Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XV.

Auf dem Untersatze einer Lampe, die die Form eines Delphins hatte, lag eine Brennschere. Die Flamme schien blaß, denn die Strahlen der Morgensonne, die durch die Fenstervorhänge drangen, erfüllten das ganze Ankleidezimmer mit warmem, rotviolettem Scheine. Die Seide der Vorhänge war mit dem allerteuersten Purpur gefärbt: dem hyazinthfarbigen, tyrischen, dreimal gereinigten.

»Die Personen? Was die drei göttlichen Personen der heiligen Dreieinigkeit bedeuten, hat noch kein Mensch erfaßt. Ich habe heute die ganze Nacht nicht geschlafen und darüber nachgedacht, denn für solche Fragen habe ich eine große Schwäche. Und doch bin ich zu keinem Ergebnis gekommen; jetzt habe ich nur Kopfschmerzen davon. – Knabe, reich mir einmal das Handtuch und die Seife!« So sprach ein Mann von vornehmem Äußern, mit einer Mitra auf dem Kopfe, die ihm das Aussehen eines Oberpriesters oder eines asiatischen Fürsten verlieh; es war der erste Barbier der geheiligten Person des Kaisers Constantius. Das Rasiermesser flog in seinen geschickten Händen mit märchenhafter Geschwindigkeit. Die Prozedur des Rasierens gestaltete er zu einer geheimnisvollen, heiligen Handlung.

Zu beiden Seiten des Kaisers standen außer Eusebius, dem Oberbeamten des allerhöchsten Schlafzimmers und dem einflußreichsten Mann im ganzen Reiche, außer den zahllosen Cubiculariern, die Gefäße mit Essenzen, Handtücher und Waschbecken in den Händen hielten, zwei jugendliche Fächerträger; während das hohe Sakrament des Rasierens vollzogen wurde, umfächelten sie den Kaiser mit breiten, dünnen, silbernen Fächern, die die Form von sechsgeflügelten Seraphinen hatten und den »Ripiden« glichen, mit denen die Diakonen während der Messe die Fliegen von dem heiligen Sakramente verscheuchen.

Der Barbier war soeben mit der rechten Wange fertig geworden und machte sich an die linke, die er sorgfältig mit einer Seife, die mit einem arabischen Parfüm, dem sogenannten »Aphroditenschaum«, versetzt war, eingeseift hatte. Er neigte sich zum Ohre des Kaisers und flüsterte ihm so leise zu, daß es niemand von den Umstehenden hören konnte:

»O frömmster Kaiser, nur dein allumfassender Verstand kann es entscheiden, was die drei göttlichen Personen – Vater, Sohn und heiliger Geist – bedeuten. Höre nicht auf die Bischöfe. Es soll nicht nach ihrem, sondern nach deinem Willen gehen. Den Patriarchen von Alexandria, Athanasius, mußt du schleunigst hinrichten lassen, denn er ist ein widerspenstiger und gotteslästerlicher Aufwiegler. Unser Gott und Schöpfer wird selbst deiner Heiligkeit eingeben, wie und was deine Sklaven glauben sollen. Ich meine, daß Arius recht hat, wenn er behauptet, daß es eine Zeit gegeben hat, in der der Sohn noch nicht existierte. So ist es auch mit der Wesenseinheit . . .«

Constantius warf einen Blick in den großen Spiegel aus poliertem Silber, fuhr sich mit der Hand über die seidenweiche, frischrasierte rechte Wange und unterbrach den Barbier:

»Es scheint mir nicht ganz glatt zu sein! Was glaubst du? Solltest du vielleicht noch nachrasieren? – Was hast du übrigens soeben von der Wesenseinheit erzählt?«

Der Barbier hatte erst neulich von den Hofbischöfen Ursacius und Valens ein Talent Goldes erhalten, um den Kaiser zu dem neuen Glaubensbekenntnis zu bekehren; während sein Rasiermesser gleichsam liebkosend über die Wange glitt, begann er von neuem Constantius etwas zuzuflüstern.

In diesem Augenblick näherte sich dem Kaiser der Notarius Paulus, mit dem Beinamen »Catena«, das heißt Kette; diesen Beinamen verdankte er den schrecklichen Angebereien, mit denen er seine Opfer wie mit einer Kette zu binden pflegte. Paulus hatte ein weibisches, bartloses Gesicht von zarter Hautfarbe, und man hätte ihn seinem Äußeren nach für engelsmild halten können; seine Augen waren trüb, schwarz und beweglich, seine Schritte leise, weich und graziös, wie die einer Katze. Der Notarius trug an seinem Obergewand eine breite, dunkelblaue Schärpe – ein besonderes Zeichen der kaiserlichen Huld.

Paulus Catena schob mit einer höflichen, doch energischen Bewegung den Barbier zur Seite, neigte sich zum Ohre des Kaisers und flüsterte:

»Ein Brief des Julianus. Heute nacht habe ich ihn aufgefangen, Soll ich ihn öffnen?«

Constantius entriß hastig den Brief den Händen des Paulus, erbrach ihn und begann zu lesen. Es gab aber eine Enttäuschung.

»Dummheiten!« sagte er, »es ist nur eine Stilübung. Er schickt einem gelehrten Sophisten hundert Feigen und schreibt eine Lobrede auf die Feigen und die Zahl hundert.«

»Sollte es nicht eine List sein?« bemerkte Catena.

»Ist es denn möglich?« fragte Constantius, »hast du keine anderen Beweise?«

»Nein.«

»Er ist also entweder sehr geschickt, oder . . .«

»Was wollte deine Ewigkeit sagen?«

»Oder er ist unschuldig.«

»Wie es dir beliebt,« flüsterte Paulus.

»Wie es mir beliebt? – Ich will gerecht sein, nichts als gerecht; weißt du es denn nicht? . . . Ich muß Beweise haben.«

»Warte nur, du sollst sie haben.«

Nun kam ein anderer Spion, der Hoftafeldecker Mercurius, ein Perser, an die Reihe; er war jung, beinahe noch ein Knabe, hatte ein gelbes Gesicht und schwarze Augen. Er war nicht weniger gefürchtet als Paulus Catena; man nannte ihn im Scherze »den Beamten der Traumgesichte«: so oft Mercurius von einem Traum erzählen hörte, dessen Sinn eine schlechte Bedeutung für die geheiligte Person des Kaisers haben konnte, beeilte er sich, es dem Kaiser zu hinterbringen. Viele mußten dafür büßen, daß sie Dinge im Traume sahen, die sie nicht sehen sollten. Die Höflinge behaupteten, daß sie sämtlich an unheilbarer Schlaflosigkeit litten, und beneideten die Bewohner der märchenhaften Atlantis, welche, nach einer Behauptung Platos, ganz ohne Träume schliefen.

Der Perser schob zwei äthiopische Eunuchen zur Seite, die eben die grünen, mit goldenen Adlern bestickten Schuhe des Kaisers (grüne Schuhe waren ein ausschließliches Privileg der kaiserlichen Majestät) verschnürten, fiel dem Herrscher zu Füßen, umarmte seine Knie, küßte sie und blickte ihn an, wie ein Hund, der mit dem Schwanze wedelnd und schmeichelnd, seinem Herrn in die Augen sieht.

»Deine Ewigkeit verzeihe mir!« flüsterte der kleine Mercurius mit der treuherzigen Ergebenheit eines Kindes. »Ich konnte nicht länger warten und bin so rasch als möglich zu dir geeilt. Gaudentius hat einen bösen Traum gehabt. Er sah dich in einem zerrissenen Gewande mit einem Kranz aus leeren, nach unten hängenden Kornähren auf dem Haupte . . .«

»Was soll das bedeuten?«

»Die leeren Ähren bedeuten Hungersnot; was aber das zerrissene Gewand betrifft, so wage ich nicht . . .«

»Eine Erkrankung?«

»Vielleicht noch etwas Schlimmeres. – Seine Frau hat mir gestanden, daß Gaudentius Traumdeuter zu Rate gezogen hat: Gott weiß, was sie ihm alles gesagt haben mögen . . .«

»Es ist gut, wir wollen noch später darauf zurückkommen. Sprich am Abend wieder vor.«

»Nein, jetzt gleich! Gestatte, ihn etwas zu foltern, ganz leicht, ohne Anwendung von Feuer. Dann haben wir noch den Fall mit den Tischtüchern . . .«

»Was sind das für Tischtücher?«

»Hast du es schon vergessen? Bei einem Gastmahl zu Aquitanien war der Tisch mit zwei Tischtüchern gedeckt, die so breite Purpurstreifen hatten, daß sie einer kaiserlichen Chlamys nicht unähnlich waren.«

»Waren die Streifen breiter als zwei Finger? Ich habe ja die Breite der Purpurstreifen durch ein Gesetz auf höchstens zwei Finger beschränkt.«

»O, die waren viel breiter! Ich sage ja, daß es genau wie eine kaiserliche Chlamys aussah. Denke dir nur, ein Tischtuch mit einer so gotteslästerlichen Verzierung! . . .«

Mercurius hatte einen solchen Vorrat von Anzeigen, daß er sie kaum alle auf einmal vorbringen konnte:

»In Daphni kam eine Mißgeburt zur Welt,« murmelte er schnell und stotternd. »Das Kind hat vier Augen, vier Ohren, zwei Stoßzähne und ist ganz behaart; die Wahrsager behaupten, es sei ein schlimmes Vorzeichen und bedeute die Spaltung des heiligen Reiches.«

»Wir wollen sehen. Schreibe alles auf und reiche es ein.«

Der Kaiser beendete seine Morgentoilette. Er warf noch einen Blick in den Spiegel und tauchte einen feinen Pinsel in ein kleines, silbernes Kästchen aus Filigran, das Schminke enthielt; es sah wie ein kleiner Reliquienschrein aus und trug auf dem Deckel ein Kreuz: Constantius war sehr fromm, und an allen Ecken und Enden seiner Wohnräume, sowie auch auf allen Gebrauchsgegenständen sah man zahllose Emaillekreuze und Monogramme Christi. Die Schminke, die er gebrauchte, war von jener teuersten Sorte, die man »Purpurissima« nannte und die aus dem rosa Schaum, den man beim Kochen des Saftes der Purpurschnecken in den Kesseln abschöpfte, gewonnen wurde. Constantius fuhr sich mit dem in die Schminke getauchten Pinsel geschickt über seine braunen und trockenen Wangen. Aus dem Zimmer, das »Porphyria« hieß und in dem ein besonderer fünfstöckiger Schrank mit den kaiserlichen Gewändern, das »Pentapyrgion«, stand, brachten die Eunuchen die Dalmatika herbei, die dermaßen von Edelsteinen und Gold strotzte, daß sie ganz steif und hart wie Blech war. Auf dem amethystfarbenen Purpurgrund waren geflügelte Löwen und Schlangen gestickt.

An diesem Tage sollte im Hauptsaale des Schlosses vor Mediolanum das Konzil zusammentreten.

Der Kaiser begab sich dahin durch eine Marmorgalerie mit durchbrochenen Wänden. Die Schloßwache – die Palatine – standen in zwei Reihen, stumm und unbeweglich wie Statuen, mit vierzehn Fuß langen Lanzen in den Händen. Den Zug eröffnete der Minister der allerhöchsten Gnadenbeweise – Comes sacrarum Largitionum – mit der goldgestickten, funkelnden und rauschenden Fahne Konstantins des Großen – dem »Labarum«, auf dem das Monogramm Christi prangte. Eigene Läufer – »Silentiarii« – liefen voraus und geboten allen andächtiges Stillschweigen.

In der Galerie begegnete der Kaiser seiner Gemahlin Eusebia Aurelia. Es war eine nicht mehr junge Frau mit blassem, müdem Gesicht und feinen aristokratischen Zügen; in ihren durchdringenden Augen leuchtete zuweilen ein böses Lächeln auf.

Die Kaiserin kreuzte ihre Hände über das Omophorium, das mit herzförmig geschliffenen Rubinen und Saphiren besät war, neigte den Kopf und sprach den vorgeschriebenen Morgengruß:

»Ich komme, um mich an deinem Anblick, mein Gemahl, zu erquicken. Wie geruhte deine Heiligkeit zu schlafen?«

Sie winkte und sofort traten die beiden Hofmatronen, Euphrosynia und Theophania, etwas zur Seite; dann sagte sie leise zu ihrem Gemahl:

»Heute wird sich dir Julianus vorstellen. Sei gnädig zu ihm. Glaube den Angebern nicht. Er ist ein unglücklicher und unschuldiger Knabe. Der Herr wird dich belohnen, wenn du ihm deine Gnade schenkst, mein Fürst!«

»Du bittest für ihn?«

Mann und Frau wechselten rasche Blicke.

»Ich weiß, daß du mir in allen Dingen vertraust,« sagte sie, »vertraue mir auch dieses Mal. Julianus ist dein getreuer Knecht. Gewähre mir die Bitte und sei freundlich zu ihm . . .«

Sie schenkte ihrem Gatten einen jener Blicke, die ihr noch immer eine große Gewalt über sein Herz verliehen.

Der Kaiser betrat den Porticus, der von dem Hauptsaal durch einen Teppichvorhang getrennt war; hinter dem Teppiche pflegte er die Verhandlungen des Konzils zu belauschen. Hier näherte sich ihm ein Mönch mit einer kreuzförmigen Tonsur auf dem Kopfe, mit einer Mönchskutte aus einem groben, dunklen Stoffe bekleidet. Es war Julianus.

Er beugte seine Knie vor Constantius, berührte mit der Stirne den Boden und küßte den Saum der kaiserlichen Dalmatika.

»Ich begrüße meinen Wohltäter, den siegreichen, großen und ewigen Cäsar Augustus Constantius. Deine Heiligkeit sei mir gnädig!«

»Es freut Uns, dich zu sehen, Unser Sohn.«

Der Vetter reichte Julianus gnädig die Hand zum Kusse. Julianus berührte mit seinen Lippen diese Hand, an der das Blut seines Vaters, seines Bruders und aller seiner Verwandten klebte.

Der Mönch erhob sich und richtete die glühenden Augen auf den Todfeind. Seine Hand umfaßte krampfhaft den Griff des Dolches, den er in den Falten seines Gewandes verborgen hatte.

Die kleinen, bleigrauen Augen des Constantius drückten unendlichen Ehrgeiz aus; doch ab und zu leuchtete in ihnen auch etwas von Tücke und Vorsicht auf. Er war klein von Wuchs, um einen ganzen Kopf kleiner als Julianus, hatte breite Schultern und schien stark und rüstig; seine Beine waren aber häßlich und krumm wie bei einem alten Zirkusreiter. Seine braune Haut hatte an den glatten Schläfen und Backenknochen einen unangenehmen Glanz; die dünnen Lippen waren streng zusammengepreßt, wie bei Leuten, die Ordnung und Pünktlichkeit über alles im Leben setzen: diesen Ausdruck haben oft alte Schulmeister.

Dies alles war Julianus verhaßt. Er fühlte, wie sich seiner eine blinde, tierische Wut bemächtigte; er konnte kein Wort über seine Lippen bringen und stand mit niedergeschlagenen Augen und schwer keuchend vor seinem Vetter.

Constantius lächelte: er glaubte, daß der Jüngling seinen kaiserlichen Blick nicht ertragen könne und von der überirdischen Majestät der römischen Kaiser geblendet sei. Er sagte hochmütig, doch wohlwollend:

»Fürchte dich nicht, o Knabe! Gehe in Frieden. Unsere Güte wird dir keinerlei Leid zufügen und wird auch in Zukunft ihre Wohltaten deiner Verwaistheit angedeihen lassen.«

Julianus trat in den Saal des Konzils. Der Kaiser, der im Porticus zurückblieb, legte sein Ohr an den Vorhang und begann mit listigem Lächeln zu horchen.

Er erkannte die Stimme des ersten Postmeisters des Reiches, Gaudentius, desselben, der den bösen Traum gehabt hatte:

»Ein Konzil auf das andere!« beklagte sich Gaudentius bei einem der Würdenträger. »Bald in Sirmien, bald in Sarden, bald in Antiochia und bald in Konstantinopel. Sie streiten sich herum und können unmöglich zu einer Einigung über das Wort ›Wesenseinheit‹ kommen. Man sollte aber doch auch an die armen Postpferde denken! Die Bischöfe reisen Hals über Kopf auf Staatskosten über das ganze Reich. Heute hin, morgen her, bald vom Westen, bald vom Osten. Ihnen folgt aber eine Unmenge von Priestern, Diakonen, Kirchendienern und Schreibern. Es ist ein Ruin! Unter zehn Postpferden wird sich kaum eines finden, das noch nicht von irgendeinem Bischof totgehetzt wäre. Noch fünf Konzile, – und alle meine Pferde werden krepieren, von den Postwagen werden aber die Räder abfallen. Im Ernst! Bedenke, daß die Bischöfe doch nie zu einer Einigung über die drei göttlichen Personen und die Wesenseinheit kommen werden!«

»Verehrtester Gaudentius, warum schreibst du nicht darüber einen Bericht an den Kaiser?«

»Ich fürchte, daß sie es mir nicht glauben und mich noch der Gottlosigkeit und der Mißachtung der Bedürfnisse der Kirche beschuldigen werden.«

Im großen, runden Saal, dessen Kuppelgewölbe von Säulen aus grüngeädertem, phrygischem Marmor getragen wurde, war es schwül. Durch die Fenster, die hoch oben an der Kuppel angebracht waren, fielen schräge Sonnenstrahlen herein. Das Durcheinander der Stimmen erinnerte an das Summen in einem Bienenkorbe.

Auf einem Podium war der Platz für den Kaiser vorbereitet – die »Sella Aurea« mit aus Elfenbein geschnitzten Löwenfüßen, die kreuzweise, wie bei den zusammenklappbaren Curialsesseln der altrömischen Consule, angeordnet waren.

Neben dem Throne stand der Presbyter Paphnutius. Sein gutmütiges Gesicht war vor Erregung gerötet.

»Ich, Paphnutius,« erklärte er, »werde alles so halten, wie ich es von den Vätern empfangen habe! Nach dem Glaubensbekenntnis, das von unserem heiligen Vater Athanasius, dem Patriarchen von Alexandria, aufgestellt ist, muß man in der Dreieinigkeit die Einheit, und in der Einheit die Dreieinigkeit verehren. Der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott, der heilige Geist ist Gott, und doch gibt es nicht drei Götter, sondern nur einen.«

Als ob er einen unsichtbaren Feind vernichten wollte, schlug er mit aller Kraft mit der riesengroßen Faust seiner Rechten auf die Handfläche der Linken. Er ließ seine Blicke triumphierend über die Versammlung schweifen und wiederholte:

»Wie ich es empfangen habe, so werde ich es auch halten!«

»He? Was? Was spricht er da?« fragte Osius, ein hundertjähriger Greis, der noch dem großen Konzil zu Nicäa beigewohnt hatte, »wo ist mein Hörrohr?«

Sein Gesicht drückte Hilflosigkeit und Bestürzung aus. Er war vollkommen taub, halb blind und hatte einen langen, silberweißen Bart. Ein Diakon setzte ihm das Hörrohr an das Ohr.

Ein blasser, magerer, vom langen Fasten ausgemergelter Mönch hatte sich an das Chorhemd des Paphnutius festgeklammert und suchte ihn zu überschreien:

»Vater Paphnutius! Was ist jetzt das? Alles dreht sich ja nur um ein einziges Wort: ›wesensgleich‹ oder ›wesensähnlich‹!«

Sich noch immer an das Chorhemd festhaltend, berichtete er dem Priester von den Schrecken, die er in Alexandria und Konstantinopel gesehen hatte.

Die Arianer hätten denjenigen, die das heilige Abendmahl in den ketzerischen Kirchen nicht empfangen wollten, den Mund mit eigenen, hölzernen Zangen aufgerissen und ihnen die Hostie gewaltsam zwischen die Zähne geschoben; Kinder folterten sie, den Frauen zerdrückten sie in Schraubstöcken die Brüste und brannten mit glühendem Eisen die Brustwarzen aus; in der Kirche der heiligen Aposteln hätte es ein solches Gemetzel zwischen den Arianern und den Orthodoxen gegeben, daß das Blut die Regencisterne gefüllt und den Platz vor dem Kirchenportal überströmt hätte; zu Alexandria hätte der Statthalter Sebastianus orthodoxe Jungfrauen mit stechenden Palmenzweigen peitschen lassen, so daß viele daran gestorben wären; ihre geschändeten Leichen lägen unbeerdigt vor den Stadttoren. – Und dies alles sei nicht einmal wegen eines Wortes, sondern bloß wegen eines einzigen Buchstabens – des griechischen Jotas in den Worten ὁμοούσιος – wesensgleich und ὁμοιούσιος – wesensähnlich – geschehen!

»Vater Paphnutius!« wiederholte der blasse, sanfte Mönch. »Alles nur wegen eines einzigen Jotas! Und dabei kommt in der ganzen heiligen Schrift das Wort οὔσια – Wesen überhaupt nicht vor! Warum streiten wir dann, und warum quälen wir so einander? Bedenke doch, Vater, wie schrecklich unsere Bösartigkeit ist! . . .«

»Was folgt daraus?« unterbrach ihn ungeduldig Paphnutius. »Sollen wir uns denn wirklich mit diesen verdammten Gotteslästerern, diesen Hunden einigen, die aus ihren ketzerischen Herzen die Lehre ausgespien haben, daß es eine Zeit gegeben habe, wo der Sohn noch nicht existiert hätte?«

»Ein Hirte, eine Herde!« verteidigte sich schüchtern der Mönch, »wollen wir doch etwas nachgeben . . .«

Paphnutius hörte ihm aber nicht zu. Er schrie so, daß an seinem Halse und den Schläfen, die mit Schweißtropfen bedeckt waren, die Adern anschwollen:

»Die Gottesleugner sollen schweigen! Es kann und wird nie so weit kommen! Ich verdamme die widerliche Ketzerei der Arianer! Wie ich es von den Vätern empfangen habe, so halte ich es!«

Der hundertjährige Osius nickte zustimmend und hilflos mit seinem greisen Haupte.

»Du bist heute so still, Vater Dorotheus! Du sprichst fast kein Wort? Oder bist du der Debatten überdrüssig?« fragte der Presbyter Phebas, ein hochgewachsener, blasser, schöner Mann mit ungewöhnlich langen, pechschwarzen Locken, einen alten Mann, der lebhaft und behend wie ein Jüngling war.

»Ich bin schon heiser, Bruder Phebas. Ich möchte gerne sprechen, habe aber keine Stimme. Ich habe mir neulich die Kehle überanstrengt, als man die verruchten Akakianer verdammte: nun bin ich schon seit zwei Tagen heiser.«

»Du solltest dir, Vater, den Hals mit rohem Ei spülen: es ist ein ausgezeichnetes Mittel.«

Am anderen Ende des Saales sprach Aetius, der Diakon von Antiochia, der extremste Anhänger der arianischen Lehre; man nannte ihn wegen seiner gotteslästerlichen Lehre von der heiligen Dreieinigkeit einen Gottlosen und einen Atheisten. Er hatte einen lustigen und spöttischen Gesichtsausdruck. Sein Leben war sehr abwechslungsreich gewesen: er war nacheinander Sklave, Kupferschmied, Taglöhner, Rhetor, Arzt, Schüler der alexandrinischen Philosophen gewesen und schließlich Diakon geworden. Er predigte, sich an dem Entsetzen der Zuhörer weidend:

»Gottvater ist in seinem Wesen dem Gottsohne fremd. Es gibt eine Dreieinigkeit, doch ist die Bedeutung der göttlichen Personen verschieden. Gott ist auch für den Sohn nicht erfaßbar, denn es steht nichts darüber geschrieben, daß auch Er in sich selbst enthalten sei. Der Sohn weiß nichts von seinem eigenen Wesen, denn einer, der einen Anfang hat, kann unmöglich mit seinem Geiste den Anfanglosen begreifen oder umfassen.«

»Lästere nicht Gott!« schrie empört Theonas, der Bischof von Marmarice. »Wie weit soll noch die satanische Frechheit dieser Ketzer gehen, ihr Brüder?«

»Verführe mir nicht die Einfältigen mit deinen süßen Reden!« fügte belehrend Sophronius, Bischof von Pompeopolis, hinzu.

»Wenn ihr mir mit irgendwelchen philosophischen Beweisen kommt, so will ich mich gerne bekehren lassen. Euer Geschrei und Geschimpfe sind aber nur Beweise eurer Ohnmacht!« entgegnete ruhig Aetius.

»In der Schrift steht geschrieben . . .« versuchte Sophronius einzuwenden.

»Was geht mich die Schrift an? Gott gab den Menschen die Vernunft, damit sie Ihn erkennen. Ich glaube an die Dialektik, und nicht an den Buchstaben der Schrift. Wenn ihr mit mir reden wollt, so müßt ihr euch an die Kategorien und Syllogismen des Aristoteles halten.«

Er hüllte sich mit verachtungsvollem Lächeln in sein Chorhemd, wie Diogenes in den kynischen Mantel.

Einzelne Bischöfe hatten bereits eine Verständigung angebahnt, indem sie sich in einzelnen Dingen entgegengekommen waren, als sich plötzlich der Arianer Narzissus aus Neronias in das Gespräch einmengte. Er galt als der beste Kenner sämtlicher Konzilbeschlüsse, Glaubensbekenntnisse und Kanone; im übrigen war er unbeliebt; man beschuldigte ihn der Bestechlichkeit und eines anstößigen Lebenswandels, obwohl man seine Gelehrsamkeit hoch schätzte. Er warf den Bischöfen ganz ruhig und gelassen das eine Wort hin:

»Ketzerei!«

»Wieso Ketzerei? Warum Ketzerei?« fragten mehrere Stimmen zugleich.

»Weil es noch auf dem Konzil zu Gangra in Paphlagonien als Ketzerei verurteilt worden war.«

Narzissus hatte kleine, schrägstehende Augen, die boshaft funkelten; ein ebenso boshaftes und schiefes Lächeln spielte auf seinen dünnen Lippen; sein leicht ergrautes Haar war struppig und hart wie Schweineborsten; sein Gesicht war vor Haß ganz verzerrt.

»Zu Gangra in Paphlagonien!« riefen die Bischöfe verzweifelt aus. »Und gerade an dieses Konzil haben wir nicht gedacht, was sollen wir nun anfangen, Brüder?«

Narzissus überblickte triumphierend die Versammlung.

»Herr, sei uns Sündern gnädig!« rief der gutmütige und einfältige Bischof Euzoius. »Ich kann nichts mehr begreifen. Der Kopf schwindelt mir: ὁμοούσιος, ὁμοιούσιος, wesensgleich, nicht wesensgleich, wesensähnlich, die göttlichen Personen . . . Die Ohren klingen mir von allen den griechischen Worten! Ich bin wie im Nebel und weiß selbst nicht mehr, woran ich glaube und woran ich nicht glaube, was Ketzerei ist, und was keine Ketzerei ist. Herr Jesu Christ, hilf uns! Wir sind von den Netzen des Teufels umgarnt und gehen zugrunde!«

Plötzlich verstummten Lärm und Geschrei. Die Kanzel betrat einer der Lieblinge des Kaisers, Bischof Ursacius von Sigidunum, mit einer langen Pergamentrolle in der Hand. Zwei Stenographen machten sich bereit, die Verhandlungen in ihre Bücher einzutragen und spitzten die feinen Federn aus ägyptischem Rohre – Calamus. Ursacius verlas die Botschaft des Kaisers an die Bischöfe:

»Constantius, Sieger und Triumphator, der Ewige und Ehrenwerte Augustus, an die in Mediolanum versammelten Bischöfe.«

In rohen und den Anstand verletzenden Worten forderte der Kaiser von dem Konzil die Absetzung des Patriarchen von Alexandria, Athanasius; den von allen geachteten, heiligen Greis nannte er »den gemeinsten aller Menschen, einen Verräter und einen Genossen des frechen und verabscheuungswürdigen Maxentius«.

Die dem Hofe ergebenen Bischöfe Valens, Eusebius und Auxentius beeilten sich das Schriftstück zu unterzeichnen. Die Versammelten begannen aber zu murren:

»Teuflisches Ärgernis, List und Tücke der arianischen Christusgegner! Wir wollen ihnen unseren Patriarchen nicht ausliefern!«

»Der Kaiser nennt sich ›ewig‹! Gott allein ist ewig! Es ist eine Gotteslästerung!«

Constantius, der hinter dem Vorhange horchte, hatte diese letzten Worte aufgefangen.

Er zog den Teppich plötzlich zurück und betrat den Saal des Konzils. Lanzenträger umgaben ihn. Der Kaiser war aufs höchste erregt. Eine unheimliche Stille trat ein.

»Was gibt's? Was gibt's?« stammelte der blinde Greis Osius. Sein Gesicht drückte Bestürzung und Staunen aus.

»Väter,« begann der Kaiser, mit größter Anstrengung seinen Zorn bemeisternd. »Gestattet doch mir, dem Diener des Allerhöchsten, meinen Eifer unter seiner Vorsehung bis ans Ende zu führen. Athanasius ist ein Aufwiegler, er hat zuerst den Weltfrieden verletzt . . .«

In der Menge erhob sich neues Murren.

Constantius verstummte und sah erstaunt die Reihen der Bischöfe an. Eine Stimme sagte:

»Wir verdammen die schändliche Ketzerei der Arianer!«

»Der Glaube, gegen den ihr euch erhebt,« entgegnete der Kaiser, »ist Unser Glaube, wenn er ketzerisch wäre, so hätte Uns Gott der Allmächtige nicht den Sieg über alle Unsere Widersacher – Constans, Vetranio, Gallus und den frechen und verabscheuungswürdigen Maxentius – verliehen! Warum hat der Herr selbst in Unsere geheiligte Rechte das Zepter des Weltalls gelegt?«

Die Väter schwiegen. Der höfische Schmeichler Valens, Bischof von Murcia, trat vor und begann mit ehrerbietiger Verbeugung:

»Der Herr wird die Wahrheit deiner Weisheit, o gottgeliebter Herrscher, offenbaren. Der Glaube, an den du glaubst, kann nicht ketzerisch sein. Nicht umsonst sah Cyrillus von Jerusalem am Tage deines Sieges über Maxentius ein wunderbares Zeichen am Himmel – ein Kreuz, von einem Regenbogen umgeben.«

»Das ist mein Wille!« unterbrach ihn Constantius, sich vom Throne erhebend. »Athanasius wird kraft der Gewalt, die Uns Gott verliehen hat, abgesetzt werden. Betet, daß endlich alle Reibereien und Wortkriege aufhören, daß die abscheuliche und mörderische Ketzerei der Sabellianer, der Anhänger des verruchten Athanasius, vernichtet werde und daß in allen Herzen die Wahrheit erstrahle . . .«

Plötzlich erbleichte er, und die Worte erstarben auf seinen Lippen.

»Was ist das? Wer hat ihn hereingelassen?«

Constantius wies auf einen schlanken Greis mit strengem und majestätischen Gesichtsausdruck: es war der wegen seines Bekenntnisses verfolgte und abgesetzte Hilarius, Bischof von Pictavium, einer der ärgsten Feinde des arianischen Kaisers; er war eigenmächtig zum Konzil gekommen, vielleicht in der Hoffnung, hier den Märtyrertod zu finden.

Der Greis erhob seine Rechte zum Himmel, als rufe er einen Fluch auf das Haupt des Kaisers herab, und seine laute Stimme erdröhnte in der Stille der Versammlung:

»Brüder! Christus naht, denn der Antichrist hat bereits gesiegt. Der Antichrist ist Constantius! Er schlägt uns nicht auf den Rücken, sondern liebkost unseren Bauch; er wirft uns nicht in die Gefängnisse, sondern verführt uns in kaiserlichen Palästen. – Cäsar, höre: ich sage dir das, was ich auch dem Nero, Decius und Maximianus, den offenbaren Feinden der Kirche gesagt hätte: du bist ein Mörder und hast nicht nur Menschen, sondern auch die göttliche Liebe gemordet! Nero, Decius und Maximianus haben Gott mehr gedient als du: unter ihrer Herrschaft haben wir oft den Teufel besiegt; unter ihrer Herrschaft floß das Blut der Märtyrer, das die Erde reinigte, und die Gebeine der Toten verrichteten zahllose Wunder. Doch du, Wütender, mordest uns, ohne uns einen ruhmreichen Tod zu gönnen! – Herr, schicke uns einen offenbaren Mörder, einen offenen Feind, wie es Nero oder Decius waren, damit das wohltätige und schreckliche Schwert deines Zornes die von den Küssen des Judas-Constantius geschändete Kirche auferstehen lasse! . . .«

»Verhaften, sofort verhaften! Ihn und alle Aufwiegler!«

Die Palatine und Schildträger stürzten sich auf die Bischöfe. Es entstand eine allgemeine Verwirrung. Hier und dort blitzten Schwerter.

Hilarius wurde unter rohen Beleidigungen von den Soldaten fortgeschleppt; man hatte ihm das Omophorium, das Schultertuch und die Stola vom Leibe gerissen.

Viele stürzten entsetzt zu den Ausgängen; man stieß einander und trat mit den Füßen auf die zu Boden Gefallenen.

Einer der Schreiber sprang auf die Fensterbank, um sich in den Hof zu retten; doch ein Soldat hielt ihn an seinem langen Gewande fest. Der Tisch mit den Tintenfässern wurde umgeworfen und rote Tinte floß auf die blauen Jaspisfließen des Fußbodens. Beim Anblick dieser roten Pfütze begann man zu schreien:

»Blut! Blut! Flieht!«

Andere riefen:

»Tod den Feinden des frömmsten Augustus!«

Paphnutius schrie mit Donnerstimme, während ihn zwei Legionäre fortschleppten:

»Ich bekenne das Konzil von Nicäa und verdamme die Ketzerei der Arianer!«

Viele schrien noch immer:

»Wesensgleich!«

Andere riefen dazwischen:

»Unsinn, unmöglich! Wesensähnlich!«

»Unähnlich, das heißt ἀνόμοιος. – Schweigt, ihr Gotteslästerer! – Anathema! – Wir verdammen! – Das Konzil zu Nicäa! – Das Konzil zu Sardes! – Zu Gangra in Paphlagonien! – Anathema!«

Der blinde Osius saß, von allen vergessen, auf seinem Bischofssessel und flüsterte kaum hörbar:

»Jesus Christe, Sohn Gottes, sei uns gnädig! Was ist es nun, Brüder? . . .«

Doch vergeblich streckte er seine schwachen Arme zu den in wahnsinniger Angst rennenden Geistlichen; vergeblich lallte er: »Brüder, Brüder, was ist nun das?« – Niemand sah und hörte den Greis. Und Tränen liefen ihm seine hundertjährigen Runzeln herab.

Julianus hatte diesen Vorgängen lächelnd zugesehen und triumphierte stumm und schadenfroh.


Spät am Abend, der diesem Tage folgte, schritten durch die grüne Ebene von Mediolanum gen Osten zwei mesopotanische Mönche, die von Bischöfen entfernter syrischer Provinzen zum Konzil gesandt worden waren.

Mit knapper Not hatten sie sich aus den Händen der Lanzenträger gerettet und gingen nun freudig nach Ravenna, um sich da einzuschiffen und in ihre Wüsten heimzukehren. Ihre Gesichter drückten Ermüdung und Trauer aus. Der eine von beiden war ein alter Mann und hieß Ephraim; der andere, Pimen, war ein Jüngling. Ephraim sagte zu Pimen:

»Bruder, es ist Zeit, wieder in unsere Wüste zu ziehen. Es ist besser, das Heulen der Schakale und Löwen zu hören, als das, was wir heute im kaiserlichen Palaste mitangehört haben. Mein liebes Kind! Selig sind die Schweigsamen. Selig sind, die sich hinter die Mauer des Schweigens zurückgezogen haben, wo sie die Streitigkeiten der Kirchenlehrer nicht erreichen. Selig sind, die die Nichtigkeit der Worte eingesehen haben. Selig sind, die nicht streiten. Selig ist, der die Geheimnisse der Gottheit nicht erforscht, sondern vor Deinem Angesicht, o Herr, wie eine Leier singt. Selig ist, der es erfaßt hat, wie schwer es ist, Dich zu erkennen, und wie süß es ist, Dich zu lieben, o Herr!«

Ephraim verstummte und Pimen sprach: »Amen!«

Die große Stille der Nacht umfing sie. Rüstig schritten sie, die Sterne als Wegweiser benutzend, gen Morgen, und freuten sich auf das Schweigen der Wüste.


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