Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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V.

In einem der großen Säle des Palastes von Konstantinopel beschäftigte sich Julianus mit den laufenden Staatsgeschäften.

Zwischen den Porphyrsäulen der gedeckten Halle schimmerte das blaßblaue Meer hindurch. Der Kaiser saß vor einem runden Marmortisch, der mit Papyrus- und Pergamentrollen bedeckt war. Mehrere Schreiber kritzelten eifrig mit ihren ägyptischen Rohrfedern. Alle Beamten hatten verschlafene Gesichter; sie waren nicht gewohnt, so früh aufzustehen. Etwas abseits unterhielt sich der neue Archiereus Hecebolius im Flüsterton mit dem Beamten Junius Mauricus; dieser war ein höfischer Stutzer mit einem trockenen, gelben Gesicht und spöttischen Falten um die feinen Lippen.

Junius Mauricus war unter allen den gläubigen und abergläubischen Menschen einer der letzten Anhänger des Lukian, jenes großen Spötters aus Samosata, der in beißenden Dialogen alle Heiligtümer des Olymps und Golgathas, alle Überlieferungen von Hellas und Rom lächerlich gemacht hatte.

Julianus diktierte mit eintöniger Stimme einen Brief an den Oberpriester von Galatien, Arsakios:

»Verbiete deinen Priestern Theater und Schenken zu besuchen und sich mit erniedrigenden Gewerben zu beschäftigen. Belohne die Gehorsamen und bestrafe die Widerspenstigen. Richte in jeder Stadt eine Herberge ein, wo nicht nur Hellenen, sondern auch Christen, Juden und Barbaren von unserer Freigebigkeit Gebrauch machen können. Für die Armen von Galatien bestimmen wir jährlich dreißigtausend Maß Weizen und sechzigtausend Xesten Wein; ein Fünftel davon sollst du an die Armen, die bei den Tempeln wohnen, verteilen, den Rest aber an arme Reisende und Bettler: es wäre eine Schande, den Hellenen eine Unterstützung zu versagen, während die Juden gar keine Bettler haben und die gottlosen Galiläer Leute von jedem Glauben ernähren, obwohl sie dabei wie Schurken verfahren, die die Kinder mit Süßigkeiten verlocken: sie beginnen mit Gastfreundschaft, Barmherzigkeit und Einladungen zu Liebesmahlen, die sie Sakramente nennen, verführen die Gläubigen allmählich zur Gottlosigkeit, und enden mit Fasten, Geißelungen des Fleisches, Schrecknissen der Hölle, Wahnsinn und Tod; dies ist der gewöhnliche Weg dieser Menschenhasser, die sich Menschenfreunde nennen. Besiege sie durch Barmherzigkeit im Namen der ewigen Götter. Verkünde diesen meinen Willen in allen Städten und Dörfern; erkläre den Bürgern, daß ich immer und bei jeder Gelegenheit bereit bin, ihnen zur Hilfe zu kommen. Wenn sie aber mein besonderes Wohlwollen erlangen wollen, so sollen sie einmütig ihre Herzen und Seelen vor der Mutter der Götter, Dindymene von Pessinus, beugen und ihr in alle Ewigkeit Ehre und Ruhm erweisen.«

Die letzten Worte schrieb er mit eigener Hand.

Inzwischen wurde ihm das Frühstück gereicht, das aus einfachem Weizenbrot, frischen Oliven und einem leichten Weißwein bestand. Julianus aß und trank, ohne seine Arbeit zu unterbrechen; plötzlich wandte er sich um und fragte seinen alten Lieblingssklaven, der aus Gallien stammte und den Kaiser stets bei der Tafel bediente, auf den goldenen Teller mit den Oliven weisend:

»Warum der goldene? Wo ist der gewöhnliche Tonteller?«

»Verzeihe, Fürst! Er ist zerbrochen.«

»In Scherben?«

»Nein, nur der Rand ist abgeschlagen.«

»Bring ihn her.«

Der Sklave eilte fort und brachte einen Tonteller mit abgeschlagenem Rand.

»Das macht nichts, der Teller kann mir noch lange Zeit dienen,« sagte Julianus mit einem gutmütigen Lächeln.

»Ich habe bemerkt, meine Freunde, daß zerschlagene Gegenstände besser und länger dienen, als die neuen. Ich muß gestehen, daß ich diese Schwäche habe: ich hänge immer an alten Gegenständen und sehe an ihnen einen besonderen Reiz, wie an alten Freunden. Ich fürchte mich vor einer jeden Neuerung und Änderung. Das Alte, wenn es auch schlecht ist, tut mir immer leid; das Alte ist immer so gemütlich und rührend . . .«

Er lachte über seine eigenen Worte.

»Ihr seht, welche Gedanken mir zuweilen bei einem zerschlagenen Teller kommen!«

Junius Mauricus zupfte Hecebolius am Saume seines Gewandes:

»Hast du es gehört? Hier kannst du seine ganze Natur sehen: er hängt ebenso an seinen zerschlagenen Tellern, wie an seinen halbtoten Göttern. Und er soll nun über das Schicksal der Welt entscheiden! . . .«

Julianus geriet in Stimmung und kam von den Edikten und Gesetzen auf seine Pläne für die Zukunft zu sprechen: in allen Städten seines Reiches sollten Schulen, Lehrstühle, Vorlesungen über die hellenischen Glaubenssätze, festgesetzte Gebettexte und Tempelbußen, philosophische Predigten, Asyle für Männer, die die Keuschheit lieben und sich der Wissenschaft widmen, eingeführt werden.

»Wie gefällt es dir?« flüsterte Mauricus Hecebolius ins Ohr: »Jetzt plant er Klöster zu Ehren Aphrodites und Apollos. Es wird immer schöner! . . .«

»Ja, meine Freunde, dies alles wollen wir wirklich mit Hilfe der Götter ins Werk setzen,« schloß der Kaiser. »Die Galiläer wollen der Welt zeigen, daß nur sie allein etwas von Barmherzigkeit verstehen; die Barmherzigkeit ist aber allen Philosophen eigen, welchen Göttern sie auch dienen. Ich bin gekommen, um der Welt eine neue Liebe zu predigen; eine Liebe, die nicht sklavisch und abergläubisch ist, sondern frei und freudig wie der Himmel der Olympier!«

Er sah alle Anwesenden prüfend an. Er konnte aber in den Gesichtern der Beamten nichts von jenem Ausdruck entdecken, den er erwartete.

Einige Deputierte von den christlichen Lehrern der Rhetorik und Philosophie betraten den Saal. Vor kurzem war ein Edikt erlassen worden, der den galiläischen Lehrern den Unterricht in der hellenischen Redekunst untersagte; die christlichen Rhetoren mußten sich entweder von Christo lossagen oder ihre Lehrstühle verlassen.

Einer der Deputierten näherte sich dem Augustus mit einer Pergamentrolle in der Hand; es war ein schmächtiges, schüchternes Männchen, das einem alten, gerupften Papagei glich; zwei rotbackige, plumpe Scholaren begleiteten ihn.

»Frömmster Kaiser, erbarme dich unser!«

»Wie heißt du?«

»Papyrianus, Bürger von Rom.«

»Mein lieber Papyrianus, ich will euch nichts Böses tun. Im Gegenteil. Bleibt nur bei eurem galiläischen Glauben.«

Der Alte fiel dem Kaiser zu Füßen und umarmte seine Knie.

»Seit vierzig Jahren unterrichte ich in der Grammatik. Ich kenne den Homer und den Hesiod nicht schlechter als andere . . .«

»Was willst du also noch?« fragte der Kaiser mit finsterer Miene.

»Sechs Kinder habe ich, Fürst, und alle sind noch klein. Nimm mir nicht das letzte Stück Brot. Meine Schüler lieben mich. Frage sie nur . . . Lehre ich sie denn etwas schlechtes? . . .«

Papyrianus konnte vor Aufregung nicht weiter sprechen; er zeigte auf die beiden Schüler, die verlegen und errötend dastanden und nicht wußten, was sie mit ihren Händen anfangen sollten.

»Nein, Freunde!« unterbrach ihn der Kaiser leise und bestimmt. »Das Gesetz ist gerecht. Ich halte es für einen Unsinn, wenn die christlichen Rhetoren den Homer erläutern und dabei jene Götter, die Homer anbetete, verleugnen. Wenn ihr der Ansicht seid, daß unsere Weisen nichts als Märchen erdacht haben, so geht nur in eure Kirchen, um da den Matthäus und Lukas zu lehren! Merkt es euch, ihr Galiläer, daß ich es nur zu eurem eigenen Besten so angeordnet habe . . .«

Unter den Rhetoren brummte jemand in den Bart:

»Zu unserem eigenen Besten werden wir vor Hunger krepieren!«

»Christliche Lehrer, ihr fürchtet, euch mit dem Opferfleische oder dem Opferwasser zu verunreinigen,« fuhr der Kaiser unbeirrt fort, »warum fürchtet ihr nicht, euch damit zu verunreinigen, was gefährlicher ist, als jedes Fleisch und jedes Wasser, nämlich mit der falschen Weisheit? Ihr sagt: ›Selig sind, die da geistlich arm sind.‹ Seid also geistlich arm. Glaubt ihr vielleicht, daß ich eure Lehre nicht kenne? O, ich kenne sie besser, als irgendeiner unter euch! Ich sehe in den Geboten des Galiläers eine solche Tiefe, wie ihr sie gar nicht ahnt. Doch jedem das Seine: überlaßt uns unsere eitle Weisheit, unsere armselige, hellenische Gelehrsamkeit. Was braucht ihr diese verseuchten Quellen? Ihr seid doch im Besitze einer höheren Weisheit. Wir haben das Reich von dieser Welt, euch aber gehört das Himmelreich. Bedenkt doch: das Himmelreich ist doch nicht zu gering für so demütige und bescheidene Menschen, wie ihr es seid. Die Dialektik kann nur zu freigeisterischer Ketzerei führen! Im Ernst! Seid einfältig wie die Kinder. Ist denn die gottbegnadete Unwissenheit der Fischer aus Kapernaum nicht erhabener als alle Dialoge des Plato? Die ganze Weisheit der Galiläer besteht in dem einen Wort: glaube! Wenn ihr echte Christen wäret, so hättet ihr mein Gesetz gesegnet. Nicht euer Geist empört sich dagegen, sondern euer Fleisch, dem die Sünde süß ist. – Das ist alles, was ich euch zu sagen habe, und ich hoffe, daß ihr es mir nicht übel nehmt und einseht, daß der römische Kaiser mehr um euer Seelenheil besorgt ist als ihr selbst.«

Ruhig und mit seinen Worten zufrieden schritt er durch die Menge der Rhetoren.

Papyrianus, der noch immer kniete, raufte sich seine dünnen, grauen Locken.

»Wofür? Himmelskönigin, wofür müssen wir das erdulden?«

Als die Schüler den Schmerz ihres Lehrers sahen, trockneten sie sich mit den plumpen, roten Fäusten ihre hervorquellenden Tränen.


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