Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Der Hirsch an der Wand

Heidepeters war das höchstgelegene Haus in der Einöde. Es stand oben an der Moosheide, wo die Waldungen begannen. Es lag sehr hoch auf einem fast ebenen Platze, vor dem Hause guckten zwischen dem Rasen viele graue Steine hervor.

Auf der Heide lag eine Unzahl großer Felsblöcke mit grauem Moos. Zwischen diesen Blöcken auf dem sandigen Boden stand hie und da eine Weißbirke, deren Blätter immer flüsterten und zitterten, bis sie im Spätherbste verloren über die Heide wehten.

Das Heidehaus trug auf dem Trambaum der großen Stube die Jahreszahl 1744; es war das erste Haus, das sie in der Einöde gebaut hatten.

Peters Vorfahren sollen wohlhabend gewesen sein, weil sie viel Wald besaßen und Viehzucht getrieben. Der Wald war alle geworden und wieder gewachsen; aber der Graf Frohn – der jenseits des Gebirges ein Schloß, die Frohnburg, in der Einödgegend viele Waldungen nebst Jagd und bisher auch den Robotdienst der Bauern besaß und inne hatte – bemächtigte sich allmählich des Bodens der Ansiedler, und es stand nun so, daß ohne seine Erlaubnis kein Stamm geschlagen, kein Ast gebrochen werden durfte. Die arme entlegene Gemeinde der Einöde war von allen Ämtern und Behörden verwahrlost, fast vergessen.

So hielten sich die Einödbewohner an den Strohhalm – an den kärglichen Ackerbau.

Zum Heidehause fest gehörte nur der steile Feldrain gegen die Schlucht hinab und eine schmale Wiese. Alles andere, was früher dazu gehört hatte, als Holzung, Hald und Viehweide, war mit Abgaben und Robotverpflichtungen belegt.

An der wettergrauen Holzwand des Heidehauses, gegen Morgen hin, unter der hervortretenden Dachung, befand sich eine aus Brettern geschnitzte Tiergestalt. Jeder Fremde, wenn dann und wann ein solcher über das Gebirge wandernd an dem Hause vorüberging, blieb vor demselben stehen und betrachtete das Bild. Hausierer mit Kleinwaren, Krämer mit Sieben und Holzgeschirren, Rastelbinder, Glaseinschneider, Hadernsammler, wie sie im Sommer in der Einöde manchmal umhergingen, setzten, noch bevor sie in das Haus traten, den Stock unter ihre Rückentrage und beschauten die Figur an der Wand. Selbst Bettler taten dieses und machten dabei ein süßliches Gesicht, als lobten sie den Mann, der das Bild geschnitzt hatte.

Hierin jedoch, was der Gegenstand darstellen sollte, gingen die Urteile auseinander. Man hielt das Tier für eine Kuh, für einen Esel, für eine Gemse, einige jedoch meinten, es müsse ein Hirsch sein. Diese letzte Meinung hatte einen wohl zu beachtenden Umstand für sich; an dem Haupte des Tieres ragten nämlich zwei schmale Brettchen mit sägezahnartigen Einschnitten empor, welche möglicherweise die Hirschgeweihe darstellen sollten. Der Heidepeter wußte darüber bestimmten Bescheid, das Tier war wirklich ein Hirsch.

Für das Heidehaus knüpften sich Sprüche und Redensarten an die Gestalt.

Wenn der Peter zum Gabriel sagte: »Bübel, morgen heißt's roten Hirsch jagen!« so meinte er damit nichts anderes, als daß der Knabe am nächsten Morgen um Sonnenaufgang aus dem Bette müsse. Der Hirsch war nur um diese Zeit glutrot.

Wenn der Schroffenwind ging, so schlug die Gestalt mit den Füßen zeitweilig an die Wand; da sagten die Hausbewohner immer:

»Es klöpfelt schon wieder der Hirsch, 's wird ein anderes Wetter anheben.«

Einen Sommer hindurch hatte Gabriel einmal lange Zeit beobachtet, wie zwischen den Holzgeweihen zwei Spatzen sich ein Nest bauten. Gabriel hielt damals ein frisches Vogelnest für das größte Glück auf Erden. Er konnte dem Drang nicht widerstehen, lehnte eine Leiter an die Wand und wollte hinaufklettern. Da kam sein Vater herbei und, sonst so sanftmütig, gab ihm in nachdrücklicher Weise zu verstehen, daß er ein für allemal das Nest und den Hirschen in Ruh' lassen möge.

Man hätte meinen mögen, das Geschnitze sei eine Erinnerung an den »laufenden Hirschen«, wie solcher aus dem Brette dargestellt und mit dem Strick durch das Gebäume gezogen zu werden pflegte, ein beliebtes Schützenspiel; und ein Vorfahre des Peters werde ihn getroffen haben. Aber es hing an dieser Tiergestalt für den Heidepeter eine andere Sache.

Als der Heidepeter noch in der ersten Zeit seiner Ehe war, da gab es Mißjahre, und in der Einöde wollte nichts wachsen und nichts reifen als die Rüben und das Kohlkraut. Roggen und Hafer gingen im Frühjahr hoffnungsvoll auf und grünten und sammelten sich zum Ausbruche der Ähren. Da kam mitten im Sommer anhaltender Regen und Kälte, und in den Wildschroffen lag wochenlang der Nebel. Das Getreide erbleichte und duckte sich wieder zusammen, als möchte es am liebsten zurückkriechen in die schützende Scholle. Wohl kamen darauf noch einige Wochen mit Sonnenschein, doch noch bevor das Korn zur Reife gelangen konnte, war der Schnee da.

So kam es mehrere Jahre nacheinander.

Die Leute waren mutlos und wollten im Frühjahre nichts mehr säen, oder hatten keinen Samen dazu.

Auch der Feldkasten des Heidepeters leerte sich, und er konnte den Nachbarn nicht mehr das Gesäme borgen, wie er es sonst gewohnt; er war kaum imstande, sein eigenes Hauswesen zu versorgen. Aber er wurde nicht mutlos, denn er hatte ein junges, sorgsames, fleißiges Weib im Hause – eine glückliche Sache, die Mißjahre zu allen Zeiten erträglicher macht.

Sein Weib hatte den Vorschlag getan, mehr Feldrüben als gewöhnlich und einen großen Garten voll Kohlkraut anzubauen, damit für das Korn doch irgendein Ersatz da sei.

Der Heidepeter tat danach, und es wurden im Juni frische, schöne Setzlinge gepflanzt. Im Juli war wieder Regen und Kälte und Nebel in den Wildschroffen; die Gartenfrucht aber wuchs langsam fort.

Klara blieb die rauhen Tage über viel in der Stube, weil der Peter, ihren Umständen gemäß, nicht zugab, daß sie in die frostige Luft gehe. Eines Tages aber kam er zu ihr in die Kammer und sagte:

»Du, ich weiß nicht, was das ist, Klara, es muß ein Tier dagewesen sein, ein ganzer Jaun (Streifen) der schönsten Kohlpflanzen ist abgefressen.«

Der Knecht erzählte, er habe am Morgen vom Kohlgarten gegen den Wald einen Hirschen laufen gesehen.

Der Heidepeter erhöhte nun den Bretterzaun um den Garten, und als darauf einmal der Graf Frohn mit Büchse, Pulverhorn und der stolz gebogenen Hahnenfeder über das Feld ging, rief ihn der Heidepeter an:

»Euer Gnaden, tät wohl untertänigst bitten, 's kommt alleweil ein Hirsch, und der will uns das Kraut fressen.«

»So«, antwortete der Jäger lachend, pfiff seinem Hund und schritt vorüber.

Und in einer der nächsten Nächte kam das Tier wieder und fraß eine Reihe Kohlpflanzen. Hierauf rief der Heidevater bei einer nächsten Begegnung mit dem Hütlein unterm Arm dem Grafen ein zweites Mal zu:

»Messen mir's Euer Gnaden doch nicht übel auf, aber ich kann mir nicht anders helfen. Es sind halt soviel schwere Zeiten, und wir haben schier nichts mehr zu beißen. Tut uns doch den Hirschen weg, er frißt uns ja das Kraut bei Putz und Stingel!«

»Aha,« sagte der Graf launig, »tätest wohl gern du den Hirschen zum Kraut fressen, wär' dir lieber, gelt?«

Er pfiff seinem Hund und ging vorüber.

Ganz traurig kam der Peter in die Stube, setzte sich auf die Bank und sagte lange kein Wort. Jählings schlug er die Faust auf den Tisch und sprang auf. Bevor er jedoch wieder davonging, trat er hin zu seinem Weibe und sagte gelassen:

»Klara, ich bin ein Mensch, der sich um den Finger wickeln läßt, sie nennen mich den Dalkerd; aber jetzt kann's wohl sein, daß ich einmal einen Unfried anheb'. Mach' dir nichts draus. Hab' gemeint, 's käm nicht drauf an, aber jetzt seh' ich's wohl, 's kommt drauf an.«

Dann ging er hin und machte den Gartenzaun noch höher und flocht Dornengestrüpp hinein und hing den Kettenhund an eine Ecke des Zaunes.

Aber der Hirsch kam und fraß Kohlpflanzen.

Nun machte sich der Heidepeter auf, nahm den Weg unter die Füße und zog über die Schroffen, bis er jenseits des Gebirges hinaus kam, in das Schloß Frohnburg. Dort war gerade ein großes Festschießen; Grafen und Herren waren versammelt, und bei schäumenden Bechern tranken sie auf Weidmannsheil.

Der Peter schritt mitten durch und gerade auf seinen Jagdherrn los. Er schien heute aus seiner Natur zu sein.

»Ich wehr' mich um mein Brot, Herr!« sagte er mit gedämpfter Stimme, »und daß ich kein Unrecht hab', komm ich den weiten Weg, um Euch's zu sagen. Nieder schieß' ich den Hirschen!«

Da lachte der Graf überlaut und rief:

»Du Närrchen, was tust dir denn die Mühe an?«

Er pfiff nach seinen zwei Bulldoggen. Der Peter sagte kein Wort mehr, sondern machte sich davon.

In derselben Nacht schoß er den Hirschen nieder.

Und schon am nächsten Morgen drangen Jäger in seine Stube und legten ihm Eisen an die Hände. Er ließ es ruhig geschehen und sagte zu seinem Weibe:

»Mach' dir nichts draus, es wird noch einen gerechten Herrn geben!«

So wurde der Peter fortgeführt und als Wildschütze in das Gefängnis geworfen.

Wochenlang saß er. Er dachte weder an das Kohlkraut, noch an den Hirschen, noch an den Grafen, er dachte nur an sein Weib. – Die Stunde ist vielleicht morgen, vielleicht heute schon, und dein Weib bringt dir den Erstgeborenen. Sie will ihn dir entgegenhalten, und du bist nicht da! Oder es ist Unglück, und du bist deiner Gattin nicht zur Seite in der Not, und wenn du heimkehrst in dein Haus, findest du eine Mutter ohne Kind, oder ein Waise, oder keines von beiden.

Durch die Mauer hätte er den Kopf rennen mögen, aber er blieb ruhig, nur murmelte er vor sich hin auf den Ziegelboden:

»Das Menschsein ist ein Rad; heut' bin ich unten, du oben, morgen ist's anders. Graf Frohn, rund und im Kreislauf, so hat Gott die Welt erschaffen!«

Endlich, als die Zeit um war, wurde der Heidepeter freigelassen. Er eilte heimwärts, er fand Weib und Kind in Wohlfahrt.

Am nächsten Tage begab er sich in die Werkzeughütte und zimmerte und schnitzte aus Brettern einen Hirschen. Diesen nagelte er auf die wettergraue Holzwand seines Hauses, zum ewigen Andenken.

Die Einödleute hatten Respekt bekommen vor dem entschlossenen Heidepeter, der es gewagt, mit dem Großteufel, wie sie in ihrem Hasse den Grafen nannten, anzubinden. Sie hatten das dem gutmütigen Manne nicht zugetraut. Es war aber das erste- und das letztemal geschehen. Der Peter sah, daß damit nichts zu erreichen war, er wurde durch die Jahre und Drangsale entmutigt. Er meinte nun, auf Erden sei ein Jammertal, wer könne es bessern? Es sei am vernünftigsten, still zu dulden. Er lehnte sich nicht mehr auf gegen den Grafen, ja, er sagte, es sei besser Unrecht leiden, als Unrecht tun. Er ging fortan seine eigenen stillen Wege, und die Leute nannten ihn, seines weichen nachgiebigen Wesens wegen, den Dalkerden – den Dalkerd.


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