Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

Der heilige Greis hatte ein derbes, breitknochiges Gesicht und war über und über behaart; statt einer Tunika trug er einen geflickten Leinensack, statt einer Chlamys ein staubiges Lammfell mit Kapuze. Beim Gehen klapperte er mit der eisernen Spitze seines langen Stockes. Pamba hatte sich seit zwanzig Jahren nicht gewaschen, denn er hielt die körperliche Reinlichkeit für Sünde und glaubte sogar an die Existenz eines besonderen Teufels der Reinlichkeit. Er hauste in der schrecklichen Wüste von Beröa, im Osten von Antiochia, wo es viele versiegte Brunnen gab, in denen Schlangen und Skorpionen nisteten. Er lebte selbst in einem solchen Brunnen und nahm täglich fünf Stengel eines besonderen mehligen und süßen Rohres zu sich. Als er an dieser unzulänglichen Nahrung beinahe gestorben war, begannen ihm seine Jünger Lebensmittel in die Grube zu bringen. Er gestattete sich täglich nur ein halbes Sextarius in Wasser eingeweichter Linsen, seine Augen wurden schwach, seine Haut grindig. Er fügte seiner Tagesration noch etwas Öl hinzu, beschuldigte sich aber der Völlerei.

Pamba hatte von seinen Jüngern erfahren, daß die Schafe Christi von einem wütenden Wolf und Antichrist, dem Kaiser Julianus, verfolgt würden; er verließ seine Wüste und kam nach Antiochia, um die Glaubensschwachen zu stärken.

»Hört, hört, – der heilige Greis redet!«

Pamba bestieg die Treppe, die zu den Thermen führte, blieb auf dem Absatze am Fuße der Fackelhalter stehen und begann, mit der Hand auf die heidnischen Tempel, Thermen, Läden, Paläste, Gerichtsgebäude und Denkmäler hinweisend:

»Es wird kein Stein auf dem anderen bleiben! Alles wird vergehen, alles wird gestürzt werden. Eine Flamme wird sich erheben und die Welt verzehren. Das ist das schreckliche Gericht Christi, ein gewaltiges Schauspiel! Wohin soll ich meine Blicke wenden? Woran soll ich mich zuerst weiden? Wie die Aphrodite, die Göttin der Liebe, mit ihrem Söhnchen Eros in ihrer Nacktheit vor dem Antlitze des Gekreuzigten erzittert? Wie Zeus mit seinen erloschenen Blitzen und alle olympischen Götter vor den Donnern des Höchsten fliehen? Frohlockt, ihr Märtyrer! Frohlockt, ihr Verfolgten! Wo sind eure Richter, die römischen Statthalter und Prokonsuln? Ein Feuer, das mächtiger ist als das Feuer der Scheiterhaufen, auf denen man die Christen verbrannte, hat sie ergriffen und verzehrt sie. Die Philosophen, die auf ihre eitle Weisheit stolz waren, werden, in den höllischen Flammen brennend, vor ihren Schülern erröten, denn die Syllogismen des Aristoteles und die Beweise Platos werden ihnen nicht helfen können! Die tragischen Schauspieler werden so schreien, wie sie noch in keiner Tragödie des Sophokles oder des Aeschylus geschrien haben! Die Seiltänzer werden in den höllischen Flammen mit einer noch nie gesehenen Behendigkeit springen! – Dann werden wir unwissenden und groben Leute vor Freude erzittern und zu den Starken, Vernünftigen und Stolzen sagen: Seht, hier ist der verspottete und gekreuzigte Sohn des Zimmermanns und der Magd, der in Purpur gekleidete und mit Dornen gekrönte König der Juden! Hier ist der Schänder des Sabbats, der Samariter, der Besessene! Der, den ihr im Prätorium an die Säule gebunden, dem ihr ins Gesicht gespien, den ihr mit Galle und Essig gelabt habt! Wir werden zur Antwort nur Heulen und Zähneklappern hören, und wir werden lachen, und unsere Herzen werden sich an der Freude berauschen. – Ja, komm Herr Jesu!«

Der Kloakenreiniger Gluturinus fiel in die Knie, zwinkerte mit den entzündeten Augenlidern und streckte seine Arme dem kommenden Heiland entgegen. Der Kupferschmied stand mit verhaltenem Atem und geballten Fäusten regungslos da, wie ein Stier, der zu einem furchtbaren Sprunge ausholt. Der blasse, lange Flachsspinner zitterte an allen Gliedern und flüsterte, blöde lächelnd: »Herr, Herr, sei uns gnädig!« Die groben Gesichter der Landstreicher und Taglöhner drückten Schadenfreude und Siegesbewußtein der Schwachen über die Starken, der Sklaven über die Herren aus. Die Dirne Wölfin zeigte ihre Zähne und lachte still in sich hinein; in ihren trunkenen und drohenden Augen brannte unbezwingbarer Rachedurst.

Plötzlich erschollen Waffengeklirr und stramme, schwere Schritte. An der Straßenecke erschienen römische Soldaten; es war die Nachtwache. An der Spitze schritt der Präfekt des Ostens, Sallustius Secundus. Er hatte das typische Gesicht eines römischen Beamten mit einer Adlernase und großer Glatze auf dem viereckigen Schädel; seine klugen Augen drückten Ruhe und Gutmütigkeit aus; er trug die gewöhnliche Toga eines Senators. Seine ganze Haltung war natürlich, einfach und vornehm wie bei einem alten römischen Patrizier.

Hinter der fernen, runden Kuppel des von Antiochus Seleucus errichteten Pantheons ging langsam der große, trübrote Mond auf; auf den ehernen römischen Schilden, Helmen und Panzern funkelte unheilverkündend der blutrote Widerschein. Sallustius wandte sich an die Menge mit den Worten:

»Geht auseinander, Bürger! Der göttliche Augustus hat die nächtlichen Versammlungen in den Straßen verboten.«

Der Pöbel wurde unruhig und murrte; die Gassenjungen begannen zu pfeifen; eine freche, hohe Kinderstimme fing an zu singen:

Kikeriki! Kikeriki!
Weh den armen Hähnchen,
Weh den weißen Kälbchen,
Der Kaiser wird sie schlachten,
Den garst'gen Göttern opfern!

Drohend erklirrten die Waffen: die römischen Legionäre hatten gleichzeitig ihre Schwerter gezogen und machten sich bereit, gegen die Menge vorzugehen.

Der alte Pamba klopfte mit der Eisenspitze seines Stockes an die Marmorplatten und schrie:

»Willkommen, tapferes Heer des Satans! Willkommen, weiser römischer Feldherr! Ihr sehnt euch wohl wieder nach den Zeiten, als ihr uns auf Scheiterhaufen verbrannt und uns die alte Philosophie beigebracht habt, während wir für euch beteten. Willkommen! . . .«

Die Legionäre erhoben die Schwerter. Der Präfekt hielt sie durch eine Handbewegung zurück.

Er sah, wie groß der Einfluß des Greises auf die Menge war.

»Womit bedroht ihr uns, ihr Dummen?« fuhr Pamba fort, sich an Sallustius wendend. »Was könnt ihr uns tun? Wir brauchen nur eine finstere Nacht und zwei oder drei Fackeln, um uns zu rächen. Ihr fürchtet die Alamannen und die Perser; wir sind aber gefährlicher als die Alamannen und Perser! Wir haben weder Grenzen, noch eine Heimat; wir erkennen nur einen Staat an – das Weltall! Wir sind erst gestern auf die Welt gekommen und erfüllen schon heute die Welt – eure Städte, Festungen, Inseln, Munizipien, Versammlungen, Feldlager, Tribus, Decurien, Schlösser, Senat und Forum; – wir lassen euch nur eure Götzentempel. Wie schonungslos hätten wir euch vernichtet, wenn wir nicht demütig und barmherzig wären, wenn wir es nicht vorzögen, getötet zu werden, als selbst zu töten! Wir brauchen weder Schwert noch Feuer: wir sind unserer so viele, daß, wenn wir auswandern, auch ihr untergehen werdet; eure Städte werden leer werden, und ihr werdet erschauern vor eurer Einsamkeit, vor dem Schweigen der Welt; alles Leben wird ersterben und stille stehen. Wisset: das römische Reich besteht nur noch durch unsere christliche Geduld!«

Alle Blicke waren auf Pamba gerichtet: niemand hatte bemerkt, wie ein mit der einfachen, alten Chlamys eines reisenden Philosophen bekleideter Mann, mit wirrem Haar, langem, schwarzem Bart und gelblichem, magerem Gesicht, von einigen Genossen begleitet, mit raschen Schritten durch die Reihen der römischen Soldaten, die ihm ehrfurchtsvoll Platz machten, hindurchschritt. Er näherte sich dem Präfekten Sallustius und flüsterte ihm ins Ohr:

»Warum zögerst du noch?«

»Wenn ich noch etwas warte,« erwiderte Sallustius, »werden sie von selbst auseinandergehen. Die Galiläer haben ja auch so zu viel Märtyrer, als daß man ihnen neue machen sollte; sie fliegen in den Tod, wie Bienen auf den Honig.«

Der Mann in der Tracht des Philosophen trat vor und sprach laut und sicher, wie ein Feldherr, der ans Kommandieren gewöhnt ist:

»Treibt die Menge auseinander! Ergreift die Anstifter!«

Alle wandten sich gleichzeitig um. Es ertönte ein Schrei des Entsetzens:

»Es ist der Augustus! Der Augustus Julianus!«

Die Soldaten stürzten sich mit gezückten Schwertern auf die Menge; die alte Lumpensammlerin wurde zu Boden geworfen. Unter den Füßen der Legionäre zappelte sie und winselte. Viele ergriffen die Flucht. Als erster riß der kleine Strombicus aus. Ein Handgemenge entstand, Steine wurden geworfen. Der Kupferschmied, der den alten Pamba schützen wollte, warf einen Stein gegen einen Legionär, traf aber die danebenstehende Wölfin. Sie gab einen schwachen Schrei von sich und fiel blutüberströmt zu Boden; sie glaubte, daß sie als eine Märtyrerin sterbe.

Ein Soldat packte Gluturinus. Der Kloakenreiniger ließ sich aber so leicht festnehmen, – die Rolle eines von allen geehrten Dulders erschien ihm im Vergleiche zu seiner gewöhnlichen traurigen Existenz so beneidenswert, – und seine Lumpen verbreiteten einen so üblen Geruch, daß der Legionär den Verhafteten angeekelt wieder laufen ließ.

Mitten in die Menge war zufällig ein Eseltreiber mit einer Ladung frischer Krautköpfe hineingeraten. Er hatte die ganze Zeit über mit offenem Munde dem Prediger zugehört. Als er die Gefahr sah, wollte er fliehen, doch der Esel wollte nicht mit. Vergeblich bearbeitete ihn der Mann hinten mit dem Stock, vergeblich schrie er ihn an; der Esel hatte sich mit den Vorderbeinen gegen die Erde gestemmt, legte die Ohren zurück, hob den Schwanz und schrie fürchterlich.

Lange klang noch das Eselgeschrei über der Menge, das Röcheln der Sterbenden, die Flüche der Soldaten und die Gebete der Christen übertönend.

Der Arzt Oribasius, der unter Julianus' Begleitern war, näherte sich ihm und sagte:

»Julianus, was tust du? Ist das deiner Weisheit würdig? . . .«

Augustus blickte ihn aber so an, daß er sofort verstummte.

Julianus hatte sich in der letzten Zeit nicht nur stark verändert, sondern war auch sehr gealtert; sein abgemagertes Gesicht hatte jenen krankhaften und erschreckenden Ausdruck, der Leuten, die von einer unheilbaren, schleichenden Krankheit betroffen, oder von einem Alles verzehrenden, wahnsinnigen Gedanken besessen sind, eigen ist.

Mit seinen kräftigen Händen zerriß und zerknitterte er, ohne es selbst zu merken, eine Papyrusrolle, die ihm zufällig in die Hände geraten war; es war sein eigenes Edikt. Schließlich blickte er Oribasius ins Gesicht und sagte mit dumpfer, gedrückter Stimme:

»Geh fort, geht alle fort mit euren dummen Ratschlägen! Ich weiß selbst, was ich tue. Mit dem Gesindel, das an die Götter nicht glaubt, kann man nicht wie mit Menschen reden; man muß es vernichten, wie die Raubtiere . . . schließlich ist es auch kein Unglück, wenn einige Dutzend Galiläer durch die Hand eines Hellenen umkommen! . . .«

Oribasius ging der Gedanke durch den Kopf: »Wie gleicht er jetzt seinem Vetter Constantius in seinem Zorne.«

Julianus schrie zur Volksmenge mit einer Stimme, die ihm selbst fremd und entsetzlich erschien:

»Solange ich noch durch die Gnade der Götter Kaiser bin, hört auf meine Worte, ihr Galiläer! Ihr dürft meinen Bart und meine Kleidung verspotten, aber nicht das römische Gesetz. So wisset denn: ich bestrafe euch nicht für euren Glauben, sondern für die Empörung gegen die Gesetze. – In Ketten mit dem Schurken!«

Mit zitternder Hand wies er auf Pamba. Zwei blonde, blauäugige Barbaren ergriffen den Greis.

»Du lügst, du Gotteslästerer!« schrie Pamba triumphierend. »Du mordest uns für unseren Christenglauben! Warum begnadigst du mich nicht, wie einst den blinden Bischof Maris von Chalkedon? Warum verdeckst du nicht, wie es sonst deine Gewohnheit ist, die Gewalt mit Wohlwollen, den Angelhaken mit einem Köder? Wo bleibt deine Philosophie? Sind denn die Zeiten anders? Bist du vielleicht doch zu weit gegangen? – Brüder, fürchten wir uns nicht vor dem römischen Kaiser, sondern nur vor Gott im Himmel! . . .«

Niemand dachte jetzt mehr an Flucht. Die Dulder steckten einander mit ihrer Furchtlosigkeit an. Die Bataver und Kelten erschraken vor dieser Freude am Sterben, vor diesen milden, lächelnden und wahnsinnigen Gesichtern, selbst Kinder stürzten sich gegen die Schwerter und Lanzen. Julianus wollte der Metzelei ein Ende machen, es war aber zu spät: »die Bienen hatten den Honig gerochen«. Er rief nur voller Verzweiflung und Verachtung aus:

»Elende! Wenn ihr lebensmüde seid, so wäre es einfacher, einen Strick zu nehmen, oder sich in einen Abgrund zu stürzen! . . .«

Pamba, den man gefesselt abführte, schrie immer freudiger:

»Mordet uns, mordet uns, ihr Römer, damit unser immer mehr werden! Die Ketten sind unsere Freiheit, die Schwäche ist unsere Kraft, der Tod ist unser Sieg!«


 << zurück weiter >>