Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

»Sieh dir nur diese schwarzgekleideten Menschen an, Julianus. Es sind die Schatten des Abends, Schatten des Todes. Bald wird es kein einziges weißes Kleid mehr geben, kein einziges sonnendurchleuchtetes Stück Marmor. Es ist zu Ende!«

So sprach der junge Sophist Antonius, ein Sohn der ägyptischen Prophetin Sosipatra und des Neoplatonikers Aedesius. Er stand mit Julianus auf dem großen, hochgelegenen, von Sonnenlicht durchfluteten und vom blauen Himmel überspannten Platz vor dem Altar von Pergamon. Den Fuß des Tempels schmückte eine Darstellung der Gigantomachie, des Kampfes der Götter mit den Giganten; die Götter triumphierten, und die Hufe ihrer geflügelten Rosse zertraten die schlangenförmigen Beine der Giganten.

Antonius wies auf dieses Bildwerk hin und sagte:

»Die Olympier haben die alten Götter besiegt; jetzt werden sie von den neuen Göttern besiegt werden. Die Tempel werden Grabgewölbe werden.«

Antonius war ein schön gewachsener, schlanker Jüngling; sein Körper und seine Gesichtszüge erinnerten etwas an die des pythischen Apollos; er litt aber seit mehreren Jahren an einer unheilbaren Krankheit; sein schönes Gesicht von rein griechischem Typus war gelb und abgemagert, und der schmerzvolle Ausdruck der neuen Krankheit, die den Männern des Altertums fremd war, machte auf diesem klassischen Gesicht einen befremdenden Eindruck.

»Ich flehe die Götter nur um Eines an,« fuhr Antonius fort: »daß ich diese barbarische Nacht nicht zu sehen brauche und früher sterbe. Wir alle, die wir Sophisten, Rhetoren, Gelehrte, Dichter, Künstler, Freunde der hellenischen Weisheit sind, wir haben uns überlebt und sind überflüssig geworden. Wir sind zu spät gekommen. Es ist zu Ende!«

»Und wenn es doch noch nicht zu Ende ist?« sagte Julianus leise wie vor sich hin.

»Nein, es ist zu Ende! Wir sind krank und zu schwach . . .«

Das Gesicht des neunzehnjährigen Julianus schien fast ebenso mager und blaß wie das des Antonius; die hervorstehende Unterlippe verlieh ihm einen finsteren und hochmütigen Ausdruck; die dichten Augenbrauen waren zusammengezogen und drückten Gehässigkeit und Härte aus; an der häßlichen, auffallend großen Nase traten schon die ersten Runzeln hervor; die Augen glänzten wie im Fieber mit trockenem Feuer. Er trug die Kleidung eines christlichen Novizen. Am Tage pflegte er, wie früher, Kirchen und Heiligengräber zu besuchen, von der Kanzel die Heilige Schrift vorzulesen und sich zur Einkleidung als Mönch vorzubereiten. Zuweilen erschien ihm seine Verstellungskunst zwecklos, denn er wußte, welches Schicksal seinen Bruder Gallus ereilt hatte, und daß dieser dem Tode nicht mehr entrinnen könne. Auch er lebte von Tag zu Tag und von Monat zu Monat in ständiger Todesgefahr.

Die Nächte verbrachte er aber in der Bibliothek zu Pergamon, wo er die Werke des berühmten Gegners der Christenlehre, des Rhetors Libanius studierte; auch besuchte er die Vorlesungen der griechischen Sophisten Aedesius von Pergamon, Chrisantius von Sardes, Priscus von Thesprotia, Eusebius von Myndus, Prophäresius und Nymphidianus.

Sie lehrten ihn das gleiche, was er bereits von Jamblichus gehört hatte: sie predigten von der Dreieinigkeit der Neoplatoniker und von der heiligen Verzückung.

»Nein, es ist noch nicht das Richtige,« dachte Julianus; »das Wesentlichste verheimlichen sie vor mir.«

Priscus, der dem Pythagoras nachahmte, hatte fünf Jahre lang geschwiegen; er aß nichts, was Leben hatte, gebrauchte weder Wollstoffe, noch Ledersandalen, kleidete sich nur in Gewebe pflanzlicher Herkunft und nährte sich ausschließlich von Pflanzen; er trug eine pythagoreische Chlamys aus reinem, weißen Leinen und Sandalen aus Palmenfasern. »In unserer Zeit,« pflegte er zu sagen, »muß man schweigen können und nachdenken, wie man mit Würde sterben kann.« Priscus erwartete mit Würde und großer Menschenverachtung das, was er den Tod nannte: den Sieg des Christentums über das Hellenentum.

Der listige und vorsichtige Chrisantius erhob, so oft die Rede auf die Götter kam, seine Augen zum Himmel und erklärte, daß er es nicht wage, über sie zu sprechen, denn er wisse von ihnen nichts; was er aber früher gewußt hätte, hätte er vergessen; er rate auch einem jeden, es zu vergessen, von der Magie, von den Wundern und Visionen wollte er nichts wissen, denn er erklärte sie für Betrug, der dazu auch durch die Gesetze des Römischen Reiches verboten sei.

Julianus aß und schlief wenig; sein Blut wallte in leidenschaftlicher Ungeduld. Jeden Morgen, wenn er erwachte, fragte er sich: »Vielleicht kommt es heute?«

Die armen, eingeschüchterten Philosophen und Theurgen waren Julianus' und seiner ewigen Fragen nach den Geheimnissen und Wundern überdrüssig geworden. Einige von ihnen lachten über ihn; so besonders Chrysantius, der immer schlau wie ein Fuchs lächelte und die Gewohnheit hatte, auch solchen Meinungen zuzustimmen, die er selbst für den größten Unsinn hielt.

Aedesius, der ein kluger, schüchterner und gutmütiger Greis war, erbarmte sich eines Tages des Schülers und sagte zu ihm:

»Kind, ich will ruhig mein Leben beschließen. Du bist noch jung. Verlasse mich und gehe zu meinen Schülern; sie werden dir alles eröffnen. Ja, es gibt viele Dinge, über die wir nicht zu reden wagen . . . Wenn du in die Mysterien eingeweiht sein wirst, so wirst du dich vielleicht schämen, nur als Mensch geboren und es bis heute geblieben zu sein.«

Eusebius aus Myndus, ein Schüler des Aedesius, war neidisch und erbittert. Er erklärte dem Jüngling:

»Es gibt keine Wunder mehr, warte nicht auf sie. Die Götter sind der Menschen überdrüssig geworden. Die Magie ist ein Unsinn, und ein Narr ist, wer an sie glaubt. Wenn du aber der Weisheit überdrüssig bist und durchaus betrogen sein willst, so gehe nur zu Maximus. Er verachtet unsere Dialektik, und selbst . . . Übrigens ist es nicht meine Gewohnheit, schlecht von meinen Freunden zu sprechen. Ich werde dir lieber erzählen, was wir neulich in einem unterirdischen Tempel der Hekate erlebten, in den uns Maximus führte, um seine Künste zu zeigen. Als wir eingetreten waren und unsere Gebete verrichtet hatten, sagte er uns: ›Setzt euch, und ihr werdet ein Wunder sehen.‹ Wir setzten uns. Er warf in das Feuer des Kitares ein Körnchen Weihrauch und begann etwas zu murmeln, wahrscheinlich seine Beschwörungsformeln. Da sahen wir ganz deutlich, wie das Bild der Hekate plötzlich lächelte. Maximus sagte: ›Fürchtet nichts, ihr werdet gleich sehen, wie die beiden Lampen, die die Göttin in den Händen hat, aufleuchten werden. Seht!‹ Kaum hatte er das gesagt, als sich die Lampen wirklich entzündeten.«

»Es war also doch ein Wunder geschehen!« rief Julianus aus.

»Ja, ja. Wir waren so bestürzt, daß wir vor der Göttin in die Knie fielen. Als ich aber den Tempel verlassen hatte, fragte ich mich: Was ist es nun? Ist denn das, was Maximus treibt, eines Weisen würdig? Lies Bücher, lies die Werke des Pythagoras, Plato, Porphyrius, da kannst du wirklich Weisheit finden. Ist denn die Reinigung der Seele durch die göttliche Dialektik nicht herrlicher, als alle Wunder?«

Julianus hörte ihm nicht mehr zu. Er richtete seine brennenden Augen auf das bleiche, gelbe Gesicht des Eusebius und sagte, die Schule verlassend:

»Bleibt nur da mit euren Büchern und eurer Dialektik. Ich strebe nach Leben und Glauben. Ist denn ein Glaube ohne ein Wunder möglich? Ich danke dir, Eusebius. Du hast mir den Mann gewiesen, den ich schon längst suche.«

Der Sophist blickte ihm mit seinem giftigen Lächeln nach und rief:

»Nun, Neffe Konstantins, du bist wirklich deinem Onkel nachgeraten. – Sokrates brauchte aber keine Wunder, um zu glauben.«


 << zurück weiter >>