Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XVI.

An einem sonnigen Morgen waren alle Straßen in Mediolanum von ungezählten Volksmassen überfüllt, die zum Hauptplatz der Stadt strömten.

Unter brausenden Hochrufen erschien in einem von schwanenweißen Rossen gezogenen Triumphwagen der Kaiser.

Er stand so hoch, daß die Leute die Köpfe in den Nacken werfen mußten, wenn sie sein Gesicht sehen wollten. Seine Kleidung funkelte von Edelsteinen. In der Rechten hielt er das Zepter, in der Linken – den von einem Kreuze gekrönten Reichsapfel.

Unbeweglich, wie eine Statue, stark geschminkt und gepudert, blickte er gerade vor sich hin, ohne den Kopf zu wenden, als wäre er in einem Schraubstock eingeklemmt, während der ganzen Fahrt, selbst bei allen Stößen und Erschütterungen des Wagens, machte er keine einzige Bewegung, rührte keinen Finger, hustete nicht und zuckte nicht mit den Augenlidern. Diese versteinerte Unbeweglichkeit hatte sich Constantius nach jahrelangen Anstrengungen angeeignet; er war auf sie stolz und hielt sie für ein notwendiges Attribut der göttlichen Majestät eines römischen Cäsars. In einem solchen Augenblicke würde er lieber sterben, als seine sterbliche Natur durch Niesen, Schneuzen, Spucken, oder bloß durch das Abwischen des Schweißes von der Stirne zu zeigen.

Krummbeinig und klein, hielt er sich selbst für einen Riesen. Als sein Wagen den Triumphbogen in der Nähe der Thermen des Maximianus Herkulius passierte, neigte er den Kopf, als ob er fürchte, mit der Stirne gegen das Tor zu prallen, durch das auch ein Zyklop ungehindert passieren konnte.

Zu beiden Seiten der Straße standen die Palatine mit goldenen Helmen und goldenen Panzern; die zwei Reihen der Ehrenwache funkelten in der Sonne wie zwei Blitze.

Um den kaiserlichen Wagen wehten prunkvolle Banner und Fahnen in Form von Drachen. Der Wind drang in die offenen Rachen der Drachen, blähte sie auf, und aus den purpurnen Fahnen kam ein durchdringendes Pfeifen, das sich wie Schlangengezisch anhörte; die langen, roten Schwänze der Ungeheuer flatterten im Winde.

Auf dem Hauptplatze waren alle Legionen aufgestellt, die die Garnison von Mediolanum bildeten.

Der Kaiser wurde mit donnernden Hochrufen begrüßt. Constantius war zufrieden: der Ton dieser Hochrufe, die weder zu laut, noch zu leise klangen, war genau im voraus festgesetzt und eingedrillt; die Soldaten und die Bürger waren angewiesen, nicht zu laute und dabei ehrfurchtsvolle Freudenschreie von sich zu geben.

Bei jeder seiner Bewegungen auf einen möglichst majestätischen Effekt bedacht, stieg der Kaiser vom Wagen und betrat ein Bretterpodium, das von oben bis unten mit siegreichen Fetzen alter Fahnen und mit ehernen Römeradlern geschmückt war.

Ein Trompetensignal verkündigte, daß der Heerführer zu seinen Legionen sprechen wolle, und sofort trat Stille ein.

»Optimi reipublicae defensores!« begann Constantius. »Hervorragendste Verteidiger des Staates!«

Seine Rede war übermäßig lang und mit Blüten akademischer Rhetorik überladen.

Julianus, der an diesem Tage die Hofkleidung angelegt hatte, bestieg das Podium, und der Brudermörder bekleidete den letzten Sprossen des Constantius Chlorus mit kaiserlichem Purpur, während der Kaiser den Purpurmantel emporhob, um ihn auf die Schultern des knienden Julianus zu legen, drangen Sonnenstrahlen durch die leichte Seide und färbten das totenblasse Gesicht des neuen Cäsars in ein blutiges Rot. Ein Vers aus der Ilias, der ihm prophetisch erschien, kam ihm in den Sinn:

»Ἔλλαβη πορφύρεος ϑάνατος καὶ μοῖρα κρατάιη
»Ihn übernahm der purpurne Tod und das grause Verhängnis.«

Unterdessen begrüßte ihn Constantius mit den Worten:

»Recipisti primaevus originis tuae splendidam florem, amatissime mihi omnium frater!«

»Noch so jung, empfängst du, mein geliebtester Bruder, die glänzenden Farben deines kaiserlichen Geschlechtes!«

Die Legionäre schrien vor Entzücken. Constantius verzog den Mund, denn dieses Geschrei überstieg das festgesetzte Maß: Julianus' Gesicht hatte wohl den Soldaten gefallen.

»Hoch Cäsar Julianus!« schrien sie immer lauter und lauter und wollten gar nicht aufhören.

Der neue Cäsar lächelte ihnen wie ein Bruder zu.

Jeder der Legionäre schlug mit dem Kupferschild aufs Knie, was ein Zeichen der Freude war.

Julianus schien es, daß sich an ihm nicht der Wille des Kaisers, sondern der der Götter erfülle . . .

*

Allabendlich widmete Constantius eine Viertelstunde der Pflege und dem Beschneiden seiner Fingernägel; dies war der einzige Zeitvertreib, den sich der genügsame und in seinen Gewohnheiten eher einfache, als verwöhnte Kaiser erlaubte.

Während er auch an diesem Abend die Fingernägel mit seinen Feilen bearbeitete und mit kleinen Bürsten glättete, fragte er mit zufriedenem Gesichtsausdruck seinen liebsten Eunuchen, den Beamten des allerhöchsten Schlafzimmers, Eusebius:

»Glaubst du, daß er bald die Gallier besiegen wird?«

»Ich glaube,« erwiderte Eusebius, »daß wir bald die Nachricht von Niederlagen und vom Tode des Julianus erhalten werden.«

»Es täte mir wirklich sehr leid,« fuhr Constantius fort. »Ich habe übrigens alles getan, was in meiner Macht war: es wird, folglich, seine eigene Schuld sein . . .«

Er lächelte und betrachtete, den Kopf auf die Seite geneigt, seine polierten Fingernägel.

»Du hast den Maxentius besiegt,« flüsterte der Eunuch, »du hast den Vetranio, den Gallus und den Constans besiegt und wirst also auch Julianus besiegen. Dann wird es nur einen Hirten und eine Herde geben. Gott – und du!«

»Ja, ja . . . Doch gibt es außer Julianus noch den Athanasius. Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich ihn lebend oder tot in meinen Händen habe.«

»Julianus ist gefährlicher als Athanasius; du hast ihn heute mit dem Purpur des Todes bekleidet. – Wie groß ist die Weisheit der göttlichen Vorsehung! Auf unerforschlichen Wegen wandelnd, vernichtet sie alle Feinde deiner Ewigkeit. Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist heute und in alle Ewigkeit!«

»Amen!« schloß der Kaiser. Er war mit seinen Fingernägeln fertig und legte das letzte Bürstchen zur Seite.

Er näherte sich dem alten Banner Konstantins des Großen, dem »Labarum«, das immer im kaiserlichen Schlafzimmer stand, kniete vor ihm nieder, heftete seinen Blick auf das aus Edelsteinen zusammengesetzte und im Lichte der ewigen Lampe funkelnde Monogramm Christi und begann zu beten. Er sprach alle festgesetzten Gebete und machte die vorgeschriebene Zahl von Verbeugungen. Er wandte sich zu Gott mit dem unerschütterlichen Glauben eines Menschen, der nie an seiner Tugend zweifelt.

Als die vorgeschriebenen drei Viertelstunden des Abendgebetes verstrichen waren, erhob er sich leichten Herzens von den Knien.

Die Eunuchen kleideten ihn aus, und er legte sich auf sein Prunkbett, das von silbernen Cherubim mit ausgebreiteten Schwingen getragen wurde.

Mit dem unschuldigsten Lächeln auf den Lippen schlief der Kaiser ein.


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