Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XXIII.

In der Nähe der Schlucht von Succi, an der Grenze zwischen Illyrien und Thrakien gingen eines Nachts durch den Buchenwald zwei Männer. Es war Kaiser Julianus und der Zauberer Maximus.

Auf dem wolkenlosen Himmel stand der Vollmond, und sein geheimnisvolles Licht fiel auf das goldene und purpurne Herbstlaub. Ab und zu fiel raschelnd ein welkes Blatt. Die Luft war von Feuchtigkeit und dem eigentümlichen Duft des Spätherbstes erfüllt, der unsagbar lieblich und frisch ist und zugleich die Seele traurig stimmt und an den Tod erinnert. Die weichen, trockenen Blätter raschelten unter den Schritten der Wanderer. Im stillen Walde um sie herum herrschte die purpurne Pracht des Sterbens.

»Meister,« sprach Julianus, »warum fehlt mir jene göttliche Heiterkeit, jene Freudigkeit, die die Männer von Hellas so herrlich machte?«

»Bist du denn kein Hellene?«

Julianus seufzte auf.

»Nein, unsere Vorfahren waren wilde Barbaren, Medier. In meinen Adern fließt schweres, nordisches Blut. Ich bin kein Sohn des Hellas . . .«

»Mein Freund, ein Hellas hat es eigentlich nie gegeben,« entgegnete Maximus mit dem ihm eigenen zweideutigen Lächeln.

»Was willst du damit sagen?«

»Jenes Hellas, daß du so liebst, hat es nie gegeben.«

»Ist denn mein Glaube – ein Wahn?«

»Man kann nur an solche Dinge glauben, die es nicht gibt und die es nie geben wird. Dein Hellas, das Reich der gottähnlichen Menschen, wird erst kommen.«

»Meister, du verfügst doch über kräftige Zaubermittel, – befreie meine Seele von der Furcht!«

»Was ist es für eine Furcht?«

»Ich weiß es nicht . . . von meiner frühesten Kindheit an fürchte ich mich vor allem; ich fürchte mich vor dem Leben, vor dem Tode, vor mir selbst, vor dem Geheimnis, das überall herrscht – vor der Finsternis. Ich hatte eine alte Wärterin, Labda, die wie eine Parze aussah: sie erzählte mir schreckliche Legenden vom Geschlechte der Flavier; sie hat mich damit eingeängstigt. Die dummen Ammenmärchen klingen auch heute noch in meinen Ohren, nachts, wenn ich allein bin; die dummen Schauermärchen werden mich zugrunde richten . . . Ich will so freudig sein, wie es die Männer des alten Hellas waren, – und ich kann es nicht! Zuweilen komme ich mir wie ein Feigling vor. – Meister! Meister! errette mich. Befreie mich von dieser ewigen Finsternis, von diesem ewigen Grauen!«

»Folge mir. Ich weiß, was dir not tut!« sagte Maximus sehr feierlich. »Ich werde dich von der galiläischen Fäulnis reinigen, ich werde den Schatten Golgathas mit dem strahlenden Lichte Mithras verscheuchen; nach dem kalten Wasser der Taufe werde ich dich mit dem heißen Blute des Sonnengottes erwärmen. Freue dich, mein Sohn, ich werde dir eine große Freiheit und eine große Freudigkeit geben, wie sie noch kein Mensch auf Erden erfahren hat.«

Sie verließen den Wald und gelangten auf einen schmalen, steinigen Pfad, der dicht am Rande des Abgrundes in den Fels gehauen war. Unten rauschte der Strom. Zuweilen riß sich unter ihren Füßen ein Stein los und fiel, einen drohenden, schläfrigen Widerhall erweckend, in den Abgrund. Auf den Gipfeln des Rodope schimmerte der Schnee.

Julianus und Maximus betraten eine Höhle. Es war ein Tempel des Mithra, wo die von römischen Gesetzen verbotenen Mysterien abgehalten wurden. Der Tempel war ganz schmucklos; auf den kahlen Wänden waren die geheimnisvollen Zeichen der Weisheit Zoroasters – Dreiecke, Sternbilder, geflügelte Ungeheuer und sich schneidende Kreise eingehauen. Die Fackeln brannten trübe und die Hierophanten bewegten sich in ihren langen, seltsamen Gewändern wie Gespenster.

Auch Julianus bekam eine »olympische Stola« – ein Kleid, das mit indischen Drachen, Steinen, Sonnen und hyperboreischen Greifen bestickt war; in die rechte Hand bekam er eine Fackel.

Maximus hatte ihn auf die vorgeschriebenen Worte, mit denen der Neophyt die Fragen des Hierophanten zu beantworten hatte, vorbereitet. Julianus hatte alle diese Antworten auswendig gelernt, obwohl ihr Sinn ihm erst während der Einweihungszeremonie enthüllt werden sollte.

Sie stiegen auf in die Erde gegrabenen Stufen in eine tiefe, enge, längliche Grube hinab; hier war es feucht und schwül; die Grube war oben mit Brettern, die wie ein Sieb durchlöchert waren, gedeckt.

Man vernahm das Getrampel von Hufen: die Priester hatten auf die Bretter drei schwarze und drei weiße Kälber und einen feuerroten jungen Stier gebracht; der letztere hatte vergoldete Hörner und Hufe. Die Hierophanten stimmten einen Hymnus an. Dazwischen hörte man das klägliche Brüllen der Kälber, die oben mit zweischneidigen Beilen abgeschlachtet wurden. Die Opfertiere fielen in die Knie, verendeten, und die Bretter erbebten unter ihrer Last. Die Höhle erzitterte vom Gebrüll des feuerroten Stieres, den die Priester Gott Mithra nannten.

Das Blut sickerte durch die Löcher in der Decke und fiel auf Julianus als warmer, roter Tau herab.

Es war eines der größten heidnischen Mysterien – die Taurobolie, die Opferung des der Sonne geweihten Stieres.

Julianus zog sein Obergewand aus und ließ sich das weiße Untergewand, den Kopf, Hände, Gesicht, Brust und alle seine Glieder von dem herabfallenden lebenden, schrecklichen Blutregen berieseln.

Der Oberpriester Maximus begann, seine Fackel schwingend:

»Deine Seele wird mit dem erlösenden Blute des Sonnengottes, mit dem reinsten Blute des ewig freudigen Herzen des Sonnengottes, mit dem Morgen- und Abendlichte des Sonnengottes gereinigt. – Sterblicher, fürchtest du noch etwas?«

»Ich fürchte mich vor dem Leben,« antwortete Julianus.

»Deine Seele wird befreit,« fuhr Maximus fort, »von jedem Schatten, von jedem Grauen, von jeder Sklaverei durch den Wein der göttlichen Freuden, durch den roten Wein der ausgelassenen Freuden des Mithra-Dionysos. – Sterblicher, fürchtest du noch etwas?«

»Ich fürchte mich vor dem Tode.«

»Deine Seele wird ein Teil des Sonnengottes!« rief der Hierophant, »Mithra, der Unaussprechliche, der Unfaßbare, nimmt dich an Sohnesstatt an; nun bist du das Blut von seinem Blute, das Fleisch von seinem Fleische, der Geist von seinem Geiste und das Licht von seinem Lichte. – Sterblicher, fürchtest du noch etwas?«

»Ich fürchte mich nicht mehr!« antwortete Julianus, von Kopf bis zu Fuß in Blut gebadet. »Ich bin – wie Er.«

»Empfange denn die Krone der Freude!« Mit diesen Worten warf ihm Maximus mit der Spitze des Schwertes einen Akanthuskranz auf den Kopf.

»Nur die Sonne ist meine Krone!« rief der Neophyt aus, sich den Akanthuskranz vom Kopfe reißend.

Er warf den Kranz auf die Erde und wiederholte:

»Nur die Sonne ist meine Krone!«

Er zertrat den Kranz mit den Füßen und sprach zum drittenmal, die Arme emporhebend:

»Von nun an bis zum Tode ist nur die Sonne meine Krone!«

Das Mysterium war zu Ende. Maximus umarmte den Neophyten. Auf den Lippen des Greises spielte noch immer jenes zweideutige, unbestimmte Lächeln.

Als sie durch den Wald zurückgingen, sagte der Kaiser zum Zauberer:

»Maximus, zuweilen scheint es mir, daß du mir die Hauptsache verschweigst . . .«

Er wendete ihm sein blasses, blutbesudeltes Gesicht zu; das geheimnisvolle Blut durfte der Sitte gemäß nicht abgewischt werden.

»Was willst du wissen, Julianus?«

»Was steht mir bevor?«

»Du wirst siegen.«

»Und Constantius?«

»Constantius ist nicht mehr.«

»Was sagst du? . . .«

»Warte. Die aufgehende Sonne wird deinen Ruhm bestrahlen.«

Julianus wagte nicht, auszuforschen. Sie kehrten schweigend ins Lager zurück.

Julianus traf in seinem Zelte einen Boten aus Kleinasien an. Es war der Tribun Sintula.

Er kniete vor ihm nieder und küßte den Saum des kaiserlichen Paludamentums.

»Heil dem göttlichen Augustus Julianus!«

»Kommst du von Constantius, Sintula?«.

»Constantius ist nicht mehr.«

»Wie?«

Julianus fuhr zusammen und blickte Maximus an. Dieser bewahrte seine unerschütterliche Ruhe.

»Nach dem unerforschlichen Ratschlusse des Herrn,« fuhr Sintula fort, »ist dein Feind in der Stadt Mopsukrene, in der Nähe von Macellum gestorben.«

Am nächsten Abend wurde das Heer versammelt. Die Soldaten wußten bereits vom Tode des Constantius.

Kaiser Augustus Claudius Flavius Julianus stellte sich am Rande eines Felsvorsprunges auf, so daß ihn alle Legionen sehen konnten. Er stand ohne Krone, ohne Schwert und Lanze und war von Kopf bis zu Fuß in Purpur gekleidet; um die Blutspuren, die man nicht wegwischen durfte, zu verbergen, hatte er auch sein Gesicht mit Purpur bedeckt. In diesem seltsamen Gewande glich er eher einem Hohenpriester als einem Kaiser.

Er stand mit dem Rücken gegen den roten, herbstlichen Wald, der die Abhänge des Hämus bedeckte; über dem Haupte des Kaisers erhob sich ein Ahorn, dessen gelbes Laub sich vom tiefblauen Himmel wie Gold abhob und im Winde wie ein Banner rauschte.

Bis an den Horizont dehnte sich die Ebene von Thrakien; die alte, römische, mit weißem Marmor gepflasterte Heerstraße glänzte in der Sonne wie eine Triumphstraße; sie zog sich bis zu den Wellen der Propontis, bis zu Konstantinopel, dem zweiten Rom, hin.

Julianus sah von der Anhöhe auf sein Heer herab, wenn sich die Legionen regten, leuchtete auf den ehernen Helmen, Panzern und Adlern der Widerschein der untergehenden Sonne auf; es war wie ein Spiel von blutroten Blitzen; die Lanzenspitzen funkelten über den Kohorten wie brennende Kerzen.

Neben dem Kaiser stand Maximus. Er neigte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr:

»Sieh, welche Herrlichkeit! Deine Stunde ist gekommen. Zögere nicht länger.«

Er zeigte auf die christliche Fahne, das Labarum, das heilige Banner, das dem römischen Heere vorangetragen wurde und das jener flammenden Fahne mit der Inschrift: »In hoc signo vinces«, die Konstantin der Apostelgleiche im Himmel gesehen hatte, nachgebildet war.

Die Fanfaren verstummten. Julianus rief mit lauter Stimme:

»Meine Kinder! Unsere Mühen haben ein Ende. Dankt den Olympiern, die uns den Sieg verliehen haben.«

Diese Worte konnten nur in den ersten Reihen der Legionen verstanden werden; unter diesen befanden sich viele Christen; sie wurden unruhig.

»Habt ihr es gehört? Er dankt nicht dem Herrn, sondern den olympischen Göttern!« sagte ein Soldat.

»Siehst du den Alten dort, mit dem weißen Bart?« fragte ein anderer seinen Kameraden.

»Wer ist es?«

»Es ist der leibhaftige Teufel in der Gestalt des Zauberers Maximus; er hat den Kaiser verführt.«

Die vereinzelten Stimmen der christlichen Soldaten klangen aber nur wie Geflüster. Die Kohorten, die mehr im Hintergrunde standen und die Worte des Julianus nicht verstanden hatten, brachen in Jubelgeschrei aus:

»Heil dem göttlichen Augustus! Heil! Heil!«

Immer lauter und lauter erhob sich an allen vier Enden der mit den Legionen bedeckten Ebene das Geschrei:

»Heil! Heil! Heil!«

Das Gebirge, die Erde, die Luft und der Wald erdröhnten unter dem Geschrei der Menge.

»Seht nur, seht, sie senken das Labarum!« murmelten entsetzt die Christen.

»Was ist das? Was ist das?«

Das alte Kriegsbanner, eines von jenen, die noch von Konstantin dem Großen geweiht worden waren, wurde zu den Füßen des Kaisers gesenkt.

Aus dem Walde trat ein Feldschmied heraus; er trug ein Feuerbecken, eine verrußte Zange und einen Schmelztiegel mit Zinn. Dies alles war schon vorher zu einem unbekannten Zwecke vorbereitet.

Der Kaiser, der trotz des Abglanzes des Purpurs und der untergehenden Sonne sehr blaß war, riß von der Fahnenstange des Labarums das goldene Kreuz und das aus Edelsteinen zusammengesetzte Monogramm Christi herunter. Das ganze Heer hielt den Atem an. Die Perlen, Smaragde und Rubinen rollten zu Boden, und das feine Kreuz verbog sich unter den Sandalen des römischen Kaisers.

Maximus entnahm einer kostbaren Schatulle eine kleine, in blaue Leidentücher gewickelte silberne Statue des Sonnengottes Mithra-Helios.

Nun trat der Schmied hervor. In einigen Augenblicken hatte er mit seiner Zange die verbogenen Haken an der Fahnenstange gerade gerichtet und die Statue des Mithra mit Zinn angelötet.

Ehe die Soldaten sich besinnen konnten, wurde das heilige Banner Konstantins in die Höhe gehoben. Mit dem Götzenbilde Apollos bekrönt flatterte es über dem Haupte des Kaisers.

Ein alter Soldat, ein gläubiger Christ, wandte sich ab und bedeckte die Augen mit den Händen, um diesen Frevel nicht sehen zu müssen.

»Gotteslästerung!« flüsterte er erblassend.

»Wehe!« flüsterte ein anderer seinem Kameraden ins Ohr. »Der Kaiser ist der Kirche Christi abtrünnig geworden.«

Julianus kniete vor dem Banner nieder, streckte seine Arme nach der Silberstatue aus und rief:

»Heil der unbesiegbaren Sonne, der Beherrscherin der Götter! Heute betet Augustus den ewigen Helios an, den Gott des Lichtes, den Gott der Vernunft, den Gott der olympischen Freude und Schönheit!«

Die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich auf dem grausamen Antlitze des Delphischen Gottes; sein Haupt war von spitzen, silbernen Strahlen umgeben; er lächelte.

Die Legionen blieben stumm. Es war eine solche Stille eingetreten, daß man die welken Blätter im Walde zu Boden fallen hörte.

In dem blutigen Widerscheine des Abendrotes, im roten Mantel des letzten Hohepriesters und im Purpur des sterbenden Laubwaldes herrschte eine unglückverheißende Pracht, die Majestät des Todes.

Einer der Soldaten in der vorderen Reihe sagte so laut, daß Julianus es hörte und zusammenfuhr:

»Antichrist!«


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