Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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IX.

Über dem Haupttore des Spitals Apollos des Weithintreffenden, das für Bettler, Wanderer und Krüppel bestimmt war, prangte eine Marmortafel mit einer griechischen Inschrift. Es war der Vers aus Homer:

                                            ». . . Arme Wand'rer
sind wir alle vor Zeus. Ich gebe nicht viel, doch von Herzen.«

Julianus betrat den inneren Hof, der von schlanken, jonischen Säulen eingefaßt war: das Gebäude war ursprünglich als eine Palästra errichtet.

Es war ein stiller, heiterer Abend. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Aus den inneren Räumen des Spitals kam ein unerträglicher Gestank.

Hier lagen in einem Haufen Kinder und Greise, Christen und Heiden, Kranke und Gesunde, Krüppel, Mißgeburten, Paralytiker, Lahme, Wassersüchtige, mit eiternden Beulen Behaftete und Schwindsüchtige, – Menschen mit dem Stempel aller Laster und aller Leiden auf den Gesichtern.

Ein halbnacktes, zerlumptes, altes Weib, deren Haut die Farbe von welkem Laub hatte, kratzte sich ihren mit eiternden Beulen bedeckten Rücken an dem zarten Marmor einer ionischen Säule.

In der Mitte des Hofes stand eine Statue des Pythischen Apollos mit einem Bogen in der Hand und einem Köcher auf dem Rücken.

Am Sockel des Bildwerkes saß eine runzelige Mißgeburt, halb Kind und halb Greis; das unglückliche Geschöpf hielt seine Knie mit den Armen umschlungen, stützte auf sie sein Kinn, schaukelte langsam hin und her und summte mit blödem Ausdruck wie ein Lied vor sich hin:

»Jesu Christe, Sohn Gottes, sei uns Verdammten gnädig!«

Der Oberaufseher Marcus Ausonius erschien blaß und bebend vor dem Kaiser.

»Allerweisester und allergnädigster Cäsar, würdest du nicht geruhen, in mein Haus einzutreten? – hier ist schlechte Luft. Auch kann man sich da leicht anstecken: die Abteilung der Aussätzigen ist ganz in der Nähe.«

»Bist du der Oberaufseher?«

Ausonius verhielt aus Furcht vor Ansteckung den Atem und machte eine tiefe Verbeugung.

»Bekommen die Kranken täglich Wein und Brot?«

»Ja, alles wie es du, göttlicher Augustus, befohlen hast.«

»Welch ein Schmutz!«

»Es sind die Galiläer. Sie halten es für eine Sünde, sich zu waschen. Man kann sie durch nichts in der Welt dazu bringen . . .«

»Laß die Rechnungsbücher holen,« sagte Julianus.

Der Aufseher fiel auf die Knie und lallte:

»Herr, alles ist in Ordnung, es ist uns aber ein Unglück geschehen: die Bücher sind verbrannt . . .«

Der Kaiser verzog das Gesicht.

In diesem Augenblick schrie jemand unter den Kranken:

»Ein Wunder! Ein Wunder! Der Gelähmte steht auf!«

Julianus wendete sich um und sah einen großgewachsenen Mann, der mit vor Freude wahnsinnigem Gesicht und mit kindlichem Glauben in den Augen ihm die Hände entgegenstreckte und sich von seinem verfaulten Strohlager erhob.

»Ich glaube, ich glaube!« schrie der Gelähmte. »Du bist ein Gott, der auf die Erde herabgestiegen ist! Dein Gesicht ist wie das Gesicht eines Gottes! Berühre mich, heile mich, o Cäsar!«

»Ein Wunder, ein Wunder!« frohlockten die Kranken. »Heil dem Kaiser! Heil Apollo dem Heilenden!«

»Berühre auch mich! Nur ein Wort von dir, und ich werde genesen!« brüllten andere.

Durch das offene Tor fielen Strahlen der untergehenden Sonne, und das marmorne Antlitz Apollos erstrahlte in ihrem zarten Scheine. Der Kaiser blickte den Gott an und plötzlich kam ihm alles, was er im Spital sah, als eine Gotteslästerung vor: die Augen des Gottes durften nicht all das Häßliche sehen. Julianus kam der Wunsch, die alte Palästra, in der sich einst die Hellenen in freien Spielen geübt hatten, von diesem galiläischen und heidnischen Gesindel, von diesen stinkenden Abfällen der Menschheit zu säubern. Wenn der alte Gott auferstehen könnte, wie würden dann seine Augen funkeln, wie würden seine Pfeile sausen und alle diese Krüppel und Siechen treffen und die dumpfe Luft reinigen!

Er verließ eilig und schweigend das Apollospital; er dachte nicht mehr an die Rechnungsbücher des Ausonius. Es war ihm klar, daß die Anzeige über die Unehrlichkeit und Bestechlichkeit des Oberaufsehers begründet sei; seiner Seele hatte sich aber eine solche Müdigkeit und ein solcher Ekel bemächtigt, daß er nicht die Kraft hatte, der Sache nachzugehen und den Betrug aufzudecken.

Als er in den Palast zurückkehrte, war es schon spät. Er befahl, niemanden vorzulassen, und zog sich auf sein Lieblingsplätzchen, – eine kleine Säulenhalle, die hoch über dem Bosporus lag, zurück.

Der ganze Tag war in langweiligen, unbedeutenden Geschäften, im Schlichten von Streitigkeiten unter den Beamten und im Nachprüfen von Rechnungen vergangen. Der Kaiser sah sich von seinen besten Freunden betrogen. Alle die hellenischen Gelehrten, Dichter und Rhetoren, die jetzt in seinem Namen die Welt regierten, betrogen und stahlen nicht weniger, als die christlichen Eunuchen und Bischöfe in den Tagen des Constantius. Alle die Herbergen, die christlichen Klöstern nachgebildeten Zufluchtsstätten für Philosophen, Krankenhäuser des Apollo und der Aphrodite waren für diese gerissenen Männer nur ein Vorwand und eine Gelegenheit zur Bereicherung; um so mehr, als nicht nur die Galiläer allein, sondern auch die Heiden die Einfälle des Cäsars für lächerlich und gotteslästerlich hielten.

Sein ganzer Körper schmerzte vor schwerer und fruchtloser Abspannung. Er löschte die Lampe aus und legte sich auf sein Feldbett.

»Ich muß mir alles in Ruhe und Einsamkeit überlegen!« sagte er sich, auf den nächtlichen Himmel blickend.

Die Gedanken wollten aber nicht kommen.

Im dunklen, tiefen Äther leuchtete ein großer Stern. Julianus schloß die Augen, doch die Strahlen des Sternes drangen durch die Wimpern in sein Herz wie eine kalte Liebkosung.

Er kam zu sich und fuhr zusammen, denn er hörte, wie jemand die Halle betrat. Zwischen den Säulen fiel Mondschein hinein. Über sein Bett gebeugt stand ein schlanker Greis mit einem langen, silberweißen Bart und tiefen, dunklen Runzeln, die nicht Leid, sondern eine Kraft des Willens und der Gedanken ausdrückten. Julianus erhob sich und flüsterte:

»Meister! Bist du es? . . .«

»Ja, Julianus, ich komme, um mit dir unter vier Augen zu sprechen.«

»Ich höre.«

»Mein Sohn, du wirst untergehen, denn du bist dir selbst untreu geworden.«

»Auch du, Maximus, auch du bist gegen mich! . . .«

»Wisse, Julianus: die goldenen Früchte der Hesperiden sind ewig unreif und hart. Die Barmherzigkeit ist die Weichheit und Süße überreifer, faulender Früchte. Du bist keusch und enthaltsam, traurig und barmherzig; du nennst dich einen Feind der Christen, doch bist du selbst ein Christ. – Sage mir nur, womit willst du den Gekreuzigten besiegen?«

»Durch die Kraft der Götter – die Schönheit und die Freude.«

»Hast du die Kraft?«

»Ja.«

»Ist deine Kraft so groß, daß du die volle Wahrheit ertragen könntest?«

»Ja.«

»So wisse denn, – daß es sie nicht gibt.«

Julianus blickte entsetzt in die ruhigen, weisen Augen des Meisters.

»Von wem sagst du, daß es sie nicht gibt?« fragte er mit bebender Stimme und erblassend.

»Ich sage: es gibt keine Götter und du bist allein.«

Der Schüler des Maximus ließ den Kopf hängen und entgegnete nichts.

Der Meister sah ihn mitleidsvoll und zärtlich an und legte ihm seine Hand auf die Schulter.

»Tröste dich. Hast du es denn nicht begriffen? Ich wollte dich nur versuchen. Es gibt Götter. Siehst du, wie schwach du bist. Du kannst nicht allein sein. Es gibt Götter, und sie lieben dich. Wisse aber: du wirst es nicht sein, der die Wahrheit des gefesselten Titanen mit der des gekreuzigten Galiläers vereinen wird. Willst du, daß ich dir sage, wie Er, der noch nicht Erschienene, der Unbekannte, der Einiger zweier Welten sein wird?«

Julianus schwieg noch immer blaß vor Entsetzen.

»Er wird erscheinen,« fuhr Maximus fort, »wie ein Blitz aus der Wolke, todbringend und alles erleuchtend. Er wird schrecklich und unerschrocken sein. In ihm werden Gut und Böse, Demut und Stolz so ineinandergehen, wie in der Morgendämmerung das Licht des Tages und die Schatten der Nacht. Die Menschen werden ihn segnen nicht nur für seine Barmherzigkeit, sondern auch für seine Erbarmungslosigkeit, denn in ihr wird eine göttliche Kraft und Schönheit liegen.«

»Meister,« rief der Kaiser aus, »ich sehe das alles in deinen Augen. Sage mir nur, daß du der Unbekannte bist, – und ich werde dich segnen und dir folgen! . . .«

»Nein, mein Sohn. Ich bin nur ein Licht von seinem Lichte und ein Geist von seinem Geiste. Aber nicht Er. Ich bin die Hoffnung, ich bin der Vorläufer.«

»Warum verbirgst du dich vor den Menschen? Erscheine ihnen, damit sie dich erkennen . . .«

»Meine Zeit ist noch nicht gekommen,« antwortete Maximus. »Ich bin schon oft in der Welt gewesen und werde noch oft wiederkehren. Die Menschen fürchten mich, sie nennen mich bald den großen Weisen, bald den Verführer, bald den Zauberer: Orpheus, Pythagoras, Maximus von Ephesus. Ich bin aber der Namenlose. Ich schreite durch die Menge mit stummen Lippen und verhülltem Gesicht. Was könnte ich der Menge sagen? Sie würden schon mein erstes Wort mißverstehen. Das Geheimnis meiner Liebe und meiner Freiheit ist ihnen schrecklicher als der Tod. Sie stehen mir so ferne, daß sie mich sogar nicht kreuzigen oder steinigen, wie sie es mit ihren Propheten zu tun pflegen; denn sie erkennen mich nicht. Ich lebe in den Gräbern und spreche mit den Toten, ich steige auf die höchsten Berggipfel und spreche mit den Sternen, ich gehe in die Wüsten und lausche dem Wachsen der Gräser, dem Stöhnen der Meereswogen, dem Pochen des Herzens der Erde; ich schaue immer aus, ob die Zeit noch nicht gekommen ist. Die Zeit ist aber noch nicht gekommen, und ich entferne mich wieder, wie ein Schatten, mit stummen Lippen und verhülltem Gesicht.«

»Meister, gehe nicht fort, verlasse mich nicht!«

»Fürchte nicht, Julianus: ich werde dich bis ans Ende begleiten. Ich liebe dich, denn du mußt meinetwegen zugrunde gehen, mein vielgeliebter Sohn, und es gibt für dich keine Rettung. – Ehe ich den Menschen erscheine, müssen noch viele Große, Verstoßene, Empörer gegen Gott, Männer mit tiefen und zwiespältigen Herzen, durch meine Weisheit Verführte und Abtrünnige wie du untergehen. Die Menschen werden dich verdammen, aber nie vergessen, denn auf deinem Antlitz ruht mein Siegel; du bist meine Schöpfung, du bist das Kind meiner Weisheit. Die kommenden Geschlechter werden in dir – mich, in deiner Verzweiflung – meine Hoffnungen, in deiner Schande – meine Majestät erkennen, wie man die Sonne durch den Nebel hindurch erkennt.«

»O Göttlicher!« rief Julianus aus. »Wenn deine Worte auch Lügen sind, so laß mich für diese Lügen sterben, denn sie sind schöner als alle Wahrheiten!«

»Einst habe ich dich zum Leben und zur Herrschaft gesegnet, Kaiser Julianus; heute segne ich dich zum Tode und zur Unsterblichkeit. Geh und stirb für den Unbekannten, für den Kommenden, für den Antichrist.«

Mit einem feierlichen, stillen Lächeln legte der Greis seine Hände auf das Haupt des Julianus, wie ein Vater, der seinen Sohn segnet, küßte ihn auf die Stirne und sagte:

»Nun versinke ich wieder in die unterirdische Finsternis und niemand wird mich erkennen. – Mein Geist ruhe auf dir.«


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