Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XI.

Julianus besuchte seinen unglücklichen Bruder Gallus, als sich dieser auf der Durchreise in Konstantinopel aufhielt.

Er fand ihn umgeben von einer verräterischen Ehrenwache, die aus Würdenträgern des Constantius bestand: hier war der listige, höfliche Stutzer, der Quästor Leontius, der durch seine Kunst, an den Türen zu horchen und Sklaven auszufragen, berühmt war; der Tribun der Schildträger – Scutarier, der schweigsame Barbar Bainobaudes, der wie ein verkleideter Henker aussah; der würdevolle Zeremonienmeister des Kaisers, »Comes domesticorum«, Lucillianus; und schließlich derselbe Scudilo, der einst Kriegstribun in Cäsarea zu Kappadocien gewesen war und jetzt dank der Protektion mehrerer alten Damen eine Stellung am Hofe innehatte.

Gallus, der gesund, lustig und leichtsinnig wie immer schien, bewirtete Julianus mit einem ausgezeichneten Abendessen; er prahlte besonders mit einem fetten, kolchischen Fasan, der mit frischen Datteln aus Thebais gefüllt war. Er lachte wie ein Kind und sprach viel über die Jugendjahre in Macellum.

Julianus kam zufällig auf die Frau seines Bruders, Konstantina, zu sprechen, sofort veränderte sich Gallus' Gesichtsausdruck; er ließ seine Finger mit einem weißen, saftigen Stück vom Fasan, das er bereits zum Munde führte, wieder sinken; Tränen traten ihm in die Augen.

»Weißt du es denn noch nicht, Julianus? – Auf der Reise zum Kaiser – sie wollte ihn aufsuchen, um mich zu rechtfertigen – – starb Konstantina im Städtchen Coenon Gallicanon zu Bithynien an Fieber. Ich habe zwei Nächte durchgeweint, als ich von ihrem Tode erfuhr . . .«

Er schielte ängstlich nach der Türe, neigte sich zu Julianus' Ohr und flüsterte ihm zu:

»Seit jenem Tage habe ich alles aufgegeben . . . Sie allein könnte mich noch retten. Bruder, es war eine merkwürdige Frau. Nein, du weißt nicht, Julianus, was es für eine Frau war! Ohne sie bin ich verloren . . . Ich kann nichts unternehmen, kann nichts machen, ich habe keine Kraft . . . Sie machen mit mir alles, was sie wollen.«

Er leerte mit einem Zuge einen Becher unvermischten Weines.

Julianus dachte an Konstantina, eine nicht mehr junge Witwe, die Schwester des Constantius, die der böse Genius seines Bruders gewesen war; an die zahllosen und sinnlosen Verbrechen, die er ihr zuliebe begehen mußte, oft nur wegen irgendeiner kostbaren Bagatelle, wegen eines versprochenen Halsschmuckes; er wollte erraten, durch welche Kraft dieses Weib seinen Bruder so gefesselt hatte, und fragte:

»War sie schön?«

»Hast du sie denn nie gesehen? – Nein, sie war nicht schön, sie war sogar häßlich. Sie war braun, mit Pockennarben im Gesicht, klein vom Wuchse, und hatte schlechte Zähne; übrigens vermied sie zu lachen. Man erzählte mir, sie sei mir untreu gewesen, sei nachts verkleidet, wie die Messalina, in die Stallungen des Hippodroms zu den jungen Stallknechten gelaufen. Was geht mich das aber an? War ich ihr treu? Sie ließ mich in Ruhe, und ich sie. Man sagt, sie sei grausam gewesen. – Ja, sie verstand zu herrschen, Julianus. Sie haßte die Verfertiger der Gassenhauer, in denen diese Schurken ihr oft Vorwürfe wegen ihrer schlechten Manieren machten und sie mit einer verkleideten Küchenmagd verglichen. Sie verstand sich auf Rache. Doch welch ein Verstand, welch ein ungewöhnlicher Verstand, Julianus! Ich fühlte mich in ihrem Rücken sicher, wie hinter einer festen Mauer. Nun, wir haben dafür auch in Freuden gelebt und uns nach Herzenslust vergnügt! . . .«

In den angenehmen Erinnerungen schwelgend, beleckte er mit der Zungenspitze die noch vom Weine feuchten Lippen.

»Ja, das kann ich wohl sagen, wir haben gut gelebt!« schloß er nicht ohne Stolz.

Als Julianus zu seinem Bruder ging, hoffte er in ihm Reue zu wecken; er hatte sich sogar eine Rede im Stile des Libanius, die von den Tugenden des Staatsmannes handelte, vorbereitet. Er erwartete einen von der Geißel der Nemesis verfolgten Menschen vor sich zu sehen; er sah aber nur das ruhige Gesicht eines jungen Athleten. Die Worte erstarben auf seinen Lippen. Während er ohne Widerwillen und ohne Haß dieses »gute Tier« – so nannte er in seinen Gedanken den Bruder – betrachtete, dachte er, daß bei diesem eine Moralpredigt ebenso zwecklos sei, wie bei einem gemästeten Hengste.

Er fragte im Flüsterton, gleichfalls nach der Türe schielend:

»Wozu reist du nach Mediolanum? Weißt du denn nicht . . .?«

»Sprich nicht davon. Ich weiß alles. Ich kann aber nicht mehr umkehren . . . Es ist zu spät! . . .«

Er zeigte auf seinen weißen Hals.

»Eine Schlinge – verstehst du mich? Er zieht sie allmählich zusammen. Er wird mich auch aus der Erde hervorholen, Julianus. Es lohnt sich nicht mehr, darüber zu sprechen. Es ist zu Ende! Ich habe in Freuden gelebt, nun ist's genug . . .«

»Du hast ja noch zwei Legionen in Antiochia liegen?«

»Ich habe sie nicht mehr. Er hat mir allmählich, einen nach dem anderen, meine besten Soldaten weggenommen, angeblich zu meinem eigenen Wohl, alles zu meinem eigenen Wohl! Wie er um mich sorgt, wie er sich nach mir sehnt, wie er nach meinen Ratschlägen lechzt . . . Julianus, es ist ein schrecklicher Mensch! Du weißt noch nicht, was es für ein Mensch ist, und Gott behüte dich davor, daß du es je erfährst. Er sieht alles, selbst was fünf Ellen unter der Erde liegt. Er kennt meine verborgensten Gedanken, selbst solche, die das Kopfende meines Bettes nicht kennt. Er durchschaut auch dich, Bruder. Ich fürchte ihn! . . .«

»Kannst du nicht fliehen?«

»Leiser, leiser! . . . Was fällt dir ein! . . .«

Die trägen Gesichtszüge des Gallus drückten jetzt die Angst eines Schuljungen aus.

»Nein, es ist zu Ende! Ich bin wie ein Fisch an der Angel; er zieht mich langsam, ganz langsam heraus, damit die Schnur nicht reißt: ein Cäsar ist doch immerhin ziemlich schwer. Ich weiß, daß ich vom Angelhaken nie loskommen kann, und daß er mich früher oder später herausschleppen wird! . . . Ich sehe ja vollkommen ein, daß es eine Falle ist, ich bin ja nicht blind; und doch gehe ich selbst aus purer Angst hinein. Diese letzten sechs Jahre, ja auch früher, solange ich mich erinnern kann, lebte ich in ständiger Angst. Nun ist's genug! Ich habe mein Leben ausgiebig genossen, jetzt hat es ein Ende. – Bruder, er wird mich abschlachten, wie ein Koch das junge Huhn. Zuvor wird er mich aber mit seinen Finten und Gnadenbeweisen müde quälen. Es wäre wirklich besser, er schlachtete mich jetzt gleich ab! . . .«

In seinen Augen flammte es plötzlich auf.

»Wenn ich jetzt doch sie bei mir hätte – was glaubst du, Bruder, – sie könnte mich sicherlich noch retten! Darum sage ich ja, daß sie eine ungewöhnliche Frau gewesen ist! . . .«

Der Tribun Scudilo trat in das Triclinium und meldete mit ehrerbietiger Verbeugung, daß morgen, zu Ehren der Ankunft des Cäsars, im Hippodrom von Konstantinopel Pferderennen stattfinden werden, an denen der berühmte Reiter Korax teilnehmen wird. Gallus freute sich wie ein Kind. Er befahl, gleich einen Lorbeerkranz vorzubereiten, mit dem er seinen Liebling Korax, falls dieser siege, eigenhändig vor dem Volke bekränzen wollte. Dann brachte er das Gespräch auf Pferde, Rennen und berühmte Reiter.

Gallus trank sehr viel; seine Angst von vorhin war spurlos verschwunden; er lachte leichtsinnig und offenherzig, wie ein gesunder Mensch mit ruhigem Gewissen.

Als er aber im letzten Augenblick des Abschiedes Julianus umarmte, weinte er wieder, hilflos mit seinen blauen Augen zwinkernd.

»Gott helfe dir, Gott helfe dir! . . .« stammelte er in übertriebener Rührung, die vielleicht auch vom Weine kam . . . »Ich weiß, daß du allein mich wirklich geliebt hast, – du und Konstantina . . .«

Er flüsterte Julianus ins Ohr:

»Du wirst glücklicher sein, als ich: denn du verstehst dich zu verstellen. Ich habe dich immer darum beneidet . . . Also, helfe dir Gott! . . .«

Julianus fühlte Mitleid. Er sah, daß es dem Bruder nie gelingen würde, sich von der Angel des Constantius loszureißen.

Am nächsten Tage verließ Gallus mit der gleichen Ehrenwache Konstantinopel.

In der Nähe des Stadttores begegnete ihm der soeben für Armenien ernannte Quästor Taurus. Taurus, ein höfischer Emporkömmling, blickte dem Cäsar frech ins Gesicht, ohne ihn zu grüßen.

Inzwischen kamen immer neue Briefe vom Kaiser.

Von Adrianopel an durfte Gallus nur noch zehn Postwagen behalten und mußte daher sein ganzes Gepäck und die Dienerschaft, mit Ausnahme von zwei oder drei Cubiculariern und Mundschenken, zurücklassen.

Es war im Spätherbst. Die Straßen waren von dem unaufhörlichen Regen verdorben. Der Cäsar mußte eilen; man ließ ihm nicht Zeit zum Ausruhen und Ausschlafen; seit zwei Wochen hatte er kein Bad genommen. Dieses ihm ungewohnte Gefühl des Schmutzes quälte ihn am meisten: sein ganzes Leben lang war er um seinen gesunden, gut gepflegten Körper besorgt; jetzt betrachtete er traurig seine ungeputzten und ungepflegten Fingernägel und den kaiserlichen Purpur seiner von Staub und Schmutz bedeckten Chlamys.

Scudilo wich für keinen Augenblick von seiner Seite. Gallus hatte Grund, diesen übertrieben aufmerksamen Reisegenossen zu fürchten.

Als der Tribun einmal in irgendeinem Auftrage des Kaisers am Hofe von Antiochia weilte, beleidigte er mit einem unvorsichtigen Ausdrucke oder Anspielung die Gemahlin des Cäsars, Konstantina. Ihrer bemächtigte sich jene blinde, beinahe wahnsinnige Wut, die bei ihr öfters auftrat. Es hieß, daß Konstantina den kaiserlichen Gesandten peitschen und dann in ein Gefängnis werfen ließ; viele wollten übrigens nicht daran glauben, daß selbst die jähzornige Gemahlin des Cäsars imstande gewesen wäre, sich zu einer solchen Beleidigung der kaiserlichen Majestät in der Person des römischen Tribunen hinreißen zu lassen. Jedenfalls nahm Konstantina bald Vernunft an und ließ Scudilo aus dem Gefängnisse befreien. Er kehrte an den Hof des Cäsars zurück und tat so, als ob nichts vorgefallen wäre; um so mehr, als niemand etwas Bestimmtes über den Vorfall wußte; er enthielt sich sogar einer Anzeige und »verschluckte«, wie sich die Neider ausdrückten, stumm die ihm zugefügte Beleidigung. vielleicht fürchtete auch der Tribun, daß die Gerüchte von der entehrenden Züchtigung ihm bei seiner Karriere schaden könnten.

Als Gallus aus Antiochia nach Mediolanum reiste, fuhr Scudilo in einem Wagen mit dem Cäsar; er begleitete ihn auf Schritt und Tritt, behandelte ihn mit sklavischer Dienstfertigkeit und ließ ihn für keinen Augenblick allein. Er ging mit dem Cäsar wie mit einem verzogenen, kranken Kinde um, dem er, Scudilo, so zugetan sei, daß er es für keinen Augenblick verlassen könne.

Bei gefährlichen Flußübergängen, auf den holprigen Dammwegen der Illyrischen Sümpfe hielt er ihn mit zärtlicher Besorgtheit an der Taille; und wenn der Cäsar den Versuch machte, sich aus dieser Umarmung zu befreien, umfaßte er ihn noch fester und zärtlicher und behauptete, daß er es vorziehen würde zu sterben, als ein so wertvolles Leben auch nur der geringsten Gefahr auszusetzen.

Der Tribun hatte einen eigentümlichen, verträumten Blick, mit dem er, stumm lächelnd, den weichen Nacken des Gallus, der so weiß war, wie bei einem jungen Mädchen, zu betrachten pflegte; der Cäsar fühlte diesen Blick auf sich ruhen; er war ihm lästig, und er wandte sich manchmal um. In solchen Augenblicken überfiel ihn oft das Verlangen, den allzu liebenswürdigen Tribunen zu ohrfeigen; der arme Gefangene kam aber immer noch zu rechter Zeit zur Besinnung und beschränkte sich darauf, daß er mit klagender Stimme um einen kurzen Aufenthalt bat, um etwas zu sich nehmen zu können; trotz seiner traurigen Lage aß und trank er mit gewohntem Appetit.

In Norica kamen ihnen zwei neue Abgesandte des Kaisers entgegen: Comes Barbatio und Apodemus, von einer Kohorte kaiserlicher Soldaten begleitet.

Nun ließ man alle Larven fallen: das Nachtquartier des Gallus wurde wie ein Gefängnis mit Wachtposten umgeben.

Abends kam Barbatio zum Cäsar, ohne ihn in der gebührenden Form zu begrüßen, und befahl ihm, die kaiserliche Chlamys auszuziehen und eine einfache Tunika und ein Paludamentum anzulegen; Scudilo half ihm beim Ausziehen mit solchem Eifer, daß er den Purpur der Chlamys zerriß.

Am nächsten Morgen wurde der Gefangene in eine Carpenta, einen zweiräderigen Postwagen, wie sie die kleineren Beamten bei ihren Dienstreisen gebrauchten, gesetzt; der Wagen hatte kein Verdeck. Ein durchdringender Wind wehte über die Landstraße, und es schneite in großen, nassen Flocken. Scudilo hielt, nach seiner Gewohnheit, Gallus mit der einen Hand umarmt und betastete mit der anderen die neue Kleidung.

»Es ist ein schönes Kleid, wollig und warm. Meiner Ansicht nach ist es viel besser als der Purpur. Der Purpur hält nicht warm! Dieses da hat aber ein weiches, wollenes Futter . . .«

Als ob er das Futter betasten wollte, fuhr er mit der Hand unter das Kleid und die Tunika des Cäsars und zog plötzlich mit leisem, höflichen Kichern die Schneide eines Dolches hervor, den Gallus in den Falten verborgen hatte.

»Es ist nicht schön, wirklich nicht schön!« sagte Scudilo streng, doch liebevoll. »Man kann sich ja so leicht aus Versehen verletzen. Es ist doch kein Spielzeug!«

Mit diesen Worten warf er den Dolch auf die Landstraße.

Gallus spürte eine unendliche Mattigkeit und Schwäche. Er schloß die Augen und fühlte, wie ihn Scudilo mit noch größerer Zärtlichkeit umarmte. Dem Cäsar kam alles wie ein häßlicher Traum vor.

In der Nähe der Festung Pola zu Istrien am Adriatischen Meere machten sie halt. In dieser Stadt war vor einigen Jahren ein blutiges Verbrechen begangen worden – die Ermordung des jungen Helden Crispus, eines Sohnes Konstantins des Großen.

Die kleine Provinzstadt war fast ausschließlich von Soldaten bevölkert. Die unendlich langen Kasernenbauten zeigten den langweiligen Stil der diocletianischen Zeit. Auf den Dächern lag Schnee; in den leeren Gassen heulte der Wind; das Meer rauschte.

Gallus wurde in eine der Kasernen verbracht.

Man setzte ihn einem Fenster gegenüber, so daß das grelle Winterlicht ihm gerade in die Augen fiel. Der geschickteste der kaiserlichen Spione, Eusebius, ein kleiner, zusammengeschrumpfter und freundlicher Greis, begann ihn mit der leisen, einschmeichelnden Stimme eines Beichtvaters zu verhören, wobei er sich fortwährend vor Kälte die Hände rieb. Gallus spürte tödliche Ermattung; er sagte alles aus, was nur Eusebius von ihm haben wollte; als aber das Wort »Hochverrat« fiel, sprang er, blaß vor Aufregung, auf und stammelte hilflos und blöde:

»Ich war es nicht, ich war es nicht! Es war Konstantina! An allem war Konstantina schuld . . . Ohne sie hätte ich nichts unternommen, sie verlangte die Hinrichtung des Theophilus, des Domitianus, des Clematius, des Montius und der übrigen. Gott sei mein Zeuge, daß ich daran unschuldig bin . . . Sie hatte mir nichts davon gesagt. Ich wußte von nichts . . .«

Eusebius blickte ihn mit seinem stillen Lächeln an und sagte:

»Schön. Ich will es dem Kaiser berichten, daß seine eigene Schwester Konstantina, die Gemahlin des gewesenen Cäsars, an allem die Schuld trage. Das Verhör ist zu Ende. – Führt ihn fort!« befahl er den Legionären.

Bald darauf traf von Kaiser Constantius, der die Behauptung, daß seine verstorbene Schwester an allen in Antiochia begangenen Mordtaten schuldig sei, als eine persönliche Beleidigung auffaßte, das Todesurteil für Gallus ein.

Als es dem Cäsar verlesen wurde, verlor er die Besinnung und fiel in die Arme seiner Wächter. Der Unglückliche hatte noch bis zum letzten Augenblicke auf Begnadigung gehofft. Und auch jetzt glaubte er noch, daß man ihm noch wenigstens eine Frist von einigen Tagen, oder einigen stunden geben würde, damit er sich auf den Tod vorbereiten könnte. Aber es waren Gerüchte im Umlauf, daß die Soldaten der thebanischen Legion sich empört hätten und den Cäsar befreien wollten. Er wurde daher sofort zur Hinrichtung geführt.

Es war eine frühe Morgenstunde; nachts hatte es geschneit und der schwarze, klebrige Straßenkot war von weißem Schnee überdeckt. Kaltes, totes Sonnenlicht fiel auf den Schnee; auf den weiß getünchten Wänden der Kaserne, in die man Gallus verbracht hatte, lag ein blendender Widerschein.

Den Soldaten traute man nicht: sie liebten ihn und hatten mit ihm Mitleid. Mit dem Henkeramte wurde ein Metzger betraut, der schon einigemal auf dem Marktplatze von Pola an istrischen Dieben und Räubern die Hinrichtung vollzogen hatte. Der Barbar verstand nicht mit dem römischen Schwerte umzugehen; er brachte sein eigenes, breites, zweischneidiges Beil mit, mit dem er Schweine und Hammel abzuschlachten pflegte. Der Metzger war slawischer Abstammung und hatte ein stumpfsinniges, schönes, verschlafenes Gesicht. Man hatte vor ihm verheimlicht, daß der Delinquent ein Cäsar sei, und der Henker glaubte, daß er einen gewöhnlichen Dieb hinzurichten habe.

Gallus war vor seinem Tode ruhig und mild geworden. Mit blödem Lächeln gestattete er, alles mit ihm zu machen, was man nur wollte; er kam sich wie ein kleines Kind vor: auch in seiner Kindheit, so oft man ihn mit Gewalt in ein warmes Bad bringen wollte, hatte er geweint und sich gewehrt, dann aber immer nachgegeben: die Prozedur war nämlich gar nicht so unangenehm.

Als er aber sah, wie der Henker die breite Schneide des Beiles auf dem nassen Schleifsteine hin und her zog und das leise Klirren des Eisens hörte, begann er am ganzen Leibe zu zittern.

Man brachte ihn in ein Nebenzimmer; dort wurden seine weichen, goldenen Locken, die ein Stolz des schönen, jungen Cäsars waren, von einem Barbier vollständig abrasiert. Als er aus dem Zimmer des Barbiers zurückkam, stand er einen Augenblick lang Auge in Auge mit dem Tribunen Scudilo. Und der Cäsar fiel ganz unerwartet seinem ärgsten Feinde zu Füßen.

»Rette mich, Scudilo! Ich weiß, daß du alles kannst! Heute nacht erhielt ich einen Brief von den Soldaten der thebanischen Legion. Laß mich ihnen nur ein Wort sagen: sie werden mich befreien. Ich habe dreißig Talente in der Schatzkammer des Mysischen Tempels liegen. Niemand weiß etwas davon. Ich will sie dir geben. Ich werde dir noch mehr geben. Die Soldaten lieben mich . . . Ich werde dich zu meinem Freund, zu meinem Bruder, zu meinem Mitregenten, zu einem Cäsar machen! . . .«

Von einer wahnwitzigen Hoffnung ergriffen, umschlang er mit seinen Armen Scudilos Knie. Der Tribun fühlte plötzlich auf seinen Händen die Berührung von Gallus' Lippen und erbebte. Er sagte aber kein Wort, zog seine Hand langsam fort und blickte dem Cäsar lächelnd ins Gesicht.

Gallus mußte sich entkleiden. Er wollte nicht die Sandalen ausziehen, denn er hatte schmutzige Füße. Als er beinahe nackt war, begann der Metzger ihm die Hände hinter den Rücken zu binden, wie er es bei gewöhnlichen Dieben zu tun pflegte. Scudilo wollte dem Henker dabei behilflich sein. Als aber Gallus die Berührung seiner Finger fühlte, gebärdete er sich wie ein Tobsüchtiger: er riß sich aus den Händen des Henkers los, packte den Tribunen mit beiden Händen an der Gurgel und begann ihn zu würgen; nackt und groß, glich er einem jungen, starken und furchtbaren Tiere. Man packte ihn von hinten, schleppte ihn vom Tribunen fort und band ihn an Armen und Beinen.

In diesem Augenblicke erschollen unten im Kasernenhofe die Schreie der Soldaten der thebanischen Legion: »Es lebe der Cäsar Gallus!«

Die Mörder beeilten sich. Man brachte einen großen Holzklotz, der als Richtblock dienen sollte. Gallus mußte niederknien. Barbatio, Bainobaudes und Apodemus hielten ihn an den Armen, Beinen und am Kopfe fest. Scudilo beugte ihm den Kopf über den Holzklotz. Mit einem wollüstigen Lächeln auf den blassen Lippen stemmte er mit aller Kraft diesen sich hilflos wehrenden Kopf gegen das Holz; er fühlte unter den von freudiger Erregung erkalteten Fingern die glatte, frischrasierte Haut, die noch von der Seife des Barbiers feucht war, und betrachtete mit Entzücken den fleischigen, weichen Hals, der so weiß war, wie bei einem jungen Mädchen.

Der Metzger war ein höchst ungeschickter Scharfrichter. Als er das Beil niedersausen ließ, verfehlte er den Hals und streifte kaum die Haut. Als er das Beil zum zweiten Male erhoben hatte, schrie ihm Scudilo zu:

»Nicht so! Mehr nach rechts! Halte den Kopf mehr nach rechts!«

Gallus erzitterte und heulte dumpf und unmenschlich wie ein Stier, den man nicht gleich beim ersten Schlage getroffen hat.

Immer näher und deutlicher klang das Geschrei der Soldaten:

»Es lebe der Cäsar Gallus!«

Der Metzger erhob sein Beil und ließ es wieder niedersausen. Ein heißer Blutstrahl traf Scudilos Hand. Der Kopf fiel und rollte auf den steinernen Fußboden.

In diesem Augenblicke waren die Legionäre eingedrungen.

Barbatio, Apodemus und der Tribun der Scutarier stürzten zu der anderen Türe.

Der Henker blieb ganz verdutzt zurück. Scudilo hatte noch Zeit, ihm zuzuflüstern, daß er den Kopf des hingerichteten Cäsars forttragen solle: so werden es die Legionäre nicht erfahren, wem der kopflose Rumpf gehörte; sonst würden sie sie alle in Stücke reißen.

»Es war also kein Dieb?« murmelte der Henker ganz erstaunt.

Den glattrasierten Kopf konnte man nicht gut anfassen. Der Metzger nahm ihn zuerst unter den Arm. Das war ihm aber unbequem. Er steckte nun einen Finger in den Mund des Kopfes, vor dessen Blick sich einst so viele Menschenköpfe neigen mußten, und trug ihn davon.

Als Julianus vom Tode seines Bruders erfuhr, sagte er sich: »Jetzt ist die Reihe an mir!«


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