Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XX.

Drei Monate waren vergangen, seitdem Kaiser Jovianus mit den Persern Frieden geschlossen hatte.

Anfang Oktober kehrte das römische Heer, das vor Hunger und unendlichen Märschen durch das heiße Mesopotamien ganz erschöpft war, nach Antiochia zurück.

Unterwegs hatte der junge Tribun der Schildträger, Anatolius, mit dem jungen Historiker Ammianus Marcellinus Freundschaft geschlossen. Die beiden Freunde beschlossen, nach Italien in eine einsame Villa bei Bajä, wohin sie Arsinoe eingeladen hatte, zu ziehen, um nach dem anstrengenden Feldzuge auszuruhen und ihre Wunden in den Schwefelbädern zu heilen.

Auf der Durchreise hielten sie sich einige Tage in Antiochia auf.

Hier sollten großartige Feste zur Feier der Thronbesteigung des Kaisers Jovianus und zu Ehren des heimkehrenden Heeres stattfinden. Der mit dem König Sapores geschlossene Friede war für das Reich schimpflich: die Perser erhielten fünf reiche römische Provinzen jenseits des Tigris, darunter Corduena und Rehimena, ferner fünfzehn Grenzfestungen, die Städte Singaras, Castra Maurorum und die uneinnehmbare Festung Nisibis, die schon drei Belagerungen standgehalten hatte.

Die Galiläer bekümmerten sich wenig um die Niederlage Roms.

Als nach Antiochia die Nachricht vom Tode des Julianus Apostata gekommen war, wollten die erschrockenen Bürger anfangs gar nicht daran glauben, denn sie fürchteten, es sei nur eine satanische List, ein neues Netz, mit dem die Frommen umgarnt werden sollten; als sie aber schließlich doch an die Wahrheit der Nachricht glauben mußten, waren sie außer sich vor Freude.

Am frühen Morgen hörte Anatolius durch die geschlossenen Fensterläden seines halbdunklen Schlafgemaches hindurch den Lärm des Festes und das freudige Geschrei des Volkes. Er entschloß sich, den ganzen Tag zu Hause zuzubringen. Das Jauchzen des Pöbels widerte ihn an. Er versuchte wieder einzuschlafen, doch es gelang ihm nicht. Eine seltsame Neugier hatte sich seiner bemächtigt. Er kleidete sich rasch an und verließ das Haus, ohne seinem Freunde Ammianus etwas zu sagen.

Es war ein frischer, doch nicht kalter, sonniger Herbsttag. Die großen, runden Wolken an dem tiefblauen Himmel verschmolzen mit dem weißen Marmor der göttlichen Kolonnaden und Säulenhallen von Antiochia. An den Straßenecken, auf den Märkten und dem Forum rauschten Springbrunnen. In der staubigen, sonnigen Ferne der Straßen sah man die sich kreuzenden, beweglichen Kristallfäden der städtischen Wasserleitung. Die Tauben pickten girrend den für sie hingestreuten Weizen auf. Es roch nach Blumen, nach Weihrauch, der aus den offenen Kirchentüren kam, und nach nassem Staub. Braune lachende Mädchen besprengten an den hellen Brunnen blasse Oktoberrosen, die sie in ihren Körben trugen, und umwanden unter fröhlichem Psalmengesang die Säulen der christlichen Basiliken mit Girlanden.

Die Volksmenge überschwemmte lärmend und summend die Straßen; langsam zogen auf dem prachtvollen antiochischen Straßenpflaster, der ein Stolz des Stadtrates der Decurionen war, die Wagen und die Sänften vorbei.

Man hörte begeisterte Rufe:

»Es lebe der Augustus Jovianus, der göttliche, große!«

Manche fügten noch das Wort »Der Sieger« ein, doch taten sie es etwas unsicher, denn es konnte eher als Spott aufgefaßt werden.

Derselbe Gassenjunge, der einst auf den Mauern mit Kohle Karikaturen auf Julianus gemalt hatte, klatschte in die Hände, pfiff, tanzte, wälzte sich im Staube wie ein Spatz und schrie durchdringend:

»Er ist zugrunde gegangen, der wilde Eber, der Verwüster des Weingartens Gottes!«

Diese Worte sprach er den Erwachsenen nach.

Ein zusammengekrümmtes, zerlumptes, altes Weib, das in einer schmutzigen Vorstadt in einem feuchten Loch wie eine Assel hauste, kam auch an die Sonne hervor und freute sich des Festes. Sie fuchtelte mit den Händen und schrie mit zitternder Stimme:

»Julianus ist tot! Der Mörder ist tot!«

Die Freude des Festes leuchtete auch in den weitgeöffneten, erstaunten Augen eines Säuglings, den seine Mutter, eine abgemagerte, braune Taglöhnerin aus einer Purpurfabrik, auf dem Arme trug; sie hatte dem Kinde einen Honigkuchen gegeben; beim Anblicke der in der Sonne leuchtenden bunten Gewänder schlug das Kind vor Entzücken mit den Händchen und lachte zuweilen, sein volles, schmutziges, mit Honig beschmiertes Gesicht von der Mutter abwendend, so schelmisch, als ob es alles sehr gut verstände, und es nur nicht sagen wolle. Die Mutter war darüber stolz, denn sie glaubte, daß ihr kluges Kind die Freude aller Gerechten über den Tod des Apostaten teile.

Eine tiefe Trauer erfüllte Anatolius' Herz.

Die seltsame Neugier trieb ihn aber immer weiter.

Er ging durch die Singonstraße und näherte sich der Kathedrale. In der Vorhalle, die von hellem Sonnenlicht überflutet war, herrschte ein noch größeres Gedränge. Er erblickte das ihm bekannte Gesicht des Quästurbeamten Marcus Ausonius, der gerade in Begleitung zweier Sklaven, die ihm mit den Ellbogen den Weg durch die Menge bahnten, die Basilika verließ.

»Was ist das?« fragte sich Anatolius erstaunt. »Wie kommt dieser Hasser der Galiläer in die Kirche?«

Auf der lilafarbenen Chlamys des Ausonius und selbst auf den Spitzen seiner roten Lederschuhe waren goldene Kreuze gestickt.

Junius Mauricus, ebenfalls ein Bekannter des Anatolius, trat auf Ausonius zu.

»Wie geht es dir, Verehrtester?« fragte Mauricus, mit geheuchelter, höhnischer Verwunderung das neue, christliche Gewand des Beamten betrachtend.

Junius war unabhängig und ziemlich reich, so daß der Übertritt zum Christentum ihm keine besonderen Vorteile bot. Über die plötzliche Bekehrung der ihm befreundeten Beamten war er durchaus nicht erstaunt; aber es machte ihm Spaß, sie bei jeder Begegnung mit anzüglichen Fragen zu necken und die Rolle eines in seinen heiligsten Überzeugungen gekränkten Menschen, der seine Empörung unter der Larve des Spottes verbirgt, zu spielen.

Das Volk strömte aus der Kirche. Die Vorhalle leerte sich. Die Freunde konnten jetzt ungestört sprechen. Anatolius, der hinter einer Säule stand, konnte ihr Gespräch belauschen.

»Warum bist du nicht bis zum Ende des Amtes geblieben?« fragte Mauricus.

»Ich bekam Herzklopfen. Es war zu schwül. Was soll ich machen, ich bin es noch nicht gewöhnt . . .«

Nachdenklich fügte er hinzu:

»Einen merkwürdigen Stil hat dieser neue Prediger: die Hyperbeln regen mich zu sehr auf, – es ist, wie wenn man Glas mit einem Stahl ritzt . . . Ein merkwürdiger Stil!«

»Es ist wirklich rührend,« bemerkte Mauricus schadenfroh. »Du hast dich von allem losgesagt, hast dich vollständig bekehrt, aber ein guter Stil . . .«

»Nein, nein, ich habe vielleicht noch nicht den richtigen Geschmack an diesen Dingen gefunden,« unterbrach ihn hastig Ausonius. »Du sollst dir keine falsche Vorstellung machen, Mauricus . . . Ich meine es ja ehrlich . . .«

Einer tiefen Sänfte entstieg langsam, krächzend und seufzend der fette Quästor Gargilianus.

»Mir scheint, ich komme zu spät? . . . Es macht nichts, ich will einige Augenblicke in der Vorhalle verweilen. Gott ist ja ein allgegenwärtiger Geist, der . . .«

»Ein wahres Wunder!« bemerkte Mauricus lachend. »Die Heilige Schrift auf den Lippen eines Gargilianus! . . .«

»Jesus Christus möge dir seine Gnade erweisen, mein Sohn,« wandte sich Gargilianus unbeirrt zu ihm, »warum spottest du so boshaft?«

»Ich komme gar nicht aus dem Staunen heraus. So viele Bekehrungen, so viele Verwandlungen! Von dir, zum Beispiel, habe ich stets angenommen, daß deine Überzeugungen . . .«

»Unsinn, mein Freund! Ich habe nur die eine Überzeugung, daß die galiläischen Köche den hellenischen durchaus nicht nachstehen, was aber die Fastenspeisen betrifft, so sind sie wahre Leckerbissen. Besuche mich doch einmal zum Abendessen, du Philosoph! Ich werde dich leicht zu meinem Glauben bekehren. Es wird dir das Wasser im Munde zusammenlaufen. – Ist es denn nicht einerlei, meine Freunde, ob ich ein gutes Mittagsmahl zu Ehren des Gottes Mercurius oder zu Ehren des heiligen Mercurius verspeise? Es sind nur Vorurteile! Ich frage euch, was stört mich dabei dieser niedliche Gegenstand?«

Er zeigte auf ein bescheidenes, kleines Kreuz aus Bernstein, das zwischen den parfümierten Falten des amethystfarbenen Purpurs auf seinem majestätischen Bauche baumelte.

»Seht, seht – Hecebolius, der Hohepriester der Göttin Astarte-Dindymene, – der büßende Hierophant in dunklen galiläischen Gewändern, warum hast du das nicht mehr erlebt, du Sänger der Metamorphosen!« triumphierte Mauricus, auf einen wohlgestalteten Greis von ehrwürdigem Aussehen, mit vollem grauen Haar und einem angenehmen, frischen Gesicht hinweisend, der in einer halbgeschlossenen Sänfte saß.

»Was liest er da?«

»Jedenfalls nicht das Statut der Göttin von Pessinus!«

»Seht nur diese heilige Demut! Er ist vom Fasten ganz abgemagert. Seht nur diesen frommen Augenaufschlag, hört nur, wie er seufzt.«

»Habt ihr es schon gehört, wie er sich bekehrt hat?« fragte der Quästor, lustig lächelnd.

»Er ist wohl zu Kaiser Jovianus gegangen, wie er es schon einst bei Julianus gemacht hat, und hat gebeichtet?«

»O nein, er machte es auf eine ganz neue Manier. Ganz unerwartet. Seine Bekehrung geschah öffentlich. Er legte sich vor die Türe einer Basilika, aus der Jovianus heraustrat, mitten in der Volksmenge platt auf die Erde und schrie mit lauter Stimme: ›Zertretet mich Verruchten, zertretet mich unnützes Salz!‹ Und er küßte unter Tränen allen Vorübergehenden die Füße.«

»Es ist wirklich eine ganz neue Manier! – Nun, fand er damit Beifall?«

»Na, und ob! Man sagt, er hätte mit dem Kaiser eine Unterredung unter vier Augen gehabt. Solche Leute gehen weder in Wasser, noch in Feuer zugrunde. Alles, was sie nur anfangen, gereicht ihnen zum Nutzen. Er warf einfach seine alte Haut ab und verjüngte sich. An diesem Beispiel könnt ihr wirklich lernen, meine Kinder!«

»Was konnte er alles dem Kaiser gesagt haben?«

»Ja, mancherlei,« sagte Gargilianus, nicht ohne Neid. »Er konnte ihm zum Beispiel zuraunen: Halte dich fester an das Christentum, und rotte die Heiden gänzlich aus, denn der rechte Glaube ist der Grundpfeiler deines Thrones. Er wird schon seinen Weg machen und noch viel schneller als unter Julianus. Ihn kann jetzt niemand einholen. Diese Weisheit!«

»Ach, ach, Wohltäter, erbarmt euch meiner, Gnade! Entreißt den geringen Knecht Cicumbricus dem Löwenrachen!«

»Was hast du?« fragte Gargilianus einen krummbeinigen, schwindsüchtigen Schuster mit gutmütigem, bestürztem Gesicht und zerzausten, grauen Haaren, den zwei römische Lanzenträger vorüberführten.

»Man schleppt mich ins Gefängnis!«

»Wofür?«

»Für Kirchenraub.«

»Wie? Hast du denn wirklich . . .«

»Nein, nein, ich war nur unter der Menge und habe höchstens zweimal geschrien: Haut zu! Es war noch unter dem Augustus Julianus. Dann hieß es ja, daß der Cäsar die Zerstörung der galiläischen Kirchen wünsche. Nun, wir haben sie auch zerstört. Jetzt zeigt man mich plötzlich an, ich hätte vom Altar ein silbernes Gerät gestohlen und in meinen Kleidern davongetragen. Ich war aber gar nicht in der Kirche. Ich stand nur auf der Straße und rief höchstens zweimal: Haut zu! Ich bin ein ruhiger Mensch. Ich habe einen ganz elenden Laden auf einer belebten Straße; so oft es einen Streit gibt, werde ich gleich verantwortlich gemacht. Habe ich es denn für mich selbst getan? Die ganze Sache geht mich ja nichts an! . . . Ich dachte mir, es sei so befohlen. – Beschützt mich, Väter, erbarmt euch meiner! . . .«

»Was bist du eigentlich, Christ oder Heide?« fragte Junius.

»Das weiß ich selber nicht, Wohltäter! Vor der Regierung des Kaisers Konstantin opferte ich den Göttern. Dann taufte man mich. Unter Constantius wurde ich Arianer. Später bekamen die Hellenen die Oberhand. Also wurde ich Hellene. Jetzt scheint der Wind sich wieder zu wenden. Ich will Buße tun und in den Schoß der arianischen Kirche zurückkehren. Nur fürchte ich, daß es vielleicht wieder nicht das Richtige sein könnte. Ich habe schon Götzentempel zerstört, sie dann wieder aufgebaut und wieder zerstört. Alles ist bei mir durcheinander gekommen! Ich weiß wirklich nicht, was ich bin und was mit mir vorgeht. Ich bin immer der Obrigkeit gehorsam, doch gelingt es mir nie, den richtigen Glauben zu erwischen. Was ich tue, ist immer verkehrt! Entweder komme ich zu früh oder zu spät. Ich sehe nur, daß ich nie Ruhe finden kann; oder hat es mir so mein Schicksal bestimmt? Man hat mich schon im Namen Christi und auch im Namen der Götter verprügelt. – Meine Kinder tun mir leid! . . . Nehmt euch meiner an, ihr Wohltäter, befreit den demütigen Sklaven Cicumbricus!«

»Fürchte dich nicht, mein Lieber,« versetzte Gargilianus lächelnd, »wir wollen dich befreien. Ich werde mich für dich verwenden. – Du hast mir ja einmal so schöne, knarrende Halbschuhe gemacht.«

Cicumbricus fiel auf die Knie und streckte seine mit Ketten beschwerten Hände hoffnungsvoll aus.

Als er sich etwas beruhigt hatte, blickte er seine Beschützer scheu und etwas mißtrauisch an und fragte:

»Wie steht es nun mit dem Glauben, meine Wohltäter? Soll ich Buße tun oder bis zuletzt ausharren? Ist wieder ein Wechsel zu erwarten? Ich fürchte nämlich, daß es bald wieder . . .«

»Nein, nein, beruhige dich,« lachte Gargilianus. »Jetzt hat es ein Ende. Es wird nicht mehr gewechselt!«

Anatolius ging an ihnen unbemerkt vorbei und trat in die Kirche. Er wollte den berühmten jungen Prediger Theodorites hören.

In den wogenden Weihrauchwolken zitterten bläuliche Garben von schrägen Sonnenstrahlen, die durch die engen Fenster der großen Kuppel fielen; die Kuppel glich einem goldenen Himmel und war ein Symbol der weltumfassenden Kirche.

Ein Sonnenstrahl streifte den feuerroten Bart des Predigers, der auf einer hohen Kanzel stand. Er hatte seine mageren, blassen Hände, die in der Sonne wie Wachs durchscheinend waren, erhoben; seine Augen brannten vor Freude; seine Stimme dröhnte:

»Ich will auf einem Schandpfahle die Geschichte des Bösewichts Julianus Apostata aufzeichnen! Alle Zeiten und alle Völker mögen meine Inschrift lesen und vor der Gerechtigkeit des göttlichen Zornes erschaudern! Komme her, du böser Peiniger, du weise Schlange! Heute wollen wir dich verhöhnen! Brüder, wollen wir uns im Geiste vereinigen, frohlocken, die Pauke schlagen und das Siegeslied singen, das Mirjam in Israel nach dem Untergange der Ägypter im Roten Meer sang! Erblühe, o Wüste, wie eine Lilie, frohlocke, o Kirche, die du gestern verwitwet und verwaist warst! . . . Seht ihr: vor Freude bin ich wie trunken, wie wahnsinnig! . . . Welche Stimme, welche Gabe des Wortes muß man haben, um dieses Wunder würdig zu preisen! . . . Wo sind deine Opfer, deine heidnischen Gebräuche, deine Mysterien, o Kaiser? Wo sind deine Beschwörungen und die Prophezeiungen deiner Zeichendeuter? Wo bleibt deine Kunst, aus den Eingeweiden der bei lebendigem Leibe aufgeschlitzten Menschen die Zukunft zu erforschen? Wo ist der Ruhm Babylons? Wo sind die Perser und die Medier? Wo blieben die Götter, die dich begleiteten und die du begleitetest, wo sind deine Beschützer, Julianus? Alles ist verschwunden, alles war trügerisch, alles hat sich zerstreut! . . .«

»Sieh mal diesen Bart, meine Liebe!« flüsterte eine ältere, stark geschminkte Dame, die im Gedränge neben Anatolius stand, ihrer Freundin ins Ohr. »Sieh nur, sieh, er ist ja wie rotes Gold! . . .«

»Ja, aber die Zähne? . . .« wandte die Freundin zweifelnd ein.

»Nun, das macht doch wirklich nichts, bei einem solchen Bart . . .«

»Aber nein, Veronika, das darfst du nicht sagen! Die Zähne sind ja auch sehr wesentlich. Kann man ihn denn überhaupt mit dem Bruder Theophanius vergleichen? . . .«

Theodorites donnerte weiter:

»Der Herr hat den Arm des Gottlosen zerschmettert! Was nützt ihm nun die Gottlosigkeit, die er in sich angesammelt hat, wie die bösesten Schlangen und Tiere in sich Gift aufspeichern? Der Herr hatte nur darauf gewartet, bis alle seine Bosheit herausträte wie ein bösartiges Geschwür . . .«

»Daß ich nur nicht zu spät in den Zirkus komme,« flüsterte ein Handwerker, der gleichfalls neben Anatolius stand, seinem Freunde zu. »Man sagt, daß heute Bärinnen auftreten werden. Aus Britannien.«

»Wirklich? Bärinnen? Ist es auch wahr?«

»Gewiß. Die eine heißt ›Goldfunke‹, die andere ›Unschuld‹, sie werden mit Menschenfleisch gefüttert. – Auch gibt es heute Gladiatoren!«

»Herr Jesu! Auch noch Gladiatoren! Daß wir es nur nicht verpassen. Wir halten es hier doch nicht bis zu Ende aus. Wollen wir schneller von hier verschwinden, damit wir noch anständige Plätze bekommen.«

Theodolites erging sich jetzt in Lobpreisungen des Vorgängers Julianus', Constantius, dessen christliche Tugenden, Sittenreinheit und Liebe zu den Verwandten er besonders rühmte.

Anatolius konnte im Gedränge kaum atmen. Er verließ die Kirche und sog mit Genuß die frische Luft ein, die weder nach Weihrauch, noch nach Lampenöl roch; der Anblick des reinen Himmels, der von keiner goldenen Kuppel verdeckt wurde, erfüllte seine Seele mit Freude.

In den Vorhallen unterhielt man sich ganz laut, ohne sich irgendwie zu genieren. In der Menge wurde eine wichtige Nachricht verbreitet: gleich sollten die beiden Bärinnen in eisernen Käfigen durch die Straßen nach dem Zirkus gebracht werden. Alle, die diese Nachricht vernahmen, verließen mit besorgten Gesichtern fluchtartig die Kirche.

»Wie steht's? Kommen wir nicht zu spät? Ist es wahr, daß der ›Goldfunke‹ krank ist?«

»Unsinn! Die ›Unschuld‹ hatte nachts eine Magenverstimmung. Sie hatte zuviel gefressen. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Beide sind gesund und munter.«

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!«

Wie süß auch die Worte des Theodorites waren, gegen die Gladiatorenspiele und die britannischen Bärinnen konnten sie doch nicht aufkommen.

Die Kirche leerte sich. Anatolius sah, wie aus allen Ecken und Enden der Stadt und aus allen leergewordenen Basiliken, durch die Straßen, Gassen und Märkte zahllose Menschen ganz außer Atem zum Zirkus rannten. Man überrannte einander, schimpfte, erdrückte Kinder, sprang über umgefallene Frauen, verlor die Sandalen und eilte weiter; die schweißigen, roten Gesichter drückten eine solche Angst, zu spät zu kommen, aus, als ob es sich um das Leben handelte.

Zwei liebliche Namen gingen von Mund zu Mund, wie süße Verheißungen unbekannter Genüsse:

»Goldfunke! Unschuld!«

Anatolius betrat mit der Volksmenge das Amphitheater.

Über der Arena war nach römischer Sitte ein mit Wohlgerüchen besprengtes Velarium gespannt, das ein angenehmes, rötliches Dämmerlicht verbreitete und die Zuschauer vor den Sonnenstrahlen schützte. Auf den übereinander angeordneten, runden Stufensitzen wogte schon ein Meer von Köpfen.

Vor dem Beginn der Spiele brachten die höheren Beamten von Antiochia in die Kaiserloge eine Bronzestatue des Jovianus, damit das Volk sich am Anblicke des neuen Cäsars erfreuen könne. In der rechten Hand hielt er die mit einem Kreuz gekrönte Erdkugel. Ein blendender Sonnenstrahl, der durch einen Spalt zwischen den Purpurstreifen des Velariums drang, fiel auf den Kopf des Kaisers; der Kopf leuchtete, und die Menge erblickte auf dem flachen Bronzegesicht ein selbstgefälliges Lächeln. Die Beamten küßten dem Bildwerke die Füße. Der Pöbel brüllte vor Entzücken:

»Heil, heil dem Retter des Vaterlandes, Augustus Jovianus! Zugrunde gegangen ist Julianus, der wilde Eber, der Verwüster des Weingartens Gottes!«

Zahllose Hände schwangen bunte Tücher und Gürtel.

Der Pöbel begrüßte in Jovianus sein eigenes Spiegelbild, seinen eigenen Geist, der die Herrschaft über die Welt erlangt hatte.

Die Menge verhöhnte den toten Kaiser und schrie, als ob er im Amphitheater anwesend wäre und alles hören könne:

»Wie stehst du da, Philosoph? Die Weisheit des Plato und Chrysippos hat dir nicht helfen können, weder der Donnerer, noch der weithintreffende Apollo haben dich beschützt! Du bist den Teufeln in die Krallen geraten, und sie werden dich, Gottlosen, zerfleischen! Wo sind deine Weissagungen, dummer Maximus? – Christus und sein Gott haben gesiegt! Wir Demütigen haben den Sieg davongetragen!«

Alle waren überzeugt, daß Julianus von der Hand eines Christen gefallen sei; sie dankten Gott für den »rettenden Streich« und priesen den Kaisermörder.

Als aber die Menge die braunen Körper der Gladiatoren in den Krallen des »Goldfunken« und der »Unschuld« bluten sah, wurde sie ganz wütend. Mit weitgeöffneten Augen starrten die Leute auf die Arena und konnten sich am Anblick des Bluts gar nicht satt sehen. Das Volk beantwortete das Brüllen der wilden Tiere mit noch wilderem Menschengebrüll. Die Christen priesen ihren Gott, als ob sie erst jetzt den Triumph ihres Glaubens erkannt hätten:

»Heil dem Kaiser, Heil dem frommen Jovianus! Christus hat gesiegt! Christus hat gesiegt!«

Die übelriechenden Ausdünstungen des Pöbels, der Geruch der menschlichen Herde widerten Anatolius an. Er schloß die Augen, hielt den Atem an, verließ den Zirkus und eilte nach Hause. Er schloß Türe und Fensterläden, warf sich auf sein Bett und blieb regungslos bis zum Abend liegen.

Doch konnte er auch so keine Rettung vor dem Pöbel finden.

Als der Abend anbrach, erstrahlte ganz Antiochia in Freudefeuern. An den Ecken der Basiliken und auf den hohen Dächern der Staatsgebäude waren mächtige Pechfackeln angebracht, die im Winde flackerten und qualmten. Auf den Straßen brannten Talglämpchen. Der Widerschein der Flammen und der Gestank von brennendem Pech und Talg drangen durch die Ritzen der Fensterläden in Anatolius' Zimmer ein. Aus den nahen Schenken klangen die Trinklieder der Soldaten und Matrosen, das Lachen, Kreischen und Schimpfen der Straßendirnen, und über allem schwebte, wie das Rauschen des Meeres, der nichtverstummende Lobgesang auf Jovianus den Retter, und ein Anathema für Julianus Apostata.

Anatolius hob mit bitterem Lächeln seine Hände zum Himmel empor und rief:

»Wahrlich, du hast gesiegt, Galiläer!«


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