Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Die barmherzige Schwester

In einem Stübchen des Pfarrhofes schlief der Waldsing.

An seinem Lager saß Anna Mildau. Sonst niemand war um ihn in der Verwirrung und Not des Ortes.

Ferdinand mochte wollen oder nicht, er mußte an diesem Tage noch den Rauch und Brandgeruch von Karnstein atmen. – »Na, das ist just wieder einmal das Rechte für sie,« brummte er, »jetzt hat sie ihren Waldsing, und krank ist er noch dazu. Nicht im Traum könnt' sie's besser haben.«

Und in aller Wahrheit! Anna fühlte ein bißchen noch nicht gekanntes Glück, da sie jetzt an dem Bett des schlummernden Gabriel saß.

Als er erwachte, bat sie um Verzeihung, daß sie bei ihm sei.

Fröhlich dankend preßte er ihre zarten Finger zwischen seine beiden Hände.

Da sagte sie scherzend: »Weil Sie mich gestern hintergangen haben, darum hat Sie das Schicksal in meine Gewalt gegeben. – Ja! ein Mensch, der unter verschiedenen Namen so herumgeht, muß Aufsicht dulden.«

Und recht finster schärfte sie die Augenbrauen, und trotzig schüttelte sie das Köpfchen.

Sie hatte leicht zu scherzen, denn nach des Arztes Versicherung war für ihren Pflegling keine Gefahr mehr.

»O kleiner Schalk!« lächelte Gabriel, »kein Verbrechen ist mir zu groß, wenn dafür Sie mich in ewige Ketten legen.«

Darauf entgegnete Anna nichts; sie tauchte das weiße Tuch in kaltes Wasser und legte es über seine Stirn. Ihrer milden Gelassenheit war es nicht anzusehen, wie unstet in ihrer Brust das bange Herzchen pochte.

Endlich schlich auch Ferdinand zur Tür herein; er war von dem Arbeiten auf der Brandstatt rußig über und über.

»Wieder einmal Schwester spielen!« neckte er, als er das Mädchen so traulich sorgend an dem Lager des Verwundeten beschäftigt sah.

Gabriel hielt es an der Hand: »Er will Sie fortführen. Bleiben Sie da. Ich bin allein.«

»Oh, glauben Sie nicht, Sie, Herr Förster, Sie! daß Sie allein der glückliche Kranke sind«, flüsterte der Graue, als sich das Mädchen aus dem Zimmer entfernt hatte, um frisches Wasser zu holen. »Die hat schon ganz andere Patienten gehabt!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Gabriel.

»Sollen es gleich hören. Daß vor zwei Jahren die Seuche in unserer Stadt gewesen ist, werden Sie wissen. Den alten Lehhof auf der Fischerau, wo die Pulvermühlen sind, den wissen Sie auch. Den Lehhof haben sie damals zu einem Spital für Seuchenkranke eingerichtet. Wäre insoweit gut gewesen, hätte man nicht jeden Tag in den Zeitungen lesen müssen, die armen Kranken lägen zum Verschmachten, weil sich keine Wärter finden wollten. Die Klosterfrauen reichen in solchen Zeiten nicht aus, und so ist eine ewige Frag' nach Pflegern. Und wie das so fortgeht, die Leute in der Bedrängnis, in der Klag', in der Furcht, was trägt sich zu? – Ist Ihnen nicht eines Tages unser Fräulein aus dem Hause verschwunden? Beim dreieinigen Herrgott, der mächtige Schreck! Zu allen Bekannten und auf die Polizei laufen wir herum wie besessen – einen ganzen Tag und eine Nacht. Sie ist nicht zu finden. In alle Weltgegenden ist telegraphiert worden, und ich habe nichts mehr anders vermeint, als sie wäre uns gewaltsam entführt. Herr! neun Seelen im Fegfeuer ertragen das nicht, was ich an demselben Tag ausgestanden habe. Da fällt's der Frau Moldau ein, Anna hätte sie vor einiger Zeit gebeten, bei dem Mangel an Wärterinnen im Lazarett Krankendienste verrichten zu dürfen. Natürlich ist ihr so etwas rundweg abgeschlagen worden; jetzt aber haben wir schon gewußt, wo das Mädel zu suchen ist. Und richtig ist's gewesen! Im Spital auf der Fischerau hat sie Pflegerin gemacht. – Sie, was das unseren guten Herrn, ihren Vater ans Herz gestoßen hat! – Das versieht sich, zurück ins Haus hat sie müssen zur ersten Stund', und jetzt hätten Sie sehen sollen, wie wir das Fräulein mit Wacholderrauch und Vitriol –«

Anna kam mit Wasser zurück. Ferdinand erzählte nicht weiter, mahnte jedoch wieder an die Heimkehr. Es war schon der dritte Tag: »Das Reich der Zauberprinzessin geht zu Ende!«

Anna schaute sinnend hin.

»Nur eines noch wollte ich«, sagte sie, und man weiß heute nicht, ob es Ernst war oder doch nur Schalkhaftigkeit. »Eines wollte ich noch. Was Lebiges aus den Einödwäldern: das Kind, Herr Stammer, das Sie gerettet haben, möchte ich gern mit mir nehmen . . .«

Kaum das Wort gesagt, errötete die Sprecherin; sie wußte selbst nicht, warum ihr jählings heiß war in den Wangen.

»Zeit und Weil ist bald vorbei, laß Zeit, ein Jährchen oder zwei!« trillerte der Graue.

»Und Sie wollen gehen, Fräulein Anna, ohne mir noch jenes Wort zu sagen?« flüsterte Gabriel, sich langsam in seinem Bett aufrichtend.

»Welches Wort?« hauchte das Mädchen.

»Den Förster haben Sie eingeladen, Sie in Ihrem Hause einmal zu besuchen. Ich bin eifersüchtig auf den Förster.«

Anna blickte ihm mit ihrem schönen Auge in das seine – entgegnete aber kein Wort.

Seltsam still ist der Abschied gewesen.

Die beiden Wanderer aus der Hauptstadt verließen das Pfarrhaus und schritten an den rauchenden Trümmerstätten und den armen trauernden Menschen vorüber, dem Bahnhof zu.

Die Glocke schellte. Der Zug, hastig und herrisch wie die Zeit, der er dient, rollte heran und mit unseren zwei Menschen wieder davon. – Anna hatte noch einen langen Blick auf die Gegend geworfen, dann barg sie sich in den Winkel des Sitzes und hielt ein weißes Tüchlein vor ihr Antlitz.


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