Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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I. Buch
Die Einöde

Ein Besuch in später Nacht

Auf dem Rasenplatz vor dem Heidehause liefen Leute herum in großer Verwirrung.

»Schlagt ihn tot! Schießt ihn nieder! Werft ihm den Schädel ein!« riefen sie und zerrten Stangen herbei und haschten nach Steinen und stürmten im Hause umher nach einem Gewehr.

Den Kettenhund wollten sie umbringen.

An der Hausecke unter dem breiten Dache stand der Holzkobel, und an diesen war das Tier gefesselt. Mit aller Kraft riß und rasselte es an der Kette und stöhnte und winselte dabei. Es lechzte, es schnappte um sich in die Luft hinein, es wand und wälzte sich, es zerrte mit den Vorderpfoten an den Ohrläppchen und kratzte im Sand und rieb den Kopf an dem Boden und schnappte fort und fort um sich. Der kleine Gabriel hatte beim Fenster herausgesehen, weil gerade Zapfenwirts Davidl vorüberhopste; da sah er an dem Hunde das seltsame Gebaren. Der Knabe lief hinaus und wollte das ihm sonst so anhängliche Tier streicheln, aber klapps, biß es ihn in den Schenkel, daß das Blut durch das Höslein rann. Ganz kleinlaut kam er zurück in die Stube. Darauf gewahrte es auch seine Mutter, die Heidepeterin, und sie sagte zum Knecht:

»Was hat denn heut' der Waldl? Gar den Buben hat er 'bissen.«

Der Knecht schlug sogleich einen wahnsinnigen Lärm und lief zu den Nachbarn, und die Nachbarn machten neuen Lärm und liefen wieder zu anderen Nachbarn, und so kamen nach und nach die Leute zusammen vor dem Heidehause und schrien:

»Wütend ist das Best! Nur gleich totschlagen, niederschießen!«

»Die Hundswut!« kreischten die Weiber.

»Peterin, habt's denn keine Büchsen im Haus?« lärmte ein Bauer durch das Gehöft.

Die Peterin hörte ihn kaum, sie hatte den kleinen Gabriel in einen Wasserkübel gestellt, und in wahrer Todesangst wusch sie die Bißwunde am Schenkel.

Der Heidepeter kam vom Walde heim.

– Was denn heut' bei mir so viel Leut' herumrennen? 's ist doch 'leicht nichts geschehen! – dachte er bei sich, da hörte er schon:

»Der Hund ist wütend!«

Der Peter sah dem Tier eine Weile zu und lehnte dann langsam seine Holzaxt an die Wand. Der Heidepeter überstürzte sich nie in etwas. Schon kam der Hahnenkamp mit einer Flinte dahergeeilt, da sagte der Peter ruhig:

»Was willst denn, Steffel, wirst mir doch meinen Haushund nicht niederschießen! Ist gar kein' Red', daß er die Wasserscheu hat, da tät' er ganz anders ausschauen.«

Darauf nahte er sich dem winselnden, keuchenden Tier, das unablässig die Pfote an das Ohrläppchen schlug.

»Nu, mein Waldl, was hast denn heut'? Bist ja sonst ein gescheites Tier, 's muß dich was beißen; halt' still!« sagte er zum Hund und untersuchte das Halsband und die Ohren. »Aha, da haben wir's!« rief er plötzlich und hielt einen glimmenden Feuerschwamm in der Hand. »Das Ding da ist ihm im Ohr gesteckt.« – Das Tier war einen Augenblick ruhig, dann sprang es seinem Herrn freudig bellend an die Brust und wedelte mit dem Schweif.

Hinter der Tannengruppe, die in der Nähe des Hauses stand, brach jetzt ein Gekreische los. Der Heidepeter hörte es; sogleich drängte er den Hund von seiner Brust zurück und schritt gegen die Bäume. Da lief von denselben weg und hin über die Felder Zapfenwirts Davidl. Hub der Peter an und ließ seine Beine aussetzen und rannte dem Flüchtling nach, daß der Hut abflog und das ungeschnittene Haar des Bauers in der Luft flatterte. Die Leute lachten; selten hatten sie den Heidepeter so wild gesehen. Der Davidl lief verteufelt gut, und als er zum hohen Rain kam, husch war er über denselben hinabgekugelt. Dennoch verließen ihn seine guten Geister – als er zum Bach kam, erfaßte ihn die Hand des Schicksals am Rockkragen und schlenderte ihn zu Boden.

»Hab's nicht 'tan, hab's nicht 'tan!« schrie der Knirps.

»Hast es 'tan, Bub!« rief der Heidepeter, »wirst's leugnen auch noch! Ich hau' dich in den Steinboden!«

»Ja, jetzt; aber ich tu's nicht mehr!« – stotterte der Davidl; der Peter ließ sich keine Schrift darüber geben.

»Fuchsbartl, du«, knurrte er und faßte die roten Haare und schüttelte den Jungen so heftig, daß diesem all sein Zetern und Bitten von den klappernden Zähnen zermalmt wurde.

Als der Heidepeter müde war, setzte er aus und fragte ganz sanftmütig:

»Hast jetzt genug, Davidl?«

»Meinem Vater sag' ich's!« schrie der Knabe.

»Schau, nachher hast noch nicht genug«, sagte der Peter und setzte das Schütteln fort, so daß ein wahres Meckern entstand.

»Feuerschwamm steck' ich dir keinen in die Ohren, aber merk' dir's! So, und jetzt troll dich!«

Der Knabe schlich brüllend davon, und als er sich jenseits der Schlucht in Sicherheit glaubte, schrie er laut:

»Meinem Vater sag' ich's, der zündet dir das Haus an, du dalketer Heidepeter, du!«

Der Peter ging jetzt langsam seinem Gehöfte zu; aber er schnaufte noch immer; er war ein hagerer, etwas schwächlicher Mann und das Laufen nicht gewohnt. Die Leute hatten sich verloren.

»'s macht mir so leicht keiner die Nägel heiß«, sagte er zu seinem Weibe. »Aber wenn einem so ein Tunichtgut schier alle Tage einen Schur antut, daß zuletzt gar der Kettenhund vor ihm nicht mehr sicher ist, so steigt einem halt doch die Gallbirn auf. Wenn ich ihm in der Hitz nur nicht etwa zuviel getan hab'!«

»Und was ich ausgestanden hab' in der Stund'!« sagte die Peterin, »gar nicht glauben kannst es. Alle Heiligen im Himmel hab' ich angerufen, und ich hab' mir gar nichts anders mehr gedacht, als wir kriegen jetzt all miteinand' die Wasserscheu, und den Gaberl tragen sie zuerst hinaus. Das frisch' Blut hab' ich ihm aus der Wunde gesogen in der Angst. Mein Gott, mir schlottern noch Händ' und Füß'!«

Gabriel lief schon wieder in der Stube umher und kletterte auf die Bank, sah zum Fenster hinaus und dem Kettenhund zu; der schlürfte ruhig seine Abendsuppe. Dann schlich Gabriel auf den Zehenspitzen zur Wiege, in welcher eben sein Schwesterlein erwacht war und flüsterte diesem zu:

»Regina, derweil du geschlafen, hat mich der Waldl gebissen, schau.«

Und er hob den kleinen Fuß auf, zog das Höschen empor und zeigte dem Kinde die Zahnwunde. Er bildete sich schier was darauf ein.

Es begann zu dunkeln; auf den Waldbergen lagerte sich Herbstnebel. Der Halter kam mit den schellenden Kühen heim. Auf der Tenne hörte man noch lange das Auskörnen der Hafergarben, die der Knecht über einen liegenden Baum schlug, bis das letzte Körnchen herausgesprungen war. Endlich schloß sich das Scheunentor zu, und das kleine Häuflein Leute verzehrte in der Stube die Roggensuppe und das Erdäpfelmus. Dann suchten sie ihre Strohbetten auf.

Die Kinder schliefen bald.

In der Stube brannte ein Span, den die Bäuerin noch mehrmals im Haken zurechtsteckte. Der Peter zog die rauchgebräunte Hänguhr auf. Aber es sollte noch nicht Ruhe sein an diesem Abend.

Als sich die Eheleute zur Ruhe begeben wollten, schlug der Kettenhund an. Es klopfte leise an der Fensterscheibe.

»Wer denn?« rief der Bauer, und sein Weib setzte unwirsch hinzu:

»Heut' ist mehr kein Fried!«

»Um die Nachtherberge tät einer bitten!« sagte draußen eine heisere Stimme.

»Ein Armer wird's sein, ja das ist was anderes,« sagte die Bäuerin, »geh, Peter, riegle die Tür auf.«

Bald hernach stolperte ein Mann in die Stube, gebeugt, mit der rechten Hand einen langen Stock umklammernd, in der Linken ein Bündel tragend. Ein breiter, entfärbter und zerdrückter Filzhut saß ihm auf dem Kopfe, und unter der Krempe hingen graue Haarsträhnen nieder.

Der Peter nahm den Span in die Hand, räusperte die Kohle ab und leuchtete dem Fremdling unter den Hut. Da rief er aus:

»Du liebe Zeit, solch's ist doch leicht nicht möglich, das ist ja der Schulmeister von Rattenstein!«

»Ja, ja, mein lieber Heidepeter,« entgegnete der Alte, sich ausschnaufend, »'s wird wohl so sein. Mit Erlaubnis, ich setz' mich gleich nieder.«

Die Bäuerin warf noch einmal den Rock über und eilte in die Küche, daß sie eine warme Suppe bereite, dann rief sie zurück in die Stube hinein:

»Geh, Peter, zünd' eine Kerze an, der Span will frei nicht scheinen, und der Rauch brennt einem schier die Augen aus.«

Als hernach auf dem Tisch eine Talgkerze brannte und als der alte Mann den Schweiß von seinem abgehärmten Antlitz gewischt hatte, hielt ihm der Heidepeter fast schüchtern die rechte Hand hin und sagte: »Ja, wie hat sich denn der Herr Schulmeister verrennt in die Einöde herein?«

»Es hat sich schon so geschickt,« antwortete der Greis, »bei mir heißt's: Verlassen, verlassen wie der Stein auf der Straßen. Hab' den Gebirgsfußsteig genommen und bin fortgegangen über Hald' und Berg, wie der Herrgott die Welt erschaffen hat. So bin ich halt da zu Euch in die Einöde gekommen.«

»Und wenn ich fragen darf, wo will der Herr Schulmeister denn hin?«

Der Alte antwortete nicht, sein Haupt nickte abwärts. Seine Hand haschte nach dem blauen Sacktuch, aber noch eh' er dieses mit zitternder Hand zum Antlitz führte, begann es ihn zu stoßen, von innen heraus.

»Aber Schulmeister! – Aber Herr Schulmeister!« – rief der Peter und sprang bei, um ihn zu stützen, denn der Greis drohte zusammenzubrechen.

»Nimmermehr hätt' ich mir das gedacht,« sagte dieser endlich, »daß mir in meinen alten Tagen noch eine solche Stunde schlagen sollte. Du weißt es, mein Gott, verdient hab' ich's nicht!«

»'s wird wohl ein rechtes Unglück sein,« meinte der Bauer, »aber tu' sich's der Herr Schulmeister nicht gar so schwer legen. Und wenn ich was helfen kann, tu' Er's sagen.«

»Vergelt's Gott, Heidepeter! Ihr seid eine gute Seele, ich kenn' Euch schon lang' – wohl gar schon seit fünfunddreißig Jahren. Hab' Euch ja das Häubl zurückgeschoben, wie Euch der Pfarrer getauft hat. Ja mein, wenn derselb Pfarrer noch leben tät'! Der hätt' mich nicht abgedankt, nicht fortgeschickt wie einen Taglöhner zur Feierabendzeit, und wenn ich dem Halterlois schon zehn Glocken geläutet hätt'. Bin wohl schon alt und kann der Schule nicht recht mehr vor sein. Zum neuen Kirchenregiment kann ich mich auch nicht schicken. Dasselbe wißt Ihr noch, wie mich der neue Herr Provisor einen Beelzebubenpropheten geheißen hat. Ich hab' gewußt, daß ich damit nichts Unrechtes tu' und hab' meine Extralehrstunden fortgesetzt. Nachher müßt Ihr's auch gehört haben, daß sich letzthin der irrsinnige Halterlois das Leben genommen hat. Der Herr Provisor hat dem Unglücklichen die Verscheidenglocke verweigert, und da ist die Mutter des Toten zu mir gekommen, weil ich ja auch der Mesner bin, und hat mich gebeten um Gottes willen, daß ich die Glocke läute für ihren Sohn. Der Lois ist immer ein rechtschaffener Mann gewesen, die alte Frau hat ihr Lebtag gar soviel gehalten auf ein Sterbegeläute, und tief in die Seele hinein hat sie mir erbarmt, wie sie so bitter bitterlich geweint hat, und ich hab' gedacht bei mir selbst, der Herr Provisor ist bei einem Amtsbruder in Großhöfen, da nehm' ich's auf mich, und weil sie um Gottes willen bittet, so läute ich die Glocken; man kann der armen Frau keinen besseren Trost schenken. Der Lois ist begraben worden im Schachen, wo sie ihn gefunden haben, und wie jetzt die Glocken klingen, eilt die Mutter hin zum Grab und betet ein Vaterunser. Der Herr Provisor hat die Glocken nicht gehört, und das Gebet nicht, und er hat das Leid und den Trost der armen Mutter nicht empfunden – aber von den Glocken haben ihm die Leute berichtet. Gestern morgens, wie ich ihm das Meßkleid umhüll', lacht er mich noch an, und ich denk': Ei ja, der Herr Provisor ist zuletzt doch auch ein recht braver Herr, ich getrau' mich mit ihm schon auszukommen. Darauf bin ich mit meiner Holzkraxe gegangen und hab' mir von den Bauern meine Getreidegebühr zusammengetragen. Die Leut' meinen's recht gut mit mir und fassen mir tüchtig auf, hätt' mir den ganzen Winter durch kein Schnittel Brot kaufen dürfen. Zwei heiße Tagwerk sind's freilich für unsereinen, aber mein, wer trägt nicht gern schwer, was ihm gehört, 's hat schon zu dämmern angefangen, wie ich mit der letzten Trag ins Dorf gekommen bin. Drauf, wie ich vor meiner Haustür steh', den Schlüssel aus der Tasche zieh' und mich schon freu' auf das Rasten, denk' ich mir: Der Tausend, wer hat sich denn da heut' einen Spaß gemacht? – Ist das Schloß versiegelt gewesen. Ich setz' ab, guck das Ding besser an – ja, Heidepeter, da seh' ich's wohl! – Mit dem Gemeindesiegel ist mir das Schulhaus verschlossen. – Na, denk' ich mir, das ist jetzt schön! Werf' meine Trag ab und lauf' in den Pfarrhof, wo jetzt auch das Gemeindeamt ist. Nach dem Provisor schrei' ich. Nicht daheim, ruft die Wirtschafterin, unten auf dem Steinhaufen sollt ich's suchen, wenn ich was verloren hätt' – und schlägt mir die Türe vor der Nase zu. – Da ist mir schon das Blut zum Herzen gefahren.«

Dem alten Manne preßte es schier die Kehle zusammen, die Worte waren halb erstickt.

»Aber steh'n bleib' ich nicht vor der Pfarrhoftür und anklopf' ich auch nicht. Zum Steinhaufen lauf' ich hinab, und da find' ich Euch meine Sonntagswäsch', meinen schwarzen Rock und meine Geige. Und zwischen den Saiten steckt so ein schmales Blättel Papier. Nu, da ist's, mögt es lesen, Heidepeter.«

»Rechtschaffen gern,« entgegnete der Heidepeter gedehnt, »aber 's ist halt so eine Sach', die Schul' ist so viel weit weg – ich kenn' keinen Buchstaben.«

»Je nu, dann wär' das Lesen freilich eine Kunst,« sagte der Schulmeister, »indes, allzeit ist's auch nicht gut, wenn man lesen kann. Das Briefl tut mir altem Mann folgendes kund:

»Es schmerzt uns, im Namen des hochw. Konsistoriums und der hiesigen Gemeinde Euch Nachstehendes mitteilen zu müssen. Nachdem Ihr, Michel Bieder, Schullehrer in dasiger Pfarre, in dem Unterrichte der Jugend zu wiederholten Malen gegen die Verordnungen gehandelt, Euch trutzig widersetzet und Euch letzther sogar unterfangen habet, in beispielloser Eigenmächtigkeit eine kirchliche Funktion zugunsten eines Selbstmörders zu verrichten, sei Euch kund und zu wissen getan, daß wir Euch Eures Amtes entheben.

Das Pfarramt zu Rattenstein.«

Der Alte schwieg.

Peter putzte in großer Verlegenheit die Kerze und sagte dann:

»Ja, das hätt' der Herr Schulmeister halt wissen sollen, daß man nicht jedem mir nichts, dir nichts ins Grab nachläuten darf.«

»Und so lieg' ich da auf dem Steinhaufen, und nichts fehlt mir mehr zum Bettelmann als der Sack und der Stecken. Die Sterne sind schon am Himmel gestanden, vom Walde her hat ein Uhu gelacht – hat mich ausgelacht. Was fang' ich jetzt an? Verstoßen, ich armer, alter Mann, der vierzig Jahre in der Pfarre Schullehrer war, der eine Gemeinde begraben und eine getauft hat. Ich lieg' jetzt auf dem Steinhaufen in der kalten Nacht, und mein Haar ist feucht vom Tau. Von der Kirchenuhr herab hör' ich das Ticken; wie ein Vogel die nackten Körner von der herbstlichen Saat, so pickt sie mir von meinem armen Lebensrest eine Sekunde um die andere weg. Nur zu, nur zu, Pendel, 's ist schon spät. Da fällt's mir ein: Wer läutet denn heut' die Abendglocke? – Bin aufgesprungen und hinauf über den Hügel zur Kirche, wo man durch den Turm geht. Die Glocken hab' ich alle beim Strick gefaßt und geläutet, all' auf einmal. Und das war der Abschied von meiner lieben Kirche und von der Gemeinde. Die Toten in den Gräbern hätt' ich aufwecken mögen und ihnen das Unrecht klagen; – sie haben fortgeschlafen in der Ruh', ich hab' meine Bettelschaft eingeläutet. Dann hab' ich mir im Gesträuche an der Kirchhofsmauer meinen Stock geschnitten und bin fort und fort – ich kann noch rechtschaffen laufen. Kaum drei Stunden bin ich gewandert, bis da herauf in die Einöd.«

Der Alte stützte seinen Kopf und hielt die flache Hand vor die Augen.

»Närrisch!« sagte die Bäuerin, die schon eine Weile mit der Suppenschüssel an dem Tisch gestanden war, »und jetzt will der Herr Schulmeister in die Wildschroffen hinauf?«

»Komm' ich denn da in die Wildschroffen?« entgegnete der Schulmeister, »o Gott, was tät' ich denn in diesem Gestein?«

Er verdeckte wieder sein Gesicht.

»Es ist ein rechtes Kreuz und kein Herrgott drauf, sagt die alte Einschicht-Res, und 's ist richtig«, sprach das Weib. »Tu der Herr Schulmeister jetzt in Gottes Namen die Suppe essen, daß Er was Warmes kriegt. Der lieb' Herrgott wird's schon recht machen, dasselb' ist keine Sach'. – Peter, komm' ein Eichtel mit mir in die Küch'. Du mußt mir das Rauchtürl zumachen, ich kann's völlig nicht derlangen.«

Aber es war nicht des Rauchtürls wegen.

Als die beiden Eheleute in der Küche waren, sagte das Weib:

»Du wirst es einsehen, Peter, daß wir den Schulmeister nicht so fortgehen lassen können. Ich bin zu ihm in die Schul' gangen, und ich kann ein Gebetbüchel brauchen; 's tät mir mein Lebtag kein Bissen Brot mehr schmecken, wenn ich mir sagen müßt: Dein alter Lehrer geht betteln. Was meinst, wenn wir ihm das obere Stübel herrichten täten? Im Winter könnt' er uns die Spän' klieben, und im Sommer, wenn wir auf der Weid' sind, tät er uns auf die Kinder schauen, und lernen könnten sie auch wohl was bei ihm. Schau, 's wär' halt doch gut, wenn sie was lesen könnten, und der Bub' hätt' so eine Freud dazu; und in der Schrift auch, ich will nicht nachgeben, bis er seinen Namen schreiben kann.«

»Dasselb' ist kein Muß, Klara,« entgegnete der Peter, »wer ist denn in der Einöd, der seinen Namen schreiben kann? Kein Mensch. Die Arbeitsleute haben auch zu grobe Händ' für so was; wenn's d'rauf ankommt, so macht man's Kreuz.«

Die Bäuerin darauf:

»Da wundert's mich nachher gar nicht, daß wir soviel Kreuz haben in der Einöd. Aber mir steht's nicht an, und ich mein', mit dem Schulmeister könnten wir uns eine Stufe in den Himmel bauen.«

»Du denkst ans eine, und ans andere nicht. Du weißt es recht gut, daß wir nur fünf Metzen Korn bauen, und daß wir im Winter kein' Milch und kein Schmalz haben; du weißt, daß wir kein Fleisch im Kasten haben, daß wir kein ordentliches Bettgewand aufzutreiben wissen, und daß es in jeder Eck' bei uns armselig zugeht. Und jetzt willst du noch den Schulmeister aufnehmen; das wär' doch gar kein' Red', Bäuerin.«

Und sie:

»Nun, wenn dir schon um den Bissen Brot leid ist und um das Zinkerl Schmalz, das der Schulmeister ißt, so spar' ich mir's halt von meinem eigenen Mund ab, und ich lieg' in Gottes Namen auf dem bloßen Stroh, und ich mach' mir ein Ehr' daraus, wenn ich den alten Lehrer unter meinem Dach haben kann.«

Und er:

»Halt ja, und wenn wir fertig sind, nähst für ihn einen Bettelsack, und für mich auch einen, und für dich auch einen, und die Kinder binden wir einander auf den Buckel.«

»Weil du kein Vertrauen auf den Herrgott hast!« – versetzte die Bäuerin etwas aufgebracht. »Meine Mutter hat allweg gesagt: Jede Guttat auf Erden marbeln die Engel im Himmel in den goldenen Thron Gottes ein. Aber mich deucht schier, du willst dort deinen Namen gar nicht drin haben.«

»Wer nichts hat, der kann nichts geben,« sagte der Peter gelassen, »was hilft's dem Bettelmann, wenn ich ihm die leere Hand hinhalte?«

»Nu, so faßt er an und hat eine Stütze.«

»Geh, geh, auf die eigenen Kinder muß man zuerst schauen und nicht auf die fremden Leut'. Und letztlich täten wir uns gar mit dem Pfarrer verfeinden, was wäre das?!«

»Du bist ein alter Steinschädel!« sagte das Weib und stieß einen Topf auf die Herdplatte, daß er schrillte, »wer mit dir was ausreden will, der muß eine besondere Gnad' Gottes haben. Wie froh würdest nicht sein zu einer Zeit, wenn dein Schutzengel zum Herrgott sagen tät: Da bring' ich den Heidepeter, der hat auf die armen Leut' was gehalten, und den mühseligen Schulmeister von Rattenstein hat er auch in sein Haus genommen und hat ihn warm gehalten in seinen alten Tagen; und der Heidepeter ist doch auch selber arm gewesen, aber dir zu Lieb', Gottvater, hat er's tan, und derowegen tu ihm gnädig verzeihen, wenn er sonst Fehler gehabt hat, und führ' ihn in deinen Himmel, und seine Kinder auch, und sein Weib halt auch! – Wie würdest du froh sein, Peter, zu einer Zeit!«

Der Peter hatte sich jetzt ein wenig den Kopf gekratzt, und endlich antwortete er mit weichem Tone:

»Du schreist auch so und weckst die Kinder auf, und der Schulmeister hört's auch noch gar. Meinetwegen magst ihn ja dabehalten, ich sag' nichts mehr.«

Mit weltlich vernünftigen Gründen war beim Peter nie viel auszurichten, da konnte eins sagen schwarz oder weiß, er folgte seiner eigenen Nase. Aber sein Weib kannte ihn von außen und von innen wie ihre Schlafhaube; sie faßte es höher an, und wenn sie ihm in ihrer gewandten Redeweise Himmel und Herrgott vorhielt, da wurde er allemal weich.

Als die Eheleute nun wieder in die Stube kamen, sagte Klara:

»Man meint, 's Rauchtürl wär' nicht zum derlangen, man muß sich frei auf die Zehen stellen. – Ja, mag denn der Herr Schulmeister die Suppen nicht? Hab' sie meines Gedankens gut kochen wollen, und hab' auch recht viel Kümmel hineintan, daß sie dem Magen taugt. Ja, und jetzt ist noch was auszureden; ich weiß nicht, was meinem Peter da eingefallen ist, er will den Herrn Schulmeister schnurgerad im Haus behalten, daß er unseren Kindern ein Eichtel das Lesen lernen könnt! Ich hab' drauf gesagt: Der Herr Schulmeister bleibt uns nicht, so ein Mensch, hab' ich gesagt, weiß sich was Besseres. Wenn wir ihm auch das obere Stübel herrichten und ihm gleichwohl aufwarten täten wie einem gern gesehenen Hausmenschen, er bleibt uns nicht. Schulgeld können wir ihm auch keins geben, hab' ich gesagt, und Kost nur, wie wir sie halt selber haben. – Wenn Ihm das genug wäre? – Mir wär's von Herzen recht, wenn Er dableiben wollt'.«

Der Greis erhob sich und rief:

»Oh, ihr lieben, guten Leute! Weil ihr es denn selber zuerst gesagt habt, so getrau ich mich, Euch zu bitten. Ich habe kein Ziel, und über die Wildschroffen dürft' ich mich gar nicht wagen. Nur für einige Tage gebt mir Obdach und einen Löffel Suppe; dann geh ich wieder hinaus nach Rattenstein und verleg mich aufs Bitten. Die Leute werden eine Barmherzigkeit mit mir haben, und der Pfarrprovisor wird doch kein Stein sein.«

»Zu Gnaden fallen tät ich ihm auch nicht, just nicht!« sagte die Bäuerin, und der Heidepeter meinte, es werde schon alles recht werden, so lang' der lieb' Herrgott nicht eine andere Anstalt mache, sei der Herr Schulmeister im Heidehaus daheim.

Da schrie der kleine Gabriel plötzlich im Schlafe auf: »Waldl, Waldl, Waldl!«

»Kindisch,« sagte die Klara, »jetzt kommt ihm der Hund unter.« Dann trat sie ans Bett und machte mit dem Daumen das Kreuzzeichen über das Antlitz des Knaben.

Der Peter bereitete dem Gaste in der Scheune ein Nachtlager, und bald war es dunkel und still in der Stube des Heidehauses.


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