Peter Rosegger
Heidepeters Gabriel
Peter Rosegger

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Willkommen, Professor

Die Zeit des heißen Harrens und Erwartens kann noch weniger als der Schlaf zum Leben gerechnet werden. Sie gibt nichts, erfüllt nichts. Und der Harrende erkennt sie nicht an, sucht sie zu überspringen, und da er das nicht kann, so ist er tot mitten in seinem Leben, ja, elender als tot, er ist in der Qual, bis ihn die Erfüllung seines Erwartens wieder erweckt und erlöst und oft auch – enttäuscht.

– Diesen Winter – so hatte Anna später ihrem Gatten vertraut – diesen Winter vergesse ich nimmer. Die Tage waren traurig und finster, die Nächte wollten kein Ende nehmen. Du kamst so selten und bliebst so kurze Zeit und warst so ernst. Und da kam's mir in den Sinn, du möchtest mich nimmer liebhaben. Mein Vater war noch herzlicher mit mir als sonst; meine Mutter schickte mir mehrmals den Arzt, zu sehen, was mir denn fehle. Dem Arzt lief ich davon, sie suchten mich im ganzen Hause, und ich stak in Ferdinands Kleiderschrank. – Hätte damals Gott mein Gebet erhört, ich läge unter der Erde, und – nicht wahr, Gabriel – das wäre doch nicht gut.

Damit ist dieser Winter kurz und gut beschrieben.

Um die Osterzeit desselben Jahres war's, da machte ein neues Buch Aufsehen im Lande. Es war ein Lehrbuch über die Pflanzenwelt der Alpen. Das Buch war in Klarheit und mit erschöpfender Gründlichkeit geschrieben; es hielt sich nicht an die herkömmliche Form und Einteilung eines derartigen Werkes; im Anhange »Über die Psychologie der Pflanzen« war der Poet zu spüren. In den Studierstuben der Gelehrten, auf den Prunktischen der Salons war das neue Buch zu finden; der Minister des Unterrichts führte es in Schulen ein; der Verfasser erwarb sich durch dieses Werk den Titel Doktor und Professor; eine Lehrstelle an der Hochschule wurde ihm angetragen. Der Verfasser hieß Gabriel Stammer.

Der Mann war aus der Verborgenheit gerissen. Die »Waldlieder« hatte man nur vernommen, wie man etwa auf Spaziergängen eine Drossel hört, ohne sie selbst zu sehen. Jetzt wurde Stammer mit Auszeichnungen überhäuft. Ein noch junger Mann mit so eigenartigen Schicksalen, ein Waldkind, und berühmt! Das zog an. Es kamen schmeichelhafte Einladungen aller Art. Buchhändler machten sich an ihn, stellten ihm für weitere Werke glänzende Anträge. Manche Sirenenstimme lockte ihn zu Weltleben und Genuß.

Gabriel lehnte höflich ab. Leuchtenden Auges trat er eines Tages, bald nach der amtlichen Auszeichnung, in das Haus Mildaus.

»Willkommen, Professor!« Mit diesen Worten empfing ihn der Kaufmann.

Anna beglückwünschte ihn herzlich, aber mit ernster Miene, zu dem schönen Erfolge.

»Den müssen Sie mit mir teilen, Anna,« sprach Gabriel fröhlich, »denn das Schönste, was in meinem Buche steht, das haben Sie gemacht.«

Das Mädchen senkte sein Haupt, legte den gebogenen Zeigefinger an die Lippen und lispelte: »Sie sollten nicht spotten.«

»Ich spotte nicht!« rief Gabriel lebhaft, »glauben Sie mir, Anna, der Gedanke an Sie hat mich ermutigt und gestärkt, eine Arbeit, die mich schon jahrelang beschäftigt hatte, zur Ausführung zu bringen. Wenn Sie meine Psychologie der Blumen einmal durchsehen, so werden Sie manchen Gedanken, manche Idee darin finden, die Ihnen bekannt ist, weil Sie, mein Fräulein, davon die Urheberin waren. Sie dichten und schaffen mit mir.«

»O Gott, das kann ich nicht!« rief das Mädchen und hielt die Hände vor das blasse Gesicht.

»Ein Weib,« sagte Gabriel, »das den Künstler durch die Liebe beseligt, hat den ersten Anteil an dem Gelingen des Kunstwerkes.«

Nun konnte sich Anna Mildau nicht mehr beherrschen, sie fiel dem jungen Manne an die Brust, umschlang mit beiden Armen bebend seinen Nacken und preßte ihr Antlitz, über welches Tränen rannen, an sein Herz.


Es klingelte ein Gerücht in der Stadt herum. Man gab ihm gern Gehör und trug es gern weiter, denn es hing viel Redestoff daran.

»Das Fräulein soll eine Schwärmerin sein.«

»Wahrhaftig, ja; es ist ganz heillos in den jungen Menschen vernarrt.«

»Sie soll ihm ja ins Gebirge nachgezogen sein.«

»Davon weiß man nichts Genaues. Jedenfalls ist ihr Vater zum Ja gezwungen worden. Sie wäre imstande und täte sich ein Leid an.«

»Mildau soll aber den Poeten wohl leiden können, hat sich stets einen Doktor oder Professor zum Schwiegersohn gewünscht.«

»Und anderseits soll er wieder gesagt haben, sein Tochtermann brauche nicht Schulmeisterei zu treiben.«

»Ja, freilich, wenn zum Titel die Mittel kommen, dann hat's weiter keine Not.«

»Klingendes Geld mit einem klingenden Namen zu vermählen, ist eine vornehme Sach'. Es ist fabelhaft, wie dieser Naturbursche sein Glück macht!«

»Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.«

So gaukelt das Geschwätz gern rings um die Wahrheit wie der Falter um die Flamme. Aber den rechten Fleck trifft der Klatsch selten. Herr und Frau Mildau hatten ihr Ja ohne Nebenzweck gegeben – lediglich aus Liebe zu ihrem Kinde.


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