Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XV.

Das Heer marschierte am linken Ufer des Euphrat.

Die weite, wie der Meeresspiegel glatte Ebene war mit silbergrauem Wermut bedeckt. Bäume waren nicht zu sehen. Den Sträuchern und Gräsern entströmte ein starker Duft. Zuweilen erschien am Horizont eine Herde wilder Esel, die große Staubwolken aufwirbelten. Auch Strauße liefen vorbei. Die Soldaten brieten auf ihren Feldfeuern das fette, leckere Fleisch der Trappgans. Scherze und Lieder verstummten nicht bis in die späten Nachtstunden. Der Feldzug war für die Soldaten wie ein Spaziergang. Schlankbeinige Gazellen flohen anmutig und leicht, die Erde kaum berührend, vorüber; ihre Augen waren zart und traurig wie die schöner Frauen. Die Wüste empfing die Krieger, die nach Ruhm, Beute und Blut lechzten, stumm und freundlich mit sternklaren Nächten, stillen Sonnenuntergängen und der wohlriechenden, mit dem Dufte des bitteren Wermuts geschwängerten Dämmerung.

Sie zogen immer weiter und weiter, ohne auf den Feind zu stoßen.

Kaum waren sie an einem Ort vorbeigezogen, als die Stille sich wieder hinter ihnen schloß, wie das Wasser über einem versunkenen Schiffe; die von den Füßen der Krieger niedergetretenen Grashalme richteten sich langsam wieder auf.

Plötzlich wurde die Wüste unheimlich und drohend. Gewitterwolken bedeckten den Himmel. Ein Wolkenbruch ging nieder. Ein Soldat wurde, während er Pferde zur Tränke führte, vom Blitz erschlagen.

Ende April kamen heiße Tage. Die Soldaten beneideten ihre Kameraden, die im Schatten eines Kamels oder eines vollbepackten, mit einem leinenen Regendach überspannten Wagens gehen durften, viele Männer des fernen Nordens, Gallier und Skythen erlagen dem Sonnenstich. Die Ebene war trist und kahl geworden; nur hie und da war sie noch mit blassen Büscheln verbrannten Grases bedeckt. Die Füße sanken im Lande ein.

Zuweilen kamen so starke Windstöße, daß Fahnen und Zelte umgeworfen wurden und Menschen und Pferde niederfielen. Dann trat wieder jene tote Stille ein, die den erschrockenen Soldaten noch schrecklicher als jeder Sturm war. Scherze und Lieder waren verstummt. Das Heer zog aber immer weiter und weiter, ohne auf die Feinde zu stoßen.

Anfang Mai gelangten sie in die Palmenhaine Assyriens.

Bei Macephracta, wo noch die Trümmer der großen, von den altassyrischen Königen erbauten Mauer erhalten waren, erblickten sie zum erstenmal den Feind. Die Perser zogen sich jedoch in unerwarteter Eile zurück.

Unter einem Regen von Pfeilen gingen die Römer über den tiefen, mit babylonischen Ziegelsteinen ausgelegten Kanal Nahar-Malcha, – »den Strom der Könige«, der den Euphrat mit dem Tigris verband und ganz Mesopotamien schnurgerade durchquerte.

Plötzlich waren die Perser wieder verschwunden. Das Wasser im Nahar-Malcha begann zu steigen; er trat aus den Ufern und überflutete die angrenzenden Fluren: die Perser hatten die Überschwemmung selbst herbeigeführt, indem sie die Schleusen und Dämme der Kanäle, die in seinen Verzweigungen die Felder der assyrischen Ebene bewässerten, öffneten.

Das Fußvolk watete bis zu den Knien im Wasser; die Füße versanken im klebrigen Lehmboden; ganze Abteilungen versanken in unsichtbaren Gräben und Gruben; selbst Reiter und beladene Kamele versanken auf diese Weise; man mußte mit langen Stangen nach den richtigen Wegen tasten.

Die Felder verwandelten sich in Seen, die Palmenhaine in Inseln.

»Wohin gehen wir?« murrten die Kleinmütigen. »Was suchen wir denn? Wo ist unser Ziel? Warum sollten wir nicht gleich zum Flusse zurückkehren und uns einschiffen? Wir sind doch keine Frösche, um in den Pfützen herumzuschwimmen!«

Julianus ging selbst an den gefährlichsten Stellen immer zu Fuß; wenn es galt, die schweren, im Schlamm versunkenen Wagen herauszuziehen, legte er selbst Hand an; er scherzte und zeigte den Soldaten seinen durchnäßten und mit dem dunkelgrünen Schlamm beschmierten, kaiserlichen Purpur.

Sie bauten aus Palmenstämmen Dammwege und aus leeren Weinschläuchen Brücken.

Noch vor dem Anbruch der Nacht gelangten sie auf trockenes Land. Die ermüdeten Soldaten verfielen in einen unruhigen Schlaf.

Bei Sonnenaufgang erblickten sie die Festung Perisabora. Die Perser verhöhnten die Feinde von den uneinnehmbaren Türmen und Mauern herab, die sie mit dicken, zottigen Decken aus Ziegenfellen gegen die Stöße der Belagerungsmaschinen geschützt hatten. Einen ganzen Tag lang schwirrten nur Schimpfworte und Wurfgeschosse hin und her.

In der folgenden mondscheinlosen Nacht luden die Römer in der größten Stille von den Schiffen die Katapulte ab und rückten sie an die Mauern heran. Die Gräben verschütteten sie mit Erde.

Mit einem »Malleolus« – einem großen, spindelförmigen, mit einer Zündmasse aus Pech, Schwefel, Öl und Bergharz versehenen brennenden Pfeil gelang es ihnen, einen der Fellschilde an der Mauer der Festung in Brand zu stecken. Die Perser eilten an diese Stelle, um das Feuer zu löschen. Der Kaiser nützte diesen Augenblick der Verwirrung aus, und ließ einen Sturmbock heranrollen. Es war ein riesiger Fichtenstamm, der an einem Ende einen ehernen Widderkopf trug und in einer aus Holzbalken zusammengefügten Pyramide auf eisernen Ketten hing. Hunderte von Soldaten zogen unter gleichmäßigem gedehnten Geschrei »eins, zwei, drei!« an den dicken, aus Ochsensehnen geflochtenen Seilen, so daß sich auf ihren nackten, braunen Schultern alle Muskeln anspannten, und brachten den großen Sturmbock langsam in schwingende Bewegung.

Der erste Schlag klang wie Donner; die Erde erdröhnte, und die Mauern erzitterten; dann folgten die Schläge in kurzen Zwischenräumen aufeinander; der Fichtenstamm schaukelte hin und her, und die Schläge regneten auf die Mauer; der Widder schien in Wut geraten zu sein und schlug hartnäckig und zornig mit seiner ehernen Stirne gegen die Mauer. Plötzlich krachte es: eine ganze Ecke der Mauer stürzte ein.

Die Perser flohen mit Geschrei.

Julianus, dessen Helm in der Staubwolke funkelte, stürmte freudig und Schrecken verbreitend in die eroberte Stadt.

Das Heer zog weiter. Es hatte zwei Tage lang in den schattigen, kühlen Hainen der Ruhe gepflegt und sich mit einem säuerlichen Erfrischungsgetränk, das aus Palmensaft bereitet war und wie Wein schmeckte, und mit bernsteingelben, durchsichtigen Datteln gelabt.

Sie zogen wieder durch eine nackte Ebene, die aber nicht mehr sandig, sondern steinig war. Die Hitze wurde unerträglich; Tiere und Menschen starben haufenweise; in den Mittagsstunden lagerte die glühende Luft über den Felsen in wellenförmigen, zitternden Schichten; der Tigris schlängelte sich träge durch die aschgraue Wüste und glich mit seinen schimmernden Silberschuppen einer in der Sonnenglut ruhenden Schlange.

Endlich erblickten die Römer über dem Tigris einen senkrechten, rötlichen, kahlen Felsen, dessen spitze Zacken hie und da abgebröckelt waren: es war die Festung Maogamalcha, die zum Schutze der südlichen Hauptstadt Persiens – Ktesiphon – diente; die Festung, ein wahrer Adlerhorst, schien noch uneinnehmbarer als Perisabora; die sechzehn Türme und die doppelte Mauer von Maogamalcha, die, wie alle assyrischen Bauarten, Jahrtausenden trotzten, waren aus den berühmten, in der Sonne getrockneten und mit Bergharz zusammengefügten babylonischen Ziegelsteinen errichtet.

Nun begann die Belagerung. Wieder knirschten unermüdlich die plumpen, hölzernen Glieder der Ballisten, knarrten die Hebel, Räder und Winden der Skorpione, zischten die brennenden Malleoli.

Es war zu jener Stunde, in der die Eidechsen in den Felsspalten zu schlafen pflegen; die Sonnenglut lag auf den Rücken und Köpfen der Soldaten wie eine unerträgliche Last. Die Soldaten achteten in ihrer Verzweiflung weder auf die Befehle der Vorgesetzten, noch auf die drohende Gefahr und warfen die glühenden Panzer und Helme von sich ab, denn sie zogen Wunden der Sonnenhitze vor. Über den dunkelbraunen Türmen und Zinnen von Maogamalcha, von denen es ununterbrochen vergiftete Pfeile, Speere, Steine, bleierne und tönerne Kugeln, brennende persische Falaricas, die die Luft mit Schwefel- und Naphthagestank verpesteten, regnete, hing der staubige, durch den Dunst nur schwach bläulich schimmernde, blendende, gnadenlose Himmel, erschreckend wie der Tod. Schließlich besiegte der Himmel die Feindschaft der Menschen: die Belagerer und die Belagerten stellten, von der Hitze ermattet, den Kampf ein.

Es trat eine Stille ein, atemloser als in der finstersten Nacht; sie schien in der hellen Mittagssonne unheimlich.

Die Römer ließen ihren Mut nicht sinken: nach der Eroberung vor Perisabora begannen sie an die Unbesiegbarkeit des Kaisers Julianus zu glauben; sie verglichen ihn mit Alexander dem Großen und erwarteten täglich Wunder.

Einige Tage lang gruben die Soldaten an der Ostseite von Maogamalcha, wo die Felsen nicht so jäh zur Ebene herabfielen, einen unterirdischen Gang; der Gang führte unter den Festungsmauern und mündete innerhalb der Stadt; er war drei Ellen breit, so daß ihn die Soldaten paarweise passieren konnten; in bestimmten Abständen voneinander waren dicke Balken angebracht, die die Decke stützten. Die Soldaten beschäftigten sich mit den Erdarbeiten mit großer Freude, denn die feuchte Kühle und das Dunkel waren ihnen nach der Sonnenglut besonders angenehm.

Sie scherzten: »Wir waren Frösche, jetzt sind wir Maulwürfe.«

Drei Kohorten, nämlich die Mattiarii, Laccinarii und Victorii, fünfzehnhundert der tapfersten Krieger, traten in größter Stille in den unterirdischen Gang und erwarteten ungeduldig den Befehl der Feldherren, in die Stadt einzudringen.

In der Morgendämmerung wurde die Festung absichtlich von zwei verschiedenen Seiten angegriffen, um die Perser abzulenken.

Julianus führte selbst die Soldaten auf einem schmalen, steilen Pfade, unter einem Hagel von Pfeilen und Steinen zum Sturm. Er weidete sich an der Gefahr und dachte: »Wollen wir sehen, ob mich die Götter beschirmen werden, ob ein Wunder geschieht, ob ich auch jetzt dem Tode entgehe!«

Eine unstillbare Neugier, ein Durst nach Übernatürlichem trieb ihn in die Gefahr; mit einem herausfordernden Lächeln versuchte er das Schicksal; er fürchtete nicht den Tod, sondern nur einen Mißerfolg in diesem Spiele mit dem Schicksal.

Seine Soldaten folgten ihm gleichsam bezaubert und von seinem Wahnsinn angesteckt.

Die Perser spotteten über alle Anstrengungen der Belagerer, sangen den Ruhm des Königs Sapores, des Sohnes der Sonne, und riefen den Römern von den in die Wolken ragenden Zinnen herab zu:

»Julianus wird eher in den Palast des Ormuzd eindringen, als in unsere Festung!«

Im Feuer des Sturmes gab der Kaiser den Feldherren flüsternd den Befehl.

Die Soldaten, die im unterirdischen Gange lauerten, drangen in die Stadt ein und gelangten zuerst in einen Keller, wo eine alte persische Bäckerin ihren Teig knetete. Als sie die römischen Legionäre erblickte, begann sie durchdringend zu schreien. Man tötete sie.

Die Römer schlichen unbemerkt durch die Stadt und überfielen die Belagerten im Rücken. Die Perser ließen ihre Waffen fallen und zerstreuten sich in den Straßen von Maogamalcha. Die Römer sperrten die Tore von innen auf, und so wurde die Stadt von zwei Seiten zugleich erobert.

Niemand zweifelte mehr, daß Julianus, wie einst Alexander von Makedonien, die persische Monarchie bis zum Indus erobern würde.

Das Heer näherte sich der südlichen Hauptstadt Persiens, Ktesiphon. Die Schiffe lagen inzwischen auf dem Euphrat. Mit einer fieberhaften, fast unheimlichen Eile, die den Feinden keine Zeit zur Besinnung zu kommen, ließ, wurde auf Julianus' Befehl das Werk der alten Römer, der von Trajanus und Septimus Severus errichtete Verbindungskanal, den die Perser aus Vorsicht mit Steinen zugeschüttet hatten, wiederhergestellt. Durch diesen Kanal ließ er die Flotte in den Tigris, etwas oberhalb der Mauern von Ktesiphon, kommen. So war der Sieger in das Herz der asiatischen Monarchie eingedrungen.

Am nächsten Abend versammelte Julianus seine Feldherren zum Kriegsrate und erklärte ihnen, daß er nachts das Heer auf das andere Ufer an die Mauern von Ktesiphon bringen wolle. Die erfahrenen Heerführer, – Dagalaifus, Hormisdas, Secundinus, Victor und Sallustius, – erschraken und bemühten sich, den Kaiser zu überreden, diesen allzu kühnen Entschluß fallen zu lassen; sie wiesen hin auf die Ermattung des Heeres, auf die Breite und die starke Strömung des Flusses, auf die Steilheit des anderen Ufers, auf die Nähe von Ktesiphon und des großen Heeres des Königs Sapores und auf die Unvermeidlichkeit eines Ausfalles der Perser während des Flußüberganges der Römer. Julianus wollte auf nichts hören.

»Wie lange wir auch warten wollten,« rief er schließlich ungeduldig aus, »der Fluß wird nie schmäler und seine Ufer werden nie zugänglicher werden; das persische Heer wird aber von Tag zu Tag durch neue Hilfstruppen verstärkt. Wenn ich auf euren Rat hören wollte, so säßen wir auch heute noch in Antiochia!«

Die Feldherren verließen bestürzt sein Zeit.

»Er wird es nicht aushalten,« sagte seufzend der erfahrene und schlaue Dagalaifus, ein Barbar, der in römischen Diensten ergraut war. »Merkt euch, was ich sage: er wird es nicht aushalten! . . . Er ist zwar lustig und frohen Mutes, doch gefällt mir sein Gesicht nicht. Diesen Ausdruck habe ich nur bei Menschen, die der Verzweiflung nahe und zu Tode erschöpft waren, beobachtet.«

Die nebelige, glühende Abenddämmerung senkte sich auf den Wasserspiegel des breiten Stromes. Das Signal wurde gegeben; fünf Kriegsgaleeren mit vierhundert Soldaten stießen ab; lange hörte man noch das Aufklatschen der Ruder; dann wurde alles still; die Dämmerung war undurchdringlich. Julianus blickte gespannt vom Ufer den Galeeren nach. Er verbarg seine Erregung unter einem Lächeln. Die Heerführer tuschelten miteinander. Plötzlich leuchtete in der Dunkelheit ein Feuer auf. Alle blickten mit verhaltenem Atem auf den Kaiser. Er wußte, was dieses Feuer bedeutete. Den Persern war es gelungen, die römischen Schiffe mit brennenden Wurfgeschossen, die sie geschickt von ihrem steilen Ufer geworfen hatten, in Brand zu stecken.

Er erbleichte; sofort gewann er aber seine Fassung wieder, sprang, ehe die Soldaten zur Besinnung kommen konnten, auf das erste beste Schiff, das am Ufer lag, und schrie triumphierend, sich an das Heer wendend:

»Sieg! Sieg! Seht ihr das Feuer?! Sie haben das andere Ufer erreicht und sich seiner bemächtigt. Ich habe der abgesandten Kohorte befohlen, im Falle eines Erfolges, Siegesfeuer anzuzünden. Kameraden, mir nach!«

»Was tust du?« flüsterte ihm der vorsichtige Sallustius ins Ohr. »Wir sind verloren: es ist ja eine Feuersbrunst! . . .«

»Der Cäsar ist von Sinnen!« raunte Hormisdas entsetzt Dagalaifus zu.

Der schlaue Barbar zuckte verständnislos mit den Achseln.

Das Heer stürmte unaufhaltsam zum Ufer. Mit dem begeisterten Geschrei »Sieg! Sieg!«, einander umstoßend und überrennend, hie und da ins Wasser fallend und unter lustigen Schimpfworten wieder herauskletternd, stürzten sie sich alle auf die Schiffe. Einige kleinere Barken wären um ein Haar gesunken. Die Galeeren konnten die Soldaten nicht fassen.

Viele Reiter ließen sich von ihren Pferden durch den reißenden Strom tragen. Die Kelten und Bataver gebrauchten ihre großen Lederschilde, die kleinen Nachen glichen, als Boote und durchschwammen auf ihnen das dunkle Wasser; sie schwammen furchtlos durch den Nebel, und ihre Schilde kreisten in den Strudeln; die Soldaten achteten auf keine Gefahr und schrien begeistert: »Sieg! Sieg!«

Die starke Strömung wurde von den zahllosen Schiffen, die sich auf dem Flusse stauten, gedämpft. Das Feuer auf den fünf vorderen Galeeren wurde ohne Mühe gelöscht.

Die Soldaten begriffen erst jetzt die kühne, fast wahnsinnige List, die der Kaiser angewendet hatte; sie wurden dadurch aber nur noch freudiger gestimmt: jetzt, da diese Gefahr überwunden war, schien ihnen alles möglich.

Kurz vor Tagesanbruch bemächtigten sich die Römer der Höhen auf dem gegenüberliegenden Ufer, sie hatten kaum Zeit, sich mit einem kurzen Schlaf, ohne Waffen und Rüstung abzulegen, zu erquicken, als sie beim Morgengrauen ein großes Heer erblickten, das aus Ktesiphon in die Ebene vor die Stadt herausgerückt war.

Die Schlacht dauerte zwölf Stunden. Die Perser kämpften verzweifelt. Die römischen Soldaten sahen hier zum erstenmal die großen Kriegselefanten, die eine ganze Kohorte wie ein Ährenfeld niedertreten konnten.

Der Sieg war so glänzend, wie ihn die Römer seit der Zeit der großen Kaiser Trajanus, Vespasianus und Titus nicht mehr errungen hatten.

Bei Sonnenaufgang brachte Julianus dem Kriegsgotte Ares ein Dankopfer dar, das aus zehn weißen Stieren, schön, wie die auf den althellenischen Marmorbildwerken dargestellten, bestand. Alle waren frohen Mutes. Nur die etruskischen Auguren bewahrten wie immer ihre trotzige und unheimliche, finstere Miene. Nach jedem Siege Julianus' wurden sie noch finsterer, noch schweigsamer. – Man führte den ersten Stier zum flammenden, mit Lorbeeren bekränzten Altar. Der Stier schritt träge und willig; plötzlich stolperte er, fiel auf die Knie und steckte mit einem kläglichen, einem menschlichen Schrei ähnlichen Gebrüll, das alle Anwesenden erschaudern machte, seine Schnauze in den Staub; ehe noch das zweischneidige Beil des Victimarius seine breite Stirne berührt hatte, – erzitterte er und verendete. Man brachte einen anderen herbei. Auch er fiel tot zu Boden. So auch der dritte und der vierte. Die Stiere näherten sich dem Altar matt und schwach, kaum sich auf den Beinen haltend, gleichsam von einer tödlichen Krankheit befallen, und verendeten mit traurigem Brüllen. Ein Murmeln des Entsetzens ging durch die Reihen des Heeres. Es war ein unheimliches Vorzeichen.

Man behauptete, daß die etruskischen Priester die Opferstiere absichtlich vergiftet hätten, um sich an dem Kaiser wegen der Mißachtung ihrer Prophezeiungen zu rächen.

Neun Stiere waren verreckt. Der zehnte riß sich los, zerriß die Fesseln und raste brüllend und Schrecken verbreitend durch das Lager. Er lief zum Tore hinaus und man konnte ihn nicht wieder einfangen.

Die Opferungen wurden unterbrochen. Die Auguren triumphierten.

Als man die verendeten Stiere sezierte, erkannte Julianus mit seinem geübten Auge eines Wahrsagers in ihren Eingeweiden so unzweifelhafte und schreckliche Vorzeichen, daß er erblaßte und sich abwendete. Er wollte lächeln, konnte es aber nicht. Plötzlich trat er an den flammenden Altar heran und stieß ihn mit aller Wucht mit dem Fuß. Der Altar schwankte, blieb aber stehen. Die Menge seufzte schwer auf, wie aus einer Brust. Der Präfekt Sallustius eilte zum Kaiser und flüsterte ihm ins Ohr:

»Die Soldaten schauen zu . . . Es ist besser, den Gottesdienst abzubrechen . . .«

Julianus stieß ihn fort und schlug nach heftiger mit dem Fuß gegen den Altar; der Altar fiel um, die Kohlen zerstreuten sich, das Feuer erlosch, doch stieg der wohlriechende Rauch noch dichter empor.

»Wehe, wehe! Man entweiht den Altar!« rief man in der Menge.

»Ich sagte dir ja, daß er von Sinnen ist!« stammelte Hormisdas entsetzt, Dagalaifus bei der Hand ergreifend.

Die etruskischen Auguren standen nach wie vor ruhig und würdevoll mit leidenschaftslosen, gleichsam steinernen Gesichtern.

Julianus erhob die Arme zum Himmel und rief mit lauter Stimme:

»Ich schwöre bei der ewigen Freude, die hier in meinem Herzen wohnt, daß ich mich von euch lossage, wie ihr euch von mir losgesagt habt, daß ich euch verlasse, wie ihr mich verlassen habt, ihr Seligen, ihr Machtlosen! Nun stehe ich allein euch gegenüber, ihr Gespenster des Olymps! . . .«

Ein vor Alter gebeugter, neunzigjähriger Augur mit langem, weißem Barte und einem Krummstabe näherte sich dem Kaiser und legte ihm seine feste und starke Hand auf die Schulter.

»Sei still, mein Kind! Wenn du das Geheimnis erfaßt hast, so freue dich dessen und schweige. Gib der Menge kein Ärgernis. Dich hören Menschen, die es nicht hören dürfen . . .«

Das Murren wurde stärker.

»Er ist krank,« flüsterte Hormisdas dem Dagalaifus zu. »Man muß ihn ins Zelt führen, sonst kann es noch ein Unglück geben . . .«

Der Arzt Oribasius trat an Julianus heran, faßte ihn mit seiner gewohnten, besorgten Miene vorsichtig bei der Hand und begann ihm zuzureden:

»Du sollst etwas ausruhen, gnädiger Augustus. Du hast schon zwei Nächte nicht geschlafen. In dieser Gegend wüten gefährliche Fieber. Komm ins Zelt, denn die Sonne kann dir schaden . . .«

Die Aufregung unter den Soldaten wurde bedenklich. Das Murren und die Rufe verschmolzen in ein Getöse der Empörung. Niemand wußte genau, was eigentlich vorging, doch alle fühlten, daß ein Unglück im Anzuge sei. Die einen schrien in abergläubischer Angst:

»Gotteslästerung! Gotteslästerung! Richtet den Altar wieder auf! Wozu haben wir die Priester?«

Andere riefen:

»Die Priester haben den Cäsar vergiftet, weil er nicht auf ihre Ratschläge hören wollte. Schlagt die Priester tot! Sie stürzen uns ins Verderben! . . .«

Die Galiläer, denen alles sehr gelegen kam, liefen mit demutsvoller Miene hin und her, spotteten und flüsterten, erfanden Klatschgeschichten und zischten, wie die erst eben aus ihrem Winterschlaf erwachten und von der Sonne erwärmten Schlangen:

»Seht ihr es denn nicht? Es ist eine Strafe Gottes. Es ist schrecklich, in die Hand des lebendigen Gottes zu fallen. – Die Teufel haben sich seiner bemächtigt und seinen Geist getrübt: nun hat er sich gegen die Götter empört, denen zuliebe er sich von dem Einigen losgesagt hat.«

Der Kaiser blickte, wie aus einem Schlafe erwachend, langsam um sich und fragte schließlich zerstreut Oribasius:

»Was gibt's? Was schreien sie? . . . Ja, der umgeworfene Altar . . .«

Er blickte mit einem traurigen Lächeln auf die im Staube verglimmenden Kohlen des Räucherbeckens.

»Weißt du, mein Freund, nichts beleidigt die Menschen so sehr, wie die Wahrheit. Die dummen, armen Kinder! – Nun, sollen sie nur schreien und weinen, – sie werden sich schon trösten . . . Komm, Oribasius, wollen wir schneller in den Schatten gehen. Du hast recht, die Sonne scheint mir wirklich zu schaden. Meine Augen schmerzen. Ich bin müde . . .«

Er ging langsam fort, sich auf den Arm des Arztes stützend. Als er das Zelt betrat, bedeutete er allen mit einer trägen Handbewegung, daß er allein zu bleiben wünsche. Die Türe wurde geschlossen. Im Zelte wurde es dunkel.

Er ging auf sein bescheidenes, hartes Feldlager zu, das nur aus einem Löwenfell bestand, und fiel erschöpft nieder. Lange lag er so, den Rücken nach oben gekehrt und die Schläfen mit den Händen zusammenpressend, wie er es in seiner Kindheit nach einer schweren Kränkung oder in schwerem Kummer zu tun pflegte.

»Seid still, der Cäsar ist krank!« versuchten die Heerführer die Soldaten zu beruhigen.

Die Soldaten verstummten und hielten den Atem an.

Im Lager wie im Zelte des Kranken trat eine bange, erwartungsvolle Stille ein.

Nur die Galiläer warteten nicht; sie machten sich überall zu schaffen, schlichen unhörbar herum, drangen überall ein, verbreiteten schreckliche Gerüchte und zischten, wie die erst eben aus ihrem Winterschlaf erwachten und von der Sonne erwärmten Schlangen:

»Seht ihr es denn nicht? Es ist eine Strafe Gottes. Es ist schrecklich, in die Hand des lebendigen Gottes zu fallen!«


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