' ich denn, wenn mein Weib nicht wär'! Die Zung' ist ihr freilich schwer seit dem Schlagfall, aber wir verstehen sie schon.«

Klara hatte in diesen zehn Jahren die Ihren wohl tausendmal starr angeblickt und gestammelt:

»Mich deucht, 's ist nicht mehr so licht auf der Welt wie eh'dem; ich seh' wohl alles noch, aber die Sonn' will nimmer so hell scheinen, und mir ist's, als wollt's allweg dämm'riger werden.«

War denn die Gesundheit nicht mehr zu erlangen?

Wo in der Umgegend ein Arzt zu erfragen gewesen war, da hatte ihn der Peter aufgesucht. Gut wird's wohl recht langsam werden, hatten alle gesagt – so hoch waren sie studiert. Der Peter verkaufte ein Fahrnis um das andere und bezahlte die Medizin.

Da war einmal die alte Kleesam-Kathi gekommen, und die hatte von einem Wunderdoktor erzählt, der weit draußen hinter dem Gebirge lebte. Der Peter band sich einen Laib Brot auf den Rücken und ging tagelang.

Es war zur frühen Sommerszeit; die Natur prangte in reicher Kraftfülle, jedes Pflänzlein am Wege atmete junges Leben – und Peter suchte die Gesundheit für seine Gattin. Allweg trug er den breiten Hut in der Hand und betete; mit den fremden Menschen konnte er ja nicht reden, der liebe Gott allein verstand ihn. Der liebe, Gott, zu dem er gebetet in den Tagen seines Glückes, und der stets seine Zuversicht war zur Zeit der Drangsale.

»Gelt, du mein himmlischer Vater!« rief er oft, »'s ist nicht dein Ernst, daß ich so in das Elend soll kommen; du willst mich nur probieren, ob ich nicht verzage. Bin ja mit allem zufrieden, nur einen Gefallen tu mir, wenn's dir nicht gar zu hart ist, meine Klara laß mir noch ein Eichtel!«

Als er endlich zum Wunderdoktor kam und ihm sein Anliegen klagte, nahm dieser eine Prise zwischen die zwei Finger und, noch bevor er schnupfte, sagte er:

»Wird nichts nutzen, Bauer, ihr vertut umsonst Euer Geld. Geht nur gleich heim, daß Ihr Euer Weib noch beim Leben trefft. Wenn Ihr schnupft, so warte ich mit einer Prise auf.«

Aber der Heidepeter schnupfte nicht, er ging wieder gegen sein Gebirgsland und ging Tag und Nacht.

Und als er zu seinem Hause kam, schimmerte ein Öllicht durch das Fenster, und in der Vorlaube lag eine Leiche.


Der alte Schulmeister, seit seiner Verbannung gebeugt, lange schon mühselig, war eines Morgens in seiner Oberstube nicht mehr aufgestanden. Regina hatte ihm die Suppe gebracht und gelispelt:

»Herr Schulmeister! Herr Schulmeister! – Was Warmes hab' ich da!«

Und da er sich nicht rührte und sie ihn näher ansah, ließ sie die Schale fallen, stürzte davon, kollerte beinahe die Stiegen hinab, eilte wortlos an der Mutter, die auf einem Holzblocke saß, vorüber und hinaus in den Stall, wo Gabriel Streu legte.

»Gabriel!« stieß das Mädchen fast atemlos heraus, »tu jetzt die Gabel weg und erschrick nicht. Der Schulmeister ist gestorben.«

Gabriel lehnte die Gabel an die Wand und setzte sich auf den Futterkarren. Er sagte kein Wort, er starrte auf die grünen Reiser am Boden, es zitterten ihm alle Glieder. Endlich berieten sich die Geschwister, wie sie das Unglück der Mutter mitteilen sollten, daß sie nicht zu sehr erschrecke. Da rief Mutter Klara schon den Namen: Regina, und was denn das sei, daß heute der Schulmeister solange schlafe?

Gabriel lief zum Haberturm, auf daß Leute kämen, um die Leiche aufzubahren, denn seit der Bursche erwachsen war und sich auch Regina im Haushalt schon gut verwenden ließ, war im Heidehause kein Dienstbote mehr.

So wurde der Greis in der Vorlaube aufgebahrt, und am Abend kamen Leute aus der Nachbarschaft und hielten unter Beten und Singen die Leichenwache.

Da war der Regina eingefallen:

»Gabriel,« sagte sie, »wenn in dieser Nacht der Vater heimkäme und machte die Tür auf und sähe so jäh die Leiche!«

Darauf ging Gabriel hinaus hinter die Tannen, wo der Weg über die Weide hereinzieht, und stand dort die halbe Nacht hindurch, um den heimkehrenden Vater auf den Todesfall vorzubereiten. Plötzlich aber rief Regina: »Geh nur her, Gaberl, der Vater ist schon da!«

Und da saß der Vater in der Küche neben seinem Weibe und sagte mit schwankender Stimme:

»Wie geht's dir denn, Klara, bist besser?« Dann nahm er sie bei der Hand: »'s hat mich wohl ein wenig gestoßen, wie ich das Kerzenlicht hab' gesehen, draußen, und das weiße Tuch!«

In der Stube sangen sie geistliche Lieder. Der Peter suchte auch sein krankes Weib zu bewegen, daß sie singe, wie sie früher gern gesungen habe, und wie das so schön gewesen.

»Mann, aber sei nicht so einfältig,« entgegnete Klara etwas lallend, »wie könnt' denn ich singen? Täten mich ja all auslachen, mir ist schon der Stimmstock umgefallen.«

Dabei zog sie ihr Kopftuch zusammen und brummte leise mit, als die anderen sangen. Das Singen war einst ihr Liebstes gewesen auf der Welt, und sie war zu allen Hochzeiten und Leichenwachen geladen worden, weil sie schöne alte Lieder wußte und eine liebliche Stimme hatte.

Sie kannte auch das Lied, das jetzt in langsamen, traurigen Tönen erscholl; die Leute hatten es ja von ihr. Aber heute lud sie niemand zum Singen ein.

Die anderen oblagen gesellig den geistlichen Verrichtungen, aßen Weißbrot, tranken Milch, womit sie von Regina bedient wurden, und vergaßen das Ehepaar, das in der dunkeln Küche zusammen saß.

Wenn auch einer ausgestreckt liegt auf dem Brette und allen Menschen das Maß gibt zu ihrem Sarge, so kann das den Übermut der Lebendigen nicht immer ersticken. Regina mußte sich von den Burschen manch mutwilliges Wort gefallen lassen, dem sie nicht ausweichen konnte, solange sie heute als Gastwirtin bedienen mußte; sobald sie nur abkam, flüchtete sie sich in die Küche und legte ihren Arm sanft um den gebeugten Nacken ihrer Mutter und fragte wiederholt den Vater, was der Arzt in der Fremde denn gesagt habe.

Regina war ein dreizehnjähriges Mädchen, hold und fromm, das niemand kannte als Vater und Mutter und Bruder, das nur den alten Lehrer noch geliebt hatte, der ihm ja so viel Gutes in die Seele gelegt.

Wie oft hatte Gabriel sein Schwesterl auf die Stirn geküßt, wie oft hatte er gesagt:

»Regina, das verzauberte Reh im Märchen kann keine schöneren Augen haben als du, und die feinste Seide ist nicht so zart wie meiner Schwester Haar –«

»Und kein Mensch tut so närrische Reden wie mein Bruder Gabriel«, unterbrach ihn Regina und versetzte ihm mit zwei Fingern ein Tätschel auf die Wange. –

Heute aber saßen sie ganz traurig beisammen und hörten zu, als die fremden Leute in der Stube das Lied vom Lazarus sangen.

Lazarus ist gestorben
An einem Sonntagsmorgen,
Magdalena, seine Schwester,
Die weinet gar so sehr;
Begegnet ihr Christus,
Ihr liebester Herr.

»Magdalena, Magdalena,
Was haben s' dir getan,
Daß du vor meinen Augen
Zu weinen hebest an?« –

»Es ist mir mein Bruder,
Der Lazarus, gestorb'n;
Jetzt hab' ich keinen Freund mehr,
Ach Gott, erbarm!« –

Christus ging zum Grabe
Mit seinem Hirtenstabe:
»Lazarus, du sollst wieder aufersteh'n
Und sollst zu deiner Schwester geh'n!«

Lazarus steht auf
Und geht hin zu der Tür:
»Schwester, bist daheim,
So geh' eilends herfür!
Ich hab' wohl gelitten
Groß' Marter und Pein.
Ach, wie das bittre Sterben
So hart mag sein!

Wenn der ganze Himmel
Papierer wär',
Und ein jeder Stern ein
Schreiber wär',
So könnten sie's all' nicht
Genugsam beschreib'n,
Was ein' arme Seel'
Im Fegfeu'r muß leid'n!

Und wenn der ganze Himmel
Goldener wär',
Und wenn ein jeder Stern
Silberner wär,
So tät ich doch nicht nehmen
Das Silber und das Gold,
Daß ich den bittern Tod
Noch einmal leiden sollt!«

Kaum das Lied zu Ende, war eine große Aufregung in der Stube, und die Leute eilten in die Vorlaube.

Es bewegte sich das Leichentuch.

»Er wird lebendig!« riefen einige angstvoll und wären davongeflogen, wenn sie sich nicht auch vor der Macht gefürchtet hätten, die draußen in tiefer Stille lag.

»Der Jüngste Tag, die Toten stehen auf!« stöhnten andere und starrten auf die zugedeckte Leiche, die im Halblicht der Kerze leise Bewegungen machte.

Entsetzen erfaßte sie; da kam Gabriel herbei.

»Und wenn unser Schulmeister wieder aufwacht, wer sollte da erschrecken?« sagte er, trat an die Bahre und zog die Leinwand von dem Gesichte.

Der Greis lag da – bleich, starr und kalt.

Der Bursche beugte sich über das Antlitz des Toten, dann zog er die Leinwand wieder darüber, tauchte einen Tannenzweig ins Weihwasser, besprengte die Bahre und ging traurig wieder davon. Und wieso sich die Leiche bewegt hatte – es getraute sich vor Angst niemand zu fragen.

Die Aufregung legte sich etwas, die Leute kehrten in die Stube zurück. Als sie wieder um den Tisch saßen, machte der Rindenschlager-Lenz ein sonderbares Gesicht und murmelte in den Milchtopf hinein, der vor ihm stand:

»Der Herrgott wird ihn nicht aufwecken wie den Lazarus, aber die Ruh' ist ihm versagt. Gebete hat er nötig, heilige Messen braucht er. Ja, Leute, so ist das Ende, wenn sich einer versündigt. Gegen den Heiligen Geist hat er gehandelt – jetzt verfolgt ihn der Fluch, und er findet keinen Frieden. Ich sag's euch, sie werden den Schulmeister noch oft läuten hören draußen in Rattenstein um Mitternacht, wie er seiner Tage für den Halterlois geläutet hat. Uns bewahre Gott der Herr!«

Sie suchten Gabriel zu bewegen, daß er etwas lese, weil er es so schön ausführen könne und völlig eine Predigerstimme habe, aber er blieb bei seinen Eltern in der Küche und las nicht. Sie verschmähten seinen Vater und seine Mutter, sie sollten ihn auch nicht haben.

Hell leuchtet der Morgenstern, lustig zwitschern die Vögel auf den Wipfeln der Bäume. Auf dem Kirchhofe steht ein Grab offen.

Regina legte dem Schulmeister einen grünen Kranz auf das Grab, und ein milder heiterer Sommertag lag über dem bekränzten Hügel.


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